Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<†298.>>

Unecht.

Heinrich bestätigt auf Bitten des Klostergründers Volkold, dass Maßnahmen der Äbtissin des Klosters Sonnenburg, die diese ohne Beratung mit dem Konvent trifft, ungültig sein sollen und dass die Äbtissin gemäß Volkolds Willen sich (zukünftig) in allem nach dem Ratschlag des Konvents richten soll.

Augsburg, 1120 Juli 28.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Angebliches Original des 13. Jh. auf nördl. Perg. (ca. 15 b : 12 h; Plica: 1,7–1,9 cm) im Tiroler Landesarchiv zu Innsbruck (A).

Drucke aus A: Hormayr, Krit.-dipl. Beytr. z. Gesch. Tirols 1.2,90 no 43 = Ders., Gesch. d. gefürsteten Grafsch. Tirol 1.2,66 no 9. – Sinnacher, Beyträge 2,387 no 81 aus A nach Roßbichler (mit dt. Übers. a.a.O. 262f.).

Reg.: Hormayr, Gesch. 1.2,2 no 9. – Santifaller in Österr. Urbare III.5.1,XVII no 4/I. – Böhmer Reg. 2069. – Stumpf Reg. 3165.

Die Echtheit des D. †298 wurde schon von Sinnacher a.a.O. 262f. angezweifelt, der übrigens hinsichtlich der sinnlosen Zahl XVIII für die Kaiserjahre, für die es keine vernünftige Erklärung gibt, darauf hinwies, dass Resch eine Abschrift im Brixener Archiv mit der Jahreszahl 1020 statt 1120 gekannt habe, wozu das 18. Königsjahr Heinrichs II. passe, ohne jedoch – wohl angesichts der Jahreszahl des Originals – das Falsum direkt Heinrich II. zuzusprechen.

Wie bei D. †297 steht der Text des Falsum auf einem Perg.-Blatt, dessen ursprünglicher Text sorgfältig und restlos getilgt wurde; das Faktum der Rasur verrät sich äußerlich nur dadurch, dass die von der Plica verdeckte untere Fläche sowie die Unterseite der Plica etwas hellere Färbung aufweisen. – An der Niederschrift des knappen Textes waren zwei Hände beteiligt; von der äußerst ungelenken ersten Hand stammen nur die kunstlose und in der Buchstabenhöhe ungleichmäßige Elongata der 1. Zeile sowie in der für die Fortsetzung verwendeten Normalschrift die beiden ersten Wörter der 2. Zeile, wonach sie, noch vor Vollendung der Intitulatio, wohl weil der Auftraggeber mit der Schriftqualität unzufrieden war, von einer anderen geübteren Hand abgelöst wurde (s. Anm. e); diese zweite Hand, die als Kürzungszeichen überwiegend den titulus planus verwendete, bietet dafür einigemale (s. Anm. g, m, o) das dipl. Kürzungszeichen, vielleicht angeregt durch dessen Verwendung beim letzten Wort der Elongata durch den ersten Schreiber (s. Anm. d).

Von D. †297 unterscheidet sich D. †298 grundlegend dadurch, dass sich an der Urkunde ein fast unbeschädigtes, einwandfrei befestigtes und echtes Siegel Heinrichs (VII.) befindet (s. Anm. x und 1; dem echten Siegel entspricht insbesondere das spiegelverkehrte N mit Schrägstrich von links unten nach rechts oben im Namen HENRICVS). Bei dem für das Falsum geopferten Heinricianum, dessen Text sicher anders als der neue Text (s. Anm. w), der auf einen (auch in Heinrichs [VII.] Mandaten üblichen) diplomgemäß vergrößerten Zeilenabstand verzichtete, bis dicht an die Plica gereicht haben wird, könnte es sich bei dem Deperditum angesichts des kleinen Blattformats am ehesten um ein Mandat gehandelt haben, das wegen seiner kurzen Geltungsdauer ja auch leicht zu opfern war. – Von Heinrich (VII.) besaß das Kloster übrigens ein weiteres, nur durch den Druck bei Hormayr, Gesch. 1.2,193 (zu ca. 1225) erhaltenes, nach Zinsmaier in ZGO 100,485 von dem Notar HA verfasstes, in Brixen ausgestelltes Mandat von 1226 April 22 mit Bestätigung eines Urteils des Fürstengerichts (B.-Ficker Reg. 4006; Huillard-Bréholles 2.2,873); vielleicht gehörte das Deperditum in zeitliche Nähe zu diesem, da das Siegel nur in den Jahren 1220–1229 in Gebrauch war (s. Anm. 1).

