Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<76.>>

Heinrich nimmt Jakob und Arditio (von Bulgaro) und ihre Brüder mit ihren Burgen Bulgaro, Cossato, Valdengo, Larizzate und Olcenengo samt allen anderen Besitzungen in seinen Schutz und gibt ihnen für die in Rom und anderswo geleisteten Dienste 30 Pfund alter Mailänder Münze vom Sesia-Hafen zu Palestro zu Lehen.

Verona, (1112) 1111 Mai 19.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Zwei Einzelabschriften des ausgehenden 15. und des frühen 16. Jh. in der Stadtbibliothek zu Biella (B und C). – Insert in Or.-Vidimus des savoyischen Senats von 1554 März 6 f. 4v–5v im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien (D). – Or.-Vidimus K. Karls V. von 1554 Juni 5 f. 1r in der Stadtbibliothek zu Biella (E). – Einzelabschrift des 18. Jh. ebenda (F).

Drucke: Aus D: Stumpf, Acta imp. 97 no 86 = Posse, CD Sax. regiae 1.2,23 no 27 Auszug. – Aus BCDE und einer jüngeren Kopie: Guasco di Bisio-Gabotto, Doc. Biellesi 215 no 2 fehlerhaft zu 1112.

Reg.: Meiller in Österr. Notizenblatt 1,103 no 1. – Perosa, Bulgaro 38 u. 140f. zu 1112. – Ficker in Wilmans, Add. z. Westf. UB 91 no 116/15. – Dobenecker, Reg. Thur. 1,226 no 1066. – Knipping, Kölner Reg. 2,13 no 79. – Stumpf Reg. 3057; alle Drucke und Regesten haben als Tagesdatum den 18. Mai.

Verfasst von Notar Adalbert A, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 65 no 26 zu 1111 Mai 18; ob die in allen Überlieferungen enthaltene falsche Jahreszahl 1112 (s. Anm. b”), die Meiller und Stumpf aufgrund des Itinerars korrigierten, im Original des Notars stand, scheint uns zweifelhaft.

Die zahlreichen weiteren Abschriften bleiben unberücksichtigt, da sie jeweils von einer der für den Druck verwendeten abhängig sind. Auch das Vidimus Karls V. von 1554 (E) ist, da auf dem für dessen Erwirkung bestimmten Vidimus D beruhend (vgl. dazu Anm. b, d, x, c’, n’, r’, s’, z’, a”, f”; zu nur E eigentümlichen Fehlern s. Anm. x und e”), letztlich keine selbständige Überlieferung; wir haben E jedoch zusätzlich berücksichtigt, weil es direkt oder indirekt die Vorlage fast aller jüngeren Abschriften bildete, insbesondere mit den eigenständigen Ortsnamen-Korrekturen von Anm. r und t. Andererseits hat D, das in seinem Vorspann bei der Auflistung der Inserte (außer D.76 noch DKo.III.55; DF.I.47; DF.II. von 1238 Mai, B.-Ficker Reg. 2344; Urkunde des Reichsvikars für die Lombardei, des Grafen Berthold von Marstetten gen. von Neuffen, von 1324 April 15 mit inseriertem DKo.III.267 und eine Privaturkunde) zwar außer der Mitteilung der Ausstellernamen, der Tatsache der Besiegelung (s. Anm. q’) und der verkürzten Datumzeile (s. Anm. y’ und b”) auch auf den Erhaltungszustand der Originale Bezug nimmt, als Textvorlage zweifellos nicht das Original selbst benützt, sondern eine verfügbare Abschrift, die in engster Nähe zu B stand (vgl. z.B. Anm. n, p, s).

Während somit BDE einen weitgehend identischen Überlieferungsstrang vertreten, könnte die jüngste Abschrift F auf eine ältere Abschrift zurückgehen, welche womöglich die gemeinsame Vorlage auch für B dargestellt hat (zu Gemeinsamkeiten von BF vgl. z.B. Anm. r’ und s’, insbesondere aber Anm. f”). Ihre besondere Bedeutung aber hat die Abschrift F dadurch, daß sie ein von BCDE abweichendes Tagesdatum vermittelt, das seine Bestätigung durch den D-Vorspann erfährt (s. Anm. y’).

Für die Richtigkeit der F-Lesung sprechen mehrere Tatsachen: D.76 hätte damit dasselbe Tagesdatum wie drei weitere in Verona ausgestellte Diplome, DD.74/75 und 77; mit dem letzgenannten D.77 hat D.76 außerdem die Verwendung der 4. Indiktion gemeinsam, während DD.74 und 75 noch die 3. Indiktion aufwiesen, was mit Sicherheit ausschließt, dass D.76 das früheste Veroneser Diplom gewesen sein sollte, was es mit dem Tagesdatum des 18. Mai wäre (vgl. Vorbemerkung zu D.74). – Es ist überdies ganz unwahrscheinlich, dass das Original tatsächlich die von den meisten Abschriften gebotene Tageszahl XIIIII (= Mai 18) aufwies, die ja in ihrer über 4 Einheiten hinausgehenden additiven Schreibung nur dadurch erklärlich wäre, dass der Notar ein ursprüngliches XIIII als fehlerhaft angesehen und durch Zufügung einer weiteren I korrigiert hätte, welche aber wiederum von dem F-Kopisten und dem Schreiber des D-Vorspannes – unabhängig voneinander(!) – vergessen worden sein müsste.

