Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<†26.>>

Verunechtet.

Heinrich bestätigt unter Mitwirkung Bischof Otberts den Kanonikern von Lüttich ihre alten Rechte.

Lüttich, 1107 Dezember 23.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Liber cartarum eccl. Leodiensis des 13. Jh. f. 48 no 5 (B) sowie f. 232 no 456 in der Bestätigung Kg. Rudolfs von 1275 Sept. 10 (B.-Redlich Reg. 426; Bormans-Schoolmeesters 2,238 no 662, ohne das Insert des D. † 26) in Abschrift des 14. Jh.(C) im Staatsarchiv zu Lüttich, 1944 durch Kriegseinwirkung zerstört. – Auf Bitten von decanus et capitulum sancti Bartholomei Leodiensis gefertigtes notarielles exemplum des D. Rudolfs aus dem 14. Jh. (durch Symon Raynerii … nunc officii archidiaconatus Bononiensis notarius) ebenda (D). – Abschrift nach B im Liber primus cartarum eccl. Leodiensis des 14. Jh. p. 147–148 (f. 43r–v) no 5 ebenda (E). – Liber magnus cathenatus des Kollegiatstiftes Sainte-Croix von 1379 f. 202r–v (F) sowie f. 351r–v das D. Rudolfs in notarieller Beglaubigung von 1275 Okt. 30 (G) ebenda.

Drucke: Chapeaville, Gesta pontificum Leodiensium 2,54 (zu [1108] Januar 1 = im Text: Datum Kalend. Ianuarii …) (c) = Vredius, Genealogia com. Flandriae 1, preuves 128 (zu 1197) = (Zorn), Refutatio per modum informationis … 225 no 3 = Lünig, Reichsarchiv 17a,498 no 32. – Die folgenden zu 1107 Dezember 23: Aus FGc: Raikem-Polain, Coutumes du pays de Liège 1,353 no 1. – Aus BDG: Bormans, Recueil des ordonnances de la principauté de Liége 1,12 = Waitz, Urk. zur dt. Verf.-Gesch. 118 no 7; 237 no 15 (in Spaltdruck mit D. † 283). – Aus BC: Bormans-Schoolmeesters, Cartulaire de l’église Saint-Lambert de Liége 1,48 no 30 (b) = Lyna in Bijdr. tot de geschiedenis 15,655ff. Auszüge (jeweils mit niederländ. Übers.) = Martens in Elenchus font. hist. urbanae 1,307 no 19.

Reg.: Georgisch, Reg. chronol.-dipl. 1,483 no 1 zu 1107 Jan. 1. – Wauters, Table chronol. 2,34 u. 7,197; Bormans-Halkin, Table chronol. 11.1,104. – Knipping, Kölner Reg. 2,8 no 49. – Cauchie-van Hove, Doc. sur la principauté de Liége 1,11 no 33. – Poncelet, Inv. analyt. des chartes de la collégiale de Sainte-Croix a Liége 1,10 no 12. – Fairon-Haust, Rég. de la cité de Liège 1,3 no 2. – Böhmer Reg. 1984 (zu 1108 Jan.1). – Stumpf Reg. 3021.

Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. u.a. Poncelet, Inv. analyt. des chartes de la collégiale de Sainte-Croix XXXIV, Ramackers, Papsturk. in den Niederlanden 1,30ff., Niermeyer, Onderzoekingen 145f. – Der Text stützt sich für den verlorenen “Liber cartarum” auf den Druck bei Bormans-Schoolmeesters (b), die ihrem Text die Überlieferung B (bei ihnen mit der Sigle A versehen) zugrundelegten und die Varianten von C (bei ihnen B) in den Anmerkungen zitierten; wo B und C übereinstimmen (also keine B-Variante angeführt ist), wird von uns im Apparat die zusammenfassende Sigle “b” verwendet.

Der Druck Chapeavilles (c) basiert offensichtlich nicht, wie Niermeyer a.a.O. 145 behauptet, auf B (vgl. z.B. Anm. b, z’, f”, l”, r”), sondern auf einer unbekannten Vorlage, die teilweise E (vgl. z.B. Anm. f, a’, m’, t’, w’, q”, ab), teilweise F nahesteht (vgl. z.B. Anm. b, f”, l”, o”, ae), aber mit keiner der beiden Vorlagen identisch ist (für E vgl. z.B. Anm. b, s’, z’, k”, l”, am = Anm. 2; für F Anm. f, o, k’, p’, a”, v”, ab, ac, af, ap); vereinzelte Lesungen haben in keiner der verwendeten Handschriften eine Parallele (vgl. z.B. Anm. y, g’, i’, ag–ai, as); die c-Varianten werden daher vollständig verzeichnet.

