Angebliches Original (ca. 46/48 b : 60/61 h) des 12. Jh. in Nouv.
acqu. lat. 2573 no
26 der Nationalbibliothek zu Paris (A); nach Davidsohn, Gesch. von Florenz 1,365 Anm. 2 befand sich der Band mit 104
Urkunden im Jahre 1893 in Händen des Antiquariates Graziani in
Florenz. – Abschrift des 15. Jh. im Liber decimusquartus (Catastico di
S. Giorgio di Venezia) f. 6r–v im Staatsarchiv zu Venedig (B).
Teilfaks.: Taf. ■.
Drucke: Aus A: Cornelius, Eccl. Venetae 9,371 (c). – Aus B: Gloria, CD Padov. 2.1,40 no
49 mit Auslassungen. – Aus A: Lanfranchi-Strina, Ss. Ilario e Benedetto e S. Giorgio 55 no
16.
Reg.: Stumpf
Reg. 3044, alle zu 1110 Dezember 27.
Das auf Papier aufgezogene Pergament befindet sich in äußerst
schlechtem Zustand: Es hat einerseits durch Feuchtigkeit gelitten,
wodurch die Tinte vielfach zu einem Grünton ausgebleicht und
stellenweise, unter Hinterlassung eines bloßen negativen Eindrucks der
Schriftzüge, ganz verschwunden ist. Andererseits sind durch Löcher an
den Rändern und im Bereich der zudem weitgehend eingerissenen zwei
Längs- und drei Querfalten Textteile verloren: Am linken Rand fehlt
der Beginn der 7. und 9.–12. Zeile; im Bereich der rechten senkrechten
Falte gibt es Schäden im Bereich der 7., 9.–14., 17., 21. und 22.
Zeile, außerdem überlappt in der 5. und 6. Zeile das Perg. durch
ungenaue Justierung beim Aufziehen auf Papier, wodurch auch der
Schluss der 15.–17. Zeile neben der Falte reichlich 0,5 cm nach unten
verschoben ist; stärkere Schäden verursachten je 5 waagerechte Löcher
in der oberen Querfalte im Bereich der 7. Zeile (s. Anm. a”) und in
der unteren Querfalte im Bereich der 22. Zeile (= vorletzte Zeile des
Kontextes; s. Anm. eg), außerdem ist beim Aufziehen das zerrissene
Perg. in der 7. Zeile zwischen dem 2. und 3. und dem 3. und 4. Loch
(s. Anm. b”) so dicht aneinandergerückt, dass die Schrift des
Mittelbandes fast vollständig verschwunden ist.
Für die Ergänzung der – in der Regel ohne weitere Kommentierung in
eckige Klammern gesetzten – Textverluste diente, mit Kontrolle an Vor-
und Nachurkunden, die Abschrift B, deren Varianten im übrigen nur in
Auswahl notiert und deren orthographische Besonderheiten (u.a. viele
Doppelkonsonanzen; vgl. z.B. Anm. al) in den auf ihr beruhenden
Ergänzungen nicht übernommen wurden; keine Hilfe bot der Druck bei Cornelius
(c), der das Original im wesentlichen schon im heutigen Zustand mit
den von ihm durch Auslassungspunkte gekennzeichneten Lücken
vorgefunden hatte (zu Ausnahmen vgl. Anm. z”, bt, ei). Die bisherige
Literatur, zuletzt Schieffer
in Röm. Quartalschr. 58,138, 141 u. 148 (ohne weitere Erklärung auch
noch bei Brühl, Aus Mittelalter u. Diplomatik 2,801), hatte A als Original
angesehen, das zudem nach Hausmann, Reichskanzlei 65 no
21 von Notar Adalbert A verfasst und geschrieben gewesen wäre. In der
vorliegenden Gestalt ist A jedoch eindeutig eine spätere, allerdings
auf einem verlorenen echten Original beruhende Fälschung, die auch den
wesentlichen Inhalt des Originals bewahrte. Die von Hausmann
auf A bezogene Behauptung der Autorschaft des Notars ist daher falsch
und muss auch in ihrer Geltung für das Original stark eingeschränkt
werden.
Dem Original hatte aufgrund der Vorurkunden-Benützung (s. unten)
zweifellos ein Empfängerentwurf zugrunde gelegen, und vermutlich war
der Kontext auch von Empfängerseite mundiert gewesen (zur
Kontextschrift in A vgl. weiter unten), so dass sich der Notar auf die
Zufügung des seinem Diktat entsprechenden Protokolls und Eschatokolls
beschränkt gehabt hätte. Auf ihn geht im Eschatokoll insbesondere die
Formulierung der Rekognitionszeile zurück, in der erstmals der wohl
damals als italienischer Kanzler eingesetzte B. Burkhard von Münster
rekognosziert, nachdem das Original des D.†57 von 1110 Okt. 12, des
ersten auf italienischem Boden für einen italienischen Empfänger
ausgestellten Diploms, noch in herkömmlicher Weise und eigentlich
normwidrig von dem deutschen Kanzler Adalbert rekognosziert worden
war.
