Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

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Unter Vorsitz Mathildes wird im Königsgericht auf Klage des Mönches Witto als Vertreter des Abtes Johannes von Santa Maria foris portam (zu Faenza) über das von dem Elekten Petrus von Forlì zwei Jahre lang entfremdete Viertel der Kirche Santa Reparata zu Castrocaro der Bann gelegt und die Investitur Wittos verfügt.

Castrocaro, 1118 November.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Originalaufzeichnung (ca. 20/21 b : 54,5 h) im Staatsarchiv zu Faenza (A); Rückvermerk des 13. Jh.: Pleb(is) ecclesie Reparate; 14. Jh.: Mateld(is) comitisse [!]; andere Hand des 14. Jh.: Declaracio quedam seu preceptum factum per reginam pro mon. sancte Marie …

Faks.: Calandrini-Fusconi, Forlì e i suoi vescovi 1,445 tav. LII zu 1118 November 4.

Drucke aus A: Ughelli, It. sacra 2,364 zu 1118 November 4 = Heumann, De re dipl. imperatricum 211 § 127.2 = Scheid, Orig. Guelf. 1,657 no 123 = Mittarelli-Costadoni, Ann. Camald. 3, app. 275 no 188. – Calandrini-F. a.a.O. 446 Anm. 6 unvollständig.

Reg.: Tonduzzi, Historie di Faenza 177 zu 1118 November 4. – Mittarelli, Ad SS Muratorii access. hist. Faventinae 417. – Hübner, Gerichtsurk. 2,215 no 1574 zu 1118 November 4. – Indices … Muratorii 84 no 1653. – Calandrini-F. a.a.O. 443ff. zu 1118 November 4.

Das verwendete Pergamentblatt war das Randstück einer Tierhaut, wie die bogigen Verformungen am unteren Rand und in der rechten unteren Ecke zeigen, deren Ränder wie üblich die durch fehlende Randspannung bei der Trocknung der Haut verursachte Verhärtung und Verdickung aufweisen (vgl. dazu unten). – Die von der Literatur seit Ughelli bevorzugte Datierung auf den 4. November beruht auf Fehldeutung der zum Kaisertitel (mit dem auffälligen Attribut sacratissimi) gehörenden Ordinalzahl quarti. Verfasser war zweifellos der im Text genannte königliche Kaplan Burchardus, dessen auch bei Calandrini-F. richtig wiedergegebenen Namen Hausmann, Reichskanzlei 89 aufgrund seiner Benützung des Druckes bei Mittarelli-Costadoni in der von allen älteren Drucken seit Ughelli falschen Lesung “Burebundus” verzeichnet. Diese falsche Namensangabe erscheint erstaunlicher Weise auch noch bei Fössel, Die Königin im mal. Reich 160, obwohl sie sich auf das in Anm. 40 mit seiner Signatur zitierte Original beruft; der dadurch erweckte Eindruck, sie habe sich für ihre umfangreichen, in Anm. 40–43 gebotenen (fehlerhaften) Auszüge (für die sie übrigens fälschlich jeweils auf Rössler, Kaiserin Mathilde S. 21 Bezug nimmt, wo DMa.3 nur erwähnt wird!) auf das Original gestützt, trügt jedoch, offenbar legte sie einen der älteren Drucke zugrunde (vgl. z.B. Anm. 3), den sie allenfalls äußerst flüchtig mit dem Original kollationiert haben kann. – Der Mann, über den nichts weiter bekannt ist und in dem Hausmann wohl wegen der falschen Namensform einen Italiener vermutete, war sicher ein Deutscher, als was ihn auch die Schrift ausweisen dürfte, auch wenn seine mit i-longa gebildeten Ligaturen (s. Anm. c, k, v, e’) und eine bestimmte Art der Schreibung des runden d (mit verlängertem Schaft, s. unten) eher an italienische Schulung denken lassen (vgl. weiter unten).

