Originalplacitum (ca. 18,5/24,5 b : 62/63 h) im Kapitelsarchiv zu
Reggio nell’ Emilia (A).
Drucke aus A: Ughelli, It. sacra 15,1598, 22,287 = Heumann, De re dipl. imperatricum 210
§ 127 = Scheid, Orig. Guelf. 1,656 no
122. – Affarosi, Città di Reggio, app. 11 no
8.
Reg.: Tiraboschi, Mem. stor. Modenesi 2, CD 90 no
328. – Vigano, Il medio evo dalle Carpinete 60. – Hübner, Gerichtsurk. 2,214 no
1570 zu 1117 September 19.
Das Pergament des bestens erhaltenen Originals ist wegen des sich
verjüngenden linken Randes unten ca. 6 cm schmäler als oben.
Geschrieben ist der ganze Text in Buchschrift, nur in der Gestaltung
der verschleiften Oberlängen in der 1. Zeile, in der Datierung und in
der Unterfertigung ahmt der Notar Elemente der Diplomschrift nach (s.
Anm. a, z und o’).
Bei dem die ganze untere Blatthälfte einnehmenden Eschatokoll fällt
ins Auge, dass es von zwei gleichförmigen Kreuzen, von denen je eines
unterhalb des Kontextes und unterhalb der Schlussunterfertigung
jeweils genau in der Mitte plaziert ist, gleichsam eingerahmt
erscheint. Diese beiden beischriftlosen Kreuze wurden zwar mit
verschiedener Tinte und Feder eingezeichnet, stammen aber aufgrund der
Strichführung, namentlich der Gestaltung der Serifen an den Enden der
vier Kreuzarme eindeutig von ein und derselben Hand. Von den
verwendeten Tinten her könnte man zunächst an den Notar
Guido als Urheber denken: Für das 1. Kreuz (s. Anm. h’) sowie die folgende
Unterschrift des
Vbaldus iudex und auch das Kreuz am Beginn der sonst leeren nächsten Zeile (s. Anm.
k’) ist die Tinte des notariellen Kontextes, jedoch einheitlich eine
dünnere Feder verwendet; für die folgenden 4 Unterschriften fanden
dann jeweils andere Tinten Verwendung; wiederum von allen bisherigen,
auch derjenigen des Kontextes verschiedene Tinte ist dann gemeinsam
für die Schlussunterfertigung des
Guido und das Schlusskreuz benützt (s. Anm. p’). – Gegen
Guido als Urheber beider Kreuze spricht schon der beim 1. Kreuz beobachtete
Federwechsel (s. oben), das demnach in zeitlichem Abstand zur
Niederschrift des Kontextes angebracht wurde; er scheidet aber vor
allem hinsichtlich der rechtlichen Funktion der Kreuze aus, die nichts
mit seiner Rolle als Urkundsperson zu tun haben können, zumal er ja
seine eigene Unterfertigung mit einem speziellen SN. eröffnet.
Als Urheberin kommt zweifellos nur Mathilde in Frage, und auch ihre
doppelte Kreuz-Unterschrift ergibt einen Sinn: Sie beglaubigte damit
zunächst, in gemeinsamer Aktion mit dem
iudex, die Gerichtshandlung selbst und abschließend mit dem Schlusskreuz
die Ausfertigung des Placitum, worin eine in ihrer Intensität
beispiellose Mitwirkung der Königin zum Ausdruck kommt. Zur Wertung
des Befundes, dass sie, die mit nur einem Richter als rechtskundigen
Beisitzer auskam, somit von der Ladung (vgl. den Text) bis zur
Beurkundung alle Aufgaben des vorsitzenden Richters übernahm, vgl. Ficker, Forschungen 3,326 und 331.