Dass die Einsetzung B. Burkhards, mit einiger Verzögerung, gerade
jetzt erfolgte (zur Datierung Hausmanns a.a.O. 5 auf Ende 1110 vgl. unten), hatte seinen Grund vermutlich
darin, dass Adalbert sicher schon der aus Arezzo abgefertigten (s.
D.†63, ferner D.68/IV mit Adalberts Bezeichnung als
cancellarius) ersten Gesandtschaft an den Papst angehörte (von Hausmann
a.a.O. 21 mit Anm. 4, unter Berufung auf Ekkehard [rec. III, ed. Schmale-Ott
302 Z. 4, ebenso die Anonyme Kaiserchronik lib. III, ebenda 256 Z.
12:
remissisque aliis
nunciis], zu Unrecht bestritten) und daher für Kanzleiaufgaben nicht zur
Verfügung stand.
Die von Adalbert A für das verlorene Original unseres D. gefundene
Formulierung der Rekognitionszeile begegnet dann nochmals in D.62 und
wird (nach einer leichten Verkürzung der Bezeichnung Adalberts in
D.69; D.71 ist ohne Rekognitionszeile) ab D.72 unverändert, nur noch
erweitert um den Zusatz
Monasteriensis zu Burkhards Bischofstitel, bis zum Schluss des Italienzuges (in DD.73
u. 80 lediglich leicht verkürzt; die Rekognitionszeile von D.75 ist
verstümmelt) beibehalten, ehe in DD.84ff. wieder Adalbert als
deutscher Kanzler in derselben Form wie in D.†57 (s. oben)
rekognoszierte. – Zur Bezeichnung des zwischen 1110 April 10 – Mai 17
auf den Mainzer Erzstuhl erhobenen Adalbert als
electus vgl. Hausmann
a.a.O. 19f., zu Heinrichs Motiven für seine Bestellung als
italienischer Erzkanzler anstatt des traditionsgemäß dafür zuständigen
Kölner Erzbischofs ebenda 21. – Zur Formulierung der Datumzeile vgl.
unten.
Unverständlich ist, angesichts der graphischen Absonderlichkeiten der
Schrift von A, deren uneingeschränkte Zuweisung an den Kanzleinotar
durch Hausmann. Richtig ist nur, dass dem Schreiber des angeblichen Originals eine
Vorlage zur Verfügung gestanden haben muss, in der Adalbert A
zumindest – und wohl auch nur – das von ihm verfasste Protokoll und
Eschatokoll geschrieben hatte. Der unkundige Schreiber von A war
bemüht, in diesen Partien die Schrift des Adalbert A nachzuahmen, was
ihm allerdings nur ganz unvollkommen gelang (vgl. bes. Anm. a–h für
die Elongata der 1. Zeile); die im Vergleich zu der relativ schlichten
Schrift des Adalbert A mit Oberlängenverzierungen überladene Schrift
des Kontextes, der ja vermutlich im Original von Empfängerseite
geschrieben war (s. oben), orientierte sich nur ganz allgemein an
einer Diplomschrift, und die durchgängige Hervorhebung der Satzanfänge
durch Initialen nahm offenbar die Papsturkunde zum Vorbild.
Die sich aus den Schriftmerkmalen hinlänglich ergebende
Nichtoriginalität von A wird bestätigt durch einen Vergleich mit der
“Abschrift” B: Diese steht in vielen Fällen den Vorurkunden näher und
bietet zugleich gegenüber A häufig die besseren Lesungen, vgl.
insbesondere Anm. u, v, o’, r”, al, an, ap, bi, dt, ed, ek; zu den
richtigen Schreibungen für
Ceresaria in B vgl. Anm. q’ mit Verweisen. Andererseits weisen aber A und B von
den Vorurkunden abweichende Gemeinsamkeiten auf, die nur durch
einheitliche Genese erklärbar sind, vgl. z.B. Anm. au, bl (durch die
NU. bestätigt), da–dc und ec (ebenso in NU.). Die nächstliegende
Erklärung dürfte sein, dass B als Vorlage gar nicht A, sondern den
offenbar im 15. Jh. noch vorhandenen Entwurf für das Falsum verwendete
und diesen besser als das fehlerhafte A kopierte; die Richtigkeit
dieser Annahme ergibt sich mit Gewissheit aus der gemeinsamen
fehlerhaften Doppelung von Anm. ci (gilt auch für das sinnlose, in NU.
weggelassene
iuribus et von Anm. dc).