Das Stück, das schon durch die auf den Verfasser bezogene subjektive Formulierung und den dabei verwendeten pluralis maiestatis (nos … scripsimus, zweimal nostra) auffällig ist, steht hinsichtlich seiner Textgestaltung, deren Bewertung auch dem Verfasser des Rückvermerks des 14. Jh. Schwierigkeiten bereitete, ohne Beispiel da und ist keiner der üblichen Urkundenkategorien zuzuordnen. Es als ein Placitum anzusprechen, wozu allenfalls die Plazierung der Datierung am Anfang – nach einer unpassenden Invokatio – passen würde, verbietet neben der subjektiven Formulierung insbesondere das Fehlen einer notariellen Kompletionsformel und jeder anderen Art von Beglaubigung; dass etwas derartiges einmal vorhanden gewesen und später weggeschnitten worden wäre, ist durch obigen Befund des Blattes als Randstück ausgeschlossen. – Mit einem Diplom hat es erst recht nichts gemein, da die subjektive Formulierung dann auf die Königin lauten müsste und vor allem eine Korroboratio sowie Beglaubigung – mittels Siegels oder Unterschrift – fehlt, für die auch kein Platz vorhanden gewesen wäre. – Am ehesten kann man den Text als “Protokoll” der Vorgänge – von der Klage bis zur Investitur – charakterisieren, bei dem aber ebenfalls die subjektive Formulierung befremdet, die freilich andererseits eine Schlussklausel des Protokollanten erübrigte.

Absolut gewiss erscheint uns jedoch, dass die Aufzeichnung in der vorliegenden Gestalt weder Konzept noch Abschrift ist, sondern das “Original” darstellt, was die – dann auch dem Kaplan zuzusprechende – Schrift beweist, die sich mit weiten Zeilenabständen und der Betonung von vielfach verschleiften Ober- und Unterlängen die Diplomschrift zum Vorbild nahm.

Dabei begab sich der Mann, der sicher ein geübter Buchschreiber war, auf ein ihm völlig fremdes Feld. Das beweist einerseits der misslungene Versuch der Anwendung einer aus einer manieristischen Kapitalis gebildeten “Elongata” an einigen Stellen innerhalb des Kontextes, andererseits besonders exemplarisch das dipl. Kürzungszeichen, für das der Schreiber ab der 2. Zeile des Originals (s. Anm. i) zwar eine überwiegende Standardform verwendet, vorher und nachher aber daneben noch vier Varianten kennt (s. Anm. b, g, i’, s’, v’, y’, z’, a”); etwa ab dem Beginn des 2. Drittels in der 10. Zeile (s. presentia von Anm. e’) verfällt er sodann immer häufiger auf die Verwendung des ihm aus seiner Praxis offenbar allein vertrauten titulus planus (s. noch Anm. f’-h’, k’, p’, u’, y’, z’); schließlich verleitet ihn das Vorkommen eines oder mehrerer Buchstaben mit verschleiften Oberlängen in einem Wort oft dazu, auf ein Kürzungszeichen gänzlich zu verzichten (s. Anm. f, h, o, p, c’, m’).

Ganz absonderlich ist auch, dass er für das Minuskel-d, vielleicht in bewusster Variationsabsicht, wechselnd insgesamt fünf verschiedene Formen verwendet: einerseits das gerade d entweder mit stumpf auf der Zeile endendem Schaft, mit Aufstrich am Schaftfuß oder – bevorzugt – mit mehr oder weniger starker Verlängerung des Schaftes unter die Zeile, sodann das (unziale) runde d entweder mit auf der Zeile ruhender Rundung oder mit einer unter die Zeile reichenden Verlängerung des schrägen Schaftes (aber nie, wie sonst bei dieser Form üblich, in Ligatur mit einem folgenden Buchstaben).

Das Hauptkennzeichen der Diplomschrift, die Oberlängen-Verschleifung bei langem s und bei f, aber auch bei b, l, allen Formen des d sowie beim Aufstrich des &-Kürzels, ist längst nicht überall anzutreffen; am konsequentesten begegnet sie noch beim langen s, doch auch hier gibt es eine Reihe von Beispielen ohne Verschleifung (s. Anm. a’, d’, r’, w’, z’, a”; zu fehlender Verschleifung bei f s. Anm. e), daneben erscheint dann auch die der Diplomschrift fremde Form des runden s (s. Anm. l’, n’, u’); ebenso uneinheitlich ist die Schreibung des r entweder mit tief unter die Zeile gezogenem Schaft oder mit Kurzschaft (s. Anm. q, b’, b”). Andererseits übertreibt er, indem er auch Unterlängen mit Verschleifungen versieht (für langes s vgl. Anm. t, w’; für r s. Anm. u, x, bei Anm. u sogar mit Doppelschleife; für p s. Anm. p); Vorbild für diese Fußverschleifungen war womöglich das g, das er – neben der Schreibung mit geschlossener Fußrundung (s. Anm. s) – vorzugsweise mit einer tief herabgezogenen Unterlänge schrieb, die er mit einer Schleife mit senkrechtem Abstrich versah (s. Anm. w, b’). Absolut einheitlich ist gegenüber diesem Chaos allein die Schreibung der hohen ct- und st-Ligaturen.

