Angebliches Original (ca. 49 b : 71,5 h) aus dem 1. Viertel des 12.
Jh. im Départementalarchiv zu Metz (A), mit beiliegender frz. Übers.
von Ende 16./Anfang 17. Jh. (= wohl Vorlage Valladiers).
Teilfaks. (4 Schriftproben): Gawlik
in DA 37, Taf. I und II.
Drucke: Valladier, L’auguste basilique de l’abbaye royale de sainct Arnoul de Mets 267
in franz. Übers. zu 1115. – (Tabouillot), Hist. de Metz 4,165 aus Or.-Transsumpt Ks. Karls IV. von 1356
Dezember 21. – Champollion Figeac, Doc. hist. inédits 2.2,8 no
5 aus Coll. Dupuy vol. 499 f. 168r–169r der Nationalbibliothek zu
Paris (Abschrift von 1638). – Aus A: Gawlik
a.a.O. 617ff.
Reg.: Ficker
in Wilmans, Add. z. Westf. UB 92 no
116/32. – Ladewig-Müller, Konstanzer Reg. 1,85 no
698. – Wolfram
in Jahrb. f. Lothring. Gesch. 2,161 no
23. – Zoepfl-Volkert, Augsburger Reg. 1,252 no
414. – Stumpf
Reg. 3150.
Durch die Feststellungen Gawliks a.a.O. 605ff., bes. 612ff., die bei Kölzer, Studien 91f., 160f. u. 308 bestätigt sind, ist gesichert, dass D.
†295 eine Fälschung des Abtes Berengoz von St. Maximin darstellt, der
auch, zweifellos durch Investitur Heinrichs V., Abt von St. Arnulf
war. Wann er diesen Abbatiat übernahm, ist nicht zu ermitteln; vgl.
dazu Gawlik
a.a.O. 635f. (zur unsicheren Amtszeit seines Vorgängers Odo ebenda
Anm. 104) und Kölzer
a.a.O. 92 Anm. 341 und 164 Anm. 36. Nachdem durch unser D.
zweifelsfrei feststeht, dass er das Amt im Jahre 1116 innehatte, ist
jedenfalls davon auszugehen, dass er von Heinrich spätestens vor
Beginn des 2. Italienzuges die Investitur erhalten hatte; dafür, dass
er das Amt schon länger innehatte (vgl. dazu noch weiter unten),
spricht auch die Tatsache, dass in dem Mandat Heinrichs an EB. Bruno
von Trier aus dem Jahre 1119 (D.218), jedenfalls in dessen a-Fassung,
von einer erneuerten Investitur Berengoz’ in die Abtei St. Arnulf die
Rede ist (reinvestiri facias; vgl. dazu Gawlik
a.a.O. 636 Anm. 102).
Von der Hand des Fälscherabtes stammt aber, wie Gawlik
a.a.O. 616f. nachweisen konnte (vgl. auch Kölzer
a.a.O. 160 u. 308 und Müller, Am Schnittpunkt von Stadt u. Land 34ff.), auch das von ihm verfasste
und bereits seit langem als Fälschung erkannte Privileg P. Leos IX.
für St. Arnulf von 1049 Oktober 11 (JL †4186; Or. im Dép.-Archiv Metz
Série H 5 no
1; Calmet, Hist. de Lorraine 22,305); von Wolfram
a.a.O. 1,70ff. ist die Fälschung demnach zu früh in die 70er und 80er
Jahre des 11. Jh. datiert. JL †4186 ist seinerseits auf jeden Fall vor
D. †295 entstanden, wie die ausdrückliche Berufung auf Leo IX. für
Pommerieux (s. Anm. w’) beweist, das übrigens in JL †4186 erstmals im
Besitz von St. Arnulf genannt wird (s. Gawlik
a.a.O. 629 no
15). Beide Falsa dürften überdies nicht in einer einzigen Aktion,
sondern in einigem zeitlichen Abstand voneinander entstanden sein, da
D. †295 eine beträchtliche Anzahl von Besitzungen mehr als JL †4186
nennt, wie die nicht in Petit gesetzten Partien zeigen (Objekte von Gawlik
a.a.O. 627ff. no
8, 9, 16–22); ein echtes Deperditum Leos IX. für St. Arnulf hat
vermutlich nicht existiert, sondern, wie die Gemeinsamkeiten zwischen
JL †4186 und dem ebenfalls von Berengoz gefälschten Privileg Leos IX.
von 1051 Januar 16 für St. Maximin (JL †4251; Faks. bei Kölzer
Taf. 37), zeigen, dürften beide unabhängig voneinander auf ein
Authenticum Leos IX. für St. Maximin zurückgehen, vgl. dazu Kölzer
a.a.O. 91f. mit Anm. 334, 336 u. 342, während Müller
a.a.O. 35 Anm. 127 die Möglichkeit einer Originalvorlage nicht
ausschließt.
