Angebliches Original (ca. 47/49,5 b : 62,5/63 h) des 12. Jh. im
Staatsarchiv zu Ravenna (A); Rückvermerk des 13. Jh.:
Privilegium;
De omnibus ecclesiis ad nos pertinentes[!]; andere Hand:
Privilegium Henrici IIIIti
imperatoris Ro. super bonis monasterii; 15. Jh.:
Primum; prozessuale Präsentationsvermerke von 1401 August 13, 1559 August 7
und 1648 April 22 (die beiden letzten auch auf Abschrift des 17. Jh.
in S. Vitale 721 f. 135v des Staatsarchivs zu Ravenna). – Inseriert
(ohne Datumzeile) in Bestätigung Friedrichs II. von 1226 Mai (B.-Ficker
Reg. 1606), Original ebenda (B).
Druck aus A: Margarini, Bull. Casinense 2,133 no
143 zu 1115. – Druck von B (darin inserierter Text von D. †296 ist
jedoch Wiederholung des A-Druckes): Margarini
a.a.O. 257 no
246 = Huillard-Bréholles
2.1, 566 zu ca. 1115.
Reg. : Rubeus, Hist. Ravennat. 1260; 2320. – Mittarelli, Ad SS Muratorii access. hist. Faventinae 415. – Fantuzzi, Mon. Ravennati 4,500, alle zu 1115. – Ficker
in Wilmans, Add. z. Westf. UB 92 no
116/33. – Indices … Muratorii
87 no
786. – Pappenheim, Pappenheimer Reg. 17 no
360, beide zu 1116. – Curradi
in Storia di Ravenna 3,762 no
29 zu 1115. – Böhmer
Reg. 2059. – STUMPF Reg. 3152, beide zu 1116.
Das Pergament von A ist durch Einrisse an den Faltungslinien und
mehrere Löcher namentlich an den Faltungskreuzen beschädigt sowie ganz
mit Stockflecken übersät; schon die Bestätigung Friedrichs II. von
1226 (B), auf die sich die in eckige Klammern gesetzten Ergänzungen
der Beschädigungen in A stützen, gibt als Begründung für die Bitte des
Klosters um Erneuerung an:
eo quod (privilegium) tam in pagina quam in bulla cerea, qua munitum
extiterat, nimia iam fuerat vetustate consumptum.
Während Hausmann
(Reichskanzlei 67 no
86; zu 1116 Dezember 28, s. auch a.a.O. 81) A als die Nachzeichnung
eines von Notar Adalbert A verfassten und geschriebenen Originals
bezeichnete und die gesamte bisherige Literatur das Stück für echt
ansah (vgl. auch Anm. 1), handelt es sich in Wirklichkeit um eine
Totalfälschung, die auf der Grundlage des verlorenen Originals des
D.137 für Pomposa von 1114 September 13 (= VL.) hergestellt wurde.
Dabei hat der Fälscher einerseits höchst sorgfältig alle äußeren
Merkmale eines von Adalbert A geschriebenen Originals (Chrismon,
Monogramm, Signum speciale, Elongata der 1. Zeile und der
Unterfertigungen), dessen Diplomschrift für den Kontext (u.a. mit dem
typischen gezopften
g, auch in den von der VL. unabhängigen Teilen) und Buchschrift für die
Datierung nachgeahmt. – Insbesondere aber übernahm er das gesamte
Textgerüst von D.137, das er nur unwesentlich kürzte oder
modifizierte, wobei ihm arge Fehler unterliefen (vgl. bes. Anm. d’),
demgegenüber er aber namentlich den Austausch der dortigen gegen eine
zu S. Vitale passende, an einigen Stellen schlecht formulierte
Besitzliste (vgl. z.B. Anm. p’ [wiederholt], n”, p”, s”, ab) vornahm,
die ihrerseits durch die der Vorlage entnommene Pertinenzformel
unterbrochen ist und für deren Gliederung er offensichtlich einige
überleitende Floskeln der Vorlage übernahm.
