Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<*320.>>

Heinrich bestätigt dem Kloster Murbach den Besitzstand.

(1106–1111).

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Stumpf Reg. –.

Die Nachricht über das Deperditum enthielt ein verlorener Wandteppich der Murbacher Klosterkirche aus der 1. Hälfte des 12. Jh., von dem der Murbacher Mönch Sigismund (Meisterlin) in einem an seinen Abt Bartholomäus (v. Andlau, 1447–76) gerichteten Brief von 1464 Juni 7 eine ausführliche Beschreibung lieferte; vgl. die Edition des Briefes, der einen Anhang zu Sigismunds Verzeichnis der Murbacher Handschriften bildet (Dép.-Archiv Colmar, 9 G cart. 1 p. 101–104), durch Mossmann in Bull. d’Alsace II.2.2,49ff. (mit frz. Übers.) und Kraus, Kunst u. Alterthum in Elsass-Lothr. 2.478ff., ferner deutsche Paraphrase bei Gatrio, Die Abtei Murbach 1,211ff. (ebenda 213 Anm. 7 Text des D.*320).

Nach der Beschreibung handelte es sich um zwei, anscheinend relativ hoch angebrachte (alte suspensa) und damals schon beschädigte Teppiche, auf denen sich eine Reihe von Figurenpaaren befanden, durch deren Darstellung in chronologischer Abfolge die Gründung und die Privilegierungen des Klosters dokumentiert werden sollten (Patres [= Äbte] igitur fundacionis incrementique monasterii tui volentes tradere ordinem recto tramite beneficia privilegiaque tradentes principes ac patres, quorum meritis dabantur, depingendos statuerunt).

Eröffnet wurde der erste Teppich durch die einander zugewandten Gestalten des Gründers, des Herzogsbruders Eberhard (s. unten), und des Klosterpatrons (anschließend an das vorige Zitat: Quorum primus fundator ille inclitus dux[!], stans versus almum loci ipsius … patronum Leodegarium …), worauf dann Darstellungen einzelner Herrscher jeweils zusammen mit dem von ihnen privilegierten Abt folgten, wobei der Herrscher vermutlich ein Schriftband mit einer verkürzten Wiedergabe des Kern- bzw. Teilinhalts (vgl. unten) des von ihm verliehenen Diploms in Händen hielt (Subsecuntur illum reges, imperatores ceterique principes, quilibet manu gestans verba sui privilegii, quo locum dotavit); über den Köpfen der Dargestellten waren deren Namen verzeichnet, worauf die von Meisterlin formulierten Eröffnungen der einzelnen Texte mit “N. dicit abbati N.” basierten (In capitibus vero prefatarum ymaginum nomina ipsa personarum, prout posui, continentur); in Anpassung an den Bildrahmen ist in den Texten, die weitgehend dem Wortlaut der erhaltenen Diplome entsprechen, die direkte Anrede des empfangenden Abtes gewählt.

Die Bildergalerie verzeichnete insgesamt 13 Diplome, von Theuderich IV. für B. Pirmin (s. DMerov. † 188 von [727] Juli 12) bis zu Heinrich V. (Kölzer in Vorbem. zu DMerov. † 188 lässt die Reihe irrtümlich mit Heinrich III. enden), erfasste damit einerseits zwar nicht alle erhaltenen Murbacher Diplome, liefert aber andererseits noch die Kenntnis zweier weiterer Deperdita, eines Karls d. Gr. für Sintpertus episcopus et abbas (B. Sindbert von Regensburg, 768–791; vgl. Lechner, Verl. Urk. no 349 und Heitzler-Wilsdorf in Helvetia sacra 3.1.2,876) und eines Ks. Ottos I. für Landeloh episcopus et abbas (B. von Basel; vgl. Heitzler-Wilsdorf a.a.O. 878). – Außerhalb der Herrscherreihe war am Schluss des 1. Teppichs (in fine prime cortine), dort auch die chronologische Ordnung durchbrechend, da der 2. Teppich mit dem erwähnten Deperditum Ottos I. eröffnet war, eine Urkunde EB. Hugos von Besançon (1031–66) für den Abt Eberhard (mit der libertas consecrandi altaria in ecclesiis, quas habet sanctus Leodegarius in nostra diocesi) verzeichnet, die ebenfalls verloren zu sein scheint (Heitzler-Wilsdorf a.a.O. 879 erwähnen zwei Urkunden Hugos für Eberhard mit anderem Inhalt).