Den Text von D. †295 hat Berengoz in seiner bekannten Manier aus
insgesamt 12 Vorlagen mosaikartig zusammengesetzt, wovon nur JL †4186
(= VL.IV) dem Fonds von St. Arnulf angehört, während er alle anderen
seinem Maximiner “Dossier” entnahm: VL.I = DH.V.186, II = DH.V. †18,
III = DH.V. †113, V = DO.I. † 442, VI = JL †4251 (s. oben), VII =
DH.II. †502, VIII = DKo.II. †48, IX = DH.V. †88, X = DH.III. †391, XI
= DH.III. †262, XII = DH.V.150 (vgl. die bei Gawlik
a.a.O. 617ff. zum Text von D. †295 gebotenen Parallelstellen, wo
D.150 fehlt, umgekehrt zusätzlich DH.II. †500, DH.III. †372B und
DDH.IV. †159 [s. Anm. h] und †181 angeführt sind).
Ein auf diese geringfügige Fondsvermischung zurückzuführender, bisher
übersehener grober Schnitzer führte nun dazu, dass Berengoz bei der
Aufzählung der für St. Arnulf urkundenden älteren Herrscher statt der
eigentlich einschlägigen, in seinem gefälschten Leo-Privileg für St.
Arnulf, JL †4186 (= VL.IV), gebotenen – und unverändert in dessen
Bestätigung, das echte Privileg P. Calixts II. von 1123 April 2 (Or. Metz H 5 no
3; JL 6963; Druck: Meinert, Papsturkunden in Frankr. N.F. 1,190 no
13) übernommenen – Namenliste (Karolus magnus, Lvdewicus pius, Arnulfus, Ziendiboldus, Otto,
Cuonradus; s. Gawlik
a.a.O. 618f.) fälschlich die Liste seiner Maximiner Fälschung DH.II.
†502 (= VL.VII) übernahm; erklären lässt sich dies wohl nur so, dass
Berengoz bei seiner Mosaik-Komposition nur die jeweiligen Textpassagen
der Vorlagen im Auge hatte und bei dieser entscheidenden Stelle sich
zu vergewissern versäumte, dass deren Vorlage im Protokoll auch den
richtigen Empfänger nannte, wobei als Entschuldigung gelten kann, dass
die beiden Listen bei allen Divergenzen doch teilweise deckungsgleich
waren. Ein Versuch, die Herrschernamen mit erhaltenen Diplomen für St.
Arnulf in Beziehung zu setzen (s. Anm. 1–7), ist demnach in D. †295
letztlich ohne adäquate textliche Basis.
Das Eschatokoll weist einige Besonderheiten auf. Dies gilt zunächst
für die Datierung, die, unter Verwendung dreier Vorlagen formuliert,
in ihrem Aufbau – mit
Data, Tagesdatum, Inkarnationsjahr, Indiktion, Herrscherjahren,
actum mit Ort, Apprekatio – vollständig dem Schema des Abtes Berengoz
entspricht (vgl. Vorbemerkung zu D. †16), wobei aber hier die
fälschliche Verwendung der Zahl der Ordinationsjahre für die
Regierungsjahre aufgegeben ist, offensichtlich unter dem Einfluss von
VL.I, aus der auch die um 1 Einheit zu niedrige, nachgetragene (s.
Anm. at) Zahl
XI übernommen wurde (s. Anm. 15); es verwundert dann um so mehr, dass
Berengoz von dort nicht auch die Zahl der Kaiserjahre übernahm,
vielmehr dafür eine Lücke ließ (s. Anm. au und 16); und noch
erstaunlicher ist, dass er gegenüber VL.I sowohl die Indiktion als
auch sogar das Inkarnationsjahr um 1 Einheit zu niedrig angab (s. Anm.
13 und 14), was nur durch Nachlässigkeit erklärt werden kann, da
Berengoz als Teilnehmer des Italienzuges ja wissen musste, dass
Heinrich im Jahre 1115 noch in Deutschland weilte.
Dies belegt auch die Angabe des exakt in das Itinerar passenden, im
Kernland der mathildischen Besitzungen gelegenen (s. Gawlik
a.a.O. 612) Handlungsortes Savignano sul Panaro (ca. 20 km sö. Modena
in der Nähe von Vignola; vgl. Gawlik
a.a.O. 623 mit Anm. 84f. und 637), den Berengoz zweifellos im Gefolge
Heinrichs selbst kennengelernt hatte. Auf dieser persönlichen Kenntnis
beruht schließlich auch die Möglichkeit, über die aus VL.I
übernommenen, aber sicher auch auf diesen Aufenthalt beziehbaren
Intervenienten hinaus zusätzlich B. Hermann von Augsburg und B. Hugo
von Brixen benennen zu können (beide erwähnt in DD.185 und 202;
Hermann kaum direkt aus VL.IX übernommen). All dies könnte die
Vermutung nahelegen, Berengoz habe über ein zum angegebenen Datum
gehöriges, dem Falsum geopfertes kanzleigemäßes Diplom für St. Arnulf
(oder St. Maximin) verfügt.