Die Entlehnungen aus der Vorlage, die unten durch Petitsatz
gekennzeichnet sind, gingen ursprünglich noch weiter: In seiner
Datierung hatte der Fälscher ein von der Vorlage abweichendes
Tagesdatum gewählt (vgl. dazu weiter unten), und weil dieses nach dem
Epochentag des Inkarnationsjahres (25. Dez. gemäß Nativitätsstil) lag,
hatte er dieses zunächst nur rein schematisch um 1 Einheit von 1114
auf 1115 erhöht (s. Anm. au); er war aber augenscheinlich der Meinung
gewesen, trotz der Zeitdifferenz von etwa dreieinhalb Monaten
gegenüber D.137, innerhalb der Datierung die übrigen dortigen
Jahreskennzahlen, aber auch den Handlungsort und schließlich sogar im
Kontext die dort genannten Intervenienten beibehalten zu können. –
Irgendwann muss ihm die Unmöglichkeit dieses Vorgehens aufgegangen
sein, weshalb er in einer anscheinend einheitlichen (vgl. Anm. as)
Manipulation die ihm erforderlich erscheinenden Änderungen vornahm; in
welcher Reihenfolge, ob zuerst bei den Intervenienten und dann in der
Datierung oder umgekehrt, bleibt offen, vielleicht war aber der
Handlungsort das auslösende Moment. Dass im Kontext anstelle der
jetzigen Intervenienten-Namen, die auf einer die zweite Hälfte der 3.
Zeile und die erste Hälfte der 4. Zeile, damit exakt eine ganze Vollzeile
ausfüllenden Rasur stehen (s. Anm. m), ursprünglich diejenigen von
D.137 gestanden haben, ergibt sich unzweifelhaft aus den vorhandenen
Rasurspuren namentlich von Ober- und Unterlängen (s. Anm. n–p und
t–w)! Dazu steht auch nicht in Widerspruch, dass die hier auf Rasur
stehenden Namen nur 151 Buchstaben zählen, während der Paralleltext
von D.137 (S.■ Z. ■ – ■ :
Erlungi – comitis) deren 205 umfasst; die Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass die
Aufrauhung des Pergaments durch die Rasur nur etwas gröbere und damit
mehr Raum beanspruchende Schriftzüge erlaubte (anscheinend ist auch
eine etwas breitere Feder verwendet), sowie dadurch, dass der
Schreiber, ganz entgegen seiner Praxis im übrigen Text, hier
erstaunlicherweise keine einzige Abkürzung verwendete; vergleicht man
z.B. die 5. Zeile unseres D.†296, deren Transskription (ac postea bis
seu etiam = Z. ■ – ■) sogar 218 Buchstaben (nach Abzug der verwendeten Abkürzungen
immer noch 198 ausgeschriebene Buchstaben) umfasst, konnte auch der
fragliche Text aus D.137 auf der Rasurstelle untergebracht werden.
Innerhalb der Datierung lässt sich die Erhöhung der ursprünglichen
Zahlen der Königs- und Kaiserjahre gegenüber der Vorlage um je 1
Einheit (s. Anm. aw und ax) am ehesten durch eine in Unkenntnis der
tatsächlichen Epochentage wiederum ganz schematisch vorgenommene
Angleichung an die Erhöhung des Inkarnationsjahres erklären, würde
demnach in der Vorstellung des Fälschers zum Ende des Jahres 1114
passen, was allerdings nicht für die nur zum Jahresende 1116 passende
Erhöhung der Indiktion um 3 Einheiten (s. Anm. at) zutrifft, die daher
anders erklärt werden muss (s. unten). – Übrigens dürfte die
gleichzeitig mit den anderen Manipulationen vorgenommene nachträgliche
Änderung des Monatsnamens (s. Anm. as) nicht in ursächlichem
Zusammenhang mit diesen stehen, sondern der Fälscher hätte in seiner
hinlänglich dokumentierten Unbedachtheit ursprünglich die Kalenden des
folgenden mit denen des laufenden Monats verwechselt gehabt, so dass
als ursprüngliche Lesung
decembris angenommen werden darf. – Zum Jahre 1116 (Dezember 28) passt nun nicht
nur die (richtige) 10. Indiktion, sondern auch der Handlungsort
Forlimpopoli (vgl. dazu Vorbemerkung zu D.199) und insbesondere die
Intervenientenliste, da zwei der dort genannten Personen (B. Arpo von
Feltre und Markgraf Anselm) auch im fast gleichzeitigen D.198 von 1117
Januar 3 begegnen.
