Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<72.>>

Heinrich nimmt Kloster und Eremitei von Camaldoli mit den untergebenen Klöstern in seinen Schutz und gewährt den Untertanen den alleinigen Gerichtsstand vor dem Papst oder ihm selbst.

Bei Forlimpopoli (1111 April) – 1111 Mai 2, (Modena?).

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original, nördliches Pergament (ca. 40/41 b : 62/65 h), im Staatsarchiv zu Florenz (A); Rückvermerk des 13. Jh. in großer Unziale: Henric9 impr. V9, darüber von späterer Hand IIII; 14. Jh. (später nachgezogen): Eximit etiam sub protectione sua heremum Ca. et mon. sancti Donati Fontisbone … et sancti Saluatoris de Berardengha … – Notarielles Transsumpt in Diplomform vom Ende des 12. Jh. ebenda (B).

Drucke: Mittarelli-Costadoni, Ann. Camald. 3, app. 227 no 157. – Posse, CD Sax. regiae 1.2,22 no 26 Auszug. – Schiaparelli-Baldasseroni, Reg. di Camaldoli 2,39 no 717 Auszug.

Reg.: Ficker in Wilmans, Add. z. Westf. UB 91 no 116/14. – Knipping, Kölner Reg. 2,13 no 78. – Dobenecker, Reg. Thur. 1,226 no 1065. – Böhmer Reg. 1998. – Stumpf Reg. 3055.

Das sonst gut erhaltene Original ist unter Einwirkung von Feuchtigkeit stark geschrumpft. Das exemplar (B) aus südlichem Pergament, wie A in gerollter Form und zusammen mit diesem verwahrt, geschrieben von Iohannes iudex Enrici imperatoris (unter den drei anderen Unterschreibenden noch Azo iudex serenissimi imperatoris Frederici und Iacopinus iudex atque notarius Frederici imperatoris), wurde vielleicht zur Erwirkung des Diploms Heinrichs VI. von 1186 Okt. 6 (B.-Baaken Reg. 20) hergestellt; Mittarelli-Costadoni a.a.O. 3,141 erwähnt noch ein “Exemplar” von D.72, “quod asservatur in parthenone sancti Petri de Luco [sac. K. n. 46]”, in dem zusätzlich (als Interpolation) auch monasterium sancti Petri de Luco de terra Florentina genannt sei (vgl. JL 6014: monasterium sancti Petri situm Luci; s. auch DLo.III.108: monasterium quod dicitur Lucum). – Rein orthographische Varianten von B bleiben im Apparat unberücksichtigt.

Im Druck sind Übereinstimmungen innerhalb der Enumeratio mit dem Privileg P. Paschals II. von 1105 März 23 (JL 6014; It. pont. 3,170 no 5; Druck: Mittarelli-Costadoni a.a.O. app. 191 no 132; Migne, PL 163,152 no 143 = VU.) durch Petitsatz gekennzeichnet, ohne damit dessen unmittelbare Benützung behaupten zu wollen, da es neben fast doppeltem Umfang auch eine andere Reihenfolge der Besitzungen aufweist. In den Anmerkungen ist vereinzelt auf das DLo.III.108 von 1137 (B.-Petke Reg. 548 = NU.I), dem unser D. für den Kontext einschließlich der Korroboratio als Vorlage diente, und dessen stark erweiterte Wiederholung in DF.I.90 von 1154 (= NU.II) verwiesen.

Nach Hausmann, Reichskanzlei 63 no 25 stammen Schrift und Diktat des Originals von Notar Adalbert A, ebenso schon Pivec in MÖIG 51,27. – Hinsichtlich des Diktats ist die Feststellung zutreffend (zu causa dei vgl. Vorbemerkung zu D.5, zur Arenga Pivec a.a.O.); der konsequent fehlerhaften Berechnung des Notars entsprechen auch die falschen Jahreskennzahlen der Datierung (s. Anm. 2/3). Mit der Schrift verhält es sich jedoch anders: Von der Hand des Notars stammt mit Sicherheit nur die Elongata der ersten Zeile und vermutlich das Monogramm (vgl. unten), der Rest von anderer Hand.