Für welchen – höherrangigen – Subskribenten im Eschatokoll Platz
freigehalten wurde (s. Anm. k’), bleibt unklar; vielleicht war an den
Dompropst Hugo gedacht, der aber als begünstigte Partei nicht als
Subskribent in Frage kam, was dann auch erklären könnte, dass die
Lücke unausgefüllt blieb. Anders als in den Placita Heinrichs die
Regel (vgl. Vorbemerkung zu D.163) subskribieren hier Leute, die nicht
schon im Kontext als Verfahrensbeteiligte namhaft gemacht, aber sicher
in den dortigen
reliqui plures eingeschlossen waren; um ein und dieselbe Person handelt es sich bei
dem im Kontext als
archipresbyter und in der Subskription als
prepositus bezeichneten
Oddo, wohl Propst einer unbekannten Reggianer Kirche; den lediglich
subskribierenden kaiserlichen Kaplan
Hartmannus, für den ebenso wie für den im Kontext genannten königlichen Kaplan
Altmann (zu diesem s. Hausmann, Reichskanzlei 86 no
3) unser Text den einzigen Beleg darstellt, verzeichnet Hausmann
a.a.O. no
4 als “Altmar”, wofür die falsche Schreibung
Althmarus in dem von ihm zitierten Druck Scheids (ebenso Ughelli
und Heumann) verantwortlich ist (Affarosi
liest einigermaßen richtig
Arthmanus).
Die beiden ersten im Kontext genannten Personen, die auch in DMa.2
begegnen, hatten zuvor zeitweise zum Gefolge des Kaisers gehört, der
sie offenbar seiner Gemahlin als Berater zur Seite gegeben hatte, weil sie zugleich Repräsentanten der Herrschaft der Markgräfin
Mathilde gewesen waren: Der in den zu Reggio und Governolo in den
Monaten April und Mai 1116 ausgestellten Placita Heinrichs (DD.168,
173, 177, 178, s. auch unten zu D.179b) jeweils an zweiter Stelle
hinter Irnerius genannte Richter Ubald von Carpineti, vermutlich
identisch mit dem in einer in Gegenwart der Markgräfin ergangenen
Urkunde von 1075 Juni 15 genannten
legis doctor (Goez, Urk. Mathildes no
15; Tiraboschi
a.a.O. 55 no
241 zu 1076), war seit 1092 (Goez
no
44:
presencia Ubaldi episcopi Mantuani et Ubaldi iudicis …) häufig für Mathilde als Richter, aber auch als
causidicus (s. D.179b) und als
advocatus (vgl. unseren Text), teilweise sogar als
scriptor (s. Overmann, Mathilde 212 Anm. 2; s.a. Goez
no
79:
Ego Vbaldus iudex notarius hoc scripsi et dedi; Ghirardini, Stor. crit. 67, 80 und 106 will die Ubald-Belege auf drei
verschiedene Personen beziehen) tätig gewesen, vgl. zu ihm Ficker
a.a.O. 3,156f. und Spagnesi, Wernerius 54 Anm. 3 und 139 (“uno dei principali collaboratori
nell’amministrazione della giusticia”).
Der in D.168 als
Rainerius Saxonis unter den
capitanei der Markgräfin aufgeführte
Rainerius de Sasso ist seit 1103 (Goez
no
76) bis zu ihrem Tode ständig in Mathildes Umgebung anzutreffen (vgl. Goez
no
100, 126, 127, 129, 130, 132–138, in no
135 nur
Raginerius); bei dem
de Sasso handelt es sich, wie D.168 zeigt, nicht um einen Ortsnamen, sondern
ein Patronym (vgl. noch Goez
no
126:
Rainerius Sassi), das letztlich wohl auf den gemeinsamen Ahn (Großvater) Rainers und
des seit 1088 (Goez
no
39) als regelmäßigster Begleiter Mathildes und häufig zusammen mit
Rainer genannten Sasso von Bianello zurückgeht (zu Sasso von B. vgl. Ghirardini
a.a.O. 56f. mit 26 Belegen aus den Jahren 1088–1115; beide gemeinsam
genannt in Goez
no
79, 92, 98, 105 [hier beide nur mit Vornamen], 126 [Sasso ohne Ortsnamen], 132–135, 138); nach der Burg Bianello ist vereinzelt
auch Rainer selbst benannt (s. Goez
no
79:
Sasso et Rainerius de Bibanello), was Ghirardini
a.a.O. wiederum dazu verleitete, aus den Belegen fälschlich zwei
verschiedene Personen herzuleiten (S. 59f.: “Rainerio da Sasso” mit
12 Belegen; S. 73f.: “Rainerio da Bianello” mit 4 Belegen [nach den
Daten sind gemeint die oben erwähnten Stücke Goez
no
79, 92, 98 und 105]); zweimal werden Sasso und Rainer als
“Geschwisterkinder” bezeichnet (Goez
no
92:
Saxo et Rainerius consobrinus eius; no
138:
Saxo de Bibianello et Rainerius eius consobrinus; vgl. no
98 von 1106 Dez. 30 = Torelli, Reg. Mantov. 1,139 no
103 zu 1107:
Saso di Bibianello, Raignerius eius propincus); sie waren demnach vermutlich Söhne zweier Brüder, deren Vater dann
ebenfalls, wie Rainers Vater, Sasso geheißen haben wird.
