Angebliches Original (ca. 42/43 b : 56,5/59,5 h) aus dem ersten
Drittel des 12. Jh. im Staatsarchiv zu Mailand (A); Rückvermerk des
12. Jh.:
Preceptum domni Heinrici IIII. inp(er)aratoris[!] de omnibus rebus uius[!] monasterii; 13./14. Jh. (am unteren Rand köpflings, erinnert in der Plazierung
an kuriale Prokuratorenvermerke):
Thomas; Mitte des 15. Jh.:
visum per electos iudices (vgl. D.78).
Faks.: Sickel, Mon. graphica Fasc. 3 Taf. 6.
Drucke aus A: Sickel, Texte der Mon. graphica 38. – Torelli, Reg. Mantov. 1,133 no
188 Auszug (beide mit Wiedergabe der Rota-Texte von Anm. an). – Rinaldi-Villani-Golinelli, CD Poliron. 316 no
107.
Reg.: Luchino, Cont. Matilda 73 c. 25. – Muratori, Ant. Ital. 5,1024. – Meiller
in Österr. Notizenblatt 1,179 no
1 zu 1123 November 19. – Indices … Muratorii
37 no
798. – Torelli
in Atti e memorie di Mantova N.S. 14–16,220. – Bacchini, Istoria del mon. di S. Benedetto di Polirone Lib. VI,47ff. – Stumpf
Reg. 3195.
Die als solche schon von Sickel
a.a.O bezeichnete Fälschung, die Bresslau
in MIÖG 6,114 Anm. 4 gleichwohl als kanzleigemäß zu retten versuchte,
ist von Pivec
in MÖIG 51,28ff. eingehend untersucht. Demnach lag dem Fälscher
zweifellos ein echtes Diplom vor, das auch sicher in Aachen
ausgestellt wurde, wo Heinrich 1123 das Weihnachtsfest feierte (s. Stüllein, Itinerar 102); zum Tagesdatum vgl. weiter unten.
Das verlorene echte Original war vermutlich schon fertiggeschrieben
nach Aachen mitgebracht worden, wo der Kanzleinotar Heinrich nur das
seinem Diktat entsprechende Eschatokoll hinzugefügt hatte (vgl. Hausmann, Reichskanzlei 74 no
24), weshalb nur bei diesem auch der Versuch einer Nachahmung der
Schrift des Notars festzustellen ist (s. Anm. ai; zum fehlerhaften
Monogramm s. Anm. al); für die von Pivec
a.a.O. 30 behauptete Schulgleichheit der Kontextschrift mit
derjenigen von D.78 bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, und die
Schrift der ebenda zitierten Urkunde des Notars Adam von 1115 Juni 14
(Or. im Staatsarchiv zu Mailand) weist keinerlei Gemeinsamkeiten auf.
D.†262 ist weithin eine wörtliche Wiederholung des D.78 von 1111 (=
VU.) und bildete später, in seiner schon verfälschten Gestalt, die
Vorlage für das an zwei Stellen (S. 76 Z. 38–42 und S. 77 Z. 2–10;
vgl. Anm. y’ und m”) erweiterte DLo.III.46 von 1132 Dezember 16 (B.-Petke
Reg. 323 = NU.I) und für dessen bis auf den Zusatz von Anm. ah
identische, von Lothar nach seiner Kaiserkrönung gewährte, nur ein
gutes halbes Jahr jüngere Erneuerung durch das DLo.III.50 von 1133
Juli 19 (B.-Petke
Reg. 357 = NU.II; Empfängerausfertigung); in DLo.III.46 hätten die
Stellen von S. 76 Z. 38–40 und S. 77 Z. 6–10 fast vollständig durch
Petitsatz gekennzeichnet werden müssen, da sie aus dem ein halbes Jahr
älteren Privileg P. Innocenz II. von 1132 Juni 25 (JL 7574; It. pont.
7.1,335 no
25; Pflugk-Harttung, Acta 2,266 no
308) entnommen sind, das bei B.-Petke
Reg. 323 als VU.II (neben D.†262 als VU.I) bezeichnet ist.
