Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<74.>>

Heinrich nimmt das von den Bürgern der Stadt erbaute und dem Hl. Stuhl unterstellte Kanonikerstift Sant’Agata in der Vorstadt von Cremona in seinen Schutz, bestätigt seine Besitzungen und befreit es von fremdem Fodrum oder sonstigen Abgaben.

Bei Verona, 1111 Mai 19.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Drei Einzelabschriften des 18. Jh. im Pfarrarchiv von Sant’Agata in Cremona (B, C und D). – Abschrift des 19. Jh. von der Hand Ippolito Ceredas in Dragonis (1778–1860) CD capituli Cremonensis p. 373–374 in der Biblioteca governativa zu Verona (E).

Drucke: Stumpf, Acta imp. 97 no 87 “Aus einer Abschrift im Notariatsarchiv zu Cremona durch Ippolito Cereda” (s) = Falconi, Le carte Cremonesi 2,78 no 256.

Reg.: Astegiano, CD Cremonese 1,97 no 19. – Knipping, Kölner Reg. 2,13 no 80. – Falconi, Per un codice diplomatico di S. Agata di Cremona 30 no 10. – Stumpf Reg. 3059.

Die Vorlage Stumpfs konnte in dem heute im Staatsarchiv Cremona verwahrten Notariatsarchiv nicht ermittelt werden; auch Falconi, der dem Druck Stumpfs folgt und (an beiden angegebenen Stellen) außer E nur eine der drei Abschriften des Pfarrarchivs zu nennen vermag, vermerkt zu Stumpfs Vorlage deren heutigen Verlust (“oggi dispersa”). Wir haben einerseits Stumpfs Lesungen in den Anmerkungen notiert, andererseits wurde im Druck seine e-caudata-Schreibung übernommen, die sich auch in C, noch um einige, ebenfalls im Druck berücksichtigte Stellen (s. Anm. a) erweitert, wiederfindet; B und D verwenden durchwegs æ- (B) bzw. æ- (bzw. oe-)Schreibung (D), während E immer nur einfaches e bietet.

Unter Verwendung eines Empfängerkonzepts verfasst von Notar Adalbert A (s. Hausmann, Reichskanzlei 65 no 28) und von diesem, wie aus der Zeichnung des Monogramms zu schließen, wohl auch geschrieben. Die Diktatanteile sind nicht vollkommen zu scheiden: Dem Notar sind mit Sicherheit Protokoll, Publikatio, Intervenientenformel und Eschatokoll zuzuordnen, vermutlich auch die zweimalige starke Betonung der Ergebenheit gegenüber der römischen Kirche (S. ■ Z. ■ und ■); wem die singuläre Arenga, die weitgehend aus dem Brief Gregors I. an Kg. Chlothar II. von 601 Juni (Ep. Greg.I. 2,323 ep. XI,51) geschöpft ist (= VU.I), zuzuweisen ist (das dei causa scheidet als Hinweis auf die Verfasserschaft des Notars hier aus, s. dazu Vorbemerkung zu D.5), lässt sich angesichts ihrer Vorlagen-Abhängigkeit ebenso wenig beantworten wie die Frage nach der Herkunft dieser Vorlage.

