Im Königsgericht wird Ulrich (II.) von Herrlingen vor Heinrich zur Rückgabe entfremdeter Güter des Klosters St. Georgen verurteilt.
Straßburg, 1124 Dezember 31.
Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010
Stumpf Reg. 3202a.
In den Notitiae fundationis von St. Georgen c. 48 (Abschrift des 17. Jh. mit Korrekturen des Abtes Georg II. Gaisser [† 1655] in Hs. 65/511 p. 27 des Generallandesarchivs zu Karlsruhe; Druck: Bader in ZGO 9,208; Holder-Egger in MGH SS 15.2,1014 = Büttner in ZGO 92,13 Anm. 4; ab Annitente … bei Parlow, Die Zähringer 165 Reg. 242) heißt es:
Anno igitur incarnationis dominicæ MCXXV, indictione 3tia, 2do kalendas ian., domino Heinrico V. Romanorum imperatore natalem domini apud Argentinam celebrante, dominus abbas Wernherus in iudicio regali hanc [s. unten c. 47] iniustitiam proclamavit. Annitente vero piissima imperatrice Mathilde duceque Friderico et duce Conrado cunctisque qui aderant iuvantibus Vdalricus iuvenis, filius Vdalrici de Hurningen iam defuncti [† 1123 Nov. 3], legali iustitiâ coactus est coram rege prædicta prædia reddere et in manus ducis Conradi, advocati sancti Georgii, tradere.
Die eröffnende Jahresangabe Anno bis MCXXV bildet den Schluss eines ganzen vom Schreiber durch Augensprung ausgelassenen Abschnittes (s. unten Schluss von c. 47 ab MCXXII duce Bertholdo …), den Gaisser am Rande nachgetragen hat; in der ursprünglichen Abschrift stand an dieser Stelle nur die (falsche) Jahreszahl MCV (nicht MCXV, wie Holder-Egger a.a.O. 1014 Anm. n angibt), die Gaisser zunächst zu MCXXII korrigiert und dann, als er merkte, dass damit der ausgelassene Abschnitt begann, ganz gestrichen hatte; hinter celebrante hatte der Schreiber, wiederum durch Augensprung, vero piissima geschrieben, dies mit breiter Feder mit dns Heinricus(!) überschrieben und dann ganz gestrichen.
Der Text bildet, zusammen mit dem anschließenden Text von D.272, den Abschluss eines mit den vorangehenden cc. 45–47 einsetzenden, die chronologische Ordnung der Notitiae unterbrechenden (dort bieten cc. 43/44 zwei Einträge von 1089, cc. 50ff. Einträge der Jahre 1090ff.) größeren Einschubs, in dem in cc. 45/46 berichtet ist, dass dominus Hezilo, der maßgebliche Mitbegründer von St. Georgen (vgl. DD.32 u. 104), ein Jahr nach der Klostergründung in einem zu Irslingen (8 km n. Rottweil) vollzogenen Traditionsakt von 1084 bestimmte, dass über die von ihm hergegebenen Dotationsgüter (aufgezählt in c. 22) hinaus im Falle des erbenlosen Todes seines einzigen Sohnes Hermannus beider gesamte übrige hereditas, mit Ausnahme des Besitzes zu Hugoldeshusen (Oggelshausen Kr. Biberach), ebenfalls an das Kloster fallen sollte, wofür er seine congnati [= Söhne seines schon vorher gestorbenen, in c. 41 genannten Bruders Landold; vgl. c. 46: filii Landoldi], Landoldus scilicet et Adelbertus de Antringen [Entringen Gem. Ammerbuch Kr. Tübingen], quia et ipsi proximi eorum hæredes futuri forent, zu Salleuten bestellte, die dafür die homines curiales erhalten sollten.