Der Text für Heinrich V. lautet: Hainricus augustus ultimo loco dicit abbati Erlolfo: Omnia loca, que constructo monasterio tuo usibus fratrum antecessores nostri concesserunt, regali auctoritate confirmamus. – Dieser Text entspricht inhaltlich und teilweise wörtlich (oben durch Petitsatz gekennzeichnet) dem vorangehenden für Heinrich III.: Hainricus imperator augustus dicit Wolferado abbati: Omnia loca, que Eberhardus et Luitfridus, tui monasterii constructores, fratrum usibus concesserunt, imperiali auctoritate roboramus. Das DH.III.238 von 1049 Juli 5, auf das sich der Text bezieht, steht nun aber seinerseits am Ende einer Reihe, in dieser Form mit dem DO.II.155 von 977 April 27 einsetzender, einander weitgehend wörtlich ausschreibender Vorurkunden, die wie das DH.III.238 (wie auch schon vorher das DKo.I.17 von 913) jeweils vier Inhalte bestätigen: Besitzstand, Recht der freien Abtwahl, Immunität und Zollfreiheit. So wie sich der Textauszug für das D. Heinrichs III. auf nur einen dieser vier Inhalte beschränkte, ist dies auch bei den Texten für die älteren Diplome der Fall: Bei Otto II. und ebenso bei Konrad II. (s. DKo.II.39 von 1025 Juni 23) beschränkte man sich auf die Immunität, bei Otto III. (s. DO.III.47 von 988 Okt. 12) auf das Wahlrecht und bei Heinrich II. (s. DH.II.497 von 1023 Sept. 25) auf die Zollbefreiung. – Man wird also davon ausgehen müssen, dass das Deperditum Heinrichs V. eine vollinhaltliche Wiederholung des zweifellos als Vorurkunde dienenden DH.III.238 dargestellt hatte (ein D. Heinrichs IV., das auch in den Teppich-Inschriften nicht erwähnt ist, hat wohl nicht existiert).

Die Änderung gegenüber dem Text für Heinrich III. mit dem abl. abs. constructo monasterio tuo ist zweifellos kein Fehler des Kopisten, sondern spiegelt wohl das Deperditum richtig wieder, das demnach auf die Nennung der dortigen Personen verzichtet gehabt hätte (dort sind auch diese das Subjekt des concesserunt, hier antecessores nostri); im übrigen wäre auch diese Formulierung aus dem DH.III.238 übernommen gewesen (S. 317 Z. 10f.: eodem vero monasterio in honore … constructo); und vielleicht hatte Heinrich V. auch auf die Nennung seines Großvaters Heinrich III. verzichtet und sich mit der allgemeinen Nennung der antecessores begnügt, während sich das DH.III.238 auf die auctoritates inmunitatum domni et patris nostri Cǒnradi Romanorum imperatoris augusti cęterorumque precessorum nostrorum berief.

Bei den beiden Personen, die gemeinsam auch in den anderen genannten Diplomen seit dem DO.II.155 erwähnt werden (dort und in den folgenden DD: que vel tempore Eburhardi et Liutfredi usibus eorum concessa sunt, erst DH.III.238 macht daraus; que vel Eberhardus et Livtfridvs, predicti monasterii constructores, usibus eorum concesserunt; von den Teppich-Texten nennt die beiden übrigens sonst keiner; nur im Text zu dem älteren Deperditum Ottos I. [s. oben] ist, wie in den DDKar.17 [Pippin], 64 u. 95 [Karl d. Gr.], einmal von tempore Bernhardi [statt Eberhardi] die Rede), handelt es sich um die Etichonen-Brüder Eberhard, der als der eigentliche Gründer von Murbach gilt, wo er auch nach kinderlosem Tod († 747) beigesetzt wurde, und Liutfrid, Söhne des Elsaß-Herzogs Adalbert, nach dessen Tod († 722/23) Liutfrid das Herzogsamt übernahm (vgl. u.a. Vollmer in Tellenbach [ed.], Studien u. Vorarbeiten 158ff.; Borgolte in ZGO 131, 13f.).