Vielleicht wurde dieser Entwurf auch bei der Herstellung des
DLo.III.100 von 1136 (B.-Petke
Reg. 521 = NU.) zugrunde gelegt, wodurch sich am einfachsten die
auffällige Übereinstimmung zwischen B und NU. bei Anm. cx erklären
ließe (vgl. auch Anm. bf und bx). Dem Schreiber von A ist schließlich
die dortige, textlich durch B sowie die Vor- und Nachurkunden gedeckte
Auslassung von Anm. cw anzulasten. Übrigens hat vermutlich erst der
Kopist in B zwei selbständige Emendationen vorgenommen (vgl. Anm. h’
und ao). Zur Ermittlung des ursprünglichen Textumfangs des verlorenen
Originals ist von vorneherein der in NU. fehlende, hier gleich nach
der Petitio eingefügte große Passus ab
Vidit etiam nostra imperialis maiestas (Z. ■ff.) als Interpolation auszuscheiden, der je eine Urkunde B.
Rothers (= VU.III; s. Anm. 1) und B. Azilins von Treviso (s. Anm. 3)
über deren
refutatio der Zehnten und der mit diesen zusammenhängenden
observationes zu
Ceresaria und
Pladanum sowie deren von Heinrich als Kaiser erzwungene Anerkennung durch B.
Gumpold referiert, vgl. dazu D.*166. – Mit diesem Einschub hängen
andere, von uns als Interpolation gekennzeichnete Eingriffe im übrigen
Kontext zusammen, die Erweiterung des
regali iudicio durch
et imperiali in Z. ■ und ■ (in Z. ■ blieb, wahrscheinlich wegen der Verwendung des
Begriffs
imperio, das
regali imperio ohne Erweiterung), ebenso in der Bestätigungsformel die auf die
Bischofsurkunden bezüglichen Erweiterungen
et episcopis und
et refutatum von Z. ■.
Der zweifellos den Kern des verlorenen Originals darstellende, sich
gleichfalls hauptsächlich mit den genannten beiden Orten befassende,
verbleibende Kontext steht sachlich und formulierungsmäßig in einer
langen Reihe einander weitgehend ausschreibender älterer Diplome, von
denen unser D. die im Vergleich zu den (ab DLo.III.100 [s. Anm. g’]
fehlenden) Listen der anderen Diplome umfänglichste Auflistung bietet,
die jedoch ihrerseits unvollständig und nicht fehlerfrei (s. Anm. g’)
ist: Es fehlen von den erhaltenen, durchwegs nur kopial überlieferten
Diplomen die Nennung des DLo.I.39 von 839, des DKa.III.183 von 883
(beide werden auch in keinem anderen jüngeren D. erwähnt) und des
DKo.II.46 von 1025 (vgl. aber Anm. g’); umgekehrt sind Herrscher
genannt, von deren Diplomen sich keine Spur erhalten hat, nämlich je
ein D. Ottos I. (s. Lanfranchi-Strina
a.a.O. 127 not. XXII) und Ottos III. (s. a.a.O. not. XXIII; drei
Ottonendiplome, von denen nur DO.II.240 von 981 erhalten ist, nennen
auch DDH.II.185, Ko.II.46 u. H.IV.417) sowie Heinrichs III. (s. a.a.O.
not. XXVIII) – die Erwähnung eines D. Heinrichs I. ist natürlich irrtümlich (s. a.a.O. not. XXI; vgl. Anm. f’ und g’).
Das Deperditum Karls d. Gr. (Lechner, Verlorene Urk. no
224) ist, ausgenommen DLo.I.39 und DH.IV.417, in allen Diplomen seit
DKa.III.183 erwähnt; eine Interpolation in DKo.II.46 (S. 52 Z. 39)
unterstellt sogar zwei Karls-Deperdita.
Unangefochten sind von den erhaltenen Diplomen bisher nur das
DO.II.240 und das DH.II.185, während der Text des DKo.II.46 durch
zahlreiche späte Interpolationen verfälscht ist. Brühl
in AfD 3,1ff. suchte die Echtheit des nach ihm lediglich durch eine
nach 981 (= nach DO.II.240) erfolgte Interpolation verfälschten
DKa.III.183 zu erweisen, das Kehr
in der Vorbemerkung (vgl. auch It. pont. 7.2,171) rundweg für ein
Spurium erklärt hatte, zugleich die des DO.II.240 zu bekräftigen, und
meinte auch (a.a.O. 4, mit fälschlicher Behauptung einer Erwähnung in
DLo.I.39; in Aus Mittelalter u. Diplomatik 805 stillschweigend
zurückgenommen), dass “die Existenz eines Deperditums Karls d. Gr.
nicht mehr bezweifelt werden” sollte; im übrigen habe [scil. allein]
der Bischof von Treviso mit handfesten Fälschungen gearbeitet, während
er (a.a.O. Anm. 15) die Möglichkeit, dass auch das Kloster S. Ilario
sich gefälschter Urkunden bedient habe, als bloße Vermutung Kehrs abtut – obwohl schon bisher zumindest Interpolationen in den
Diplomen Karls III., Konrads II. (s. oben) und Heinrichs IV.
unstreitig waren; jetzt tritt noch D.†61 hinzu!
