Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<261.>>

Heinrich befreit die Bewohner von Deventer zum Lohn für erwiesene Treue und mit Zustimmung Bischof Godebalds von Utrecht von der Zahlung von Tauf- und Begräbnisgeldern, ferner zur Stärkung ihrer Treue von der Zahlung von Hauszins, wofür er Propst und Kapitel (von St. Lebuin zu Deventer) durch die dem Lifger gerichtlich aberkannte Kirche zu Raalte entschädigt.

Utrecht, 1123 August 2.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 29,5/31,5 b : 24/24,5 h) im Gemeentearchief zu Deventer (A); Rückvermerk des 15. Jh.: Privilegium, qualiter ecclesia in Raelte fuit collata [andere Hand:] capitulo Dauen(triensi); 17./18. Jh.: Dit is gebruijkt.

Drucke: Lindeborn, Hist. sive notitia episcopatus Daventriensis 176 “ex ipso autographo” unvollständig = (van Heussen), Historia ep. Belgii 3,62 = (van Heussen), Oudheden en gestichten van Deventer 1,341 in niederländ. Übersetzung = (van Heussen), Kerkel. Historie 6,510 in niederländ. Übersetzung. – Dumbar, Het kerkelyk en wereltlyk Deventer 1,350 no 7 und 446. – Bondam, Charterboek van Gelderland 1.1,171 no 23. – Aus A: Sloet, OB Gelre en Zutfen 237 no 242 Auszug. – Muller-Bouman, OB sticht Utrecht 1,286 no 312. – Ter Kuile in Verslagen en mededeelingen 57,8 no 57.

Reg.: Goerz, Trierer Reg. 15. – Wauters, Table chronol. 2,120. – Goerz, Mittelrhein. Reg. 1,479 no 1741. – Knipping, Kölner Reg. 2,32 no 210. – Brom, Reg. sticht Utrecht 1,63 no 307. – Ter Kuile, OB van Overijssel 1,47 no 47. – Böhmer Reg. 2081. – Stumpf Reg. 3193.

Das leichtfertige Verdikt Oppermanns, Untersuchungen 1,138f. und 2,171f., der D.261 als eine auf echtem Kern beruhende Fälschung aus der zweiten Hälfte des 12. Jh. bewertete, wurde bis in die jüngste Zeit wiederholt, zuletzt bei Peters in Annalen Niederrhein 190,37 Anm. 13 (vorher Muller-Bouman a.a.O. 144, Ter Kuile, Stüllein, Itinerar 101 Anm. 14, Van de Kieft in Diestelkamp, Beitr. z. hochmal. Städtewesen 162; ohne Äußerung zur Echtheitsfrage Rotthoff, Reichsgut 61, Diestelkamp in Hist. Zs. Beiheft 7,270 Anm. 117 und Koch in Lex. d. MA 3,921; als echt bezeichnet ist es, aufgrund eines Hinweises Gawliks, nur bei Opll, Stadt u. Reich 166 Anm. 17 (s. auch B.-Petke Reg. 74f.). – Das Diplom, dessen Eschatokoll vollständig dem Diktat des Notars Heinrich entspricht (vgl. Hausmann, Reichskanzlei 74 no 23; äußert sich nicht zur Echtheit), muss trotz aller äußerlichen Auffälligkeiten insbesondere wegen des echten und korrekt befestigten Siegels (die teilweise Nachbefestigung mit Leim, s. Anm. y, hat nichts mit einer Manipulation zu tun, da die Verbindung zwischen Siegelplatte und Rückenwulst intakt ist) als unbezweifelbar echtes Original gelten.

Die von Oppermann dagegen ins Feld geführten inhaltlichen und formalen Gründe lassen sich restlos ausräumen: Nichtssagend ist insbesondere die Argumentation, dass die hier beurkundete Abschaffung von Tauf- und Begräbnisgebühren zwar in den südlichen Niederlanden schon zu Anfang des 12. Jh. belegt, für die nördlichen Niederlande jedoch vor 1175 ohne Beispiel sei. Er verkennt dabei, dass die Begünstigung Deventers zwar durchaus Ausnahmecharakter gehabt haben mag, aber ihre unmittelbare Rechtfertigung aus der besonderen historischen Situation bezog: Sie sollte zweifellos eine Entschädigung dafür darstellen, dass die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, als während Heinrichs Belagerung der dem Bischof von Utrecht gehörigen Schulenburg Herzog Lothar, der zugunsten seiner mit B. Godebald verbündeten Halbschwester, der Gräfin Gertrud-Petronilla von Holland, in den Krieg eingegriffen hatte (s. D.*263), einen Entlastungsangriff gegen sie führte. – Zu den Ereignissen vgl. u.a. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,250f. und Van de Kieft a.a.O. 161f. Zuletzt B.-Petke Reg. 74 und 75, ebenda zu den Ansichten über die Lage der Schulenburg; für beide Regesten sowie für Reg. 76 ist die Datierung “1123 (nach Juni 3 – vor August 2)” aufgrund von D.259 durch “nach Juni 27” zu ersetzen.