Der Empfängerentwurf umfasste in erster Linie wohl die eigentliche Dispositio, wo verschiedene Termini in den Pertinenzformeln (z.B. domicultibus, fictis und terris fictaliciis, stallareis) und in der Verbotsformel (u.a. actionarius) für einen Italiener als Verfasser sprechen. Ob dieser sich dabei auf ältere Urkunden für Sant’Agata stützte, scheint fraglich, da das Archiv der noch jungen Institution im Jahre 1111 noch nicht viel mehr enthalten haben dürfte, als heute noch erhalten ist: Außer den beiden in Anm. 1 zitierten Urkunden (aus denen sich ergibt, dass 1077 die Kirche noch nicht geweiht war und dass, wie die Inskriptio der Littera P. Gregors VII. zeigt, noch keine geistliche Gemeinschaft bestand) sind es drei weitgehend identische Papsturkunden, die Privilegien P. Urbans II. von 1088 Oktober 29 und 1095 März 31 (It. pont. 6.1,279f. no 2 und 3; Falconi a.a.O. 2,38 no 234 und 44 no 237), die beide in der Inskriptio noch keinen Propst, sondern Laurentius archipresbiter sancte Agathes nennen, sowie das an den vermutlich ersten (obwohl in den beiden Urban-Privilegien bereits die – wohl ganz formelhafte – Klausel Obeunte te nunc eiusdem loci preposito enthalten ist) Propst Dominicus (noch genannt in Urkunde B. Oberts von Cremona von 1120 Januar 24, Falconi a.a.O. 2,114 no 277; im Privileg P. Calixts II. von 1122 April 15, It. pont. a.a.O. no 5, Falconi a.a.O. 2,121 no 282 ist dann Propst Adam genannt) gerichtete Privileg P. Paschals II. von 1106 November 21 (It. pont. a.a.O. no 4; Falconi a.a.O. 2,72 no 253); wegen der Nennung des Propstes haben wir die spärlichen Übereinstimmungen mit dem Privileg von 1106 (= VU.II) durch Petitsatz gekennzeichnet, obwohl die unmittelbare Benützung nicht gesichert ist und in den beiden älteren Privilegien vereinzelte zusätzliche Parallelen anzutreffen sind.

Während des mehrtägigen, für Mai 19–22 urkundlich belegten, aber vermutlich schon etwa seit der Monatsmitte dauernden Aufenthalts des Hofes in Verona zum Abschluss des 1. Italienzuges, der auch die Feier des Pfingstfestes am 21. Mai (= Datum des D.78) einschloss, war eine Reihe von Angelegenheiten zu erledigen: Hier erfolgte unter Heinrichs Vermittlung der Friedensschluss zwischen Venedig und Padua (s. D.77), das Heer war vor der Brenner-Überquerung zu versorgen (zur “zentralörtlichen” Funktion Veronas für die Anlieferung des Servitium regis zumindest aus der Mark Verona-Treviso vgl. DD.120 und 121 für den Bischof von Treviso von 1114) und zugleich dessen Teilauflösung durch die Entlassung des italienischen (vermutlich auch des böhmischen, s. Meyer von Knonau, Jahrb 6,180 Anm. 91) Kontingents zu bewerkstelligen; dann scheint der Aufbruch ziemlich unvermittelt erfolgt zu sein, da das D.80 für das Veroneser Kloster S. Nazzaro erst hernach am 24. Mai bei Garda ausgefertigt wurde.

Die in Verona getroffenen Maßnahmen zeitigten nun eine ungewöhnlich reiche Produktion der Kanzlei mit insgesamt 6 dort ausgestellten Diplomen (neben D.74 noch DD.75–79); die Zahl dürfte sogar noch wesentlich größer gewesen sein, denn neben den beiden, angesichts der schlechten archivischen Überlieferung von Diplomen für private Empfänger mehr zufällig erhaltenen DD.75 und 76 werden sicherlich andere ebenso verdiente italienische Teilnehmer am Romzug bei ihrer Verabschiedung vergleichbare Belohnungen in urkundlicher Form erhalten haben.

Von den diesen in Verona ausgefertigten 6 Diplomen weisen allein 4 (DD.74–77) das gleiche Tagesdatum des 19. Mai auf; obwohl es zunächst unmöglich erscheint, unter diesen eine relative Chronologie herzustellen, gibt es dafür dennoch einige Anhaltspunkte: Zunächst nennen nur zwei von ihnen, DD.76 und 77, Verona selbst als Ort der Handlung (actum est Verone), während die Handlung der beiden anderen, DD.74 und 75, vor dem Eintreffen in der Stadt lag (actum est iuxta Veronam); womöglich war mit dem iuxta Veronam, was einen entfernter liegenden früheren Etappenort ausschließt, die Pfalz des westlich der Stadt auf dem anderen Etschufer gelegenen Klosters S. Zeno gemeint (vgl. dazu Brühl, Fodrum 1,471 Anm. 96), da Heinrich sich, vermutlich über Mantua (vgl. Vorbemerkung zu D.72), von Südwesten her der Stadt genähert hatte. – Jedenfalls ergibt sich damit für DD.74 und 75 eine uneinheitliche Datierung, mit Ausfertigung am 19. Mai in Verona und früherer, wenn auch vermutlich nicht allzu lange zurückliegender Handlung.