Eine erste Erwähnung des D. † 26, ohne konkreteren Bezug auf dessen Inhalt, findet sich in dem Privileg P. Innocenz’ II. für das Domkapitel (canonici Leodiensis ecclesie) von 1143 Mai 16 (JL 8366; Bormans-Schoolmeesters 1,66 no 40), wo es im Anschluß an die Enumeratio der Besitzliste und vor der Decernimus-Formel heißt: libertatem quoque, quam Leodiensis ecclesia episcoporum et regum concessione antiquitus habuisse dinoscitur, auctoritate apostolica confirmamus, sicut Henrici quinti imperatoris scripto rationabili providentia confirmata est.

Im 13. Jh. folgt dann eine dichte Reihe von Bestätigungen, nach denen die Begünstigungen des D. † 26 (auf dessen Art. 2 konzentriert) für alle Lütticher Kirchen in Anspruch genommen werden: Mit Urkunde von 1245 März 30 (Borm.-Schoolm. 1,476 no 386) annulliert B. Robert von Lüttich auf Klage von decanus et capitulum Leodiens. ein Urteil, das villicus et scabini Leodienses gegen einen domkapitelschen minister/forestarius verhängt hatten, u. zw. de facto, cum de iure non possent contra privilegium ecclesie Leodiensis sibi a domino Henrico Romanorum rege quinto indultum, per quod privilegium ministri ecclesie [bei zweimaligen Wiederholungen heißt es jeweils maioris ecclesie] Leodiensis et aliarum ecclesiarum Leodiensium excepti sunt a foro civili.

In einem an prepositus, archidiaconi totumque capitulum maioris ecclesie ac aliarum ecclesiarum decani et capitula civitatis Leodiensis adressierten Statut von 1253 Nov. 15 (Borm.-Schoolm. 2,59 no 525), mit dem der Elekt Heinrich von Lüttich ihnen bestätigt, daß vobis per dominum Henricum felicis recordationis Romanorum regem [vgl. dazu weiter unten] ex speciali privilegio sit indultum, quod fideles nostri scabini Leodienses nullam habere possint in vestra familia iurisdictionem pro aliquo forefacto vel ferre sententiam vel iudicium aliquod in familia supradicta, verpflichtet er sich und seine Nachfolger, bei Einsetzung eines villicus oder scabinus diese bei ihrer Amtseinführung (in sua institutione) eidlich auf die Beachtung des privilegium zu verpflichten; das Statut des Elekten wird wenig später von Kg. Wilhelm mit Diplom von 1254 Febr. 13 (Winkelmann, Acta imp. 1,446 no 552 und Borm.-Schoolm. 2,66 no 530) als Insert bestätigt.

Nach Rudolfs Bestätigung von 1275 erließ dann das Kapitel von St. Lambert am 18. Sept. 1282 (Borm.-Schoolm. 2,548 no 734) ein umfassendes Statut, zu dessen Beginn die ewige Geltung der articuli des D. † 26 (s. Anm. 1) und seiner Bestätigung durch den Elekten Heinrich und Kg. Wilhelm verfügt wird; durch die Anknüpfung des Referats des Elekten-Statuts an das durch dieses bestätigte D. † 26 (dictum privilegium seu indultum dicti domini regis ratum habuerit …) erledigt sich übrigens von selbst die unverständliche Behauptung bei B.-Ficker Reg. *4874 (wiederholt von Hägermann in DA 36,548 und in Vorbem. zu DH.R.8), mit dem Henricus fel. record. Rom. rex im Elekten-Statut sei “zweifellos” Heinrich Raspe gemeint, worauf sich die Annahme eines zu etwa 1246 Aug. 13 zu datierenden Raspe-Deperditums gründet.

