Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<2.>>

Mathilde schenkt dem Frauenkloster San Raffaele (zu Reggio) eine Mühle zu Rubiera mit allem Zubehör und nimmt das Kloster in ihren Schutz.

Reggio nell’Emilia, 11[17].

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Unvollendetes Original (ca. 19,5/21 b : 25/25,5 h) im Staatsarchiv zu Reggio nell’Emilia (A); Rückvermerk des 15. Jh.: Carta comitissę[!] Matildę pro monasterio sancti Raphaelis de anno 1100; 17. Jh.: Donatione facta da Matilde imperatrice al monastero di S. Rafaello di Rego di un molino posto nel territorio di Rubiere l’anno 1100 …

Druck aus A: Tiraboschi, Mem. stor. Modenesi 2,90 no 327 unvollständig zu 1117.

Reg.: Guaitoli, Bibliogr. stor. Carpigiana 35 no 61 zu 1117.

Bei dem teilweise beschädigten, fleckigen und durch Tinkturbehandlung (s. Anm. w) verunstalteten Pergamentblatt lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beurteilen, ob es sich um eine gleichzeitige Abschrift (so Tiraboschi), ein Konzept oder eine nicht zur Vollendung gelangte Reinschrift handelt, der die Kompletierung des Datums (s. Anm. z) sowie eine Korroboratio samt Beglaubigung fehlen. – Gegen eine Bewertung als bloße Abschrift, die aufgrund des Schriftbefundes jedenfalls als gleichzeitig anzusehen wäre, spricht der weite, eher einem Original entsprechende Zeilenabstand von durchschnittlich 1,5 cm und die Vornahme einer Reihe von Korrekturen (s. Anm. f, k–n, q, s, x), und letztlich wäre auch die Abschriftnahme eines so unvollständigen Textes nicht recht sinnvoll. – Für ein Konzept könnten die erwähnten Korrekturen sprechen, doch passt zu einem solchen schlecht der große Zeilenabstand und die relativ sorgfältige (Buch-)Schrift.

Entschließt man sich daher, das Blatt als nicht bis zur Ausfertigung gediehene Reinschrift anzusehen, dann bleibt immer noch die Irritation, dass in dem unvollendeten Datum auch die Jahresangabe so früh abbricht; denn wenn diese etwa wegen eines nahen Jahreswechsels absichtlich unvollständig gelassen worden wäre, hätte wenigstens noch decimo geschrieben werden können; es ist auch nicht anzunehmen, dass der Text deshalb so abrupt abbricht, weil der Schreiber, reichlich spät, gemerkt hätte, dass beim heutigen Umfang des Blattes der Platz für eine Vollendung sowieso nicht ausgereicht hätte, da die nur zur Hälfte gefüllte Schlusszeile lediglich durch einfachen Zeilenabstand vom unteren Blattrand getrennt ist; in Wirklichkeit wird auf dem hergerichteten Blatt noch ausreichend Platz gewesen sein, und man wird erst später, in ungleichmäßiger Schnittführung, den leer gebliebenen Rest des Blattes abgetrennt haben.

Jedenfalls hat die Urkunde in der vorliegenden Gestalt keine Anerkennung gefunden, wobei wiederum unklar bleibt, welcher Grund dafür maßgebend war. Es gibt wohl nur zwei Deutungsmöglichkeiten: Dass die rechtserhebliche Darstellung innerhalb der Dispositio zur Verwerfung geführt hätte, scheint angesichts des einfachen Gegenstandes ausgeschlossen, da nicht zu sehen ist, worin die Formulierung über den Inhalt des Beurkundungsbefehles hinausgegangen sein sollte; näherliegend ist hingegen, dass die in einigen Fällen unmittelbar auf die Person der Königin bezogenen Formulierungen (s. Z.■, ■, ■) nachträglich mit dem darin enthaltenen Anspruch als überzogen erschienen, nachdem z.B. statt des hiesigen camere nostre in DMa. 1 richtig von der camara imperatoris die Rede ist.

