Lombardische Briefsammlung

Die Vorab-Edition von Heinz-Jürgen Beyer (Stand ca. 2010) wird nicht weiter bearbeitet. (Info)

76.

Graf A(lbert) von Verona an Kaiser(?) L(othar):
beklagt, daß die Capitane usw. des Hauses der Gräfin Mathilde (von Toscana), die ihn zu ihrem Herrn erwählt hatten, ihm nun Ehefrau, Söhne - Bonifacius und Grasidonius - und Burg Canossa abgenommen haben, wobei sich besonders Rainer de Saxo hervorgetan hat; bittet um Entsendung eines Bevollmächtigten.
(ca. Frühsommer 1132)
Ü: V fol. 61v-62r.
D: Wattenbach S. 83.
R: Wattenbach S. 46-50 (zu 1132); R: RI Lo.III. +306 (zu 1132); vgl. auch Niederkorn, S. 591ff.

Querimonialis ad imperatorem

L.1) gloriosissimo et serenissimo Dei gratia Romanorum imperatori augusto A.2) Veronensium comes de hostibus tropheum et a civibus augustalem triumphum.

Imperialem maiestatem idcirco Deus ad regendum suum populum preposuit, ut iniquitates calumpniantium et tyran[n]idem et crudelitatem a regni limite repel[l]eret, subiectos sibi legali tramite regeret et rebelles armorum virtute contereret. Quorum utramque viam superno lumine adiuvante naviter peragitis, cum totum regnum vestrum stabili pace federatis, ius suum unicuique tribuitis, quosque repugnantes pedibus vestris sub iuga imperi vestri viriliter prostratis.

Hac de causa magno opere confisus ad vestram pietatem, clementissime imperator, securus postulator accedo et, quia corpore nequeo, supplicatoriis lit[t]eris venio. Dampna et dedecora, que mihi contigerunt, vestre pietatis auribus innotesco.

Capitanei et valvas[s]ores et cuncti satellites domus comitisse Mehtildis3) me suum dominum postulaverunt et, ut dominium acciperem, a me vix multis precibus impetraverunt. Quid plura? Equos, vestes, arma, immensam pecuniam, vasa aurea et argentea eis tribui. Postquam iam nihil habebam, quod eis donarem, uxorem4) meam cum magna versutia seduxerunt et eam Canusium5) deduxerunt,6) illam et arcem violenter tenuerunt. Tandem intervenientibus quibusdam nostris fidelibus nostram gratiam eis red[d]idimus et eos iterum nobis iuramento astri[n]ximus. Post paucos dies Rainarius7) de Saxo prefatam arcem et filios meos Bonifacium et Grasidonium8) cum magna proditione cepit et eandem arcem adhuc fracta fidelitate contra meum honorem sibi tenet.

Quocirca imperialem clementiam multimoda prece rogito, ut mihi fidelissimo provideat, quod imperiali honore ex tanto scelere dignum exitum faciat, [et] aliquem fidelem legatum, qui hec ex[s]equi possit, ad negotium mit[t]ere studeat.

Klage beim Kaiser

Dem ruhmreichen und erhabenen von-Gottes-Gnaden Kaiser der Römer L(othar III.) wünscht Graf A(lbert) von Verona [wörtlich: "von den Veronesern"] Sieg über seine Feinde und Erfolg bei den Bürgern.

Gott hat die kaiserliche Majestät zum Herrschen über sein Volk gesetzt, damit er die Ungerechtigkeiten der Verleumder sowie Tyrannei und Grausamkeit von der Grenze des Reichs abhalte, diejenigen, die sich ihm unterworfen haben, auf dem Pfade des Gesetzes lenke und diejenigen, die sich dagegen auflehnen [rebelles], mit der Macht der Waffen vernichte. In beiderlei Hinsicht leistet ihr dies mit himmlischer Erleuchtung kompetent, wenn ihr euer ganzes Reich in stabilem Frieden verbindet, jedem sein Recht verschafft und alle, die sich dagegen auflehnen, in mannhafter Weise zu euren Füßen niederstreckt und unter das Joch eurer Herrschaft zwingt.

Deshalb wende ich mich als zuversichtlicher Bittsteller mit großem Vertrauen an eure Gnade, mildester Kaiser, und zwar mit einem Bittbrief, da ich nicht persönlich kommen kann. Schaden und Schmach, wie sie mir zuteil geworden sind, bringe ich euch zu Ohren.