Später hat Schieffer
a.a.O. 138ff. das DLo.I.39, das von Cessi
in Atti e Memorie N.S. 36,133ff. als Flälschung deklariert worden
war, als echt zu erweisen unternommen, allerdings wieder mit einer
frühestens Ende des 12. Jh. interpolierten Grenzbeschreibung (S. 120
Z. 36–41; vgl. unten Z. ■ff.), zugleich aber auch Brühls Rettungsversuch des DKa.III.183 (aufgegriffen bei B.-Zielinski
Reg. 706) in Frage gestellt, ebenso die Existenz eines D. Karls d.
Gr. über eine bedeutende Schenkung an die Hilariuskapelle, an der erst
fünf Jahre nach seinem Tod durch Transferierung im Jahre 819 (Gloria
a.a.O. 1,6 no
5) ein Kloster gegründet wurde, außerdem auf (in D.†61
weiterbestehende) Ungereimtheiten in DDH.II.185 u. Ko.II.46 aufmerksam
gemacht.
In einer nochmaligen Untersuchung der Diplome für S. Ilario
konzedierte Brühl, Aus Mittelalter u. Diplomatik 2,806, 807 u. 809 wenigstens die
Wahrscheinlichkeit weiterer Interpolationen des 11.–12. Jh. in
DKa.III.183 (a.a.O. 810 wird aus der sonstigen Sigle DK.III.183 sogar
“unser DK.III.†183”!), namentlich (a.a.O. 809) im Hinblick auf die
“Spitze gegen Treviso bezüglich der Zehnten von
Bladinum und
Ceresaria”, hält aber (a.a.O. 805f.) an der Existenz des Deperditums Karls d.
Gr. fest und möchte in der Erwähnung des (vermeintlich) sonst nicht
bezeugten Bischofs
Landolus von Treviso als Karls Tauschpartner sogar ein Echtheitskriterium
erblicken; dieses Argument scheint jedoch zu versagen, da nach den
neuesten, leider nicht durch Quellen belegten Feststellungen bei Tramontin
in Storia di Treviso 2,362 B. Landolo in den Jahren 877/878 belegt
und wahrscheinlich 883 gestorben ist, demnach ein Zeitgenosse Karls
III. gewesen wäre!
Übrigens erscheint die Existenz eines Diploms für S. Ilario auf den
Namen Heinrichs III., wie sie auch in dem von Interpolationen nicht
freien (s.oben) DH.IV.417 (S. 556 Z. 25) unterstellt wird, höchst
zweifelhaft: Die Art der Nennung Heinrichs III. in DH.IV.417 durch
bloßes
tertii Heinrici regis, ohne die Verwendung des Zusatzes
patris oder
genitoris nostri (vgl. z.B. die zeitlich nahestehenden DDH.IV.358, 408, 411 u.ö.; ganz
zu schweigen von Nennungen in den Seelgerätformeln von DD.379–385,
400, 426 u.ö.), wäre ganz ungewöhnlich, ja letztlich kanzleiwidrig. –
Es wäre zwar immerhin denkbar, dass die Erwirkung des DH.III.201 von
1047 Mai 8 durch den Bischof von Treviso, dem damit in der Fassung
D.201b – über die Erstausfertigung D.201a hinausgehend – nicht nur die
beiden Zehnten, sondern sogar der Besitz der
abbatia sancti Hilaris (beides auf eine Interpolation in DH.II.†313b von 1014 zurückgehend;
vgl. weiter unten) bestätigt wird, die Reaktion dargestellt hätte auf
ein zuvor von Heinrich III. als König (als solcher hat Heinrich in
Italien nur DD.176/177 von 1046 Nov./Dez. ausgestellt, ab D.178 von
1047 Jan.1 urkundete er als Kaiser) zugunsten von S. Ilario
ausgestelltes Diplom.
