Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

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Unter Vorsitz Mathildes ergeht im Königsgericht auf Klage des Dompropstes Hugo von Reggio gegen die Söhne des Hugo von Rotéglia wegen Entfremdung von Besitz zu Prignano Versäumnisurteil und wird nach Investitur des Proptes in den Besitz über diesen der Bann gelegt.

Carpineti, 1117 September 20.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Originalplacitum (ca. 18,5/24,5 b : 62/63 h) im Kapitelsarchiv zu Reggio nell’ Emilia (A).

Drucke aus A: Ughelli, It. sacra 15,1598, 22,287 = Heumann, De re dipl. imperatricum 210 § 127 = Scheid, Orig. Guelf. 1,656 no 122. – Affarosi, Città di Reggio, app. 11 no 8.

Reg.: Tiraboschi, Mem. stor. Modenesi 2, CD 90 no 328. – Vigano, Il medio evo dalle Carpinete 60. – Hübner, Gerichtsurk. 2,214 no 1570 zu 1117 September 19.

Das Pergament des bestens erhaltenen Originals ist wegen des sich verjüngenden linken Randes unten ca. 6 cm schmäler als oben. Geschrieben ist der ganze Text in Buchschrift, nur in der Gestaltung der verschleiften Oberlängen in der 1. Zeile, in der Datierung und in der Unterfertigung ahmt der Notar Elemente der Diplomschrift nach (s. Anm. a, z und o’).

Bei dem die ganze untere Blatthälfte einnehmenden Eschatokoll fällt ins Auge, dass es von zwei gleichförmigen Kreuzen, von denen je eines unterhalb des Kontextes und unterhalb der Schlussunterfertigung jeweils genau in der Mitte plaziert ist, gleichsam eingerahmt erscheint. Diese beiden beischriftlosen Kreuze wurden zwar mit verschiedener Tinte und Feder eingezeichnet, stammen aber aufgrund der Strichführung, namentlich der Gestaltung der Serifen an den Enden der vier Kreuzarme eindeutig von ein und derselben Hand. Von den verwendeten Tinten her könnte man zunächst an den Notar Guido als Urheber denken: Für das 1. Kreuz (s. Anm. h’) sowie die folgende Unterschrift des Vbaldus iudex und auch das Kreuz am Beginn der sonst leeren nächsten Zeile (s. Anm. k’) ist die Tinte des notariellen Kontextes, jedoch einheitlich eine dünnere Feder verwendet; für die folgenden 4 Unterschriften fanden dann jeweils andere Tinten Verwendung; wiederum von allen bisherigen, auch derjenigen des Kontextes verschiedene Tinte ist dann gemeinsam für die Schlussunterfertigung des Guido und das Schlusskreuz benützt (s. Anm. p’). – Gegen Guido als Urheber beider Kreuze spricht schon der beim 1. Kreuz beobachtete Federwechsel (s. oben), das demnach in zeitlichem Abstand zur Niederschrift des Kontextes angebracht wurde; er scheidet aber vor allem hinsichtlich der rechtlichen Funktion der Kreuze aus, die nichts mit seiner Rolle als Urkundsperson zu tun haben können, zumal er ja seine eigene Unterfertigung mit einem speziellen SN. eröffnet.

Als Urheberin kommt zweifellos nur Mathilde in Frage, und auch ihre doppelte Kreuz-Unterschrift ergibt einen Sinn: Sie beglaubigte damit zunächst, in gemeinsamer Aktion mit dem iudex, die Gerichtshandlung selbst und abschließend mit dem Schlusskreuz die Ausfertigung des Placitum, worin eine in ihrer Intensität beispiellose Mitwirkung der Königin zum Ausdruck kommt. Zur Wertung des Befundes, dass sie, die mit nur einem Richter als rechtskundigen Beisitzer auskam, somit von der Ladung (vgl. den Text) bis zur Beurkundung alle Aufgaben des vorsitzenden Richters übernahm, vgl. Ficker, Forschungen 3,326 und 331.

Für welchen – höherrangigen – Subskribenten im Eschatokoll Platz freigehalten wurde (s. Anm. k’), bleibt unklar; vielleicht war an den Dompropst Hugo gedacht, der aber als begünstigte Partei nicht als Subskribent in Frage kam, was dann auch erklären könnte, dass die Lücke unausgefüllt blieb. Anders als in den Placita Heinrichs die Regel (vgl. Vorbemerkung zu D.163) subskribieren hier Leute, die nicht schon im Kontext als Verfahrensbeteiligte namhaft gemacht, aber sicher in den dortigen reliqui plures eingeschlossen waren; um ein und dieselbe Person handelt es sich bei dem im Kontext als archipresbyter und in der Subskription als prepositus bezeichneten Oddo, wohl Propst einer unbekannten Reggianer Kirche; den lediglich subskribierenden kaiserlichen Kaplan Hartmannus, für den ebenso wie für den im Kontext genannten königlichen Kaplan Altmann (zu diesem s. Hausmann, Reichskanzlei 86 no 3) unser Text den einzigen Beleg darstellt, verzeichnet Hausmann a.a.O. no 4 als “Altmar”, wofür die falsche Schreibung Althmarus in dem von ihm zitierten Druck Scheids (ebenso Ughelli und Heumann) verantwortlich ist (Affarosi liest einigermaßen richtig Arthmanus).

