Lombardische Briefsammlung

Die Vorab-Edition von Heinz-Jürgen Beyer (Stand ca. 2010) wird nicht weiter bearbeitet. (Info)

62.

Papst an Klerus und Volk von Pavia:
fordert wegen der nach dem Tode von Bischof Bernhard erfolgten Doppelwahl (erst Lanfranc, dann in Mortara gegen seinen eigenen und des Klerus Willen Warin) zu kanonischer Neuwahl auf; mit der Konsekration des Nachfolgers soll man warten, bis er selbst (nach Pavia) kommt bzw., falls dies zu lange dauert, in seinem Auftrage (Kardinal-)Bischof C(onrad) von (S.) Sabina eintrifft.
(Frankreich?, Ende 1131/ Anfang 1132)
Ü: V fol. 54v-55r.
D: Wattenbach S. 80f.
R: Wattenbach S. 45-50 (zu 1132).

Epistola pape ad Papienses, ut episcopum eligant

Episcopus servus servorum Dei gratia1) Ticinensi clero et universo populo salutem et apostolicam benedictionem.

Venerabilis fratris nostri Bernhardi2) episcopi vestri obitu vestram ecclesiam viduatam esse audivimus et pro electione futuri antistitis lites, discessiones, discordias agitari inter vos comperimus. Legatorum namque nostrorum relatione Lanfrancum3) omni consensu clericorum electum esse novimus. Dehinc quia consules et primarii civitatis quandam prerogativam, quam habere non debent, sibi vindicare contendunt, absque licentia Mortariam adierunt et G[u]arinum4) religiosum virum de claustro violenter abstulerunt et eum renitentem contra cleri voluntatem int[h]ronizaverunt, quod contra leges humanas factum esse cognoscitis.

Unde vestre et illorum dilectioni precipiendo mandamus, ut uterque removeatur: et Lanfrancus in ordine suo quietus sedeat et G[u]arinus in claustro solito more maneat. Post hec populo in ecclesia concorditer adunato episcopum a clero, cuius privilegium et liberum arbitrium est canonicam electionem facere, petat. Sic enim in decreto beati Leonis continetur:5) "Nulla ratio sinit, ut inter episcopos habeatur, quem nec populus expetit nec clerus eligit nec a provincialibus episcopis cum iudicio metropolitano fuerit consecratus. Aliter facta electio seu ordinatio cum ratione cassatur." Hoc igitur more et ordine servato electionem canonicam facere ne differatis, quia iuxta regulas sanctorum patrum ultra tres menses ecclesia pastore vacare non debet. Quem taliter, ut diximus, electum et cum decreti subscriptione int[h]ronizatum, diligenter tamen examinata persona, quia Ticinensi ecclesie privilegio ab antecessoribus nostris concesso apostolice sedis est consecratio, eum consecrandum nobis in adventu nostro6) servate vel, si tardum visum vobis fuerit, vicario nostro venerabili fratri C.7) Sabino episcopo presentate.

Brief des Papstes an die Pavesen zwecks Bischofswahl

[Innozenz II.,] der Bischof (von Rom), Diener der Diener (Gottes) durch Gottes Gnade, grüßt und segnet den Klerus von Pavia und das ganze (dortige) Volk mit seinem apostolischen Segen.

Wir haben gehört, dass nach dem Tod unseres verehrten Bruders, eures Bischofs Bernhard, eure Kirche verwaist ist, und haben erfahren, dass um die Wahl des künftigen Oberhirten Streit, Auseinandersetzungen und Zwietracht unter euch herrschen. Durch den Bericht unserer Boten [legati] wissen wir, dass Lanfranc in einstimmiger Wahl der Kleriker gewählt worden ist. Weil seitdem die Konsuln und hochrangigen Bürger [primarii] der Stadt ein Vorrecht für sich in Anspruch zu nehmen suchen, das ihnen freilich nicht zusteht, sind sie ohne Zustimmung (der Kleriker) nach Mortara gegangen und haben Warin, einen gottesfürchtigen Mann mit Gewalt aus dem Kloster geholt und ihn trotz seiner eigenen Weigerung und gegen den Willen des Klerus inthronisiert - was, wie ihr wisst, gegen die Gesetze der Menschen verstößt.