Für den Elekten Petrus von Forlì, der aufgrund der Nennung der Zweijahresfrist vermutlich seit 1116 amtierte und der bei seiner ersten Nennung in D.198 von 1117 Januar 3 als episcopus bezeichnet ist, begegnet auch in den weiteren Belegen von 1118 und 1123 wie hier die Kennzeichnung als electus (vgl. Calandrini-F. a.a.O. 444 Anm. 5 und 447 Anm. 9); sein Vorgänger ist nicht bekannt, die Nennung eines Berengarius für 1115 ist nicht gesichert (s. Calandrini-F. a.a.O. 441; Schwartz, Besetzung 176 Anm. 3). Die Anwesenheit des kaiserlichen Elekten Philipp von Ravenna, der nach 1117 Januar 3 bestellt wurde, da in dem zitierten D.198 noch sein Vorgänger Hieremias genannt ist, und für den unser Text die einzige Nennung als italienischer Kanzler auf dem Boden Italiens darstellt (vgl. zu ihm Hausmann a.a.O. 49ff.), war sicher nicht durch das Rechtsgeschäft erforderlich, sondern erklärt sich vermutlich daher, dass er, der in Ravenna anscheinend nie Fuß fassen konnte, in Faenza Aufnahme gefunden hatte; dies ergibt sich aus einem Brief seines 1118 August 7 von P. Gelasius II. geweihten päpstlichen Gegenkandidaten Walther an die Kanoniker von Faenza (Amadesi, In antistitum Ravennatum chronotaxim 3,122 no 10; vgl. Schwartz a.a.O. 160; Hausmann a.a.O. 49f. Anm. 1), die er mit folgender Begründung exkommunizierte: Interim sane vos, Fauentini canonici, … quendam tirannum Philippum nomine, ab imperatore destinatum, … contra voluntatem nostram suscepistis et in superbie vestre proposito perseverantes eum apud vos longo tempore sustentastis …

Der nach dem Kaplan Burchard genannte Erbordus siniscalkus (= Truchsess), für den weitere Belege fehlen, ist aufgrund der Stellung sicher dem Hofstaat der Königin zuzurechnen (zu einem Truchsessen Heinrichs namens Volkmar vgl. Vorbemerkung zu D.24); Fössel, die a.a.O. 82 mit Anm. 415 einen bei Gregor von Tours belegten seneschalcus von Ludwigs d. Frommen Gemahlin Judith erwähnt, formuliert a.a.O. 83 wohl zu zurückhaltend, dass die Königinnen “weitgehend über einen eigenen durch die Hofämter strukturierten Hofstaat verfügt haben dürften”. – In den Diplomen der Ottonen- und Salierzeit ist nun, anders als in den beiden angeführten Belegen, für die Truchsessen ausnahmslos der Terminus dapifer verwendet, wie die Register der Diplomata-Bände ausweisen (vgl. z.B. auch Brühl, Fodrum 166 Anm. 206); erstmals in dem DF.I.734 von 1178 für Como begegnet ein Waltericus senescalchus, sicher identisch mit dem kaiserlichen Truchsessen Walther (v. Rothenburg), der in den 17 weiteren Belegen der Jahre 1168–1179 (DD.545 … 775; das Cunradus dapifer in dem kopialen D.639 von 1175 liefert eine durch das vorangehende Cunradus pincerna verursachte Verschreibung des Namens) immer als dapifer bezeichnet ist (zu ihm, der auch schon unter Konrad III. in D.220 von 1150 begegnet, vgl. Schubert in MIÖG 34, 455 u. 461f.); der in dem als Doppel-Chirograph ausgestellten DF.I.970 von 1188 (S. 251 Z. 5; Const. 1 no 319, S. 456 Z. 38) erwähnte senescalcus regis gehört zu Kg. Alfons VIII. von Kastilien. Die hiesige einmalige Verwendung des fast ausschließlich in Italien gebrauchten (s. Schubert a.a.O. 497) Terminus siniscalkus unterstreicht die wegen einiger Schrifteigentümlichkeiten (s. oben) vermutete italienische Schulung des Kaplans Burchard; dafür ist auch noch auf die Formulierung una per consensum (Z. ■) zu verweisen, wie sie z.B. auch in der in Anm. 2 zitierten Urkunde von 1084 vorkommt.

