Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<†299.>>

Unecht.

Heinrich befreit aufgrund eines Fürstenspruches die Bauern auf den Besitzungen des Klosters Sonnenburg in der Grafschaft Pustertal, mit Ausnahme der Inhaber von Allodialgütern und der Ahndung der drei Hochgerichtsfälle, von der gräflichen Gerichtsbarkeit.

Brixen, 1120 September 9.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Angebliches Original des 12. Jh. auf südlichem Perg. (ca. 18 b : 23,5/25 h) im Tiroler Landesarchiv zu Innsbruck (A); Rückvermerk des 16. Jh.: littere originales. – Or.-Vidimus des B. Matthäus von Brixen von 1340 Jan. 4 ebenda (dem Or. beiliegend) (B). – Davon notarielles Transsumpt von 1427 Aug. 12, Stift Sonnenburg Urk. no 75 ebenda (C). – Notarielles Transsumpt von 1492 Juni 30 ebenda (dem Or. beiliegend) (D).

Drucke: Aus B: Hormayr, Krit.-dipl. Beytr. z. Gesch. Tirols 1.2,88 no 42 (h). – Aus A nach Roßbichler (u. Hormayr): Sinnacher, Beyträge 2,388 no 82 (s) (mit dt. Übers. a.a.O. 264f.).

Reg.: Stolz, Gesch. d. Landes Tirol 1,149. – Santifaller in Tiroler Heimat N.F. 5,57 no 1. – Ders. in Österr. Urbare III.5.1,XVIII no 4/II. – Böhmer Reg. 2070. – Stumpf Reg. 3166.

Das Original weist, abgesehen von der Verwendung von Elongata für die 1. Zeile und Besiegelung mit einem Kaisersiegel, in seinem äußeren Bild keine Ähnlichkeit mit einer Herrscherurkunde auf. – Um für das erst nach der Beschriftung angebrachte Siegel, welches das ganze untere rechte Viertel des mit je einer waagerechten und senkrechten Falte versehenen Blattes ausfüllt, Platz zu behalten, füllen die letzten 8 der insgesamt 21 Textzeilen nur die vordere Hälfte vor der senkrechten Falte (vgl. Anm. l”).

Der gesamte Text, der dicht am oberen Blattrand einsetzt und am unteren Rand nur ca. 1,5 cm freilässt, ist mit einem auch für das Eschatokoll beibehaltenen gleichmäßigen Zeilenabstand geschrieben; letzteres, in dem die Signumzeile fehlt, ist zudem ganz kanzleiwidrig vom Kontext nicht einmal durch Zeilenneubeginn abgesetzt, sondern die ca. drei Halbzeilen beanspruchende Rekognitionszeile schließt in der 14. Zeile an den Kontext an, ebenso wie an diese die über vier Halbzeilen (17.–21.) füllende Datumzeile.

Das Blatt, das vor allem in der unteren Hälfte und im Bereich der Querfalte (10. u. 11. Zeile) stark geknittert ist, was hauptsächlich wohl durch das Gewicht des für das kleine Blatt zu großen Siegels hervorgerufen wurde, ist überdies am oberen, linken und rechten Rand sowie ab der 9. Zeile im Bereich der senkrechten Falte durch Mäusefraß stark beschädigt; die Textverluste (in eckigen Klammern) konnten mit Hilfe der Kopien und der Drucke (h und s), deren Lesungen mit Ausnahme rein orthographischer Varianten notiert werden, bis auf eine Ausnahme (s. Anm. n’) mit einiger Sicherheit ergänzt werden. Als Falsum erkannten das D. †299 schon Hormayr a.a.O. 90f., der neben “plura menda diplomatica” vor allem auf die “monstrosa … comitum nomina” hinwies, und Sinnacher a.a.O. 265, der pauschal “der Merkmale von Verfälschung so viele” konstatierte und vor allem das falsche Kaiserjahr (bei ihm XIII, s. Anm. k”) und die Bezeichnung des Kanzlers Burchard als Erzkanzler beanstandete. – Während die Entstehung des Falsum, dessen Text übrigens entgegen vereinzelten Behauptungen der Literatur (vgl. Vorbemerkung zu D. †297) nicht auf Rasur steht, durchwegs ins 13. Jh. datiert wird – vgl. Stolz in Schlern-Schriften 40,567f. und Santifaller in Tiroler Heimat a.a.O. 57, in Der Schlern 16,339 und in Österr. Urbare a.a.O. XVIIIf., der fälschlich auch Gleichzeitigkeit mit den Falsa DD. †297 u. †298 annimmt –, verweisen es die gesamten Schriftmerkmale eindeutig ins 12. Jh., wegen der einmaligen Verwendung von i-Strichen bei ii (s. Anm. o) in dessen Ende.