Hätte jedoch S. Ilario über ein dem Trevisaner D.201b
entgegenstehendes Diplom Heinrichs III. verfügt, wäre nicht
einzusehen, warum man sich bei der Abwehr der Trevisaner Ansprüche
nicht seiner bediente, sondern dass VU.III von 1052 zufolge für das
Einlenken des Bischofs von Treviso offenbar ein Mandat Heinrichs III.
an diesen erforderlich war; im Sinne von Mandat muss nämlich wohl das
accepto imperiali precepto in VU.III verstanden werden, und auf ein solches (kaum auf ein
Placitum, erst recht nicht auf ein Diplom) ist vermutlich auch zu
beziehen, wenn es dort vorangehend heißt:
Verum quia de hoc querimonia ad aures cesaree maestatis … facta est …
et res bene ventilata a piissimo Hinrico augusto …
Nachdem ein Deperditum Heinrichs III. als Vorurkunde unseres D.
ausscheidet, wurde als solche aber nicht das (in der Aufzählung
unseres D. wohl nur versehentlich fehlende, s. Anm. g’) letzte der
vorangehenden Diplome, das durch Interpolationen verunstaltete
DKo.II.46 von 1025 (= VU.IV), herangezogen, sondern dessen durch
Umstellungen und Auslassungen veränderte Vorurkunde, das DH.II.185 von
1008 (= VU.II). – Das DKo.II.46, in dem u.a. vor allem die hiesigen,
aus VU.II (S. 220 Z. 22–24 und Z. 26–29) übernommenen Passagen
omnibus olim … predicta decima (S. ■ Z. ■) und
Hęc omnia … pertinentibus (S. ■ Z. ■) ausgelassen sind, wurde aber offenbar gelegentlich
zusätzlich zu VU.II herangezogen; darauf sind zwar kaum einige minimale mit VU.IV
übereinstimmende Varianten unseres D. (vgl. Anm. cp und cu)
zurückzuführen, wohl aber der wörtlich aus D.†61 in die NU. (S. 161
Z. 29) übergegangene Passus über die Kirche S. Maria di Peraga (S. ■
Z. ■, mit Randziffer IV), der in VU.II fehlt; dessen sachliche
Entsprechung in VU.IV (s. Anm. cx) steht in deren Druck zwar in einem
als Interpolation gekennzeichneten Abschnitt (S. 53 Z. 14–17), doch
ist in der Vorbemerkung die Vermutung geäußert, dass die Kirche im
verlorenen echten Original des DKo.II.46 genannt war. Varianten aus
VU.IV werden im Apparat nur in geringem Umfang zitiert.
Für die Publikatio verwendete unser D. nicht VU.II, sondern das, im
übrigen außerhalb der auf die beiden strittigen Zehntorte bezüglichen
Vorurkunden-Serie stehende DH.IV.417 von 1091 (= VU.I), mit dem D.†61
auch die Auslassung der mit Ausnahme des DLo.I.39 allen älteren
Diplomen gemeinsamen Arenga (Si ecclesiarum opes; s. Hausmann-Gawlik
no
2604) und des in diesen die sonst weitgehend identische Publikatio an
die Arenga anknüpfenden
Igitur gemeinsam hat. Den Grund dafür kann man vielleicht darin suchen, dass
die Publikatio des DH.IV.417 völlig unverändert, einschließlich des
Namens des Abtes
Petrvs, beibehalten werden konnte, was zugleich den Schluss erlaubt, dass der
1091 genannte Abt mit dem Impetranten des D.†61, der nach D.*156 auch
noch in den Jahren 1116/17 amtierte, identisch ist. VU.I dürfte
geringfügig noch an zwei weiteren Stellen im Eingangsteil unseres D.
benützt worden sein (Z. ■ u. ■).
Dass die Fälschung nur dem Zweck der Einfügung der großen
Interpolation von Z. ■ff. (s. oben) gedient haben sollte, scheint
zunächst sehr unwahrscheinlich. Andererseits ist aber kaum zu
entscheiden, ob die – nicht sehr zahlreichen – Abweichungen von VU.II
im übrigen Text schon, als lediglich redaktionelle Änderungen, im
verlorenen Original von D.†61 enthalten waren oder erst auf den
Fälscher zurückgehen, wobei allerdings fast nirgendwo eine klare
Fälschungsintention erkennbar wäre. Allenfalls könnte eine solche für
den Passus von Anm. ab mit Nennung des
portus vermutet werden, der in der NU. fehlt und erst in deren fast
wörtlicher Wiederholung durch das D. Heinrichs VI. von 1196 Aug. 23
(B.-Baaken
Reg. 542; Lanfranchi-Strina
a.a.O. 105 no
36) begegnet (s.a. Anm. br). Selbst in diesem Fall lässt sich nicht
mit Sicherheit behaupten, dass der Passus im ursprünglichen Text von
D.†61 fehlte, da die NU., der unser D. zweifellos noch in originaler
Gestalt vorgelegen hatte, dessen Text, von Umstellungen und
Umformulierungen abgesehen, durch zahlreiche Auslassungen um etwa ein
Drittel verkürzt hatte, so dass auch der fragliche Passus den
Auslassungen zum Opfer gefallen gewesen sein könnte. – Falls der
Passus nicht ursprünglich war, ist er jedenfalls nicht aus dem D.