Capitane und Valvassoren und alle Abhängigen des Hauses der Gräfin Mathilde haben mich als ihren Herrn gewollt und mich nur mit Mühe aufgrund zahlreicher Bitten bewegen können, den Herrschaftsauftrag anzunehmen. - Was noch? - Pferde, Kleidung, Waffen, eine gewaltige Menge Geld, goldene und silberne Gefäße habe ich ihnen (dafür) gegeben. Nachdem ich nichts mehr hatte, was ich ihnen hätte schenken können, haben sie meine Ehefrau mit großer List auf ihre Seite gezogen ['seducere' könnte auch 'verführen' heißen!], sie nach Canossa entführt und sie ebenso wie die Burg mit Gewalt (fest)gehalten. Als schließlich einige unserer Getreuen sich eingeschaltet haben, haben wir diesen [= jenen ?] unsere Huld wieder gewährt und sie erneut durch einen Eid an uns gebunden. Nach wenigen Tagen (jedoch) hat Rainer de Saxo die vorgenannte Burg ein- und meine Söhne Bonifacius und Grasidonius in verräterischer Weise festgenommen; und diese Burg hält er unter Bruch der Treue und gegen meine Ehre noch immer (besetzt).

Daher bitte ich eure kaiserliche Gnade inständig, sich meiner - ihres treuesten Dieners - anzunehmen, dass sie [= 'Ihro Gnaden'] mittels der kaiserlichen Stellung so schlimmem Verbrechen ein würdiges Ende bereite und sich bemühe in dieser Angelegenheit einen treuen Boten zu schicken, der die Sache weiter verfolgen kann.

  1. Zu König/Kaiser Lothar vgl. Briefe 1-4, 24-27, (34) und 77-79.
  2. A(da)lbert von Verona, Graf von S. Bonifacio, Rector der Mathildischen Güter: Er ist seit 1120 (comes) bzw. 1128 (dux, marchio et comes) nachweisbar (Ficker, Forschungen, 1869, IV, S. 142 und 147 Nr. 97 und 102) und machte am 15. Febr. 1135 sein Testament. Er starb am 10. August 1135 (Ann. Veron. brev. = MGH SS. XIX, S. 2 und Necrologium = Arch. Stor. Ven. IX, S. 95), war aber wohl bereits z.Z. des Pisaner Konzils (30. Mai 6. Juni 1135), wo Markgraf Engelbert den Treueeid für das Mathildische Lehen leistete, nicht mehr im Amt (RI. Lothar III, S. 443). Darüber hinaus besteht Unsicherheit über das Verhältnis Alberts zu Lothar ab 1133, als dieser vom Papst mit dem Mathildischen Gut belehnt wurde (Ficker, a.a.O., III, S. 445 sowie RI. Lothar III, S. 219f., Nr. 353. Regesten zum Leben Alberts bei Groß, Lothar III. und die mathildischen Güter, 1990, S. 284ff. (Vgl. auch Beyer, 1989, S. 915ff.)
  3. Mathilde, Markgräfin von Tuszien, 1046 - 1115.
  4. (R. ???)
  5. Burg Canossa, ca. 20 km südwestlich von Reggio/Emilia. (Vgl. eine Zeugenaussage aus den Veroneser Prozessakten von 1146/47: "Et dico, quod audivi patrem meum dicentem et alios antiquos homines, quod quando comites S. Bonifacii intraverunt terram, per forza intraverunt per castrum, quod fuit eis traditum." nach Ficker, a.a.O., III, S. 445.)
  6. Vgl. Ps. 42, 3 (der im Introitus der Messe zitiert wird).
  7. Rainer de Saxo, "seit 1103 oft am Hof der Markgräfin Mathilde, war offenbar Verwandter des seit 1088 dort häufig genannten Sasso von Bianello" - als Mitglied des Hofgerichts (in Gegenwart der Kaiserin Richenza) in einer Urkunde aus Reggio/Emilia Anfang Dez. 1136 genannt (RI Lothar III, S. 348f., Nr. 541).
  8. Bonifaz (Bonefacius) und Garsidonius (Garsedonius) erscheinen als Brüder und Söhne des Markgrafen Albert (s.o. Anm. 1) in einer Urkunde vom 4. Jan. 1134 (Ficker, a.a.O., IV, S. 147ff., Nr. 104). Den Prozessakten von 1146/47 (s.o. Anm. 5) zufolge ist Albert ohne Erben (sine herede) gestorben. Beide Aussagen lassen sich in Einklang bringen, wenn man der Angabe von Brief 79 folgt, dass die(se?) Söhne unehelich (concubinarii) waren. (Ficker, a.a.O., III, S. 446). Hinsichtlich Garsidonius hält Ficker (a.a.O.) es für möglich, dass er später (1148-65) Bischof von Mantua war.

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