Diese Möglichkeit scheitert jedoch am Wortlaut der Rekognitionszeile,
die andernfalls wie in D.186 (VL.I) den deutschen Kanzler Bruno nennen
und auch die dortige – seit D.109 kanzleigemäße – knappe Formulierung
aufweisen müsste; D. †295 nennt jedoch nicht nur den für St. Arnulf
unzuständigen italienischen Kanzler Burchard, sondern die Zeile weist
auch die seit D.155 in den Diplomen für italienische Empfänger
stereotype Formulierung auf, wie sie Berengoz weder in einem für St.
Arnulf noch für einen anderen deutschen Empfänger bestimmten Diplom
hätte antreffen können. – Uns scheint der Verdacht nicht zu gewagt,
dass der Fälscherabt, der wegen seines erweislichen Interesses an der
Herstellung von Urkunden wahrscheinlich auch die Nähe der Kanzlei
suchte, in Italien gelegentlich dem Kanzleinotar über die Schulter
schaute und sich dabei diese Formulierung notierte, die ihm sicher
besser gefiel als die knappe Fassung von D.186; die in D.186 seitens
des Kanzleinotars beachtete Regel, dass sich die Nennung des Kanzlers
an der Nationalität des Empfängers orientierte, war ihm kaum vertraut,
so dass es für ihn fast selbstverständlich gewesen sein wird, den
Namen Burchards zu verwenden, den er schließlich wiederholt in Italien
als Kanzler amtierend erlebt hatte.
Der Zeitpunkt der Fälschung lässt sich nicht genau festlegen. Da,
anders als für D.186, für unser D. nördliches Pergament verwendet ist
(s. Gawlik
a.a.O. 613 Anm. 55), kann D. †295 jedenfalls erst nach der Rückkehr
des Abtes nach Deutschland entstanden sein, also frühestens 1117 oder,
falls Berengoz bis zum Ende des Italienzuges am Hofe blieb, im
Spätsommer des Jahres 1118. Für den späteren Zeitpunkt könnte
sprechen, dass der die im Jahre 1119 betriebene Neuinvestitur
voraussetzende zwischenzeitliche Verlust des Abbatiats (s. oben) durch
eine relativ lange Abwesenheit des Abtes verursacht gewesen sein
mochte (zu anderer Erklärung vgl. unten), wonach sich dann der
früheste Zeitpunkt mindestens ins Jahr 1119 – nach seiner Reinvestitur
– verschieben würde; zugleich hätten wir damit einen Beleg dafür, dass
Heinrichs Intervention von 1119 zum Ziel geführt hat. Den
allerspätesten Zeitpunkt bildet das Privileg P. Calixts II. von 1123
April 2, das auch Gawlik
a.a.O. 636f. als Terminus ad quem wertet (ebenso Kölzer
a.a.O. 92 und 161 mit Datierung auf 1117/18 bis 1123 April 2); da das
Calixt-Privileg den Abt
Antonius als Empfänger nennt, was Gawlik
und Kölzer
nicht vermerkten (von ihnen seine Name vielleicht wegen Meinerts Wiedergabe der Elongata der 1. Zeile durch Kapitälchen schlicht
übersehen), ergibt sich daraus zugleich, dass Berengoz seinen Metzer
Abbatiat nicht bis zu seinem Tode am 23. Sept. 1125 behielt (vgl. Müller
a.a.O. 33 mit Anm. 120), außerdem muss die Fälschung doch wohl einige
Zeit vor dem Calixtinum angesetzt werden.
Zu den Besitzungen und den älteren Belegen für diese vgl. Gawlik
a.a.O. 624ff., der (634f.) zu dem Schluss kommt, dass das
Fälschungsmotiv für D. †295, wie auch für JL †4186, nicht
besitzgeschichtlicher Natur war, sondern in dem aus JL †4186
übernommenen, sachlich unrichtigen Vogteipassus zu vermuten ist, der
in dem Calixt-Privileg wieder fehlt, was eine Entstehung von D. †295
nach 1123 ausschließt; übrigens ist in D. †295 und JL †4186 nicht von
“freier Vogtwahl” die Rede, wie es Gawlik
formuliert. – In diesem Zusammenhang ist schließlich zu fragen, ob
der ja auch in St. Maximin an Vogteifragen höchst interessierte
Berengoz nicht gleichfalls, eventuell schon bald nach seinem (1.)
Amtsantritt, gegen das bis in die Mitte des 12. Jh. bestehende Recht
der Metzer Bischöfe auf Einsetzung der Klostervögte von St. Arnulf (s. Gawlik
a.a.O. 635) opponiert hatte, was dann den Bischof veranlasst haben
könnte, ihn seines Amtes zu entheben.