Die Vorab-Edition von Heinz-Jürgen Beyer (Stand ca. 2010) wird nicht weiter bearbeitet. (Info)
Bruder G(assidus) an Bruder R.:
berichtet, wie er die Schulden des Bruders (wohl 21 Pfund) getilgt hat und dass dieser jetzt bald zurückkommen kann bzw. soll, zumal unterwegs (auch) viele Gefahren lauern.
D: -
R: Wattenbach S. 44-50 (zu 1132).
Responsio R. dilecto fratri suo G., quam sibi optat ipse, salutem. In fratrem amoris affectio non est subdola, non palpans adulatio, sed sinceri cordis debet ostentari communio. Amor enim ipse per se satis manifestatur, non fuco verborum coloratur. Tria sunt quippe, ut vulgo dici solent, amor, tussis et scabies, que non diu celantur: Tussis anhela pectus concutit, scabies intolerabilem pruriginem excitat; amor sincerus in pectore flagrans aliquotiens aliquibus causis impedientibus tegitur, sed tamen sicut flamma excrescens prorumpens se ipsum ostendit et attestatione operum, quantus sit, semet ostendit. Operatur enim magna, si est; si vero operari rennuit, amor non est. Probatio namque fidei vere dilectionis exhibitione est operis. Quam ob rem affectum animi mei circa te ostendere volens non longa verbositate, sed factis et rebus fraternum amorem circa te demonstrari cupio. Uxorem tuam ut sororem diligo, filios tuos sicut meos nutrio, negotia tua sicut propria gero. Debito vero, quo tenebaris astrictus, iam tribus transactis mensibus cum magna diligentia et sollertia uxoris tue adhibita et mea opera te liberavi: De rusticis namque tuis X libras cum eorum bona voluntate collegimus, de tritico et vino vendito VI libras fecimus. Ego autem de meis LX solidos dono impendi.
Quapropter hoc onere liberatus sollicitudinem tuam pone et, quantocius potes, caute redire festina, quia multa sunt predonum et latronum ac piratarum crudelia impedimenta in via. |
Antwort R., seinen geliebten Bruder, grüßt G[assidus] so, wie er selbst von ihm (gegrüßt werden möchte). In der liebvollen Zuneigung zum Bruder gibt es nichts Falsches, keine schleimige Speichelleckerei, sondern es muss sich die Verbundenheit des ehrlichen Herzens offen zeigen. Denn die Liebe selbst wird aus sich selbst heraus deutlich und nicht mit Schminke gefärbt. Es gibt nämlich drei Dinge, die, wie man gemeinhin zu sagen pflegt, nicht lange verheimlicht werden können: Liebe, Husten und Krätze. Keuchender Husten durchschüttelt die Brust, Krätze ruft unerträgliches Jucken hervor; ehrliche Liebe, die tief drinnen im Herzen glüht, wird zwar bisweilen durch einige hinderliche Umstände verdeckt, aber dennoch zeigt sie sich wie eine aufglühende Flamme, die auf einmal durchbricht, und beweist durch das Zeugnis ihrer Werke, wie groß sie ist. Sie bewirkt Großes, wenn sie es (wirklich) ist; wenn sie es aber ablehnt, sich in der Tat zu zeigen, ist es keine Liebe. Der Beweis wahrer Liebe und Treue wird nämlich durch die Tat [wörtlich: das Werk] geleistet. Deswegen will ich meine Zuneigung dir gegenüber nicht durch ausschweifende Geschwätzigkeit zeigen, sondern möchte meine brüderliche Liebe zu dir durch Taten beweisen. Ich liebe deine Frau wie eine Schwester, um deine Kinder kümmere ich mich, als wären es meine, und deine Geschäfte betreibe ich wie meine eigenen. Von deiner Schuld aber, der du verpflichtet warst, habe ich dich schon vor drei Monaten mit umsichtiger [...] Unterstützung deiner Frau und durch mein eigenes Zutun befreit: Von deinen Bauern haben wir Dank deren Gutwilligkeit 10 Pfund eingesammelt, aus dem Weizen- und Weinverkauf haben wir 6 Pfund erlöst. Und ich habe dann aus meiner Kasse noch 60 Schilling [= 3 Pfund] als Geschenk dazugegeben.
Deswegen kannst du dich von dieser Schuldenlast befreit nun beruhigen und solltest, so schnell du kannst, zurückkehren; aber sei vorsichtig, weil auf dem Weg viele schreckliche Gefahren durch Räuber, Strolche und Wegelagerer [wörtlich: Piraten] lauern. |