Es liegt daher die Vermutung nahe, dass der Fälscher für diese
konkreten Angaben eine andere, tatsächlich am 28. Dezember 1116
ausgestellte Urkunde zur Verfügung hatte, über deren Charakter sich im
Grunde nur spekulieren lässt: Eine Privaturkunde scheidet aus wegen
der Nennung zweier zur Umgebung des Herrschers zu rechnenden Personen
(Kaplan Arnold und Marschall Konrad); ebenso aber auch ein verlorenes
Diplom Heinrichs V., weil dann sowohl die völlige Anlehnung an die
Pomposaner Vorlage nicht erklärlich als auch die Manipulationen in der
Datierung überflüssig gewesen wären. Die für Diplome nicht übliche,
relativ große Zahl von Intervenienten niedrigeren Standes lässt am
ehesten an ein verlorenes Placitum denken (s. D.198): Dessen Datierung
hätte als zusätzliche Jahreskennzahl wie üblich nur die Indiktion
enthalten; die Personen wären nicht als Intervenienten, sondern als
Gerichtsbeisitzer genannt gewesen, was deren hiesige nominativische
Aufzählung innerhalb der genitivisch formulierten Intervenientenformel
erklären würde.
Übrigens enthielt die Vorlage vermutlich eine umfänglichere
Namenliste, aus der der Fälscher nur den Anfang übernahm und, wegen
der doppelten Kopula
necnon, zuerst in falscher Einschätzung des verfügbaren Raumes mit dem
vorletzten Namen aufhören wollte, jedoch dann, um die Rasurstelle ganz
zu füllen, noch einen Namen anhängte, wobei zu vermuten ist, dass der
Schlussname
Anselmus in der Vorlage noch einen unterscheidenden Beinamen gehabt hatte, der
auf der Rasurstelle nicht mehr unterzubringen war.
Der Inhalt des mutmaßlichen verlorenen Placitums bleibt natürlich
ungewiss; möglich wäre immerhin, dass er sich in dem unorganisch an
die Pertinenzformel angehängten Schlussteil der Dispositio (s. Anm.
s”) verbirgt, wo noch die Vermischung von singularischer (restituo und
concedo) mit pluralischer (nostri) Formulierung auffällt.
Die Schrift lässt sich, da sie ein älteres Vorbild nachzuahmen
trachtet, nur grob in die Mitte des 12. Jh. datieren. Dorthin weist
aber auch der vermutliche Hintergrund der Fälschung, nämlich ein
Streit zwischen Pomposa und S. Vitale
super possessione quadam, quam Pomposianum monasterium nomine fundi
Baurie [s. D.137:
et aliam (curtem), que vocatur Baoria; wohl eher Baura com. Ferrara am Po di Volano als das im Register zu
DDF.I. Bd. 3,382 in Betracht gezogene nordwestl. gelegene Boara] possidebat et quam monasterium sancti Vitalis sub nomine fundi
Scornii [s. unten S. ■ Z. ■] ad se pertinere dicebat.