Die Fälschung, die sicherlich mit dem vom echten Original übertragenen
Siegel versehen worden war (vgl. Anm. an; zum Siegel s. auch Anm. ah),
weist hinsichtlich der äußeren Merkmale einige Abweichungen von der
Normalform auf, wie sie sicher nicht dem verlorenen Original, das sich
am Vorbild des D.78 orientiert haben wird, entsprochen haben, sondern
erst dem Fälscher anzulasten sind: Dies gilt zunächst für die 1.
Zeile, die ohne Chrismon eröffnet wird, die Elongata-Schreibung auf
die beiden Namen beschränkt und die kanzleigemäße Devotionsformel
durch
dei gratia ersetzt; dies ist umso auffallender, als die Nachurkunden ein
korrektes Protokoll aufweisen; augenscheinlich hatte der Fälscher
schon bei der Lesung der Elongata Schwierigkeiten. Auf den Fälscher
zurückzuführen ist insbesondere auch die blockartige Schreibung des
ca. 5,5 cm vom unteren Rand abgerückten Eschatokolls (s. Anm. ai),
wogegen der Notar Heinrich die Datumzeile immer, abgesetzt von den
auch von ihm in der Regel wie hier ohne Elongata geschriebenen
Unterfertigunszeilen, dicht an den unteren Rand setzte.
Das Auffälligste ist die vom verlorenen Siegel vollständig verdeckt
gewesene Rota (s. Anm. ao). Während Bresslau
a.a.O., wie die ganze Urkunde, konsequenterweise auch die
Rota-Zeichnung dem Notar zusprechen wollte, kann gar nicht bezweifelt
werden, dass es sich dabei um eine spielerische Zutat des Fälschers
handelt, dem dafür, wie der in Anm. ao mitgeteilte Wortlaut der Devise
(zu dieser vgl. Frenz, Papsturkunden 18) im Rotaring beweist, das dem D.78 als Vorurkunde
dienende Privileg P. Paschals II. von 1105 die lediglich formale Anregung lieferte. – Seine eigene
phantastische und vorbildlose Erfindung ist die textliche Füllung der
Quadranten, die sogar zwei über den Text des D.†262 hinausgehende
Informationen enthält, eine Erwähnung Mathildes, mit der nochmals den
Fälscher verratenden Beigabe des Titels
imp̄r (da dieselbe Abkürzung auch bei
Henricvs, kaum als
imperatrix aufzulösen), insbesondere aber eine Angabe des Handlungsortes (actum apud Traiectum). Da beide Angaben keine freie Erfindung des Fälschers sein können,
sondern auf konkreter Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge beruhen
müssen (womöglich war er bei der Impetration des echten Diploms
persönlich anwesend gewesen), muss er sein Elaborat zu einem sehr
frühen Zeitpunkt gefertigt haben (vgl. noch weiter unten).
Die
Actum-Angabe vermag außerdem Licht in das uns, nach dem letzten sicheren
Datum des in Utrecht ausgestellten D.261 vom 2. August, sonst
unbekannte Itinerar im Herst des Jahres 1123 (vgl. Stüllein
a.a.O. 101f.) zu bringen. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,251f. und Stüllein
a.a.O. 101 (mit Konstruktion eines präsumptiven Itinerars; zu dem mit
Ausrufezeichen versehenen angeblichen Itinerarort Boppard vgl. seine
falschen Ausführungen zu D.†249 a.a.O. 100 Anm. 11/Schluss) behaupten,
Heinrich sei von Utrecht aus an den Mittelrhein zurückgekehrt, wofür
sie sich aber nur auf das Datum des falschen, angeblich am 1.
September in Fulda ausgestellten D.†303 berufen können.