Dem Notar die Schrift der ganzen Urkunde zuweisen zu wollen, muss allein schon an der fehlerhaften Schreibung der Signumzeile (s. Anm. o’) scheitern. Vor allem aber ist dem Notar völlig fremd die in zunehmendem Maße erfolgte, in der zweiten Texthälfte ihre höchste Steigerung erfahrende exzessive Ausgestaltung der Oberlängenverschleifungen an langem s und f mit bis zu fünf Doppelschleifen, die, nach links auslaufend, entweder schräg nach oben (so zumeist), horizontal oder senkrecht nach oben gestellt sind, und dies in ständigem Wechsel mit Verwendung der für den Notar typischen Gestaltung ohne oder allenfalls mit einer einzigen Doppelschleife; häufig wird auch der Aufstrich des &-Kürzels verschleift, einmal sogar die Oberlänge eines d (s. Anm. b; s. auch Anm. y), was beides der Notar nie praktiziert. Äußerst sparsam ist auch gegenüber dem regelmäßigen Gebrauch des Notars die Verwendung von ę, wobei die cauda eine winzige geschlossene Form aufweist.

Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten haben wir es bei dem Schreiber jedoch mit einem Imitationskünstler hohen Grades zu tun, der die Schrift des Notars sowohl in Kontext- als auch in Elongataschrift fast vollkommen nachzubilden versteht; das zeigt sich z.B. in der Gestaltung der st-Ligatur mit oben spitzer Verbindung, weniger vollkommen bei der Nachahmung der ct-Ligatur. Besonders gelungen ist die Nachahmung der für den Notar charakteristischen spitzigen Gestaltung des dipl. Kürzungszeichens; nur verrät sich gerade an dessen unregelmäßiger Verwendung, dass es dem Schreiber in seiner eigenen Schreibpraxis offenbar gänzlich fremd gewesen sein muss: In den ersten fünf Zeilen gelingt ihm zwar bis auf zwei Ausnahmen (s. Anm. d und i) dessen regelmäßige Anwendung auf Anhieb, in den beiden nächsten Zeilen verfällt er jedoch fast vollständig in die ihm geläufige Kürzungsweise mittels titulus planus (s. Anm. l), um dann wieder zu vorwiegendem Gebrauch des dipl. Kürzungszeichens zurückzukehren, muss im übrigen in einer Reihe von Fällen einen ursprünglichen titulus planus erst nachträglich durch das dipl. Kürzungszeichen ersetzen (s. Anm. i, t, a’, f’, h’).

Der graphische Befund stellt sich für uns so dar, dass tatsächlich ein von Adalbert A geschriebenes Original existiert haben muss, das vermutlich inhaltlich den Empfänger nicht zufriedengestellt hatte; die erbetene Neuausfertigung wollte sich der Notar jedoch nicht selbst aufladen, sondern beschränkte sich auf die Eintragung der elongierten 1. Zeile und betraute mit der Fertigstellung, einschließlich der Unterfertigungszeilen (s. Anm. o’) und der Datierung (s. Anm. t’), die offensichtlich unverändert aus der Erstausfertigung übernommen wurde, einen anderen Schreiber, der das verworfene erste Original als striktes Schriftmuster verwendete. Von der Hand des Notars stammte dann anscheinend nur noch das vermutlich gleichzeitig mit der 1. Zeile vorweg eingezeichnete Monogramm, mit dem später die vom Textschreiber eingetragene Signumzeile kollidierte (s. Anm. o’ und p’).

Da, entgegen der Behauptung Schums in NA 1,144, der für das Eschatokoll blassere Tinte und für das Datum andere Hand konstatierte, für die ganze Urkunde, also für die Anteile des Notars und des fremden Schreibers, völlig einheitliche Tinte verwendet ist, kann man davon ausgehen, dass der Schreiber sozusagen “unter den Augen des Notars” gearbeitet hat, der diesem dabei den Gebrauch des dipl. Kürzungszeichens – mit nicht ganz vollständigem Erfolg – schon unterm Schreiben, nicht erst bei einer Endkontrolle, die insbesondere angesichts Anm. o’ womöglich gar nicht stattgefunden hat, regelrecht aufgenötigt haben muss.

