Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<267.>>

Heinrich nimmt auf Bitten Papst Calixts II. Kloster und Eremitei von Camaldoli und dessen Kongregation in seinen Schutz und bestätigt die durch Papst Paschal (II.) erfolgte Unterstellung des Klosters Sesto.

Worms, 1124 Juli 25.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Unbeglaubigtes Transsumpt des 12. Jh. in Diplomform im Kapitelsarchiv zu Lucca (B). – Verkürzte Abschrift von ca. 1269 im Staatsarchiv zu Florenz (C).

Drucke aus B: Mittarelli-Costadoni, Ann. Camald. 3, app. 304 no 207. – (Barsocchini), Mem. e doc. di Lucca 5.1,429f. – Guidi-Parenti, Reg. del capitolo di Lucca 1,352 no 816 Auszug. – Aus C: Lasinio, Reg. di Camaldoli 4,187 app. no 1 verkürzt. – Vedovato, Camaldoli 242 no III.3.

Reg.: Wentzcke, Straßburger Reg. 1.2,309 no 415. – Böhmer Reg. 2086. – Stumpf Reg. 3199.

Die Angabe Hausmanns (Reichskanzlei 74 no 28), im Kapitelsarchiv zu Lucca befinde sich das Original von D.267, muss auf einem Versehen oder einer Verwechslung beruhen, nachdem sämtliche Drucke nur die Überlieferungen B/C kennen und auch bei einem Besuch des Archivs die Suche nach dem Original vergeblich blieb. Damit ist auch Hausmanns Behauptung, Schrift und Diktat stammten von Notar Heinrich (übernommen bei Tellenbach in QFiAB 42/43,23 Anm. 30), zumindest hinsichtlich der Schrift genauso hinfällig wie seine entsprechende Behauptung für D.72 (vgl. dortige Vorbemerkung). – Dass andererseits der Notar an der Abfassung beteiligt war, steht angesichts der starken Gemeinsamkeiten in Publikatio, Verbotsformel, Pön und Korroboratio mit D.268 und anderer Diktatmerkmale außer Frage, auch die emphatische Arenga geht sicher auf ihn zurück; doch muss ihm ein Empfängerentwurf vorgelegen haben, wie sich aus der vielfältigen Benützung von Vorurkunden ergibt.

Zunächst sind, wenn auch in jeweils geringem Umfang, drei Camaldulenser Urkunden benützt: Außer Heinrichs D.72 (= VU.II) noch die Privilegien P. Paschals II. von 1105 März 23 (= VU.I; s. D.72) und P. Calixts II. von 1120 Mai 21 über die Unterstellung Sestos (= VU.III; JL 6849, It. pont. 3,177 no 8; Druck: Robert, Bullaire 1,257 no 173). – Für Verbotsformel, Pön und Korroboratio dienten sodann, variiert durch Eigendiktat des Notars, die älteren, zwischen 966 und 1053 für Kl. Sesto ausgestellten Diplome als Vorlage: DO.III.219, DH.II.425, DKo.II.80 und DH.III.307 (= insgesamt als “VU.IV” bezeichnet); diese Diplome befanden sich zwischenzeitlich offenbar im Besitz von Camaldoli, sowie hernach, wenigstens teilweise, im Besitz des Kl. S. Benedetto Po, dem das Kl. Sesto 1134 von P. Innozenz II. übertragen wurde (JL 7655, It. pont. 3,460 no 16) und über dessen Archiv die Originale der beiden jüngsten ins Staatsarchiv Mailand gekommen sind (s. It. pont. 3,457); durch diese Abhängigkeit erklärt sich namentlich die rangwidrige Nachstellung von episcopus vel archiepiscopus (s. Anm. t), wogegen D.268 die rechte Ordnung aufweist.

Unser Diplom markiert die Peripetie der wechselhaften Situation Sestos zwischen Reich und Papst (vgl. dazu Schneider, Reichsverwaltung 1,301ff.): Das ursprünglich päpstliche Kloster war wohl um die Wende vom 9. zum 10. Jh. Reichskloster geworden (erster Beleg ist die Urk. Lothars II. zugunsten seiner Gemahlin Adelheid von 937 Dez. 12; Schiaparelli, Diplomi di Ugo e di Lotario 141 no 47; sodann obige Diplome). Bald nach Heinrichs III. Diplom von 1053 hat der Papst seine alten Ansprüche wieder realisiert, wie aus einer Privilegierung Sestos durch P. Alexander II. (1061–1073) hervorgeht, die in den Privilegien P. Lucius’ II. von 1144 April 15 und P. Clemens’ III. von 1188 Jan. 9 (It. pont. 3,460f. no 18 und 22) erwähnt ist.

