Zwei Einzelabschriften des ausgehenden 15. und des frühen 16. Jh. in
der Stadtbibliothek zu Biella (B und C). – Insert in Or.-Vidimus des
savoyischen Senats von 1554 März 6 f. 4v–5v im Haus-, Hof- und
Staatsarchiv zu Wien (D). – Or.-Vidimus K. Karls V. von 1554 Juni 5 f.
1r in der Stadtbibliothek zu Biella (E). – Einzelabschrift des 18. Jh.
ebenda (F).
Drucke: Aus D: Stumpf, Acta imp. 97 no
86 = Posse, CD Sax. regiae 1.2,23 no
27 Auszug. – Aus BCDE und einer jüngeren Kopie: Guasco di Bisio-Gabotto, Doc. Biellesi 215 no
2 fehlerhaft zu 1112.
Reg.: Meiller
in Österr. Notizenblatt 1,103 no
1. – Perosa, Bulgaro 38 u. 140f. zu 1112. – Ficker
in Wilmans, Add. z. Westf. UB 91 no
116/15. – Dobenecker, Reg. Thur. 1,226 no
1066. – Knipping, Kölner Reg. 2,13 no
79. – Stumpf
Reg. 3057; alle Drucke und Regesten haben als Tagesdatum den 18. Mai.
Verfasst von Notar Adalbert A, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 65 no
26 zu 1111 Mai 18; ob die in allen Überlieferungen enthaltene falsche
Jahreszahl 1112 (s. Anm. b”), die Meiller
und Stumpf
aufgrund des Itinerars korrigierten, im Original des Notars stand,
scheint uns zweifelhaft.
Die zahlreichen weiteren Abschriften bleiben unberücksichtigt, da sie
jeweils von einer der für den Druck verwendeten abhängig sind. Auch
das Vidimus Karls V. von 1554 (E) ist, da auf dem für dessen Erwirkung
bestimmten Vidimus D beruhend (vgl. dazu Anm. b, d, x, c’, n’, r’, s’,
z’, a”, f”; zu nur E eigentümlichen Fehlern s. Anm. x und e”),
letztlich keine selbständige Überlieferung; wir haben E jedoch
zusätzlich berücksichtigt, weil es direkt oder indirekt die Vorlage
fast aller jüngeren Abschriften bildete, insbesondere mit den
eigenständigen Ortsnamen-Korrekturen von Anm. r und t. Andererseits
hat D, das in seinem Vorspann bei der Auflistung der Inserte (außer
D.76 noch DKo.III.55; DF.I.47; DF.II. von 1238 Mai, B.-Ficker
Reg. 2344; Urkunde des Reichsvikars für die Lombardei, des Grafen
Berthold von Marstetten gen. von Neuffen, von 1324 April 15 mit
inseriertem DKo.III.267 und eine Privaturkunde) zwar außer der
Mitteilung der Ausstellernamen, der Tatsache der Besiegelung (s. Anm.
q’) und der verkürzten Datumzeile (s. Anm. y’ und b”) auch auf den
Erhaltungszustand der Originale Bezug nimmt, als Textvorlage
zweifellos nicht das Original selbst benützt, sondern eine verfügbare
Abschrift, die in engster Nähe zu B stand (vgl. z.B. Anm. n, p, s).
Während somit BDE einen weitgehend identischen Überlieferungsstrang
vertreten, könnte die jüngste Abschrift F auf eine ältere Abschrift
zurückgehen, welche womöglich die gemeinsame Vorlage auch für B
dargestellt hat (zu Gemeinsamkeiten von BF vgl. z.B. Anm. r’ und s’,
insbesondere aber Anm. f”). Ihre besondere Bedeutung aber hat die
Abschrift F dadurch, daß sie ein von BCDE abweichendes Tagesdatum
vermittelt, das seine Bestätigung durch den D-Vorspann erfährt (s.
Anm. y’).