Dafür liefern nun die unterschiedlichen Jahreskennzahlen der 4 Diplome vom 19. Mai eindeutige Indizien: Sie weisen zwar insgesamt die vom Notar seit Beginn des Jahres 1111 (s. D.62) verwendeten falschen Zahlen für Ordinations- und Regierungsjahre auf (s. hier Anm. 2 und 3); während aber DD.74 und 75 außerdem die frühere, ebenfalls falsche 3. Indiktion bieten, erscheint in DD.76 und 77 die richtige 4. Indiktion, wie sie dann auch weiterhin in DD.78ff. verwendet wird. Da es unvorstellbar ist, dass der Notar, nachdem er seine Indiktionsrechnung berichtigt hatte, nochmals (am Tage der Korrekturvornahme!) auf die falsche Indiktion zurückgegriffen hätte, sind DD.74 und 75 die der Genese nach früheren Stücke, waren vielleicht sogar schon bis auf das erst in Verona mit ihrer Ausfertigung eingetragene Tagesdatum (das dann in den verlorenen Originalen nachgetragen gewesen sein müsste) vorher mundiert gewesen. D.74 weist nun noch eine weitere, mit den geschilderten Datierungsunterschieden der vier Diplome vom 19. Mai sich nicht voll deckende, nur mit dem zu dieser Gruppe zählenden D.77 und den beiden anderen noch in Verona ausgestellten DD.78 und 79 sowie dem oben erwähnten D.73 gemeinsame Besonderheit auf, nämlich das Fehlen des Vollziehungsstriches im Monogramm (s. hier Anm. bn); die Erklärung könnte sein, dass die den Abschluss der Ausfertigungen bildende Besiegelung dieser Stücke, womöglich in einem einzigen Arbeitsgang, erst mit Verzögerung erfolgte und dabei die Vervollständigung des Monogramms versehentlich unterblieb.

Zum Fodrum, worunter hier, da nur beim Aufenthalt des Herrschers fällig, allein das königliche Gastungsrecht zu verstehen ist, vgl. Brühl a.a.O. 1,538 Anm. 474 (s. noch 544 Anm. 502).

Umfangreiche Versatzstücke, namentlich Arenga, Verbotsformel und Sanktio, daneben Formulierungen aus Publikatio, Narratio, erstem Satz der Dispositio und Korroboratio fanden Eingang in das in der 1. Hälfte des 12. Jh. gefälschte DLu.II. † 70 (= NU.) von angeblich 852 Januar 29 für die Kirche sancti Stephani protomartiris scita Ripa Alta (Santo Stefano Lodigiano prov. Milano; vgl. It. pont. 6.1,256f.: Santo Stefano al Corno), dessen im Registrum magnum von Piacenza (1198–1212) überlieferte Abschrift auf einem notariellen Vidimus wohl des fünften Jahrzehnts des 12. Jh. (einer der Notare nennt sich iudex ac missus Konrads III.) beruht; nachdem das Falsum neben dem Eschatokoll auch das Tagesdatum dem echten DLu.II.4 von (852) Januar 29 für die bischöfliche Kirche von Cremona entnommen hat (mit willkürlicher Änderung des Ausstellortes Sospiro zu Pavia), muss der Fälscher wohl in Cremona tätig gewesen sein, wo ihm außer den dortigen Archiven leicht auch das Diplom für das ca. 18 km w. Cremona gelegene Santo Stefano zugänglich gewesen sein könnte; an ein Deperditum Heinrichs V. (für Santo Stefano?) als Vorlage für das DLu.II. †70 zu denken, wie in der dortigen Vorbemerkung alternativ vorgeschlagen, erscheint unbegründet.