Eine von BDEF weitgehend unabhängige (irritierend nur die Gemeinsamkeit von BC bei Anm. d’), allerdings wohl ebenfalls kaum auf unmittelbarer Benützung des Originals basierende Überlieferung repräsentiert die Abschrift C; neben einem eigenen Fehler (s. Anm. p’) liefert sie eine Reihe selbständiger Varianten (s. Anm. e, s, e’, w’, y’), vor allem aber einige bessere Lesungen (s. Anm. m, n, p, r’, s’).

Unter diesen ist nun eine (Anm. p) von größter Bedeutung, da sie, statt des Haramonem aller anderen Handschriften, Hardicionem liest, was fraglos dem Original entspricht; wenn dort t statt c geschrieben und die Oberlänge des d verblasst war, lässt sich die Verlesung des diti zu am leicht nachvollziehen.

Während in der gesamten Literatur der “Unname” Haramon für den Bruder Jakobs weitertradiert ist, hatten Guasco di Basio-Gabotto durch einen eleganten, aber gewaltsamen Eingriff in den Text den Namen von Jakobs Bruder ganz eleminiert und das auf Iacobum folgende Wort zu einem Attribut umgewandelt: Iacobum herimannum et fratres eius (! statt eorum des Textes), wobei sie das herimannum offenbar als Variante von arimannum verstanden (vgl. a.a.O. 202: “Giacomo erimanno di Bulgaro ed i suoi fratelli”).

Eine moderne Genealogie der Familie Bulgaro fehlt, die Untersuchung Perosas ist voller Fehler und die beigegebene Stammtafel namentlich hinsichtlich der Filiationen ganz unzuverlässig. Immerhin kennt Perosa für seinen Haramon als Beleg nur unser Diplom (a.a.O. 140f.), wohingegen auch nach ihm der Name Ardizzone (Arditio/Ardizio/ Ardicio) mehrfach in der Familie vertreten ist.

Vermutlich ist nun der Hardicio von D.76 genau zu identifizieren: Sein (wegen der Nennung an erster Stelle wohl älterer) Bruder Jakob wird nochmals in dem D.*256 von 1123 genannt, und zwar zusammen mit Philippus ac Meinfridus ohne Angabe des Verwandtschaftsgrades. Es kann aber einerseits wohl nicht bezweifelt werden, dass es sich bei beiden Leuten um die 1111 vermutlich noch unmündigen und daher namenlos gebliebenen fratres des D.76 handelt. Und dass andererseits 1123 der (jüngere) Hardicio von D.76 fehlt, könnte zwar seine Erklärung in dessen zwischenzeitlichem Tod finden, wir sind jedoch überzeugt, dass es sich bei ihm um den von Heinrich V. auf dem 2. Italienzug, nach dem Tode des Bischofs Siegfried von Vercelli († 1117 Juni 11; zu ihm s. D.71) als dessen Nachfolger eingesetzten B. Arditio von Bulgaro handelt, den Tauschpartner der (= seiner) Bulgaro-Brüder von D.*256! Zu B. Arditio vgl. Schwartz, Besetzung 141 sowie die Vorbemerkung zu D.*256.

Als ein weiterer Beweis für die sich in dieser Bischofseinsetzung ausdrückende enge Beziehung der Familie zum Kaiser kann auch die mit D.76 erfolgte Privilegierung der Brüder angesehen werden: Diese waren vermutlich auf Heinrichs erster bekannten Station zu Beginn des Romzuges, in Vercelli (s. D. † 57), zum Heer gestoßen und offenbar bis zum Schluss bei Heinrich geblieben, und sie erhielten nun, bevor sie sich in Verona von dem zum Brenner ziehenden Heer trennten, ihre Belohnung; über die Art ihres servicium verlautet in den Quellen nichts.

Von den Burgen ist das namengebende Bulgaro identisch mit dem ca. 5 km nö. Vercelli auf dem östlichen Sesia-Ufer gelegenen Borgo Vercelli. Die Burg Bulgari erscheint in DKo.II.280 von 1039 Mai 4 noch unter den Besitzungen, die dem Uuala de Casale (= Casalvolone) bestätigt werden; vermutlich gehörten die Herren von Bulgaro einer Seitenlinie dieses Hauses an, denn als einem Nachkommen des Uuala von 1039, Walo de Casale Walonis, von Barbarossa mit D.32 von 1152 Oktober 17 die meisten der 1039 genannten Besitzungen als Reichslehen bestätigt werden, wird außer anderen Lehen auch Bulgaro nicht mehr genannt.