Die beiden ersten im Kontext genannten Personen, die auch in DMa.2 begegnen, hatten zuvor zeitweise zum Gefolge des Kaisers gehört, der sie offenbar seiner Gemahlin als Berater zur Seite gegeben hatte, weil sie zugleich Repräsentanten der Herrschaft der Markgräfin Mathilde gewesen waren: Der in den zu Reggio und Governolo in den Monaten April und Mai 1116 ausgestellten Placita Heinrichs (DD.168, 173, 177, 178, s. auch unten zu D.179b) jeweils an zweiter Stelle hinter Irnerius genannte Richter Ubald von Carpineti, vermutlich identisch mit dem in einer in Gegenwart der Markgräfin ergangenen Urkunde von 1075 Juni 15 genannten legis doctor (Goez, Urk. Mathildes no 15; Tiraboschi a.a.O. 55 no 241 zu 1076), war seit 1092 (Goez no 44: presencia Ubaldi episcopi Mantuani et Ubaldi iudicis …) häufig für Mathilde als Richter, aber auch als causidicus (s. D.179b) und als advocatus (vgl. unseren Text), teilweise sogar als scriptor (s. Overmann, Mathilde 212 Anm. 2; s.a. Goez no 79: Ego Vbaldus iudex notarius hoc scripsi et dedi; Ghirardini, Stor. crit. 67, 80 und 106 will die Ubald-Belege auf drei verschiedene Personen beziehen) tätig gewesen, vgl. zu ihm Ficker a.a.O. 3,156f. und Spagnesi, Wernerius 54 Anm. 3 und 139 (“uno dei principali collaboratori nell’amministrazione della giusticia”).

Der in D.168 als Rainerius Saxonis unter den capitanei der Markgräfin aufgeführte Rainerius de Sasso ist seit 1103 (Goez no 76) bis zu ihrem Tode ständig in Mathildes Umgebung anzutreffen (vgl. Goez no 100, 126, 127, 129, 130, 132–138, in no 135 nur Raginerius); bei dem de Sasso handelt es sich, wie D.168 zeigt, nicht um einen Ortsnamen, sondern ein Patronym (vgl. noch Goez no 126: Rainerius Sassi), das letztlich wohl auf den gemeinsamen Ahn (Großvater) Rainers und des seit 1088 (Goez no 39) als regelmäßigster Begleiter Mathildes und häufig zusammen mit Rainer genannten Sasso von Bianello zurückgeht (zu Sasso von B. vgl. Ghirardini a.a.O. 56f. mit 26 Belegen aus den Jahren 1088–1115; beide gemeinsam genannt in Goez no 79, 92, 98, 105 [hier beide nur mit Vornamen], 126 [Sasso ohne Ortsnamen], 132–135, 138); nach der Burg Bianello ist vereinzelt auch Rainer selbst benannt (s. Goez no 79: Sasso et Rainerius de Bibanello), was Ghirardini a.a.O. wiederum dazu verleitete, aus den Belegen fälschlich zwei verschiedene Personen herzuleiten (S. 59f.: “Rainerio da Sasso” mit 12 Belegen; S. 73f.: “Rainerio da Bianello” mit 4 Belegen [nach den Daten sind gemeint die oben erwähnten Stücke Goez no 79, 92, 98 und 105]); zweimal werden Sasso und Rainer als “Geschwisterkinder” bezeichnet (Goez no 92: Saxo et Rainerius consobrinus eius; no 138: Saxo de Bibianello et Rainerius eius consobrinus; vgl. no 98 von 1106 Dez. 30 = Torelli, Reg. Mantov. 1,139 no 103 zu 1107: Saso di Bibianello, Raignerius eius propincus); sie waren demnach vermutlich Söhne zweier Brüder, deren Vater dann ebenfalls, wie Rainers Vater, Sasso geheißen haben wird.

Der urkundende Pfalznotar Guido, der unter den in Heinrichs Placita genannten Notaren nicht begegnet, könnte mit einem wiederholt als Schreiber von Urkunden Mathildes tätigen Mann identisch sein (vgl. Goez no 44 von 1092 und no 71–73 von 1102; in Vorbemerkung zu no 85 von 1105 läßt Goez die Identität des dortigen Vvido mit dem in no 71–73 genannten offen und bestreitet Identität mit dem Guido von no 44 und einem in no 16 von 1075 genannten Vuido); in Goez no 126 von 1112 ist unter den Subskribenten ein vielleicht identischer Guido causidicus).