Für die Richtigkeit der F-Lesung sprechen mehrere Tatsachen: D.76
hätte damit dasselbe Tagesdatum wie drei weitere in Verona
ausgestellte Diplome, DD.74/75 und 77; mit dem letzgenannten D.77 hat
D.76 außerdem die Verwendung der 4. Indiktion gemeinsam, während DD.74
und 75 noch die 3. Indiktion aufwiesen, was mit Sicherheit
ausschließt, dass D.76 das früheste Veroneser Diplom gewesen sein
sollte, was es mit dem Tagesdatum des 18. Mai wäre (vgl. Vorbemerkung
zu D.74). – Es ist überdies ganz unwahrscheinlich, dass das Original
tatsächlich die von den meisten Abschriften gebotene Tageszahl
XIIIII (= Mai 18) aufwies, die ja in ihrer über 4 Einheiten hinausgehenden
additiven Schreibung nur dadurch erklärlich wäre, dass der Notar ein
ursprüngliches
XIIII als fehlerhaft angesehen und durch Zufügung einer weiteren
I korrigiert hätte, welche aber wiederum von dem F-Kopisten und dem
Schreiber des D-Vorspannes – unabhängig voneinander(!) – vergessen
worden sein müsste.
Eine von BDEF weitgehend unabhängige (irritierend nur die
Gemeinsamkeit von BC bei Anm. d’), allerdings wohl ebenfalls kaum auf
unmittelbarer Benützung des Originals basierende Überlieferung
repräsentiert die Abschrift C; neben einem eigenen Fehler (s. Anm. p’)
liefert sie eine Reihe selbständiger Varianten (s. Anm. e, s, e’, w’,
y’), vor allem aber einige bessere Lesungen (s. Anm. m, n, p, r’, s’).
Unter diesen ist nun eine (Anm. p) von größter Bedeutung, da sie,
statt des
Haramonem aller anderen Handschriften,
Hardicionem liest, was fraglos dem Original entspricht; wenn dort
t statt
c geschrieben und die Oberlänge des
d verblasst war, lässt sich die Verlesung des
diti zu
am leicht nachvollziehen.
Während in der gesamten Literatur der “Unname” Haramon für den Bruder
Jakobs weitertradiert ist, hatten Guasco di Basio-Gabotto
durch einen eleganten, aber gewaltsamen Eingriff in den Text den Namen von Jakobs Bruder ganz eleminiert und das auf
Iacobum folgende Wort zu einem Attribut umgewandelt:
Iacobum herimannum et fratres eius (! statt
eorum des Textes), wobei sie das
herimannum offenbar als Variante von
arimannum verstanden (vgl. a.a.O. 202: “Giacomo erimanno di Bulgaro ed i suoi
fratelli”).
Eine moderne Genealogie der Familie Bulgaro fehlt, die Untersuchung Perosas ist voller Fehler und die beigegebene Stammtafel namentlich
hinsichtlich der Filiationen ganz unzuverlässig. Immerhin kennt Perosa
für seinen Haramon als Beleg nur unser Diplom (a.a.O. 140f.),
wohingegen auch nach ihm der Name Ardizzone (Arditio/Ardizio/ Ardicio)
mehrfach in der Familie vertreten ist.
Vermutlich ist nun der
Hardicio von D.76 genau zu identifizieren: Sein (wegen der Nennung an erster
Stelle wohl älterer) Bruder Jakob wird nochmals in dem D.*256 von 1123
genannt, und zwar zusammen mit
Philippus ac Meinfridus ohne Angabe des Verwandtschaftsgrades. Es kann aber einerseits wohl
nicht bezweifelt werden, dass es sich bei beiden Leuten um die 1111
vermutlich noch unmündigen und daher namenlos gebliebenen
fratres des D.76 handelt. Und dass andererseits 1123 der (jüngere)
Hardicio von D.76 fehlt, könnte zwar seine Erklärung in dessen
zwischenzeitlichem Tod finden, wir sind jedoch überzeugt, dass es sich
bei ihm um den von Heinrich V. auf dem 2. Italienzug, nach dem Tode
des Bischofs Siegfried von Vercelli († 1117 Juni 11; zu ihm s. D.71)
als dessen Nachfolger eingesetzten B. Arditio von Bulgaro handelt, den
Tauschpartner der (= seiner) Bulgaro-Brüder von D.*256! Zu B. Arditio
vgl. Schwartz, Besetzung 141 sowie die Vorbemerkung zu D.*256.
Als ein weiterer Beweis für die sich in dieser Bischofseinsetzung
ausdrückende enge Beziehung der Familie zum Kaiser kann auch die mit
D.76 erfolgte Privilegierung der Brüder angesehen werden: Diese waren
vermutlich auf Heinrichs erster bekannten Station zu Beginn des
Romzuges, in Vercelli (s. D. † 57), zum Heer gestoßen und offenbar bis
zum Schluss bei Heinrich geblieben, und sie erhielten nun, bevor sie
sich in Verona von dem zum Brenner ziehenden Heer trennten, ihre
Belohnung; über die Art ihres
servicium verlautet in den Quellen nichts.