Wenn Stolz und ihm folgend Santifaller a.a.O. XVIII die Nachahmung der Schrift eines Barbarossa-Diploms behaupten, kann dies nur als allenfalls naheliegende (vgl. unten zur Devotionsformel), aber unbewiesene Vermutung gewertet werden, jedenfalls findet sich unter den Faksimilia bei Koch, Schrift d. Reichskanzlei Abb. 38ff. kein auch nur annäherndes Vorbild.

In Wirklichkeit orientierte sich die im Mittelband eher der Buchschrift angeglichene Schrift nur ganz allgemein, vor allem mit dem weiten Zeilenabstand und bei der (ungleichmäßigen) Gestaltung der Oberlängen-Verschleifungen sowie der teilweise grotesken ct- und st-Ligaturen, und insgesamt nur ganz unvollkommen am Vorbilde der Diplomschrift; das dipl. – Kürzungszeichen, in uneinheitlichen Formen, verwendete der Fälscher nur vereinzelt in den ersten fünf Zeilen, in denen schon der sonst verwendete gerade oder gewellte titulus planus überwiegt; neben Unsicherheiten in der Wahl der Buchstabenformen (zu zwei verschiedenen g mit Bevorzugung der gezopften Form vgl. Anm. g und i) und einzelnen diplomfremden Sonderschreibungen (s. Anm. n und q) ist es vor allem das r, das dem Schreiber Schwierigkeiten machte, weil er es vermutlich seinem sonstigen Schreibusus gemäß in der Regel auf die Zeilenbasis setzte und erst nachträglich, aber unvollständig, mit einer gezackten Unterlänge versah.

Von dem plump gefälschten Thronsiegel, das besonders dadurch auffällt, dass der Herrscher abweichend von der Norm den Reichsapfel in der Rechten und das (Lilien-)Szepter in der Linken hält (zu wenigen echten[?] Beispielen dafür aus der frühen Salierzeit vgl. Wibel in NA 36,310), außerdem durch die übergroße, in ihrer linearen Gestaltung mit einem hohem Mittelgiebel an einen “Käfig” erinnernde Krone, lässt sich aufgrund der Legende nur sagen, dass es ein älteres Kaisersiegel nachzuahmen suchte. Im Formular entspricht allenfalls die Korroboratio annähernd einem Diplom. Die Devotionsformel, die in der hiesigen Gestalt von dem wesentlich jüngeren D. †298 nachgeahmt wurde (vgl. dortige Vorbemerkung), ist eine Kombination aus dem diplomgemäßen, in D. †297 aus dessen Vorlage beibehaltenen divina favente clementia und der erst unter Barbarossa auch in Diplome Eingang findenden (vgl. Appelt in DDF.I. Bd. 5,97), früher Briefen und Mandaten vorbehaltenen einfachen Formel dei gratia. – Zu dem einmaligen Konstrukt der Rekognitionszeile ist nur festzustellen, dass dem unbedarften Fälscher irgendwie bekannt gewesen sein muss, dass B. Burchard von Münster von Heinrich auf dem 1. Italienzug als italienischer Kanzler eingesetzt worden war; nachdem Burchard bereits am 19. März 1118 gestorben ist (vgl. Hausmann, Reichskanzlei 58), scheidet natürlich von vorneherein die Möglichkeit aus, dass der Fälscher Burchards Namen aus einem D. Heinrichs V. aus dem Jahre 1120 übernommen hätte; völlig abwegig erscheint auch die Annahme Kohls in Ecclesia Monasteriensis 18, das Falsum könnte eine “echte Vorlage” in Gestalt einer “formlosen Aufzeichnung” benützt haben, mit dem Schluss: “An der Beteiligung Burchards … an dem Rechtsakt ist nicht zu zweifeln”!