Zu einer auf der ca. 8 km nö. Carpineti gelegenen mathildischen Burg Baiso gesessenen Vasallenfamilie (vgl. Tiraboschi, Diz. 1,32ff.; Gross, Lothar III. 154; zu dem häufig genannten Raimund v. Baiso s. Ghirardini a.a.O. 62 mit 14 Belegen der Jahre 1098–1110) ist auch der mitsubskribierende Iohannes Baysinus zu rechnen. – Die Königin verfügte demnach in ihrer Umgebung über eine Reihe von Personen, die sich in den Verhältnissen der ihr anvertrauten mathildischen Lande auskannten.

Das ca. 14 km ö. Carpineti gelegene Rotéglia war ein canusinisches Lehen vom Domkapitel zu Parma (vgl. Gross a.a.O. 248), und die Inhaber haben sicher ebenfalls zu Mathildes Vasallität gezählt: Vgo de Rodilia erscheint einmalig in der oben erwähnten Urkunde Mathildes von 1092 (Goez no 44) als Spitzenzeuge; später fungiert dann in einer Urkunde von 1099 (Goez no 55) ein Albertus filius Ugonis de Rodilia als Zeuge, und um einen weiteren der in unserem Text erwähnten filii Hugos dürfte es sich bei dem in einer Urkunde von 1109 (Goez no 115) als Zeuge genannten Raimundus de Rothilla; Tiraboschi, Diz. 2,265 zitiert ohne Drucknachweis eine Urkunde von 1115, in der als Hugos Söhne Raimund, Rainer und “Ugo sopranominato Bonsio” genannt sein sollen. Falls aus der Art der Erwähnung Hugos in der Urkunde von 1099 zu schließen ist, dass er damals nicht mehr lebte, müsste die Weihe der Andreas-Kirche zu Carpineti, anlässlich deren Hugo in die Hände des B. Bonussenior von Reggio (1098–1118) auf den strittigen Besitz zu Prignano (ca. 13 km ö. Carpineti) verzichtete, angesichts der Regierungszeit des Bischofs (erstmals belegt 1098 April 5, der Vorgänger Ludwig ist nur einmal im Jahre 1093 belegt, s. Schwartz, Besetzung 198) kurz zuvor, also evtl. 1099 oder 1098, stattgefunden haben.

Cum in dei nomine in Roccha Carpeneta, casa donicata, in iudicio resideret domina Matilda dei gracia Romanorum regina, astantibus cum ea Vbaldo iudice et avocato et Rainerio de Sasso, Altemanno capellano, domno Oddone archipresbytero, Fulchemarco, Ariberto advocato de Regio et Albrigone et filio Gualterii Balbi et Milo de Querciola et reliquis pluribus, ibique in eorum presencia domnus Vgo prepositus sancte Regensis ecclesię conquestus est de filiis Vgonis de Rodilia, qui iniuste et sine iudicio disvestierant ecclesiam suam de terra de Pregnano, quam pater eorum Vgo refutaverat in manus domni Bonisenioris Regine episcopi coram comitissa Matilda, quando dedicabatur ęcclesia sancti Andree de Carpeneto, et cepit dicere idem Vgo prepositus: “Nos altera vice fuimus ante vos, et mandastis filiis Vgonis, ut venirent, et hodie terminus est, et noluerunt venire. Precamur vestram celsitudinem, ut iusticiam nobis faciatis”. Tunc domina regina per consilium Vbaldi iudicis fecit eos iterum vocare voce preconia, et cum non apparuissent, investivit prefatum prepositum de iamdicta possessione et bannum posuit, si qua persona eum divestiret sine regali iudio (!), coponeret (!) penam centum libras argenti, medietate camarę imperratoris et medietatem ęcclesię sanctę Marię. Factum est hoc anno ab incarnacione domini nostri Ie[s]u Christi millesimo centesimo septimo decimo, umdecimo die exeumte mensis septembris, indicione decima; actum Carpeneta; feliciter.

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(SN.) Ego Vbaldvs iudex interfui et subscripsi.

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(+) Ego Oddo prepositus subscripsi.

Ego Iohannes Baysinus interfui et subscripsi.

(+) Ego Altemannus reginę capellanus int[er]fui et subscripsi.

(+) Ego Hartmannus capellanus imperatorius interfui et subscripsi.

(SN.) Ego Guido notarius, sacri palacii scriptor, iussione Matildę reginę hanc noticiam conscripsi, post traditam complevi et dedi.

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