In nomine sanctę et individuę trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Inter tot curas et sollicitudines, quot pro fidelium regimine sub imperii nostri sceptro degentium sustinemus, eximię actionis et magnę mercedis esse credimus in dei causa laborantibus nos adiutores existere ipsorumque pia vota roborantes modis quibus possumus animare. Quapropter omnibus Christi nostrique fidelibus tam presentibus quam futuris notum fieri volumus, qualiter Dominicus prepositus venerabilis ecclesię sanctę Agathę in suburbio Cremonensis civitatis sitę, quam eiusdem civitatis cives dei timore et animarum suarum remedio de suis propriis ędificaverunt et ędificatam beatorum apostolorum principibus per cartam oblationis tradiderunt, suppliciter nostram imploravit clementiam, quatinus ecclesiam pręnominatam eiusque bona pro caritate dei nostrique imperii statu et sanctę Romanę ecclesię reverentia, ad quam specialiter pręfata ecclesia pertinet, et amore nostrorum principum, Frederici videlicet Coloniensis archiepiscopi, Alberti dilecti nostri cancellarii et Hermanni comitis de Saxonia, aliorumque multorum nostrorum fidelium et etiam civium Cremonensium, in nostram susciperemus defensionem. Cuius dignis petitionibus et interventu eorundem nostrorum fidelium et pręcipue pro sanctę matris Romanę ecclesię dilectione aures accomodantes nostrę defensionis largiti sumus decretum sicque servis dei inibi degentibus per hanc pręceptalem paginam nobis placuit inferre iuvamen. Itaque omnia, quę ad eandem ecclesiam vel ad eiusdem ecclesię xenodochium pertinere videntur, tam intra muros eiusdem civitatis quam extra, prope vel longe, in domibus scilicet, clausuris, vineis, municipiis, domicultibus, mansis seu villis, ut est in Monticello, qui dicitur Wiberti, et in curte Aquęlongę cum castro et omnibus per eandem curtem sibi pertinentibus, insuper villam, quę dicitur Campus Macer, cum ecclesia sancti Christophori ibi constructa et cum omnibus tam cultis quam incultis, silvis et aquis, quę pręfata ecclesia sanctę Agathę ibi possidere videtur, et in Augia ecclesiam sanctę Valerię cum duodecim terrę iugeribus, quin etiam universa mobilia et immobilia, in servis et ancillis, vineis, campis, redditibus, fictis, pratis, pascuis, paludibus, silvis, stallareis, terris fertilibus vel sterilibus, cultis et incultis, piscationibus, molendinis, lacubus seu stagnis, sive decimis et terris fictaliciis et universis, quę ad ius eiusdem ecclesię redduntur vel referuntur, in nostrę tuitionis mundiburdio suscipientes perpetua stabilitate firmamus, ita ut nulli umquam sit licentia pręfatam ecclesiam sanctę Agathę disvestire de omnibus, quę nunc habet vel inantea deo annuente acquirere potuerit, eo scilicet ordine, ut nullus archiepiscopus, episcopus, abbas, dux vel marchio, comes, vicecomes, sculdassio, castaldio vel actionarius quislibet sive quęvis summa vel infima cuiuslibet gradus vel dignitatis persona aliquam violentiam, molestiam aut lęsionem manifestis vel clandestinis molitionibus per se suppositave persona in aliquibus rebus inferre audeat aut prępositum vel canonicos eiusdem loci inquietare pręsumat. Pręcipimus insuper, ut nullus mortalium a supradicta ecclesia vel ab his, quę ad eam pertinent, fotrum vel alicuius debiti conditionem requirere audeat, nisi nosmetipsi propius accedentes eam nobis servire iubeamus. Quodsi quis huic nostrę auctoritatis et promissionis pręcepto nisus fuerit refragari, resistere aut contradicere, inretractabili et inevitabili iudicio sancimus debere illum pro pęna solvenda mille auri optimi libras componere, medietatem nostrę camerę et pręposito atque canonicis alteram medietatem. Et ut nostri pręcepti confirmatio atque corroboratio firma et inconvulsa omni ęvo permaneat, hanc cartam nostro iussu [con]scriptam sigilli nostri impressione insigniri iussimus.

Signum domni Heinrici quarti (M.7.) Romanorum imperatoris invictissimi.

Burchardus Monasteriensis episcopus et cancellarius vice Alberti archicancellarii, Magontinę sedis electi, recognovi.

Data XIIII. kal. iunii, indictione III, anno dominice incarnationis millesimo centesimo undecimo, regnante Heinrico quinto rege Romanorum anno quinto, imperante autem primo, ordinationis eius XI; actum est iuxta Veronam; in Christo feliciter amen.