Ihrer Pflicht entledigten sich nach Hermanns Tod († 1094 Sept. 25, s. Notitiae c. 85) die beiden Söhne Landolds im Abstand von ca. 4 Monaten bei zwei Gelegenheiten, u. zw. Adalbert am 11. September 1111 in villa Basilea cis Renum (= das rechtsrheinische Klein-Basel, s. Heyck, Herzoge von Zähringen 229, Heinemann in Die Zähringer 3,252 mit Anm. 192 und Parlow 125 Reg. 181) in Gegenwart u.a. Herzog Bertholds (III. von Zähringen), Landold am 16. Januar 1112 in villa Vlma, in universali colloquio ibidem habito, in Gegenwart u.a. Herzog Friedrichs (II. von Schwaben, vgl. Parlow 126); in dem anschließenden, hier wörtlich mitgeteilten c. 47 (Hs. p. 26–27) folgt dann die unmittelbare Vorgeschichte des Urteils:
Hæc prædia tali iustitiâ deo sanctoque Georgio tradita Vdalricus de Hurningen post mortem uxoris suæ Helewidæ [† ca. 1110, s. unten], viduæ domini Hermanni, iniuste aliquantis annis possederat; sed hoc proclamante duce Bertholdo, advocato sancti Georgii, idem Vdalricus eadem prædia apud [das d aus t verb.] Rotenackker [Rottenacker Alb-Donau-Kreis] in colloquio ducis Friderici sancto Georgio reddidit et ea, legali iustitia coactus, in prædicti ducis Friderici manus dedit anno incarnationis domini MCXIIII [vgl. Parlow 135 Reg. 196], eaque idem martyr annis circiter octo [= 1114–1122] legaliter recepta possedit; anno autem incarnationis domini MCXXII, duce Bertholdo occiso [† 1122 Dez. 3, s. Molitor in Die Zähringer 1,37ff., Parlow 154 Reg. 230], prædictus Vdalricus hostiliter invasit et deprædatus ea in ius suæ proprietatis, nec divinam nec legalem iustitiam reveritus, convertit; zum fehlerhaften ursprünglichen Text der Handschrift, der erst durch massive Korrekturen Gaissers in Ordnung gebracht wurde, vgl. Holder-Egger a.a.O. Anm. l und m sowie oben zur Jahresangabe von c. 48.
Der wohl noch im Jahre 1125 entstandene Einschub stand wahrscheinlich auf einem Einzelblatt, das in die verlorene Handschrift der Notitiae aus dem 12. Jh., wo möglicherweise nach c. 44 (s. oben) Wechsel von der linken zur rechten Seite erfolgt war, eingelegt worden sein dürfte; dieser Platz bot sich an wegen des Inhalts der dort vorangehenden cc. 40/41 mit der Nachricht über Hezelos Tod am 1. Juni 1088 und seine Beisetzung in St. Georgen sowie über die schon früher dorthin erfolgte Überführung der Leichen seiner Eltern und anderen genannten Verwandten, die zuvor in dem anfänglich als Sitz des Klosters vorgesehenen Walda (Königseggwald) beigesetzt worden waren. Zum verlorenen Original der Handschrift und zur Abschrift vgl. u.a. Bader a.a.O. 193ff., Holder-Egger a.a.O. 1005ff., Wollasch, St. Georgen 87f. (zu dem 1125 entstandenen Einschub) u. 95ff. zuletzt Gerchow in Die Zähringer 2,159 no 123.