Mit dem Formular einer Urkunde Heinrichs (VII.), auch demjenigen von B.-Ficker Reg. 4006, hat der neue Text nun wider Erwarten (fast) nichts gemein, vielleicht weil man bei der, mangels der Verwendung einer Ordinalzahl problemlosen, Adaptierung des Siegels für Heinrich V. bewusst eine vermeintlich ältere Textgestalt wählen wollte.

In den formelhaften Teilen ist nämlich eindeutig die rund 50 Jahre ältere Fälschung des D. †299 (= VL.; Übereinstimmungen sind durch Petitsatz gekennzeichnet) zum Vorbild genommen. Für unsere Vermutung, dass es sich bei dem Deperditum um ein Mandat handelte, könnte zusätzlich sprechen, dass man dort offenbar kein Vorbild für die Elongata gefunden hatte, die in Heinrichs (VII.) Kanzlei nur in Privilegien und privilegienähnlichen Urkunden Anwendung fand (vgl. dazu die Bemerkungen zu den einzelnen Urkunden in der Liste bei Philippi, Zur Gesch. d. Reichskanzlei unter den letzten Staufern 90–98) und selbst dort von einzelnen Schreibern weggelassen wurde (vgl. z.B. Zinsmaier a.a.O. 518).

Als Schriftmuster für die Elongata des D. †298 wählte man zwar offensichtlich das D. †297 (vgl. Anm. b); jedoch für die Formulierung des Protokolls, namentlich der Intitulatio mit ihrer Kombination des divina favente mit gratia statt clementia, hatte der erste Schreiber vollständig das D. †299 nachgeahmt; die bemerkenswerterweise erst vom zweiten Schreiber als Beginn seiner Arbeit vorgenommene Erweiterung der noch unvollständigen Intitulatio um et semper wurde als einziges aus dem Deperditum übernommen (möglicherweise mit Rücksicht auf den entsprechenden Wortlaut der Siegellegende).

Durch Zinsimaiers, in unseren Augen sträflich irreführend formulierte Behauptung, in den Privilegien Heinrichs (VII.) kehre “die alte Devotionsformel divina favente clementia (gratia) wieder” (a.a.O. 469), könnte der Eindruck entstehen, dort begegne, in ungefähr ausgewogenem Umfang, neben divina favente clementia als alternative Formulierung divina favente gratia, so dass die entsprechende Formulierung unseres Falsum einer echten Urkunde Heinrichs (VII.), also evtl. dem Deperditum, entnommen gewesen sein könnte. – Eine mühsame Überprüfung von weit über 400 Urkunden Heinrichs (VII.) – kontrolliert wurden die Drucke bei Huillard-Bréholles 2 S. 719–910, 3 S. 307–476 u. 502–504, 4 S. 555–726 u. 950–955, bei Böhmer, Acta imp. no 315–335, bei Winkelmann, Acta 1 no 445–472 und 2 no 63–72 u. 1240 sowie die von Zinsmaier an verschiedenen Stellen gedruckten zusätzlichen Texte – führte jedoch zu einem völlig anderen Ergebnis: Die Kanzleiausfertigungen kennen entweder nur die Devotionsformel dei gratia (wie das erwähnte Sonnenburger Stück B.-Ficker Reg. 4006) oder (in etwa 1/5 der Beispiele) divina favente clementia, – allein in den drei Empfängerausfertigungen B.-Ficker Reg. 3893, 3900 u. 3901 begegnet auch die Formulierung divina favente gratia! – Es wäre doch zuviel des Zufalls, wenn ausgerechnet unser Deperditum, vorausgesetzt es wäre eine Empfängerausfertigung gewesen, die Formulierung divina favente gratia geboten haben sollte.

Keine rechte Entsprechung bei Heinrich (VII.) hat ferner die Formulierung der Korroboratio (vgl. Zinsmaier a.a.O. 471). Ob sich das appensione in dem Deperditum vorgefunden hatte, scheint gleichfalls fraglich: In den äußerst variablen Korroboratio-Formulierungen der von uns kontrollierten Drucke war der Begriff nur in insgesamt 10 Texten anzutreffen (B.-Ficker Reg. 3900, 3905, 3930, 3998, 4073, 4075, 4131, 4191, 4351, 4380, von den beiden letzten abgesehen alle von kanzleifremden Händen; außerdem begegnet die Verwendung von Formen des Verbs appendere in B.-Ficker Reg. 3974 u. 3980); vielleicht beruht die gegenüber der VL. variierte Wortwahl (s. Anm. r) nur auf der Berücksichtigung der tatsächlichen Besiegelungsart.