Aus der Verwendung nördlichen Pergaments ergibt sich außerdem zwingend, dass die Neuausfertigung, bei der sowohl aufgrund der Mitwirkung des Notars als auch der Wiederholung der Dispositio in DLo.III.108 eine verfälschende Absicht ausgeschlossen werden kann, erst nach der Rückkehr nach Deutschland erfolgte, wo erstmals in Passau mit dem D.84 von 1115 Juni 24 geurkundet wurde. – Das die Neuausfertigung nicht noch in Italien zustandekam, hängt vermutlich wiederum mit einem anderen Sachverhalt zusammen: Wir haben es nämlich bei D.72 ohne Zweifel mit einem Fall von uneinheitlicher Datierung zu tun, die sich im verlorenen Original vermutlich in Nachtragung des Tagesdatums zu erkennen gegeben hatte.

Nach der zum weiteren Itinerar Heinrichs passenden, daher wohl zuverlässigen Nachricht in Donizos Vita Mathildis v. 1250ff. (MGH SS 12,403; vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 6,178f. mit Anm. 89 u. 90) war er am 6.–8. Mai zu Gast bei der Markgräfin Mathilde auf deren nördlich von Canossa gelegenen Burg Bianello (s. Goez, Urk. Mathildes Dep. 80); Heinrich kann daher nicht noch am 2. Mai in dem ca. 180 km und damit ungefähr eine Marschwoche entfernten Forlimpopoli gewesen sein; die dortige Handlung muss daher frühestens in der letzten Aprilwoche angesetzt werden, während man erst auf dem weiteren Zuge, der wahrscheinlich auf der Via Emilia über Forli, Faenza, Imola, Bologna, Modena und Reggio nell’Emilia in die Nähe von Parma führte, wo man zu dem ca. 20 km südöstlich gelegenen Bianello abgebogen sein wird, zur Vornahme der Beurkundung kam. Geht man davon aus, dass dieser Weg nicht ohne Zwischenaufenthalte zurückgelegt wurde, dann bietet sich von den Zwischenstationen für eine erste Beurkundung am 2. Mai als wahrscheinlichster Ort Modena an, eher als das noch ca. 85 km von Parma entfernte Bologna.

Zum Besuch Mathildes hatte Heinrich sicher nur ein kleines Gefolge mitgenommen, das Heer jedoch an der Via Emilia zurückgelassen, evtl. nicht unmittelbar vor Parma, sondern eher in der Nähe des knapp 10 km ö. Parma gelegenen S. Ilario d’Enza, von wo man im Tal der Enza am leichtesten nach Bianello gelangen konnte. – Spätestens nach dem Verlassen Bianellos hat dann Heinrich zweifellos in Parma Station gemacht, wo die Impetration des D.73 für die dortigen Kanoniker angenommen werden darf. Von Parma führte das Itinerar weiter über Mantua und das nördlich davon gelegene Marengo (Ausstellort des D.73 vom 16. Mai) nach Verona, wo man am 17. oder 18. Mai eingetroffen sein wird. Ob nun für die Erfüllung des klösterlichen Wunsches nach Neuausfertigung während des Zuges sich keine Gelegenheit bot oder der Wunsch zu spät vorgetragen wurde, in Verona selbst blieb angesichts der dortigen dichten Urkundenproduktion (s. Vorbemerkung zu D.74) dafür erst recht keine Zeit, ebensowenig wie bei dem folgenden, dem Alpenübergang vorangehenden kurzen Zwischenhalt vom 24. Mai am Gardasee (D.80), so dass der zu vermutende Empfängerschreiber dem Hof nach Deutschland gefolgt sein muss, wo er dann aber wahrscheinlich sehr bald die neue Urkunde entgegennehmen konnte.