D. † 26 (und dessen Nachurkunde, D. † 283/St. 3034 für St. Servaas zu Maastricht) hat auffällige, allesamt dem Kanzleibrauch fremde (vgl. dazu für D. † 29 schon Ficker, Beiträge 2,189, 316 u. 477) Diktat-Gemeinsamkeiten mit D. † 29/St. 3022 für Heinrich von Zutphen (und dessen Nachurkunde D. † 281/St.3023 für die Kirche zu Zutphen; auf beide Nachurkunden wird im Folgenden nur ausnahmsweise Bezug genommen): Dies sind insbesondere der durchgängige Aussteller-Singular (in D. † 281 teilweise, in D. † 283 vollständig durch Plural ersetzt, s. Anm. i). – Die Devotionsformel dei gratia. – Das Fehlen einer Arenga und die Eröffnung der Publikatio mit Notum sit … – Eine Korroboratio, die zunächst lediglich auf die auctoritas tot tantorum virorum (D. † 26) bzw. principum regni (D. † 29; sind auch in D. † 26 gemeint) Bezug nimmt, wobei nur D. † 29 darüber hinaus die in D. † 26 fehlende Siegelankündigung anfügt. – Die Einführung der anschließend genannten Erzbischöfe und Bischöfe (= die principes) als “Unterfertiger” durch die Eröffnung der einzelnen Namensnennungen mit Signum, wogegen der Fortführung der Namensliste mit Laien (Grafen) lediglich ein testes vorgeschaltet ist. – Gleichlautende Formulierung der Signum- und Rekognitionszeilen, letztere jeweils mit der kanzleifremden Eröffnung durch Ego. – Schließlich die Eröffnung der Datumzeile mit Anno … (in D. † 29 anders und kürzer als in D. † 26). Die größte Gemeinsamkeit zeigt aber die punktuell von kanzleigemäßen Formen sich unterscheidende Zeichnung des Monogramms, dessen durch die kopiale Überlieferung für D. † 26 verderbte Gestalt (s. Anm. am und 2) in der Nachurkunde D. † 283 repräsentiert wird: Mit einem kanzleigemäßen Monogramm übereinstimmend ist in allen Fällen nur das lineare Grundgerüst, dem jedoch der kanzleiübliche (allerdings auch sonst nicht immer vorhandene) A-Strich zwischen den unteren Schenkeln der Diagonalen fehlt. Zwei Abweichungen gegenüber der normalen Zeichnung hängen vermutlich kausal miteinander zusammen und sind womöglich genau überlegt: Während in echten Monogrammen das C des Namens Heinricus durch horizontale Abstriche nach rechts an Kopf und Fuß der linken Vertikalen ausgedrückt ist, fehlen hier diese Abstriche und sind durch bloße Serifen ersetzt, dafür ist die rechte Vertikale in der unteren Hälfte mit einem dort kanzleigemäß nie anzutreffenden C belegt, das dadurch ausgefallene, kanzleigemäß dort befindliche X sah man anscheinend durch das Diagonalkreuz wiedergegeben (wegen des Zusammenhangs mit der Gestaltung der linken Vertikalen muß man mit Sicherheit ausschließen, daß es sich bei dem C um ein verschriebenes O handelt, wie es hier kanzleigemäß erst nach der Kaiserkrönung seit dem M.7. begegnet (vorher nur vereinzelt in DD.12, 20 u. 43).

Ohne jedes Beispiel ist sodann die Gestaltung der oberen Hälfte der mittleren Vertikalen (diese mit kanzleigemäß am Fuß angelehntem R): Unter einem deckende T-Strich ist ein Q aufgelegt; es scheint nun gerade in unserem Fall nicht ausgeschlossen, daß dem Schreiber das gleichzeitige, nur etwa ein halbes Jahr (in DD.19 … † 31 von 1107 Juni 20 – 1108 Jan; nochmals in D.38 von 1108 Sept. 6) in Gebrauch befindliche M.3. zu Gesicht gekommen war, das als einziges Monogramm an der mittleren Vertikalen ein Q, jedoch ohne T-Balken, aufweist; immerhin hat das Monogramm von D. † 26 die richtigen Buchstaben D und G an der linken und S in der oberen Hälfte der rechten Vertikalen, wohingegen D. † 29, unter unveränderter Belassung des charakteristischen C(!), diese drei Buchstaben in singulärer Weise anders plaziert (vgl. dortige Vorbemerkung).

Unterstellt man deshalb, daß der Schreiber die Plazierung der Buchstaben für beliebig ansah, soweit nur alle vertreten waren, darf man u.U. vermuten, daß das verlorene Original des D. † 26 mit dem M.3. ausgestattet war.