In Umsetzung dieser päpstlichen Verfügungsgewalt ergaben sich dann die in unserem D. erwähnten Vorgänge, die zum Zweck der Reform des verweltlichten Klosters durch P. Paschal II. (s. Anm. 1) und dann 1120 durch P. Calixt II. unter ausdrücklicher Hervorhebung der päpstlichen Eigenrechte (s. Anm. n) vorgenommene Unterstellung unter Camaldoli. Nachdem anscheinend in der Zwischenzeit seitens des Reiches keine Ansprüche auf Sesto erhoben worden waren (vgl. weiter unten), ist die Maßnahme P. Paschals II. offensichtlich erst auf den Widerstand Heinrichs V. gestoßen, der seinerseits die Herstellung der alten Obergewalt des Reiches versucht haben muss.

Nach Aussage von D.267 war die Unterstellung Sestos unter Camaldoli durch P. Paschal II. auf Bitten des Abtes von Sesto und B. Rodulfs von Lucca erfolgt; die in D.267 letztlich überflüssige narrative Erwähnung der beiden Personen als Petenten bei Paschal II. ergibt in unseren Augen nur einen Sinn, wenn diese sich zugleich auch bei Heinrich für die Anerkennung dieser Maßnahme verwandt haben. – Dies könnte bei einem Zusammentreffen im Sommer des im Itinerar äußerst lückenhaften Jahres 1117 geschehen sein, als sich Heinrich nachweislich in der Toskana aufhielt (s. DD.202 u. *203), wobei er auch, unter Umständen sogar auf direkte briefliche Einladung hin (s. Anm. 3), Lucca besucht haben könnte.

Eine urkundliche Bestätigung war aber damals von Heinrich augenscheinlich nicht zu erlangen gewesen (vielleicht hatte er damals sogar zugunsten Sestos geurkundet, s. D.*326), andernfalls wäre unser D. überflüssig, das sich ja ausdrücklich mit dem Präsens confirmamus als erstmalige Bestätigung zu erkennen gibt, und zwar der Verfügung P. Paschals II., nicht etwa ihrer inzwischen erfolgten Erneuerung durch P. Calixt II. von 1120, die ungeachtet der emphatischen Nennung Calixts als Petent fast demonstrativ übergangen wird, dessen petitio vielmehr nur in Zusammenhang mit der problemlosen Wiederholung der Schutzurkunde D.72 erwähnt wird. Natürlich wird sich die petitio, die wohl durch den Kardinallegaten Wilhelm als Intervenienten übermittelt worden ist, auch auf Sesto bezogen haben, und die Verhandlungen, die Wilhelm am königlichen Hofe führte, werden nicht nur der Angelegenheit des Würzburger Elekten Gebhard gegolten haben (vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,270 Anm. 14; Schumann, Legaten 119; Hüls, Kardinäle 116f.; s.a. unten), sondern auch den päpstlichen Ansprüchen auf Sesto, diesmal mit Erfolg für die päpstliche Seite:

Mit D.267 hat Heinrich jedenfalls die Ansprüche des Reiches faktisch und für alle Zeit aufgegeben; spätere Erneuerungen dieser Ansprüche scheinen zweifelhaft: Das im 15. Jh. gefälschte D. Ottos IV. von 1210 März 4 (B.-Ficker Reg. 356) beruft sich auf ältere Verleihungen von Heinrich (IV.) bis Heinrich VI., die allesamt in Frage gestellt werden müssen (vgl. D.*326); die erneute Besitzbestätigung durch Friedrich II. vom Dez. 1241 (Huillard-Breeholles 6,11; B.-Ficker Reg. 3241), die sich bemerkenswerterweise nur auf die – beide im Original erhaltenen – duo privilegia Konrads II. (D.80 von 1027) und Heinrichs III. (D.307 von 1053) beruft, scheint auch nicht über alle Zweifel erhaben, da die Vorbemerkung der Edition von einer besiegelten “pergamena, sed recenti manu” spricht. – Dem stehen für das 12. Jh. ständige päpstliche Beurkundungen für Sesto entgegen (It. pont. 3,460f. no 17–22; zu no 16 von 1134 vgl. oben).