Mangels ausreichenden Vergleichsmaterials und der Kenntnis des Itinerars der Königin bleibt eine sichere Datierung versperrt, so dass auch eine zeitliche Ansetzung in das Jahr 1118 (wie DMa.3) möglich wäre. Es gibt jedoch eine Reihe von Anhaltspunkten, die dafür sprechen, dass die Urkunde zeitlich in die Nähe des Placitums DMa.1 gehört, das in dem eine Tagesreise (ca. 26 km) von Reggio entfernten Carpineti ausgestellt wurde; mit diesem hat unser Text einerseits die Nennung des Rainer de Saxo und des Richters Ubald von Carpineti gemeinsam, andererseits begegnet dort die gleiche Intitulatio und Devotionsformel, die Formulierung sine legali iudicio und dieselbe Eröffnung der Datierung mit Factum est hoc…

Die Beteiligung einer an den Gebräuchen der deutschen Reichskanzlei orientierten Kanzleikraft ist nicht feststellbar, Verfasser und Schreiber dürfte ein italienischer Notar gewesen sein (vgl. dazu Anm. a sowie die Kürzung für in integrum von Anm. g); falls uns tatsächlich ein Original vorliegt, scheidet aufgrund der Schrift allerdings der Notar Guido von DMa.1 zumindest als Schreiber aus, was übrigens auch für die in DMa.1 genannten deutschen Kapläne Altmann und Hartmann gilt. Am ehesten kommt ein ehemaliger Notar der Markgräfin in Betracht, der dann auch für die Fehlformulierungen, die womöglich zur Verwerfung der Urkunde geführt haben, verantwortlich zu machen wäre.

Es könnte bei der Verwerfung in erster Linie um das von dem markgräflichen Notar eingeschleuste camere nostre gegangen sein, wie es in den Urkunden der Markgräfin seit den 70er Jahren des 11. Jh. häufig begegnet (vgl. Goez, Urk. Mathildes no 18, 29, 51, 57, 61, 62 [curię nostre], 63–65, 68, 69, 74, 88, 93, 96, 120, 121, 124, 129; gleichbedeutend camere comitisse in no 60, 87 und 90 bzw. der bloße Dativ comitisse in no 117); in den älteren Urkunden Mathildes war noch die Formulierung camere regis/imperatoris verwendet gewesen (Goez no 2–4, 7), seit dem Jahre 1074 dann vereinzelt, sozusagen als Übergangsform zur alleinigen Nennung Mathildes, … regis et nostre (Goez no, 12, 17, 32; bei Goez, Einl. S. 17, wo das spätere Fehlen “jeglichen[?] Bezugs auf die Krone” mit der zweiten Exkommunikation Heinrichs IV. im Jahre 1080 in Zusammenhang gebracht wird, ist in Anm. 138 nur no 17 als Beleg dafür genannt); etwa gleichgewichtig neben dem die Markgräfin als Empfänger der (halben) Pön bezeichnenden camere nostre begegnet daneben, fast genau so häufig und in ungefährer zeitlicher Parallelität, schon seit dem Jahre 1077 die Formulierung parti publice (Goez no 22, 24, 25 [rei publice], 30, 52, 56, 82, 86, 92, 104, 109, 112, 128, 135, 138), gleichbedeutend camere fisci (no 127) und fiscali iudicio (no 97, 134); dies alles sollte doch wohl zu dem camere nostre kontrastieren, so dass damit der Anspruch des königlichen Fiskus auf Einziehung der Strafsumme ausgedrückt werden sollte, ungeachtet der Frage, ob der königlichen Finanzkasse “ihr Anteil wirklich zufloß”, was Goez Einl. 17, der den Anspruch des Fiskus als “theoretisch” bewertet, für “zweifelhaft” hält. – Uns scheint der dauernade und letztlich sonst nicht erklärliche Wechsel zwischen camere nostre und parti publice viel eher dafür zu sprechen, dass sich die Markgräfin ihres gleichfalls “theoretischen” Anspruchs auf den eigentlich dem Fiskus zustehenden Pönanteil nicht sicher war; konkurrierende Ansprüche der Kurie hat sie in drei zwischen 1099 und 1106 ausgestellten Urkunden jedenfalls gelten lassen, vgl. no 55 mit sancte Romane ecclesie sowie no 83 und 94 mit Lateranensi palatio. Ein einziger Text, no 126 von 1112 mit potestati que pro rempore fuerit, lässt die Frage nach dem Anspruchsberechtigten bemerkenswerter Weise völlig offen!