Daher bitten wir euch und auch die Kleriker eindringlich, dass beide (Kandidaten) zurückgezogen werden: d.h. Lanfranc soll ruhig in seinem bisherigen Stand verharren und Warin soll ebenso in gewohnter Weise im Kloster bleiben. Alsdann soll das Volk einträchtig in der Kirche zusammenkommen und vom Klerus einen Bischof erbitten; denn es ist Privileg und freies Ermessen des Klerus, eine kanonische Wahl durchzuführen. So steht's nämlich im Dekret des heiligen Leo [IX.]: "Keine kirchliche Lehre lässt zu, dass zu den Bischöfen gezählt wird, wer nicht sowohl vom Volk gewünscht als auch vom Klerus gewählt ist und auch noch von den Bischöfen der Kirchenprovinz in Verbindung mit der Zustimmung des Erzbischofs geweiht wird." Wählt also unverzüglich nach dieser Tradition und unter Einhaltung dieser Regel(n) in kanonischer Weise, da nach den Vorschriften der Kirchenväter eine Kirche nicht länger als drei Monate ohne Hirten sein soll. Wenn ihr also in solcher Weise, wie wir gesagt haben, (einen Nachfolger) gewählt und und entsprechend den Vorgaben des Dekrets inthronisiert habt - selbstverständlich nach sorgfältiger Prüfung der Person -, dann wartet mit seiner Weihe, bis ich komme, weil die Weihe selbst Sache des Heiligen Stuhls ist, wie von unseren Vorgängern der Paveser Kirche urkundlich verbrieft worden ist, oder aber, wenn euch dies zu lange zu dauern scheint, präsentiert ihn unserem Beauftragten, dem verehrten Bruder C. [= Konrad?], dem [Kardinal-]Bischof von S. Sabina.

  1. Wohl Papst Innozenz II.: s.o. Brief 1 u.a.
  2. Bischof Bernhard von Pavia 1110-1130, u.U. bis 1131/32; sein Nachfolger Petrus wird erstmals 1132 (Gams S. 800) bzw. 1133 (Wattenbach S. 45) erwähnt. Nach Wattenbach a.a.O. ist von den geschilderten Vorgängen "sonst nichts bekannt".
  3. Ein Bischof Lanfranc (wohl kaum identisch mit der hier genannten Person) ist erst für die Jahre 1180-98 belegt (Gams ebenda).
  4. Es handelt sich offenbar um den (späteren) Kardinalbischof Guarinus (= Warin) von Palestrina "1144-1158?" (Zenker, 1964, S. 41), der als Kanoniker in Bologna (S. Maria de Rheno), Mortara und S. Frediano wirkte. "Die Wahl zum Bischof von Pavia schlug er aus Furcht, durch dieses Amt zu sehr in weltliche Geschäfte verstrickt zu werden, aus" (ebenda, nach Vita S. Guarini auctore Augusto Ticinensi, AA.SS. Febr. I, p. 914); ebenso wehrte er sich später zunächst auch gegen seine Ernennung zum Kardinalbischof.
    Mortara (40 km westlich von Pavia) hat Innocenz in engem zeitlichen Zusammenhang mit diesem Brief besucht, am 23. April 1132 (JL 7566A); in Pavia war er anschließend, vom 2. Bis 8. Mai 1132 (JL 7568), vielleicht jedoch schon am bzw. seit 24. April (vgl. Briefe 1 u. 6).
  5. Gemeint ist wohl Papst Leo IX. (1049-1059): vgl. Canon I der Reimser Synode von Okt. 1049: Ne quis sine electione cleri et populi ad regimen ecclesiasticum proveheretur (Mansi, Conc. 19, 1902, Sp. 741). Er wurde nach seinem Tode "sogleich als Heiliger verehrt" (Dahlhaus, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 6, 1997, Sp. 825).
  6. Da die Briefsituation nach dem Tod Bischof Bernhards von Pavia und wohl vor der Wahl/Weihe seines tatsächlichen Nachfolgers Petrus "spielt", der Papst selbst in Pavia erst ab 2. Mai 1132 (JL 7568) nachweisbar ist, dürfte das Briefdiktat zeitlich in der Nähe der Jahreswende 1131/32 anzusetzen sein (und somit in Frankreich, wo Innocenz bis 30. März 1132 nachweisbar ist: JL 7560-7563).
  7. Kardinalbischof von S. Sabina: Crescentius II. iunior seit 1116 mind. bis 1125 bzw. wohl eher sein Nachfolger Conradus della Suburra seit 7. Mai 1128 bis 12. Juli 1153 (Zenker, 1964, S. 46).
Bischofsdarstellung am Portal von San Michele, Pavia (1. H. XII. Jh.)


 Zurück zum Register   ... zum nächsten Brief ...