Vielleicht hat Heinrich mit der Formel salvo iure ac potestate imperii, einer unübersehbar deutlichen Replik auf die entsprechende Formulierung des Calixt-Privilegs (s. Anm. e’), einen theoretischen Anspruch aufrechterhalten wollen. – Zu dieser Vorbehaltsklausel, die unter Heinrich nach D.187 (omni ratione imperiali salva) hier zum zweiten Mal auftaucht, die aber eine bedeutungsmäßige Parallele in der Wendung salvo honore in DD.70/IV u. 193 aufweist (auffallenderweise allesamt für italienische Empfänger), vgl. Appelt in MIÖG 68,81ff. und nochmals in der Einleitung zu DDF.I. Bd. 5,130ff., Brühl, Fodrum 1,666f., Haverkamp, Herrschaftsformen 1,102ff., bei denen allerdings – außer bei Brühl (667 Anm. 440, für D.187) – das Vorkommen der Formel in der Zeit Heinrichs V. keine Beachtung fand. Heinrich hielt sich vermutlich schon mehrere Tage in Worms auf. B. Gebhard von Würzburg sagt in seiner Denkschrift von 1126/27 (vgl. Vorbemerkung zu D.232; Auszug bei Meyer von Knonau a.a.O.), dass er bei seiner Ankunft in Worms den Kardinal Wilhelm zunächst noch nicht antraf; da er aber dort schon mit EB. Adalbert von Mainz verhandeln konnte, ist anzunehmen, dass zusammen mit diesem auch der Hof schon in Worms war. Gebhard nennt auch (vgl. Meyer von Knonau a.a.O.) die Namen der Bischöfe, die nach Ankunft des Kardinals an dem Verfahren vor dem Kaiser teilnahmen: Postquam itaque venit episcopus cardinalis, congregati sunt ad audientiam imperatoris pro causa mea tractanda ipse archiepiscopus Moguntinus, archiepiscopus Coloniensis, Arnoldus Spirensis, Goteboldus Traiectensis, Gotefridus Treverensis archiepiscopus, Cuonradus Tullensis, Bruno Argentinensis, Bertoldus Basiliensis et alii fideles imperatoris. Wilhelm wird noch in D.268 vom 3. August am Hofe genannt, verließ diesen im Laufe des Monats August, da er am 7. September in Trier eine Bischofsweihe vornahm (s. Hüls a.a.O. 116 Anm. 10), ist aber später nochmals in Straßburg am Hofe anwesend (s. D.274 von 1125 Jan. 8).

In nomine sanctę et individuę trinitatis. H. divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Scientes et nullo modo dubitantes nos per dei omnipotentis gratiam atque misericordiam non solum id esse, quod sumus, sed et futuros esse, quod speramus et credimus, universa quidem, quę ad eum spectant, creatorem videlicet omnium et gubernatorem, dominum nostrum, tueri et conservare et debemus et volumus, sed illa maxime loca venerabilia et sanctissimas domos earumque congregationes privilegiis munire ac preceptis imperialibus corroborare, quę divinę et sacrosanctę religionis tam fama quam veritate nituntur. Notum sit itaque omnibus nostro subiectis imperio, quod petitione karissimi patris nostri Calixti papę secundi ac interventu Wilielmi Prenistini episcopi necnon et precibus Iohannis viri reverentissimi, prioris Kamaldulensis monasterii, pro salute animę nostrę ac antecessorum parentum nostrorum predictum Kamaldulense monasterium et sanctissimam heremum cum omnibus æcclesiis, monasteriis, hospitalibus seu quibuscumque venerabilibus locis et congregationibus eidem monasterio vel heremo commissis seu inantea committendis omnibusque eorum pertinentiis, personis et rebus, castellis, curtibus seu villis, mobilibus et immobilibus seu quibuslibet possessionibus eis iuste et legaliter adquisitis et adquirendis sub nostrę tutelę mundiburdio ac protectione suscepimus. Insuper et Sextensis monasterii curam et ordinationem a beatę memorię Paschale papa predicto Kamaldulensi monasterio seu heremo commissam longe veraciter nobis relatum esse credimus precedentibus precibus venerabilis pro tempore abbatis eiusdem Sextensis monasterii et bonę memorię Rodulfi Lucensis episcopi, in cuius epischopii parrochia situm fuerat predictum monasterium de loco, qui vocatur Sexto, quod Sextense superius apellavimus, sic manere precipimus, sicut a predicto Paschale papa ordinatum fuisse et legimus et cognovimus, et hoc nostro imperiali et inviolabili decreto confirmamus. Constituimus insuper firmiterque decernimus, ut nullus dux seu marchio, comes vel vicecomes, episcopus vel archiepiscopus, nulla omnino magna parvaque persona iamdictum monasterium Kamaldulense vel heremum seu eis commissa, ut superius scriptum est, neque de personis neque de rebus seu possessionibus eis iuste adquisitis vel adquirendis molestare audeat vel inquietare, tollere, contendere seu minuare, intromittere vel devestire absque legali iudicio seu prefati Sextensis monasterii curam et ordinationem prenominato Kamaldulensi monasterio comissam quidem a predicto papa Paschale, a nobis autem salvo iure ac potestate imperii confirmatam contradicere ullo modo presumat. Cuius nostri imperialis precepti seu et confirmationis si quis, quod absit, violator extiterit, sciat se auri purissimi libras centum esse compositurum, medietatem camerę nostrę et medietatem ei vel monasterio vel venerabili loco, quem lesisse constiterit et indubitanter claruerit. Quod ut verius credatur et firmius custodiatur, propria manu subscripsimus et sigilli nostri impressione iussimus insigniri. Huius rei testes adhibuimus: Guilielmum epischopum Prenestinum et cardinalem et Pontium Cluniacensis monasterii abbatem et Gotofridum palatinum comitem, Ottonem comitem, Adulfum comitem, preter alios, qui interfuerunt, quamplures.

Signum Henrici quarti Romanorum imperatoris (M.9.) invictissimi.

Philippus cancellarius recognovi vice A. archicancellarii Maguntini archiepiscopi.

Data anno dominicę incarnationis millesimo centesimo vigesimo IIIIo, VIIIo kl. aug., inditione II; Wormatię; feliciter amen.