Beide Autoren verlegen dann noch in den Zeitraum nach dem vorgeblichen
Fuldaer Aufenthalt (Stüllein: “Aus Fulda verlegte er die Hofhaltung an den Rhein”) auch einen
Wormser Reichstag, auf dem Wiprecht von Groitzsch die durch den Tod
des letzten Wettiners, des jungen Heinrich II. von Eilenburg – nach Cosmas
lib. 3 c. 52 (MGH SS rer. Germ. N.S. 2,225) erst gegen Ende des
Jahres 1123 (eodem vergente anno) gestorben! –, erledigten Reichslehen der Mark Meißen und der mit ihr
vereinigten Niederlausitz erhalten habe (s.a. B.-Petke
Reg. 78); zu den Auswirkungen der Belehnung Wiprechts vgl. u.a. Meyer von Knonau
a.a.O. 253ff., Fenske, Adelsopposition 263 und B.-Petke
a.a.O. Wann im zu Ende gehenden Jahr 1123 und wo diese Belehnung
tatsächlich erfolgte, ist völlig ungewiss; auf die allein in den
Pegauer Annalen (SS 16,253) enthaltene Nachricht über die
curia Wormaciae indicata ist jedenfalls kein Verlass, zumal sie die Vorgänge in das Jahr 1117
verlegen!
Möglicherweise hat Heinrich im Sommer und Herbst des Jahres 1123 den
Raum Niederlothringens überhaupt nicht verlassen: Es ist nun nicht
völlig ausgeschlossen, dass er sich vor der Feier des Weihnachtsfestes
schon einmal, zu dem in der Datierung angegebenen 16. November, in
Aachen aufhielt (ein ununterbrochener dortiger Aufenthalt seit Mitte
November ist höchst unwahrscheinlich); man könnte auch an einen der
bei der Kalenden-Rechnung nicht seltenen Fehler denken, dass nämlich
eigentlich der 17. Dezember (XVI. kal. ian.) gemeint wäre, was die Annahme eines anschließend bis über das
Weihnachtsfest dauernden Aufenthaltes zuließe; unter Berücksichtigung
der Rota-Information liegt aber die Annahme näher, dass sich das
Tagesdatum nicht auf die Ausstellung in Aachen (um das
Weihnachtsfest?) bezieht, sondern auf die
apud Traiectum erfolgte Handlung. Ob mit
Traiectum das von Aachen nicht weit entfernte Maastricht oder nicht doch eher
Utrecht gemeint ist, muss offen bleiben.
Ficker, Beitr. 1,127 erwähnt unser D. (mit der irrtümlichen Bezeichnung St.
3192) nicht ganz zu Recht – da die
Actum-Angabe der Rota-Inschrift nicht so gewertet werden kann, als sei sie
Bestandteil der Datumzeile, – als Beispiel für “Doppeldatirung”. –
Auch Meyer von Knonau
a.a.O. 258 Anm. 43 erweckt den Eindruck, die Datumzeile enthalte die
Actum-Angabe (“… gegeben:
Actum apud Trajectum, datum Aquisgrani”); übrigens stammt das dort von ihm gebotene, angeblich aus D.†262 (Stumpf
Reg. 3195) geschöpfte Textzitat in Wirklichkeit aus D.148 (Stumpf
Reg. 3122); zur Richtigstellung vgl. Tellenbach
in QFiAB 42/43,22 mit Anm. 29, der bei der zweimaligen Nennung von
St. 3195 einmal die falsche Zahl 3185 verwendet; vgl. auch
Vorbemerkung zu D.245.
Der ursprüngliche Inhalt des echten Diploms sowie Zweck und Zeitpunkt
der Verfälschung lassen sich mit einiger Sicherheit aus den
inhaltlichen Abweichungen gegenüber der VU. erschließen: Einerseits
ist die im übrigen unveränderte Besitzliste erweitert um die erst nach
1111 durch Abt Hermann, den Nachfolger des in D.78 genannten Abtes
Alberich, geschenkte Abtei
Sancta Maria de Strata, die im Privileg P. Calixts II. von 1124 Juni 1 (JL 7157; It. pont.
7.1,334 no
21; CD Poliron. 318 no
108) bestätigt wird, aber in allen jüngeren Papst- und Kaiserurkunden
wieder fehlt (s. Anm. 1). Andererseits sind alle Erwähnungen Clunys in
der VU. durch andere Formulierungen ersetzt (s. Anm. b, l und q), und
die darin zum Ausdruck kommenden Bestrebungen des Klosters nach
Unabhängigkeit von Cluny werden unterstrichen durch den in der
neuformulierten Verbotsformel ausgesprochenen Ausschluss aller fremden
Rechte außer denen des Papstes und des Kaisers.