Zur Bedeutung der Vogtei über St. Georgen, die Herzog Berthold III. wohl schon zur Zeit der Auflassung durch die beiden Salleute 1111/12 innehatte, spätestens aber im Jahre 1114 (s. oben), für die Territorialpolitik der Zähringer vgl. Büttner a.a.O. 13f. (mit falscher Datierung des D.*271 auf den 30. Dez.). Er spricht dort die Vermutung aus, das Deperditum D.*271 habe wohl keine bloße Besitzrestitution enthalten, sondern habe “Verwandtschaft” mit dem nur eine Woche jüngeren D.274 für St. Blasien aufgewiesen, mit dem der St. Georgener Vogt Konrad, Bertholds III. Bruder und Nachfolger im Herzogsamt, auch die Vogtei von St. Blasien erhielt, womit er wohl sagen will, daß das Deperditum auch eine Bestätigung der Zähringer Vogtei enthalten haben dürfte. In der Tat spricht die sicher auf eine, gerade damals wieder häufigere (vgl. D.266 von 1124 und DD.273, 274 u. 279 von 1125) Intervention zu beziehende Erwähnung Mathildes, die mit dem nicht kanzleigemäßen Titel imperatrix versehen ist, dafür, dass es sich bei dem Deperditum um ein Diplom handelte, nicht um eine keiner Intervention bedürftige Gerichtsurkunde (von einem placitum spricht Leyser in Anglo-Norman Studies 13,229 Anm. 15, mit falschen Stumpf-Nummern 3202b statt 3202a [= D.*271] und 3205 statt 3204 [= D.274]). Wenn ein solcher die Vogtei betreffender Passus in den Notitiae keine Berücksichtigung erfuhr, würde sich dies daraus erklären, dass deren Verfasser hier nur an dem Besitzstreit interessiert war.
Aus der Tatsache, dass weder in c. 48 noch in cc. 45ff. der Notitiae die praedia namhaft gemacht werden (vgl. dazu Vorbemerkung zu D.272), obwohl das Hauptinteresse ihres Verfassers den Besitzschenkungen galt, ist wohl der Schluss zu ziehen, dass die Restitution nicht sofort erfolgte. Jänichen, Herrschafts- u. Territorialverhältnisse 1,15ff. macht nun mit guten Gründen wahrscheinlich, dass es sich um Erbgüter der Helewida (Wollasch a.a.O. 20, 24 u.ö. [s. Register S. 177] verwendet immer die Namensform Helica), der Witwe des Hezelo-Sohnes Hermann, handelte, die, nach ihm um 1105, in zweiter Ehe Ulrich I. von Herrlingen heiratete und um 1110 starb. Für die Richtigkeit dieser Vermutung spricht jedenfalls, dass nach c. 47 die Verfügung Ulrichs I. über die strittigen Güter erst nach dem Tode Helewidas Unrechtscharakter (iniuste) annahm, während er bis dahin ehemännliche Gewere an ihnen besessen hatte.
Da Jänichen Helewida dem Geschlecht der Edelfreien von Steußlingen-Schelklingen zurechnet, glaubt er einen Teil ihrer Erbgüter, auf die neben ihrem Sohn Ulrich II. auch ihre Familie Anspruch erhoben hätte, in Besitzungen in dem in der Nähe von Schelklingen gelegenen Urspring, wo eine St. Georgener Zelle entstand, und an benachbarten Orten wiederzufinden, die im Jahre 1127 drei Brüder von Schelklingen an St. Georgen schenkten (Notitiae c. 111; Wirtemberg. UB 1,372 no 290; zu Urspring s. auch D.272); aus der seine Zustimmung ausdrückenden dortigen Rolle Ulrichs II. (im Druck: D. de Horning, s. Jänichen a.a.O. 17 mit Hornig; vgl. auch Wollasch a.a.O. 88 Anm. 59) als Spitzenzeuge schließt Jänichen auf ein Arrangement, durch das auf Umwegen und mit nur geringer Verzögerung das Restitutionsgebot von D.*271 partiell realisiert worden wäre.
Hurningen ist nach Jänichen a.a.O. 20f. das ca. 7 km nw. Ulm gelegene Herrlingen (Alb-Donau-Kreis), wo die Herren von Hurningen um 1110 eine Burg erbauten und dabei der Hausnamen von ihrem früheren Sitz, dem ca. 17 km sw. Tübingen gelegenen Hirrlingen, auf diese übertrugen. – Meyer von Knonau, Jahrb. 7,282 (mit Anm. 35) macht darauf aufmerksam, dass die Nennung Hz. Friedrichs II. darauf hinweist, dass dieser nach seiner noch im August 1124 bewiesenen feindlichen Haltung (a.a.O. 281 und Stüllein, Itinerar 105) sich inzwischen mit Heinrich ausgesöhnt hatte.