Die beiden als nächste genannten Burgen Cassato und Valdengo liegen östlich von Biella; bei dem in der Besitzbestätigung für Rainer von Bulgaro (wohl Jakobs Sohn) durch DKo.III.267 von 1152 an zweiter Stelle hinter Bulgaro genannten castrum Cossa dürfte es sich um eine Verschreibung für das hiesige Cossatum handeln, und evtl. ist auch das dortige Duich identisch mit dem hiesigen Adengi; in DF.I.47 von 1153 Februar 4, in dem nacheinander das DKo.III.267 und unser D. als Vorurkunden benutzt sind, begegnen dann – wohl wegen mangelnder Ortskenntnis des Notars – die beiden Burgen gleich zweimal, einmal (nach dem DKo.III.267) als Cossa und Aduich(!), dann wie hier als Cossatum und Adengi. Von den beiden anderen Burgen liegt Olcenengo ca. 10 km nw. und Larizatte nur knapp 4 km sw. Vercelli; letzteres ist von Stumpf a.a.O., da er die D-Lesung Lauresatum im Text zu Laureatum emendiert hatte, fälschlich mit Loreto (com. Verrua-Savoia prov. Turin) identifiziert, während das Laureatum des DF.I.47 (s. Anm. s), trotz der Schreibung ohne s, im Register (sachlich richtig) auf Larizzate bezogen ist (zu Loreto s. das Luaretum in DF.I.31).

Nach Haverkamp, Herrschaftsformen 2,552 bildet D.76 den frühesten Beleg für die kaiserliche Vergabe eines Rentenlehens; während er jedoch von Zahlungen “aus Überfahrtsrechten über die Sesia bei Palestro” spricht, scheint die Erwähnung des portus eher auf einen Hafenzoll, evtl. kombiniert mit einem Wegezoll, hinzuweisen; vgl. dazu das DKo.III.267 von 1152, wo ebenfalls ein Zoll als Zubehör der die Besitzliste eröffnenden Burg Bulgaro begegnet: Castrum Bulgare … cum theloneo trium veterum denariorum Mediolanensium, quos singule equitature pretereuntes onerate persolvunt; Haverkamps Deutung erhält jedoch eine Stütze durch eine Urkunde von 1227 Juni 13 (Guasco di Basio-Gabotto a.a.O. 233 no 17) über eine Erbteilung zwischen den Söhnen Rainers (II.) von Bulgaro (Enkel des Rainer von 1152), Jakob und Wilhelm, wonach an Wilhelm u.a. die Rechte an Bulgaro fallen, in castro et villa … et honorantiis et pedagiis cum omni iure … in transitu Palestri. – Der Hafen im ca. 7 km ssö. Borgo Vercelli und wie dieses am östlichen Sesia-Ufer gelegenen Palestro gehörte übrigens dem Domkapitel von Vercelli, dem er mit DF.I.33 von 1152 Oktober 10 bestätigt wurde (portum Siccide, quo itur ad Bulgarum).

Die Dispositio von D.76 wurde in wörtlicher Anlehnung in dem erwähnten DF.I.47 (= NU.) bestätigt, dieses als Insert in DF.II. von 1238 Mai (B.-Ficker Reg. 2344) wiederholt, vgl. oben zu den Inserten in dem Vidimus D.

(C.) In nomine sancte et individue trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Omnibus Christi nostrique fidelibus tam futuris quam presentibus notum fieri volumus, qualiter nos rogatu et consilio Friderici Coloniensis archiepiscopi et comitum Herimanni de Saxonia, Berengarii de Sulcebach, Godefridi de Caloen aliorumque multorum nostrorum fidelium Iacobum, Hardicionem et fratres eorum cum omnibus castellis ipsorum, scilicet Bulgare, Cossatum, Adengi, castrum Lauresatum et Occeningum cum omnibus aliis bonis eorum tam adquisitis quam adquirendis sub tutelam nostre defensionis per hanc preceptalem paginam suscepimus. Ad hoc etiam concessimus eis in feudum propter fidelitatem eorum retinendam et bonum servicium remunerandum, quod nobis Rome sepe fecerunt et in aliis locis, triginta libras Mediolanensis monete veteris in portu Sicide Palestrensi, precipientes, ut hoc feudum libere teneant et habeant absque ulla contradictione omni tempore. Si quis igitur dux, marchio, comes, vicecomes, episcopus, archiepiscopus vel alia quelibet persona magna vel parva eos aliquo ingenio aliquove modo de his omnibus supradictis inquietare vel molestare temptaverit vel hanc paginam violare presumpserit, mille libras auri boni compositurus banno nostro subiacebit, medietatem nostre camere et medietatem predicto Iacobo et fratribus eius. Ut autem hoc credatur ab omnibus et omni evo inviolabile permaneat, hanc cartam inde conscriptam impressione nostri sigilli insigniri iussimus.

Signum domini Heinrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi.

Burcardus Monasteriensis episcopus et cancellarius vice Alberti archicancellarii, Maguntine sedis electi, recognovit.

Data XIIII. kl. iunii, indictione IIII, anno dominice incarnationis millesimo CXII, regnante Heinrico V. rege Romanorum anno V, imperante primo, ordinationis eius XI; actum est Verone; in Christo feliciter amen.