Heinrichs VI. entnommen, sondern dieses ist umgekehrt zweifellos von
unserem Falsum abhängig, das mit Sicherheit im Jahre 1191 schon in der
jetzigen Gestalt existierte.
Die Schriftmerkmale von A erlauben zwar keine genauere Datierung als
ins 12. Jh., doch gibt es andere Anhaltspunkte, die für Entstehung
noch in der 1. Hälfte des 12. Jh. sprechen: Nachdem das Lothar-Diplom
von 1136 (NU.) sicherlich den Terminus post quem markiert, bildet den
Terminus ad quem offensichtlich eine Urkunde des Kardinallegaten Goyzo
von 1143 Aug. 31 (Lanfranchi-Strina
a.a.O. 74 no
22; It. pont. 7.2,173 no
1), die den Streit um die Zehnten endgültig zugunsten S. Ilarios
entschied; die Urkunde, die vom Zehnt von
quattuor ville spricht, nennt neben
Cesaresarea und
Platano noch
Plunica (so It. pont.; Lanfranchi-Strina:
Pluvica; Pionca com. Vigonza) sowie
Aurelia und
de portu Orlaci (fraglich, ob beides, wie im Register von Lanfranchi-Strina
S. 162 geschehen, auf Oriago com. Mira zu beziehen; vgl. dazu
Vorbemerkung zu D.*156). Nach Erhalt der Urkunde von 1143 gab es für
S. Ilario keinen Anlass mehr für die Anfertigung unserer Fälschung,
die demnach in dem engen Zeitraum 1136–1143 und evtl. sogar zur
Erwirkung der Entscheidung von 1143 entstanden wäre.
Ob das DF.I.89 von 1154 Nov. 23, mit dem Barbarossa dem Bischof von
Treviso nochmals
monasterium Crispulinum [Crespignaga prov. Treviso] seu abbaciam sancti Hylaris[!], Bladinum quoque et Ceresariam cum omni ecclesiastico districtu et
decimacionibus bestätigte, noch irgend etwas in dem langwierigen Zehntstreit mit S.
Ilario zu bewirken vermochte, muss man wohl bezweifeln; der Passus
innerhalb Barbarossas stereotyper Wiederholung älterer Trevisaner
Diplome (DH.III.201b von 1047, DDH.IV.174 u. 231 von 1065 bzw. 1070,
DKo.III.67 von 1142) hatte noch in dem echten DH.II.313a von 1014
gefehlt und war erst in das zu diesem Zweck, wohl kurz vor 1047 und
zur Erlangung des DH.III.201b (vgl. dortige Vorbemerkung), auf der
Grundlage des DH.II.313a gefälschte DH.II.†313b interpoliert worden
(vgl. weiter oben), mit dem bis zum D. Barbarossas beibehaltenen
verfänglichen
seu-Anschluß an den alten Besitz
Crispulinum (s. DO.III.225 von 996):
seu abbatiam sancti Hilaris cum aecclesiastico districtu necnon et
decimas de Bladino et Ceresaria.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass das Falsum als Folge seiner vom
Fälscher nicht bewältigten Zusammensetzung aus heterogenen Vorlagen
zwei unterschiedliche Bezeichnungen für den Empfänger verwendet: In
den von VU.II abhängigen Partien ist immer der Plural
ecclesie Hilarii et Benedicti verwendet, der in allen Vorurkunden seit dem DKa.III.183 gebraucht
ist, ebenso in DH.IV.417 (VU.I), aber auch noch – obwohl inzwischen
obsolet geworden – in DLo.III.100 (NU.). Hauptsächlich in der großen Interpolation von Z. ■ff., aber auch an anderen nicht
VU.-abhängigen Stellen (S. ■ Z. ■ u. ■) ist dies ersetzt durch den
Singular
monasterium/abbas sancti Hilarii u.ä. (vgl. gleich zu Beginn des Einschubs S. ■ Z. ■:
presignati monasterii); der singularische Begriff
abbatia sancti Hilaris taucht erstmals in dem oben erwähnten Trevisaner DH.III.201b von 1047
auf, und offenbar von dort gelangte die Bezeichnung (abbatia/abbas sancti Hylarii) in die Bischofsurkunde von 1052 (VU.III); von
abbas sancti Yllarii sprechen dann auch die Urkunde des Kard.-Legaten Goyzo und das
Privileg P. Alexanders III. (s. oben); und schließlich ersetzt das
sonst von DLo.III.100 abhängige D. Heinrichs VI von 1196, unter
Beibehaltung des Doppelpatroziniums des Lothardiploms, überall das
dortige
ecclesie durch
monasterium.