Mit Kohls Behauptung einer echten Vorlage, aus der man mit D. †298 nur ein “wirkliches Diplom” konstruiert habe, würde sich die Frage nach dem Ziel des Falsum erledigen. Dies wäre auch der Fall, wenn die Annahme von Stolz und von Santifaller in Österr. Urbare a.a.O. XIX zuträfe, Sonnenburg habe “gewiß” (Stolz) bzw. “vielleicht” (Santifaller) schon seit der Gründung die Immunität besessen (zum Umfang des auf die Niedergerichtsbarkeit beschränkten “Hofgerichts” der Äbtissin vgl. Stolz a.a.O. 566ff., ferner vorher Gasser in Stud. u. Mitt. 9,40, der dieses gleichfalls “seit den ältesten Zeiten” bestehen lässt). Demgegenüber bezeichnet Jenal in La regione Trentino-Alto Adige 1,326f. die Frage über den Anfang des Bestehens der Immunität zu Recht als “offen”.

Das Falsum, mit seiner auffälligen Betonung der tatsächlichen Kompetenzbeschränkung, würde jedenfalls bei von jeher bestehender Immunität keinen Sinn machen; möglicherweise waren es Übergriffe des bischöflichen Grafen als Inhabers der im Falsum ausdrücklich anerkannten Hochgerichtsbarkeit in die zumindest vom Kloster beanspruchte Niedergerichtsbarkeit, welche es, zu Ende des 12. Jh., angezeigt erscheinen ließen, diese in D. †299 erstmals schriftlich festzuhalten. Richtig ist im übrigen zweifellos der von Stolz und Santifaller aus der Tatsache der 1340 erfolgten Vidimierung des D. †299 durch den Bischof von Brixen – seit dem DH.IV.424 von 1091 Sept. 2 im Besitz der Grafschaft im Pustertal – gezogene Schluss, dass dieser damit das Bestehen der Immunität “sicherlich auch gemäß einer schon lange feststehenden Auffassung” (Stolz a.a.O. 568 Anm. 2) anerkannt habe. – Vielleicht ist schließlich auch vom Fälscher absichtsvoll Brixen als Handlungsort gewählt worden, da daraus indirekt auf Zustimmung des sachlich betroffenen dortigen Bischofs geschlossen werden sollte.

[In nomine sanctę et indi]viduę trinitatis. Heinricus divi[na] favente gratia Romanorum imperator augustus. Notum sit omnibus Christi fide[l]ibus futuris atque presentibus, qualiter rusticos in Pustrensi comitatu in predio Sǒ[ne]burgensis ęcclesię habitantes preter eos, qui allodiorum suorum possident proprietates, et eos, qui trium criminum rei, furti videlicet, rapinę, nocturni incendii, accusati vel convicti fuerint, cętros (!) autem universaliter a predictę provincię comitis districtione [v]el placitis principum nostrorum, Sigebotonis, Perhtoldi, Ottonis et Arbonis comitum [aliorumque] plu[rim]orum et illustrium et nobilium virorum iusto iudicio parique consensu remo[vi]m[us] et ex[cl]usimus et ea lege, qua ab antecess[orib]us nostris regibus vel imperatoribus usi sunt, imperial[i] [nost]r[a] potestate libere uti conces[simus], et [frue]nda perpetuanti iure censuimus. Verum ut firmior nostri nostrorumque princip[um] […]e status omni [evo] contra malivolorum [ver]sutias inmutabili et inconvulsa sta[b]ilitate permaneat, hoc privilegium iustę defen[sio]nis indicium conscribere scriptumq[ue si]gilli nostri inpressione mandav[imus] signiri.

Burchard[u]s eg[o M]onaste[riensi]s ęcclesię presul et archica[nce]llarius [no]tarium nostrum hanc kartam c[onscr]ibere [et] signiri fecimus.

Anno vi[delicet dominice] incarnat(ionis) MCXX, indictione [XIII, V.] idus sept., regna[n]te quinto Heinrico imperatore, anno imperii sui IX; actum Brixine; feliciter amen. (SI.F.)