(C.) In nomine sancte et individue trinitatis. Heinricus dei gratia quintus Romanorum rex. Notum sit universis ecclesie catholice filiis, quoniam rediens de expeditione in Robertum comitem Flandrie facta Leodium veni, ubi decenter et honorifice ecclesie occursu exceptus et in conventu fratrum frater ipse effectus has subscriptas leges paternas, antiquissima inquam privilegia, in medium producta recepi, inspexi, postmodum Otberto eiusdem ecclesie episcopo presente et ipso cooperante legitime renovanda et perpetuo corroboranda decrevi. Sunt autem hec:

(1) Si quis rusticus aliquam angariam nostram nobis de villa prosequutus fuerit, nullum forense iudicium sustinebit, sed etiam si reus fuerit, in illo cuiuscumque canonici obsequio eundo vel redeundo ipse cum suis omnibus liber erit.

(2) Item si alicuius canonici serviens, qui in convictu suo sit, aliquid in civitate peccaverit, nullum forense iudicium sustinebit, nisi publicus mercator fuerit, sed in refectorio sancti Lamberti forensi potestati vel cuicumque reus fuerit, domini sui conductu, cuius cliens est, iudicio parium suorum claustralium servientium satisfaciet; <nullum vero theloneum solvet>.

(3) Item si quis de convictu alicuius canonici non fuerit, sed beneficium ab eo habuerit et homo eius fuerit, domini sui conductu ante ipsum episcopum veniet et iudicio parium suorum, qui ab ipso episcopo vel a quolibet canonico beneficia obtinent, satisfaciet; item si non cliens vel beneficiatus suus, sed aliquis tantum legationis vel visitationis gratia ad canonicum venerit, eundo et redeundo a iure civili liber erit.

(4) Villicus et omnes officiales ministri de villa eius liberi erunt vel domini sui conductu in refectorio sancti Lamberti satisfacient; <nullum vero theloneum persolvent>.

(5) Item in domibus ad claustrales sedes pertinentibus forensis potestas ius nullum spoliandi aut ostium obserandi vel vigiles vel ostiatim denarios exigendi habebit, sed tantum inibi manens, si extra domum deprehendi potuerit, forense iudicium subibit. De censu autem ipsarum domorum et de lite aliqua, quam inter se de finibus suis habuerint inibi manentes, ante ipsius terre dominum iudicio parium suorum satisfacient. – Si autem non claustralis sedis, sed mansionarie terre domus fuerint, ipsas domos spoliandi, obserandi, habitatores capiendi ius erit forensi potestati, excepta Sabulonaria, in qua forensis potestas nullum ius nisi in latronibus, in falsis mensuris, in seditionibus, quas vulgo stuer et burine dicimus, iudicandis. De censu autem domorum et lite finium terre canonicus, cuius ea fuerit, iudicabit. Quodsi hereditas aliquibus abiudicata fuerit et eam per violentiam obtinere voluerint, querimonia de rebellione fiet episcopo, et ipse inde pacem faciet. Quodsi aliquis vel emptione vel hereditate aliquid de terra claustrali vel mansionaria obtinuerit, quando investituram requisierit, domino ipsius terre quantum census tantum redemptionis dabit.

(6) Item si quis suburbanus clericus domum hereditariam habuerit vel emerit et in eadem manserit, liberam ab omni iure civili obtinebit.

(7) Item si quis servientem nostrum vulneraverit vel occiderit, ipse et omnia sua episcopali potestati adiudicari debent et pacatio, que congruat persone vel culpe, ipsi servienti persolvi. De ipsis autem canonicis vulneratis vel verberatis synodali censura iudicabitur. Quodsi quis negare huiusmodi reatum voluerit, non iureiurando, sed dei iudicio se expurgabit, quoniam huiusmodi contra clericos iniuria emunitatis legem obtinebit.

Huius igitur rei testamentum ut ratum maneat et inconvulsum, sancitum est et astipulatum tot tantorum auctoritate virorum: Signum Frederici Coloniensis archiepiscopi. Signum Arlongi Werzeburgensis episcopi. Signum Brunonis Spirensis episcopi. Testes: Fredericus prepositus, Heinricus decanus, Thedericus, Andreas, Heinricus, Alexander, Almannus, archidiaconi; Warnerus comes, Herimannus comes, Wibertus comes, Berengarius comes, Arnulphus comes, Lambertus comes, Wilelmus.

Signum domni Heinrici quinti (M.) regis Romanorum invictissimi.

Ego Albertus cancellarius vice Rotardi archicancellarii recognovi.

Anno dominice incarnationis MoCoVIIo, indictione XV, anno autem domni Heinrici quinti Romanorum regis regni II; datum Xo kl. ianuarii; actum Leodii; feliciter in nomine domini.