Die Abweichungen vom kanzleigemäßen Formular, wozu neben den von Oppermann aufgezählten Einzelheiten (u.a. in der Korroboratio remaneat statt permaneat, sigilli auctoritate statt … impressione) vor allem das von ihm übersehene Ego als Eröffnung der Intitulatio zählt, erklären sich durch Empfängerdiktat.

Die äußeren Besonderheiten, unter denen vor allem die nachlässig wirkende Zeichnung des Monogramms ins Auge springt, haben ihren Grund zunächst in dem gewählten Pergamentblatt: Da es sehr klein ist, nimmt das Siegel, dessen Höhe von der des Blattes nur knapp um das Doppelte übertroffen wird, einen unverhältnismäßig großen Platz ein und beengte vor allem in der unteren Hälfte den für die Beschriftung verfügbaren Raum; da außerdem Querformat gewählt wurde, ergab sich als fast zwangsläufige Folge, dass noch in der 1. Zeile in Normalschrift mit der Publikatio begonnen wurde.

Die meisten Absonderlichkeiten erklären sich jedoch aus der Rekonstruktion der mehrstufigen, z.T. mit Tintenwechseln (s. Anm. s, x, b’, d’, e’) verbundenen Genese des Textes, mit dem das mit 13 (mit Metallstift gezogenen) Blindlinien präparierte Blatt von einem Empfängerschreiber gefüllt wurde: Dieser schrieb zunächst in einem Zug das Protokoll (ohne das Chrismon, s. Anm. a), den Kontext, den Grundstock der Zeugenliste, der am Schluss der letzten vollgeschriebenen 7. Zeile (s. Anm. n) und auf den ersten ca. 16 cm der 8. Zeile die drei (Erz-)Bischöfe umfasste, dann mit Zeilenwechsel für die beiden Schlusszeugen die ersten 11 cm auf der 9. Zeilenlinie beanspruchte, sowie schließlich, unter Überspringung der 10. Linie, auf der 11. Linie den Anfang der Datierung (s. Anm. a’).

Spätestens in diesem Stadium wurde, der 10. Zeilenlinie aufsitzend, von anderer Hand das Monogramm eingezeichnet (s. Anm. x; vgl. weiter unten). Danach erfolgte die mit etwas anderer Tinte in einem Zug vorgenommene Ergänzung der Zeugenliste durch die Einschaltung der beiden Grafen im Anschluss an B. Albero von Lüttich in der 8. Zeile, deren Beschriftung mit dem Ge von Gerardus (s. Anm. s) in einem Abstand von ca. 13 cm vom rechten Rand beendet worden war, um die ganze rechte untere Blattecke unterhalb der 7. Zeile in einer Höhe von ca. 10 cm für die Siegelstelle auszusparen; die Fortsetzung erfolgte interlinear zwischen der 8. und 9. Zeilenlinie, endend mit Cliva ca. 1 cm vor dem oberen Ende der linken Vertikalen des Monogramms (s. Anm. s).

In einem Zug mit der Ergänzung der Zeugenliste brachte der Schreiber dann in dem nur mit Liniierung für eine einzige weitere, die 10. Zeile versehenen restlichen Raum zwischen Zeugenliste und Datumzeile zweizeilig die beiden Unterfertigungszeilen unter (s. Anm. v), wobei er, insbesondere in der Rekognitionszeile sowie für die rechts neben dem Monogramm stehenden Schlusswörter beider Zeilen, eine enge Buchstabenreihung wählte, ohne damit vermeiden zu können, in den für das Siegel reservierten Raum einzudringen (s. Anm. z). Als nächstes wurde, mit dünnerer Feder und dunklerer Tinte, die Datumzeile um die Indiktionsangabe komplettiert, wobei man, um die Zeile in gleichem Randabstand wie die Zeugen-Ergänzung in der 8. Zeile (s. oben und Anm. s) enden zu lassen, wiederum engere Buchstabenreihung wählte und sich vielleicht auch deshalb zu einer eigenartigen Kürzung für das indictione veranlasst sah (s. Anm. d’). Die Niederschrift wurde damit abgeschlossen, dass mit wieder breiterer Feder und dunklerer Tinte auf der 12. Zeilenlinie rechts unter der den bisherigen Schluss der Datumzeile bildenden Indiktionsangabe das Tagesdatum (s. Anm. e’) und offenbar im Zusammenhang damit auf Rasur ein neuer Ausstellort (s. Anm. b’) eingetragen wurde.