Dieser Streit war schon seit der Zeit P. Hadrians IV. (1154–59)
anhängig, war in dessen Auftrag zunächst durch ein Urteil des späteren
(im Text von 1177 heißt es:
Alberico nunc
Ariminensi episcopo; statt
episcopo liest Fantuzzi
Ego, sicher Verlesung von
ep̄o) B. Alberich von Rimini (1158–1177) entschieden worden und wurde dann
durch einen 1177 in Venedig von mehreren Kardinälen im Konsistorium in Anwesenheit P. Alexanders III. gefällten Schiedsspruch beigelegt (Fantuzzi
a.a.O. 2,148 no
77 nach Original aus dem Archiv von S. Vitale; vgl. It. pont. 5,81 no
6 mit no
*3 – *5).
Das erste, vor seiner Bischofszeit gefällte Urteil des
Albericus datiert Kehr
(a.a.O. no
*3) mit Rücksicht auf die Amtszeit Hadrians IV. auf 1154–58; die
Datierung ist jedoch wohl auf 1157/58 einzugrenzen, da das Urteil
womöglich dadurch ausgelöst worden war, dass Pomposa Kenntnis erhalten
hatte von dem Privileg P. Hadrians IV. für S. Vitale von 1157 April 5
(JL 10270; It. pont. 5,80 no
2; Margarini
a.a.O. 2,177 no
179), das
curtem sancti Laurentii in Scornio cum omnibus possessionibus suis (vgl. unten Anm. m’ und n’) aufführt, dort mitten in der Besitzliste,
während es in unserem D. bezeichnenderweise die Besitzliste eröffnet.
Pomposa sah sich fraglos dadurch veranlasst, in das von ihm wieder in
Gang gebrachte Verfahren zur Verteidigung seiner Anprüche das D.137
(evtl. auch dessen Vorurkunden) einzubringen, wodurch seinerseits S.
Vitale die für die Herstellung des Falsum D.†296 erforderliche
Kenntnis von dessen Text erhielt. Unsicher bleibt, ob diese
prozessuale Kenntnisnahme ausreichte, um in S. Vitale die einer
Nachzeichnung nahekommende erhaltene Fassung herzustellen, oder ob
dafür nicht die unlautere Kooperation mit einem Konventsangehörigen
Pomposas gebraucht wurde, der dem Fälscher das Original von D.137
zugänglich machte, während S. Vitale als Prozesspartei seitens des
Gerichts doch vermutlich allenfalls eine (beglaubigte) Abschrift
überlassen wurde?!
Die erwähnte Voranstellung des strittigen Besitzes in unserem D.
spricht für Entstehung der Fälschung nach dem Privileg P. Hadrians IV.
von 1157, doch kann eine umgekehrte Reihenfolge nicht ausgeschlossen
werden. Jedenfalls diente das Hadrian-Privileg für die hiesige
Besitzliste nicht als Vorurkunde, da beide in Umfang (jeder Text
bietet im anderen fehlende Objekte), Reihung und Formulierung (vgl.
die Verweise auf das Privileg mit der Kennzahl 1157 im Apparat ab Anm.
m’) differieren. Nicht benützt ist auch das DO.III.308 für S. Vitale
von 999; doch könnte die dortige Nennung des EB. Johann XIII.
(983–998) die Grundlage sein für den Austausch seines Namens gegen den
seines Nachfolgers Friedrich (1001–1004; s. Anm. c’) in der
verunglückten (s. Anm. d’) und letztlich sinnlosen Übernahme des
betreffenden narrativen Passus der Pomposaner Vorlage (vgl. dazu auch
Anm. 1).
Die oben mitgeteilten Rückvermerke belegen, dass unsere Fälschung
wiederholt in Prozessen als Beweismittel eingebracht wurde. – Zur
Identifizierung des
flumen Fantinum mit dem durch Faenza fließenden und n. Ravenna in die Adria mündenden
Lamone vgl. Fabbri
in Storia di Ravenna 3,64 Anm. 121 und Mascanzoni
ebenda 745.