Hinsichtlich der übrigen Beisitzer fällt auf, dass darunter keine der im Jahre 1117 (DDMa.1 u. 2) am Hofe der Königin genannten Personen aus dem Umkreis der Markgräfin Mathilde wiederbegegnet. Zu den Ravennater Anhängern des Elekten Philipp zählt sicher der auch in D.*195 (Pietro Duca) genannte Petrus Dux (zu ihm s. Spagnesi, Wernerius 34 Anm. 10 und 83 Anm. 9); bei dem hier folgenden Albericus handelt es sich dann wohl um den ebenfalls in D.*195 genannten und einem Faentiner Geschlecht angehörigen Alberico di Manfredo. Der comes Caualcacomes ist nach Calandrini-F. a.a.O. 446 der Graf Cavalcaconte aus dem ca. 10 km sö. Forlì gelegenen Bertinoro; man ist freilich versucht, in dem Caualcacomitis des Textes eine durch das vorangehende comitis verursachte Verlesung statt des in D.179b genannten Caualcabouis marchionis zu vermuten (vgl. auch DF.I.101 von 1155: Conradus Caualcabouem marchio). Unsicher ist, ob es sich bei Martilingus um den im Jahre 1116 wiederholt (s. DD.159, 162, 173) bei Heinrich genannten Albertus comes de Martoringo (Martinengo prov. Bergamo) handelt. Die beiden mit dem Vollzug beauftragten Männer gehören wohl in die engere Umgebung; der comes Bonifacius ist nach Calandrini-F. a.a.O. Bonifacio conte di Castrocaro.

In nomine sanctę ac individuae trinitatis, patris et filii et spiritus sancti. Anno ab incarnacione filii dei millesimo centesimo octavo decimo, tempore Henrici sacratissimi imp(erato)ris quarti, mense nov., indicione duodecima, apud plebem sanctę Reparatę de Castrocairo. Ea, que iuste rationabiliterque gesta esse videntur, maxime quidem de rebus ęcclesiasticis, ne forte oblivioni tradantur, memorię commendare dignum duximus. Quapropter nos quidem Burchardus clericus et capellanus clarissimę dominae reginae Matildidis in presentia electi archiepiscopi Rau(ennatis) ę[c]clesię Phylippi et cancellarii imperatoris et Erbordi siniscalki et comitis Caualcacomitis et Tatonis et Martilingi et Petri Ducis et Alberici et aliorum illustrium virorum, adiuvante deo, iussu et consensu dominę nostrę reginę Matild(is) scripsimus, ut hoc equidem, quod in presentia nostra et predictorum actum est, nullatenus in posterum oblivioni tradatur. Itaque domnus Witto monachus et diaconus una per consensum et iussionem domni Iohannis abbatis sanctę Marię de foris portam cęterorumque confratrum accessit coram domina nostra Matild(i) regina et proclamavit ex eo, quod Petrus ille Liuiensis electus per biennium transactum partem quartam premissę ecclesię sanctę Reparatę, quam ex concessione et cartularum institutione seu corroboratione priorum Liuiensium episcoporum diu ecclesia sanctę Marię de foris portam possederat et obtinuerat, invasit et fraudulenter subripuit. Tunc domina Matildis regina in conspectu omnium premissorum et aliorum virorum surrexit et inposuit bannum super capita omnium, ut, si quis deinceps sive vir sive mulier prenominato monasterio sanctę Marię partem illam ecclesię sanctę Reparatę usurpare voluerit et aliquo in tempore molestiam per controversiam predicto abbati vel successoribus eius generaverit, sub pęna regalium decretorum constituatur. Similiter autem et sub eadem pęnę impositione precepit, ut comes Bonifacius cum cęteris de Castrocairo procurationem et custodiam huiusmodi de predicta causa sanctę Marię haberent, ne quicquam ulterius incommodi prefatum monasterium inde pateretur. Ad hęc precepit Iohanni Cani, ut domnum Wittonem de prelibata parte ecclesię investiret et omni modo in sua vice premissum monasterium sanctę Mar(ie) éx éa ré corroboraret. Quod factum est et, ut iussum est, Iohannes Canis sine mora perfecit.