Da die beiden anderen Teppich-Texte, die das Wort auctoritas mit Adjektiv verwenden (außer dem oben mitgeteilten Text für H.III. noch derjenige für Ko.I.), jeweils das zum Rang des Ausstellers passende Adjektiv wählten (Ko.I.: regali auctoritate, entsprechend dem regia auct. des DKo.I.17), darf man aus dem hiesigen regali auctoritate den sicheren Schluss ziehen, dass das Deperditum aus Heinrichs Königszeit stammt; vielleicht gehört es sogar in den Anfang des Jahres 1106, in zeitliche Nähe zu den Ereignissen in dem nur reichlich 10 km nö. Murach gelegenen Ruffach (vgl. Stüllein, Itinerar 19). Dazu könnte auch die Nennung des Abtes Erlolf passen, der zwar als Abt von Murbach erst in Diplomen Heinrichs aus den Jahren 1113 und 1114 genannt wird (s. DD. † 113 u. 116; seit D.136 von 1114 Aug. 30 erscheint er in den Diplomen nur noch mit der Bezeichnung als Abt der ihm zusätzlich verliehenen Abtei Fulda; † 1122 Okt. 11), aber schon im Jahre 1106 das Amt innegehabt haben dürfte, nachdem sein wohl unmittelbarer Vorgänger Samuel (seit 1058 schon Abt von Weißenburg) im Jahre 1097 gestorben war (vgl. Heitzler-Wilsdorf a.a.O. 880, mit Erwähnung des D.*320).

Wenn Gatrio a.a.O. 214f. einen am Seitenrand des 1. Teppichs eingestickten (a latere … concluditur), von Meisterlin vielleicht nicht korrekt wiedergegebenen Vermerk richtig interpretiert, würden die dortigen Namen Ůolrice und Berchtoldus, die Meisterlin auf die artifices beziehen möchte, die Äbte Ulrich († 1075) und Berthold (1123–43) als Auftraggeber der Wandteppiche verraten.

Kein Deperditum Heinrichs V. ergibt sich aus einer bei Schöpflin, Alsatia dipl. 1,297 no 350 gedruckten undatierten Urkunde, mit der fünf elsässische Adlige an Kg. Heinrich (VII.) über ihre in seinem Auftrag durchgeführte Untersuchung gegen die Grafen von Pfirt berichten, die während des im Jahre 1233 beschworenen elsässischen Landfriedens (infra treugas a vobis datas) den Abt von Murbach geschädigt hatten; vgl. Schulte in MIÖG 8,527f. mit Anm. 3, wo er die von Schöpflin auf Heinrich VI. bezogene und zu ca. 1191 datierte Urkunde in die Zeit nach 1233 verweist. – Die Urk.-Aussteller behaupten, vor ihnen sei ein privilegium Karls d. Großen, aus dem ein Auszug mitgeteilt wird, über die Schenkung der vallis sancti Amarini an Murbach verlesen worden, das von zahlreichen Nachfolgern bestätigt worden sei, weshalb der vom Abt von Murbach im Tal von St. Amarin (sw. Murbach und nw. Thann) neu eingerichtete Zoll (von Friedrich II. 1128 Sept. verliehen [B.-Ficker Reg. 1733] und von Heinrich [VII.] am 25. Dez. desselben Jahres bestätigt [a.a.O. Reg. 4123]) zu Recht bestehe. Am Schluss der Urkunde folgt eine Liste: Nomina autem regum et imperatorum, quorum privilegia vel precepta de confirmatione supradicte donationis vidimus, sunt hæc: … , nach der Nennung der 3 Ottonen endend mit Heinricus, Cunradus, Heinricus secundus, Heinricus tertius, Heinricus quartus et Fridericus imperator; von all diesen angeblichen Diplomen hat sich ebenso wenig erhalten wie von dem Karlsdiplom, dessen Echtheit Lechner, Verl. Urk. no 352/Anm.wegen der Fassung des Auszugs als zweifelhaft bezeichnet: vgl. auch Wilsdorf, Hist. des comtes de Ferrette 115ff.