Mitten während seiner Tätigkeit, genauer nach deren erster Phase, muss dem Schreiber der Kanzleinotar beigesprungen sein: Vermutlich wird er ihm zunächst gesagt haben, dass die Urkunde in dieser Gestalt überhaupt nicht expediert werden könne, sondern neugeschrieben werden müsse. Als Hilfe dafür skizzierte er – jemand anders kommt dafür nicht in Frage – in der Blattmitte grob die Gestalt des in der Neuausfertigung einzuzeichnenden Monogramms (vgl. dazu die Parallele von D.276); es ist sogar vorstellbar, dass der Notar den Schreiber gerade noch davon abhalten konnte, das Monogramm nahe am linken Rand einzuzeichnen, wozu dieser schon angesetzt zu haben scheint (vgl. Anm. u); anscheinend mit derselben Tinte hat er wohl bei dieser Gelegenheit auch das Chrismon skizziert (s. Anm. a).

Für die weitere Niederschrift lieferte der Notar dem Empfängerschreiber sodann den vollständig seinem Diktat entsprechenden (einschließlich des bei ihm vorherrschenden Verzichts auf domni hinter Signum) Wortlaut der Signum- und Rekognitionszeile sowie seine falsche 13. Indiktion (s. Anm. d’ und 1).

Darüberhinaus wird er dem mit Diplomschrift nicht vertrauten Mann, der seine Schrift bis dahin nur mit Oberlängen-Verschleifungen (anders als der sich dabei auf f und langes s beschränkende Notar an allen Oberlängen) ausgezeichnet hatte, empfohlen haben, in der Neuausfertigung ein r mit Unterlänge zu verwenden und diese wie er mit Zackenlinie zu versehen, was den Schreiber dazu veranlasste, schon jetzt diese Umgestaltung des r vorzunehmen – vermutlich war gerade die von Oppermann a.a.O. 2,171 erkannte Nachtragung der r-Unterlängen der Grund für seine Annahme, sein vermeintlicher Fälscher habe ein von der Hand des Notars Heinrich geschriebenes Original nachgeahmt –, dann aber auch die Unterlängen von p und q mit Zackenlinien auszustatten (vgl. Anm. b–d).

Nachdem so das vom Schreiber ursprünglich als Reinschrift gedachte Stück zum Konzept für eine Neuausfertigung abgewertet worden war, brauchte er auch keine Bedenken gegenüber der interlinearen Ergänzung der Zeugenliste zu hegen. – Zur geplanten Neuausfertigung ist es dann jedoch aus unbekannten Gründen nicht gekommen, weder in Deventer, wo – einige Tage vor dem Ausstellungsdatum – wahrscheinlich die Niederschrift erfolgt war, dessen Name (s. Anm. b’) vielleicht auch ursprünglich in der Datierung gestanden hatte, noch in Utrecht, wohin der Hof nach Entsatz Deventers gezogen war, wo dann erst, evtl. von anderer Hand, auf Rasur der neue Ausstellort und das auf die Ausstellung zu beziehende Tagesdatum nachgetragen wurden (s. Anm. e’), und wo das unvollkommene Stück, womöglich auf ausdrücklichen, denkbare Einwände der Kanzlei beiseite schiebenden persönlichen Befehl des Kaisers und zugleich auf Drängen der sich mit diesem Notbehelf zufriedengeben müssenden Abgesandten Deventers das alle Mängel zudeckende kaiserliche Siegel erhielt. – Diese Mängel sind letztlich das stärkste Argument gegen Oppermanns Fälschungsverdacht; ein späterer Fälscher hätte es sich nicht erlauben können, ein solches verunglücktes Elaborat abzuliefern.

(C.) In nomine sancte et individue trinitatis. Ego Henricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Notum habeant omnes tam presentes quam futuri, quod Dauentrensibus pro devotissima fidelitate sua, quam nobis exhibuerunt, emptionem baptismatis et sepulturarum, quam hactenus contra leges divinas et humanas exhibuerunt, consilio et iudicio episcoporum et principum catholicam fidem tenentium prorsus remisimus ac, ne ulterius apud illos puerorum baptisma mortuorumque sepultura conducatur, consensu Godebaldi Traiectensis ęcclesię episcopi districtione imperiali interdiximus. Preterea, ut ipsos eorumque posteros ad exequendam fidelitatem amplius animatos corroboremus, denarios domorum eisdem Dauentrensibus remisimus ęcclesiamque nomine Raalt, quę Lifgero abiudicata fuit, loco eorundem denariorum preposito et confratribus substituimus. Ut autem huius nostrę concessi[o]nis decretum ratum et inconvulsum remaneat, hanc inde cartam conscribi iussimus nostrique sigilli auctoritate insignivimus. Huius rei testes sunt: Fredericus Coloniensis archiepiscopus, Bruno Treuerensis archiepiscopus, Albero Leodiensis episcopus, comes Gerardus de Gelra, comes Arnulfus de Cliva, Arnulfus de Rotha, Stephanus Oyensis.

Signum Henrici quarti Romanorum imperatoris (M.9.) invictissimi. (SI.4.)

Philippus cancellarius recognovi vice Adelberti Mogontini archicancellarii.

Data Traiecti anno incarnationis dominicę MCXXIII, indictione XIIIa, IIII. non. aug..