Pivec
sieht nun in der Erweiterung der Besitzliste den Gegenstand des
echten Diploms (a.a.O. 33 und 35), während er andererseits (a.a.O.
31ff.) in den gegen Cluny gerichteten Formulierungen das Motiv für die
Fälschung sucht (wiederholt bei B.-Petke
Reg. 323). Uns scheinen jedoch die Verhältnisse genau umgekehrt zu liegen: Die in scharfen Worten gehaltene, von Kehr
auf 1125 datierte Littera P. Honorius’ II. an die Mönche von San
Benedetto (It. pont. 7.1,335 no
23; Migne, PL 166,1229 no
10; fehlt in CD Poliron., vgl. Pivec
a.a.O. 34) zielt gegen offenbar aktuelle Bestrebungen des Klosters,
nach dem Tode des Abtes Hermann († 1124 Nov., s. D.177; sein
Nachfolger Heinrich ist erstmals im November 1125 belegt, s. It. pont.
a.a.O.) den neuen Abt ohne Mitwirkung Clunys zu wählen. – Es spricht
also alles dafür, dass der damals vorliegende, dem D.†262 geopferte
echte Text schon die neuen Bestimmungen enthielt und der Papst sich
gezielt gegen den Versuch ihrer praktischen Umsetzung wandte; eine
nachträgliche Verfälschung in diesem Sinne während der Regierung und
unter Mitwirkung des Abtes Heinrich scheint ganz ausgeschlossen, da
dieser gewiss im Einklang mit der Honorius-Littera von 1125 gewählt
worden war und in bestem Einvernehmen mit P. Innocenz II. stand, wie
die von diesem in den Jahren 1132–1138 zu seinen Gunsten ausgestellten
insgesamt 7 Privilegien (It. pont. 7.1,335ff. no
25–31) bezeugen.
Dass das Kloster für diese gewichtigen Veränderungen eine
Gesandtschaft auf den beschwerlichen Weg nach Deutschland schickte,
ist jedenfalls viel erklärlicher, als wenn es nur um die Erweiterung
der Besitzliste des D.78 um die Abtei Santa Maria gegangen wäre. – Die
Aufnahme dieser Abtei, deren Besitz offensichtlich gefährdet erschien,
wäre demnach das einzige Motiv für die Herstellung der die echte
Vorlage sonst unverändert übernehmenden Verfälschung gewesen; da sie
in den Nachurkunden keine Berücksichtigung mehr erfuhr (s. Anm. 1),
ist die insoweit erfolglose Verfälschung wohl bald nach 1123, evtl.
angeregt durch das Calixt-Privileg von 1124, nicht notwendigerweise
erst nach Heinrichs Todesjahr 1125, jedenfalls einige Zeit vor 1132
erfolgt; die Nichtberücksichtigung im Innocenz-Privileg von 1132 sowie
in den Lothar-Diplomen von 1132 und 1133 dokumentiert vermutlich den
inzwischen eingetretenen Verlust der Abtei.
Eine zusätzliche Verfälschung erfuhr D.†262 durch den nachträglich an
die Korroboratio angehängten Zusatz mit der in ihrem Sinn rätselhafen
Vorbehaltsklausel. Da dieser Zusatz in NU.I noch fehlt, in NU.II
jedoch, an derselben Stelle und in einem Zug mit dem ganzen Text
eingetragen, geboten wird (s. Anm. ah; vgl. Pivec
a.a.O. 33), müsste er, falls NU.II. darin von D.†262 abhängig ist,
erst in dem halben Jahr zwischen Dezember 1132 und Juli 1133 zu
Pergament gebracht worden sein; es ist aber auch nicht ausgeschlossen,
dass er erst aus NU.II in unser D. übernommen wurde. – Der Zusatz
fehlt auffälligerweise wieder in der – unter Weglassung der
Besitzliste und gelegentlicher zusätzlicher Benützung des DLo.III.76
(B.-Petke
Reg. 458) erfolgten – Erneuerung des D.†262 durch das DKo.III.54 von
1140 (= NU.III).