Die Datumzeile kennt, über die Entlehnungen aus VL. hinaus, erst recht keine Parallele bei Heinrich (VII.), dessen Urkunden für die Tagesangabe nur diejenige nach dem römischen Kalender kennen (vgl. Zinsmaier a.a.O. 472); die hiesige Formulierung mit exeunte erinnert eher an den besonders in Italien verbreiteten Usus der Privaturkunde; aus einer solchen könnte auch die Form der Erwähnung des Kaisertums geschöpft sein: Hätte die dortige Formulierung etwa Heinrico … imperium possidente gelautet, wäre durch deren Anpassung an den kaiserlichen Aussteller des D. †298 am ehesten das für die Datierung einer Kaiserurkunde völlig ausgeschlossene subjektive nobis – auch dessen unpassende Verbindung mit dem Singular possidente – zu erklären. – Übrigens ist allein durch die Erwähnung des imperium die Benützung eines D. Heinrichs V. aus dem Jahre 1120 ausgeschlossen, da der damals tätige Notar Heinrich als zusätzliche Jahreskennzahl nur die Indiktion kannte.

In der vorliegenden Form frei erfunden ist die Zeugenliste: Die beiden ersten Namen sind zwar wiederum wohl aus dem Kontext der VL. geschöpft, doch sind aus den dortigen Grafen hier Herzöge geworden; der relativ seltene vierte Name Ronzo dürfte wohl dem D. †297 entnommen sein (dort Name des Vogtes B. Udalrichs von Trient). Der dritte Name Heimo beruht jedoch ohne Zweifel auf der für D. †297 als VL.II dienenden Gründungsaufzeichnung (Sinnacher a.a.O. 379 no 79) bzw. deren Vorlagen (vgl. dazu Vorbemerkung zu D. †297): In der Notiz über die Gründungsausstattung durch Volkold (a.a.O. 380f.) ist gesagt, dass er diese cum manu advocati sui Heimonis vornahm (Heimo eröffnet auch die zugehörige Zeugenliste), und auch in der Notiz über eine nach dem Tode B. Hartwichs von Brixen († 1039) erfolgte Schenkung Volkolds (a.a.O. 383f.) ist wieder gleichlautend von der Vornahme cum manu advocati sui Heimonis gesprochen. – Zur Bezeichnung Volkolds als levita vgl. Vorbemerkung zu D. †297; ebenda zur Wahl Augsburgs als Ausstellort. Über die Hintergründe des einen Konflikt zwischen Äbtissin und Konvent spiegelnden Falsum ist nichts bekannt; Zweck war jedenfalls, eine Abhängigkeit der geistlichen und weltlichen Verwaltungstätigkeit der Äbtissin vom Konvent – dem durch den Text implicite auch das Wahlrecht attestiert wird – schon in die Anfangszeit des Klosters zu verlegen, die man offensichtlich, wie besonders deutlich das Faktum der angeblichen Petition Volkolds und insgesamt die Herstellung aller drei Sonnenburger Falsa auf seinen Namen (s. dazu D. †297) zeigen, mit Heinrich V. bzw. seiner Zeit in Verbindung brachte. – Falls der Hauptschreiber, dem in dem kurzen Text neben der Notwendigkeit von Korrekturen (s. Anm. k, n) auch Fehler unterliefen (s. Anm. i, l, q, v), zugleich der Verfasser war, verrät er sich als mangelhafter Diktator, sonst hätte er in der Dispositio leicht Ungültigerklärung bisheriger Maßnahmen der Äbtissin und deren künftige Bindung an den Rat des Konvents in einem Satz zusammenfassen können.

In nomine sancte et individue trinitatis. Heinricus divina favente gratia Romanorum imperator et semper augustus. Nos fieri notum cupimus omnibus Christi fidelibus presentibus et futuris, quod Volcholdus levita, venerandus fundator cenobii sanctimonialium in Sunebvrch, estimans fragilitati feminee succurrendum a nobis petiit confirmari, ut, quicquit abbatissa eiusdem loci sine sacerdotum necnon sui conventus consilio attemptaverit, cassum et irritum penitus teneatur, volensque, ut, quorum vocibus unaniminibus eligitur abbatissa, eorundem quod consiliis primum in omnibus salubribus, in temporalibus et in spiritualibus, tamquam in Christo fratribus et sororibus pareatur (!). Cuius desiderio rationabili clementius inclinati nostri sigilli appensione hoc scriptum mandavimus insigniri, presentibus nostris principibus: Sigebotone, Perchtoldo ducibus; Heimone, Ronzone et Hugone ac aliis multis illustribus et nobilibus viris.

Acta sunt hec anno domini incarnat(ionis) MCXX, indictione XIII, iulio IIIIto exeunte, nobis XVIII. anno imperium possidente; dat. Auguste; feliciter amen.

(SP.)