Bei Camaldoli ist, wie in unserem Diplom geschehen (vgl. auch Anm. h; s. auch D.267), zu unterscheiden zwischen dem mit hospitium verbundenen Kloster (Fontebuona) mit Donatuskirche und der 2,5 km oberhalb gelegenen Eremitei mit Salvatorkirche (s. Kurze in Lex. d. MA 2,1405). – Dass das habitant und habitare vel vivere in der Bestimmung über den Gerichtsstand nicht allein auf die Klosterinsassen zu beziehen ist, sondern auch und in erster Linie (so unser Regest) auf die Klosteruntertanen, zeigt das DF.I.426 von 1164 (S. 317 Z. 6: fideles Christi Camaldulenses heremitas et proprios eorum homines eis servientes). Zu den ermanni (s. bei Anm. p) und den Besitzrechten Camaldolis in Anghiari vgl. Haverkamp, Herrschaftsformen 1,193–196, besonders 194 Anm. 131.

(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Desiderium nostrum est ea semper per dei gratiam operari, quę ei placeant, votis religiosorum virorum imperatoria Iargitate et regia pietate satisfaciendo et eorum petitiones exaudiendo, ut ipsi orent assidue pro nostra salute et pro imperii nostri stabilitate, credentes nos hoc modo regnare feliciter et ęternam consequi gloriam. Quapropter omnibus Christi nostrique fidelibus tam futuri temporis quam presentis notum fieri volumus, qualiter nos causa dei et ob dilectionem beatę Marię virginis et pro salute nostra tam presenti quam futura nostrorumque parentum, digno interventu Frederici Coloniensis archiepiscopi et episcoporum: Harthvici Ratisponensis, Othonis Bauembergensis, Erlvngi Werceburgensis, necnon comitum: Hermanni de Saxonia, Berengarii de Bauuaria, aliorumque multorum nostrorum fidelium tam Latinorum quam Theuthonicorum, Gamaldvliense monasterium et heremum, sancti Saluatoris et sancti Donati, cum omnibus, que ad ea pertinent, nominatim monasterium sancti Bartholomei in Anglari cum castellis, ecclesiis, monasteriis, feodo, ermanniis et cum omnibus, que fuerunt Bernardini, qui fuit filius Sidonie, et monasterium sancte Marie in Triuio cum omnibus pertinentiis suis, et monasterium sancti Fricdiani et sancti Michahelis situm in Pisana urbe et sancti Savini extra eandem urbem in comitatu, et monasterium sancti Saluatoris de terra Berardinga et alia omnia, quę sunt vel erunt sub eius regimine iam adquisita vel semper adquirenda, in quibuscumque locis sita sunt, sub tutelam nostre defensionis per hanc preceptalem paginam suscepimus. Precepimus etiam, ut nullus eorum, qui modo habitant vel aliquo tempore habitare vel vivere debent sub eiusdem monasterii regimine, eat ad placitum vel distringat se ante quamlibet personam nisi ante papam vel ante nosmetipsos, sed in omni libertate vivant et sua bona absque ulla contradictione vel molestia teneant, habeant at[que] possideant omni tempore. Si quis igitur dux, marchio, episcopus, comes, vicecomes vel alia quelibet persona magna vel parva, cuiuscumque conditionis fuerit, predam, assultum vel quamlibet aliam molestiam inferendo huius nostre preceptalis pagine concessionem atque confirmationem violare presumpserit, mille libras auri compositurus banno nostro subiacebit, medietatem nostre camære et medietatem predicti monasterii habitatorib[us]. Ut autem hoc credatur ab omnibus et omni evo inviolabile permaneat, hanc cartam inde conscriptam impressione nostri sigilli insigniri iussimus.

Signum domni Heinrici quarti Romanorum imperatoris avgutstoni (!). (M.7.)

Burcardus Monasteriensis episcopus et cancellarius vice Alberti archicancellarii Maguntine sedis electi recognovit. (SI.D.)

Data VIo non. maii, indictione III, anno dominice incarnationis millesimo CXI, regnante Henrico quinto rege Roman(orum) anno V, imperante I, ordinationis eius XI; actum est iuxta Forumpompolii; in Christi nomine feliciter amen.