Der urkundende Pfalznotar
Guido, der unter den in Heinrichs Placita genannten Notaren nicht begegnet,
könnte mit einem wiederholt als Schreiber von Urkunden Mathildes
tätigen Mann identisch sein (vgl. Goez
no
44 von 1092 und no
71–73 von 1102; in Vorbemerkung zu no
85 von 1105 läßt Goez
die Identität des dortigen
Vvido mit dem in no
71–73 genannten offen und bestreitet Identität mit dem
Guido von no
44 und einem in no
16 von 1075 genannten
Vuido); in Goez
no
126 von 1112 ist unter den Subskribenten ein vielleicht identischer
Guido causidicus).
Zu einer auf der ca. 8 km nö. Carpineti gelegenen mathildischen Burg
Baiso gesessenen Vasallenfamilie (vgl. Tiraboschi, Diz. 1,32ff.; Gross, Lothar III. 154; zu dem häufig genannten Raimund v. Baiso s. Ghirardini
a.a.O. 62 mit 14 Belegen der Jahre 1098–1110) ist auch der
mitsubskribierende
Iohannes Baysinus zu rechnen. – Die Königin verfügte demnach in ihrer Umgebung über eine
Reihe von Personen, die sich in den Verhältnissen der ihr anvertrauten
mathildischen Lande auskannten.
Das ca. 14 km ö. Carpineti gelegene Rotéglia war ein canusinisches
Lehen vom Domkapitel zu Parma (vgl. Gross
a.a.O. 248), und die Inhaber haben sicher ebenfalls zu Mathildes
Vasallität gezählt:
Vgo de Rodilia erscheint einmalig in der oben erwähnten Urkunde Mathildes von 1092 (Goez
no
44) als Spitzenzeuge; später fungiert dann in einer Urkunde von 1099
(Goez
no
55) ein
Albertus filius Ugonis de Rodilia als Zeuge, und um einen weiteren der in unserem Text erwähnten
filii Hugos dürfte es sich bei dem in einer Urkunde von 1109 (Goez
no
115) als Zeuge genannten
Raimundus de Rothilla; Tiraboschi, Diz. 2,265 zitiert ohne Drucknachweis eine Urkunde von 1115, in der
als Hugos Söhne Raimund, Rainer und “Ugo sopranominato Bonsio” genannt
sein sollen. Falls aus der Art der Erwähnung Hugos in der Urkunde von
1099 zu schließen ist, dass er damals nicht mehr lebte, müsste die
Weihe der Andreas-Kirche zu Carpineti, anlässlich deren Hugo in die
Hände des B. Bonussenior von Reggio (1098–1118) auf den strittigen
Besitz zu Prignano (ca. 13 km ö. Carpineti) verzichtete, angesichts
der Regierungszeit des Bischofs (erstmals belegt 1098 April 5, der
Vorgänger Ludwig ist nur einmal im Jahre 1093 belegt, s. Schwartz, Besetzung 198) kurz zuvor, also evtl. 1099 oder 1098, stattgefunden
haben.