Die geschenkte Mühle gehörte sicher zum mathildischen Erbe, über das demnach, in Vertretung Heinrichs V., auch die Königin verfügen konnte; zu dem ca. 12 km ö. Reggio gelegenen Rubiera (zur Identifizierung des Herberia vgl. noch das Rubiere im Rückvermerk des 17. Jh.) vgl. Vorbemerkung zu D.168. – Von den Zeugen ist nur einer (Rainerius Pititi) sonst nicht nachweisbar; zu Hermannus Pisis vgl. Anm. t; der mathildische Vasall Belenzo von Guastalla, Vater des Zeugen Ioannes Bonus, erscheint mehrfach in Urkunden der Jahre 1095–1107 (Ghirardini, Stor. crit. 73 nennt nur Belege bis 1102) in der Umgebung der Markgräfin, vgl. Goez no 45, 55, 64, 65 (beide in Guastalla ausgestellt), 70, 80 und 99; in der Urkunde von 1102 (no 70, dort wie in no 64/65 ohne Ortsnamen), wo Belencionus als 3. Zeuge aufgeführt ist, erscheint getrennt von ihm als 5. Zeuge auch Iohannes Bonus selbst, war also damals schon volljährig; unklar ist, ob letzterer mit dem Iohannes Bonus Bononiensis, causidicus in no 75 und 77 von 1103 identisch ist, wofür immerhin sprechen könnte, dass auch der mit dem Vater womöglich identische Bellincio, der (ohne Ortsnamewn) in no 56 von 1100 und in no 90 von 1105 genannt wird, causidicua war.– Zum Benediktinerinnenkloster S. Raffaele vgl. It. pont. 5,382.

(C.) In nomine domini nostri Iesu Christi. Ego Matilda dei gracia Romanorum regi[na......] et offero pro mercede et remedio anime domini mei inperatoris et męę sancte ecc[lesie bea]ti Rafaelis, ubi nunc domina Herem(en)garda dei gracia abbatissa preesse videtur, molendinum unum in loco Herberia cum canale et aquæductu et edificio et fundamento et cum ingressu et exitu et cum omnibus adiacentiis et pertinentiis ad suprascriptum molendinum pertinentibus in integrum, ut prefatum monasterium habeat [iam]dictum molendinum sine omni molestia et inquietudine ad usum et sumptum earum personarum, que ibi deo serviunt vel inantea serviture sunt. Pretera (!) recipimus in defensione et mundiburdio nostro prefatum monasterium et omnes personas et possessiones ibi pertinentes, sive que modo ibi sunt vel in posterum esse contingerint (!). Precipientes itaque interdicimus, ut nullus archiepiscopus, episscopus (!), dux, marchio, comes, vicecomes, gastaldius neque missus noster aut aliqua magna vel parva persona prenominatum monasterium audeat molestare et de suis possessionibus disvestire s[ine] legali iudicio; quodsi quis contra hec fecerit, penam centum librarum persolvat, medietatem camere nostre et medietatem prefato monasterio. Factum est hoc in civitate Regii, in presentia Hermanni Pisis et Rainerii de Saxo et Rai[ne]rii Pititi et Ioannis Boni, filii Belenzonis de Guarstalla, et Ubaldi iudicis de Carpeneto, anno dominice incarnationis millesimo centesimo [.....].