Auf die Tatsache der aus dem alten Doppelpatrozinium sich ergebenden
Existenz zweier
verschiedener Kirchen hat, soweit wir sehen, als einziger Marzemin
in Nuovo Arch. Veneto N.S. 23,101f., 146f. und 151 aufmerksam gemacht
(Lanfranchi-Strina
a.a.O. IXf. mit Anm. 2/Schluss, die lediglich die Redeweise von “due
distinte chiese” seit DKa.III.183 erwähnen, gehen darauf nicht weiter
ein), allerdings mit zwei u.E. falschen Schlüssen: Daraus, dass das
DLo.I.39 von 839 von einem
monasterium in honore sancti Ylarii spricht, folgert er, dass die das Doppelpatrozinium begründende
(spurlos verschwundene) Benedikt-Kirche erst zwischen 839 und 883 (=
DKa.III.183) erbaut worden sein könne; uns scheint die Verwendung der
sonst erst seit dem 11. Jh. belegten alleinigen Benennung nach dem hl.
Hilarius viel eher für eine Interpolation der Stelle in dem D. Lothars
I. zu sprechen, was übrigens auch für die einmalige Verwendung des
Begriffs
monasterium in DH.IV.417 (S. 556 Z.9) gelten dürfte. Und indem Marzemin
(a.a.O. 151) fälschlich erklärt, D.†61 verwende letztmals den Plural
ecclesie, während das DLo.III.100 das erste Dokument mit dem Singular
ecclesia darstelle, wobei er die älteren Belege ganz ignoriert, kommt er
aufgrund der Daten von D.†61 und DLo.III.100 zu dem Schluss, die
beiden älteren Kirchen seien durch einen Kirchenneubau (“l’unica
grande basilica”) aus den Jahren zwischen 1110 und 1136 ersetzt
worden.
Äußerst fehlerhaft sind die Zahlenangaben innerhalb der Datumzeile,
deren Formulierung (fast) vollkommen dem Diktat des Notars Adalbert A
entspricht (vgl. die zeitlich benachbarten DD.54, †57, 62 u. 71; alle
mit hier fehlendem
est nach
actum; zur Apprekatio vgl. Anm. ey), einschließlich der für ihn typischen
falschen Berechnung der Jahreskennzahlen (vgl. Vorbemerkung zu DD.50
u. 62). – Doch enthält die Datierung unseres D. zusätzliche
individuelle Fehler, die nicht mit letzter Sicherheit behoben werden
können. In der überlieferten Fassung, an deren traditioneller
Auflösung mit 1110 Dez. 27 die Literatur bisher einhellig keinen
Anstoß nahm – obwohl sie aufgrund des in der Reichskanzlei gültigen
Nativitätsstils eigentlich mit 1109 Dez. 27 aufgelöst werden müsste –,
scheitert die Datierung am Itinerar (vgl. dazu Thiel, Beitr.):
Nach mehreren übereinstimmenden chronikalischen Nachrichten (vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 6,134 Anm. 45) beging Heinrich das Weihnachtsfest des Jahres
1110 in Florenz; selbst für den ganz unwahrscheinlichen Fall, dass der
Hof schon am 25. Dezember aus Florenz abgezogen wäre, hätte man am 27.
Dezember keinesfalls in dem ca. 60 km entfernten Arezzo sein und gar
am selben Tag dort noch urkunden können; dies gilt auch, wenn
Heinrich, wie Davidsohn
a.a.O. 1,365 annimmt, “vielleicht zunächst nur von einem Theil der
Reiterei begleitet” aufgebrochen wäre, insbesondere bei einem von ihm
angenommenen Zeitpunkt des Aufbruchs “spätestens am Morgen des 26.”
(seine These ist wohl auch dafür verantwortlich, dass er D.†61 “vor”
Arezzo ausgestellt sein lässt). Da nach dem Bericht Ekkehards (ed. Schmale-Ott, Anonyme Kaiserchronik III 256 Z. 4 und rec. III 300 Z. 25ff.) zudem
die Weihnachtsfeier mit außergewöhnlich großer Prachtentfaltung (
nunquam viso decore et honore) verbunden war, wird man davon ausgehen müssen, daß der Hof sich noch
einige Zeit in Florenz aufgehalten hat, ehe er nach Arezzo weiterzog,
wo er durch D.62 am 19. Januar nachgewiesen ist.
Am einfachsten ist das Problem des Inkarnationsjahres (s. Anm. ev) zu
lösen; da es in Verbindung mit dem überlieferten Tagesdatum ohnedies
schon hätte
millesimo CXI hätte lauten müssen (s. oben), handelt es sich bei der Lesung
X statt
XI sicher um einen bloßen Schreibfehler, der entweder dem Fälscher
anzulasten ist, der die
I übersehen hätte, oder auch schon auf das echte Original zurückging (zu
ähnlichen Fehlern vgl. z.B. DD.†39, †40 u. 75).