Von den Burgen ist das namengebende Bulgaro identisch mit dem ca. 5 km
nö. Vercelli auf dem östlichen Sesia-Ufer gelegenen Borgo Vercelli.
Die Burg
Bulgari erscheint in DKo.II.280 von 1039 Mai 4 noch unter den Besitzungen, die
dem
Uuala de Casale (= Casalvolone) bestätigt werden; vermutlich gehörten die Herren von
Bulgaro einer Seitenlinie dieses Hauses an, denn als einem Nachkommen
des
Uuala von 1039,
Walo de Casale Walonis, von Barbarossa mit D.32 von 1152 Oktober 17 die meisten der 1039
genannten Besitzungen als Reichslehen bestätigt werden, wird außer
anderen Lehen auch Bulgaro nicht mehr genannt.
Die beiden als nächste genannten Burgen Cassato und Valdengo liegen
östlich von Biella; bei dem in der Besitzbestätigung für Rainer von
Bulgaro (wohl Jakobs Sohn) durch DKo.III.267 von 1152 an zweiter
Stelle hinter Bulgaro genannten
castrum Cossa dürfte es sich um eine Verschreibung für das hiesige
Cossatum handeln, und evtl. ist auch das dortige
Duich identisch mit dem hiesigen
Adengi; in DF.I.47 von 1153 Februar 4, in dem nacheinander das DKo.III.267
und unser D. als Vorurkunden benutzt sind, begegnen dann – wohl wegen
mangelnder Ortskenntnis des Notars – die beiden Burgen gleich zweimal,
einmal (nach dem DKo.III.267) als
Cossa und
Aduich(!), dann wie hier als
Cossatum und
Adengi. Von den beiden anderen Burgen liegt Olcenengo ca. 10 km nw. und
Larizatte nur knapp 4 km sw. Vercelli; letzteres ist von Stumpf
a.a.O., da er die D-Lesung
Lauresatum im Text zu
Laureatum emendiert hatte, fälschlich mit Loreto (com. Verrua-Savoia prov.
Turin) identifiziert, während das
Laureatum des DF.I.47 (s. Anm. s), trotz der Schreibung ohne
s, im Register (sachlich richtig) auf Larizzate bezogen ist (zu Loreto s.
das
Luaretum in DF.I.31).
Nach Haverkamp, Herrschaftsformen 2,552 bildet D.76 den frühesten Beleg für die
kaiserliche Vergabe eines Rentenlehens; während er jedoch von
Zahlungen “aus Überfahrtsrechten über die Sesia bei Palestro” spricht,
scheint die Erwähnung des
portus eher auf einen Hafenzoll, evtl. kombiniert mit einem Wegezoll,
hinzuweisen; vgl. dazu das DKo.III.267 von 1152, wo ebenfalls ein Zoll
als Zubehör der die Besitzliste eröffnenden Burg Bulgaro begegnet:
Castrum Bulgare … cum theloneo trium veterum denariorum
Mediolanensium, quos singule equitature pretereuntes onerate
persolvunt; Haverkamps Deutung erhält jedoch eine Stütze durch eine Urkunde von 1227 Juni
13 (Guasco di Basio-Gabotto
a.a.O. 233 no
17) über eine Erbteilung zwischen den Söhnen Rainers (II.) von
Bulgaro (Enkel des Rainer von 1152), Jakob und Wilhelm, wonach an
Wilhelm u.a. die Rechte an Bulgaro fallen,
in castro et villa … et honorantiis et pedagiis cum omni iure … in
transitu Palestri. – Der Hafen im ca. 7 km ssö. Borgo Vercelli und wie dieses am östlichen
Sesia-Ufer gelegenen Palestro gehörte übrigens dem Domkapitel von
Vercelli, dem er mit DF.I.33 von 1152 Oktober 10 bestätigt wurde (portum Siccide, quo itur ad Bulgarum).
Die Dispositio von D.76 wurde in wörtlicher Anlehnung in dem erwähnten
DF.I.47 (= NU.) bestätigt, dieses als Insert in DF.II. von 1238 Mai
(B.-Ficker
Reg. 2344) wiederholt, vgl. oben zu den Inserten in dem Vidimus D.