Größere Schwierigkeiten bereitet jedoch das Tagesdatum, in dem
jedenfalls der Monatsname falsch ist, verursacht durch den nicht
seltenen Fehler, dass man in Verbindung mit der Kalendenangabe
versehentlich den Namen des laufenden Monats Januar statt desjenigen
des folgenden Monats Februar einsetzte. – Eine einfache Umdatierung
auf 1111 Januar 27 stößt aber ihrerseits auf Schwierigkeiten, weil der
Hof sich damals, in den letzten Januartagen, vermutlich schon in dem
ca. 80 km s. Arezzo gelegenen, also rund vier Tagereisen entfernten
Acquapendente aufhielt (vgl. D.*63); aber auch dafür könnte der – für
das nichtoriginale A freilich höchst erstaunliche – Befund eine Lösung
bieten, dass der Name des Handlungsortes
Aricii auf deutlicher Rasur steht (s. Anm. ex); sollte der Fälscher damit das
Aussehen des verlorenen Originals haben nachahmen wollen, würde dies
bedeuten, dass der Hof zum Zeitpunkt der Beurkundung Arezzo schon
verlassen hatte und der Handlungsort (von anderer Hand?) in einer
Lücke nachgetragen oder, falls der Fälscher auch mit dem Faktum der Rasur
das Original nachahmte, versehentlich zunächst der Name des zwischen
Arezzo und Acquapendente gelegenen unbekannten Beurkundungsortes
eingetragen gewesen und nach dessen Rasur durch
Aricii ersetzt worden wäre. Uns erscheint aber eine andere
Erklärungsmöglichkeit plausibler, dass nämlich auch im Tagesdatum die
Zahl
VI für
XVI verschrieben war und das richtige Datum mit 1111 Januar 17 aufzulösen
wäre, womit D.†61 in enge zeitliche Nähe zu dem gleichfalls in Arezzo
ausgestellten D.62 vom 19. Januar gehören würde. Diese Korrektur
findet ihre Stütze in zwei (jeweils falschen) Jahreskennzahlen der
beiden Stücke: Mit D.62 hat D.†61 einerseits gegenüber den DD.50, 54
u. †57 aus dem Herbst 1110 die Erhöhung der Zahl für das
Regierungsjahr von
IIII auf
V (diese in D.62 jedenfalls um 1 Einheit zu niedrig, s. Anm. 7)
gemeinsam; andererseits steht hier noch die in den genannten Diplomen
des Jahres 1110 verwendete Zahl
X (statt richtig
XII) für das Ordinationsjahr (s. Anm. 8), die ab D.62 konstant auf
XI (statt
XIII) erhöht ist.
Wertet man dies als Indiz dafür, dass D.†61, mit einem demnach auch
früheren Tagesdatum (17. Jan.), vor
D.62 vom 19. Januar gehört, kann man für die dafür erforderliche
Annahme, dass bei zwei am gleichen Ort ausgestellten Diplomen in dem
zweiten eine Zahlenkorrektur vorgenommen wurde, auf eine wenig jüngere
Parallele dazu verweisen, nämlich die – sogar an ein und demselben Tag
– in Verona ausgestellten DD.74–77 von 1111 Mai 19 (DD.74/75 mit der
früheren falschen Indiktionszahl
III, DD.76/77 mit der auch danach beibehaltenen richtigen Zahl
IIII). Bei einem Tagesdatum des 27. Januar für D.†61 hätte man statt der
zuvor am 19. Januar schon auf
XI erhöhten Zahl nochmals auf die ältere Zahl
X zurückgegriffen, wogegen jede Wahrscheinlichkeit spricht. – Mit
absoluter Gewissheit ist die Frage des Tagesdatums nicht zu klären;
sicher erscheint nur, dass D.†61 in die zweite Januarhälfte des Jahres
1111 gehört.
Zur Geschichte des ehedem auf dem venezianischen Festland südwestlich
von Mestre (genauer: s. Oriago und sö. Mira) gelegenen Klosters
(DH.IV.417:
in loco qui dicitur Viculus territorio Riuolensi) vgl. u.a. It. pont. 7.2,170ff (mit Auflistung der Diplome für das
Kloster) und Lanfranchi-Strina
a.a.O. VIIff., ebenda XXXIIIff. zur Lage der abgegangenen Orte
Ceresaria und
Pladanum (s.a. Marzemin
a.a.O. 101 Anm. 1 sowie Kehr
in Vorbemerkung zu DH.III.201 und B.-Zielinski
Reg. 706); die Variante unseres D. gegenüber VU.II (s. Anm. bq) in
der durch topographische Veränderungen im Deltagebiet der Brenta (vgl.
Lit.-Hinweise bei B.-Petke
Reg. 521) obsoleten Grenzbeschreibung von Z. ■f. verlegt
Pladanum an die damalige Lagune (aque salse); zur Lokalisierung des dem Kloster benachbarten
portus vgl. Vorbemerkung zu D.*156.