Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<259.>>

Heinrich bestätigt dem Kloster Luxeuil die von Päpsten und Kaisern verliehenen Rechte, verbietet die Erhebung einer Steuer im Gebiet der Abtei, gewährt den Kaufleuten des Klosters freien Handelsverkehr im ganzen Reich und befreit sie von Zoll und sonstigen Fiskalabgaben.

Straßburg, 1123 Juni 27.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Abschrift des 17. Jh. nach dem Original in Ms. lat. 12.678 (Monasticon Benedictinum tom. 21) f. 370r der Nationalbibliothek zu Paris (B). – Abschrift des 18. Jh. im Départementalarchiv zu Besançon G H 1 (C). – Abschriften Grappins († 1833) in Ms. Droz 41 f. 117r–118r der Stadtbibliothek zu Besançon (D) und in Coll. Moreau Ms. 869 f. 337r–338v der Nationalbibliothek zu Paris (E). – Transsumpt durch Herzog Philipp (d. Schönen) von 1500 März 11 in Abschrift des 17. Jh. im Départementalarchiv zu Besançon G H 2 (F).

Drucke: Grandidier, Hist. eccl. d’Alsace 2,249 no 594 “ex autographo abbatiae Luxoviensis”, laut seiner Anm. a jedoch in Wirklichkeit nach einer von Grappin vermittelten Abschrift (vgl. bes. Anm. w’). – Aus B: Gallia Christiana 15,24 no 20 = Stoclet, Immunes ab omni teloneo 445f.

Reg.: Baumont, Étude hist. sur l’abbaye de Luxeuil 14. – Wentzcke, Strassburger Reg. 1,309 no 413. – Ruperti in Jahrb. f. lothr. Gesch. 22,74. – Moyse in Bibl. de l’École des Chartes 131,32 no 39. – Stumpf Reg. 3192.

Verfasst und offenbar auch geschrieben (s. unten) von Notar Heinrich (vgl. Hausmann, Reichskanzlei 74 no 22), unter teilweise sehr freier Verwendung zweier Diplome Ludwigs des Frommen für das Kloster Stablo, beide von 814 Okt. 1, die er seinem Formularbehelf einverleibt hatte: Das erste (2BM Reg. 545; Halkin-Roland, Recueil des chartes de Stavelot-Malmedy 1,63 no 25), das auch Aufnahme in den Codex Udalrici fand (CU.; Eccard no 44; vgl. Hausmann in MIÖG 58,73 Formel 4) (= VL.I), benützte er hauptsächlich für die Arenga. Aus dem zweiten (2BM Reg. 546; Halkin-Roland a.a.O. 68 no 26 = VL.II), dem übrigens eine Arenga fehlt, übernahm er eine Reihe von Versatzstücken für die Dispositio; da der Notar sich beim Einbau dieser Versatzstücke oft nicht an die Abfolge in VL.II hielt, sie häufig umformulierte (u.a. durch Austausch von Verb und Nomen; vgl. z.B. mercati fuerint gegenüber in mercatis) und gelegentlich in ganz anderen Sachzusammenhängen verwendete (s. z.B. Anm. o’), außerdem angesichts einiger schon in der Vorlage gebotener Doppelungen die genaue Herkunftsstelle eines Wortes oder einer Phrase unklar bleiben kann, was alles sich in den Anmerkungen kaum wiedergeben ließe, bieten wir hier einen Auszug aus VL.II im Wortlaut, wobei alle Parallelen mit D.259, auch wenn ein in VL.II mehrfach verwendeter Begriff in unserem D. nur einmal aufgegriffen ist, durch Petitsatz gekennzeichnet werden:

… notum sit, quia vir venerabilis Wirundus abba et omnis congregatio … petierunt serenitatem nostram, ut eis concessissemus theloneum de eorum navibus, que per Renum et per Mosam flumina propter eorum subplendas necessitates discurrunt, necnon et de carris et saginariis necessaria eorum deferentibus. Quorum peticionibus nobis ob amorem dei … annuere et hoc preceptum magnificentia nostra firmitatis gratia circa ipsos fieri libuit, per quod iubemus atque precipimus, ut nemo fidelium nostrorum nec quilibet exactor iudiciarie potestatis de carris vel saginariis ipsius congregationis de quolibet commertio, undecumque videlicet fiscus theloneum exigere potest, ut nullo loco theloneum accipere vel exigere presumat. Naves vero, que dicta flumina ob utilitatem et necessitatem ipsius congregationis discurrunt, ad quascumque civitates aut portus vel cetera loca accessum habuerint, nullus ex eis aut hominibus, qui eas prevident, nullum theloneum aut ripaticum aut postaticum [vgl. Anm. t’] aut pontaticum aut salutaticum aut cenaticum aut pastionem aut trauvaticum aut ullum occursum vel ullum censum aut ullam redibitionem accipere vel exigere audeat, sed licitum sit eis absque alicuius illicita contrarietate vel detentione … naves et homines, qui eas providere debent, cum his, que deferunt, per universum imperium nostrum libere atque secure ire et redire, et si aliquas moras in qualibet loca fecerint aut aliquid mercati fuerint aut vendiderint, nichil ab eis prorsus, ut dictum est, exigatur.

Die im Ergebnis äußerst mangelhafte Ausbeutung von VL.II bewerkstelligte der Notar in zwei Anläufen, wodurch es zu einer, sicher nicht durch die Doppelungen in VL.II verursachten, Verdoppelung der Dispositio kam: Nachdem er einer radikal verkürzten und letztlich verunglückten Dispositio schon die Korroboratio angefügt hatte, muss ihm die Unzulänglichkeit dieser Dispositio aufgefallen sein, wo insbesondere die Nennung des Zolls als zentraler Gegenstand der Privilegierung gefehlt hatte (s. Anm. e’); diesen Mangel suchte er sofort, in einem gewaltsam mit ut … (s. Anm. l’) an die Korroboratio anknüpfenden Finalsatz zu heilen, indem er unter fast wörtlicher Wiederholung des fiscus-Passus der ersten Dispositio das dortige sinnlose illud durch eine ausführliche, wiederum VL.II entnommene Konkretisierung über theloneum etc. ersetzte und diese zweite Dispositio um die in der ersten fehlenden Bestimmungen über den freien Handelsverkehr abschloss, was sicher auch Inhalt des demnach zunächst unvollständig wiedergegebenen Beurkundungsbefehls gewesen sein wird. – Eine nachträgliche, d.h. verfälschende Einfügung durch den Empfänger scheidet außer aus Platzgründen von vornherein deswegen aus, weil der Text mit Hilfe der nur dem Notar verfügbaren VL.II formuliert wurde; und da die kompositorische Korrektur, die eigentlich eine Reskribierung des Originals verlangt hätte, unmittelbar während der Niederschrift erfolgte, steht auch fest, dass der Notar der Schreiber des Ganzen war. Im übrigen ist selbstverständlich davon auszugehen, dass neben den über den Formularbehelf zugänglichen Ludwig-Diplomen für Stablo auch die ausdrücklich erwähnten älteren Diplome für Luxeuil selbst auf den Text Einfluss nahmen, dessen Art und Umfang wegen deren Verlustes aber ungeklärt bleiben muss. Es gibt dafür nur ein einziges Indiz: In dem D. Philipps für Luxeuil von 1201 August 5 (B.-Ficker Reg. 63; Gallia christiana 15,58 no 62; vgl. Zinsmaier, Urk. Philipps von Schwaben u. Ottos IV. 37), das vor allem die Erneuerung eines verlorenen D. Ludwigs des Frommen für Luxeuil (s. Anm. 2) sein will – in dem übrigens auf D.259 weder formal noch inhaltlich (von Zoll ist dort überhaupt nicht die Rede) Bezug genommen wird –, begegnen zwei offenbar aus dem Ludwig-Diplom geschöpfte Stellen, denen D.259 teilweise, zumindest in Kleinigkeiten, näher steht (durch Sperrung gekennzeichnet) als dem Stabloer Diplom VL.II (vgl. obigen Auszug): Das eröffnende umfassende Introitus-Verbot beginnt mit praecipimus inprimis, ut nullus iudex saecularis [D.259: publicus] vel quilibet ex iudiciaria potestate in ecclesias … ingredi audeat; in dem anschließenden Verzicht auf Fiskalabgaben zugunsten des Klosters heißt es: ad instar ipsius Ludovici imperatoris, quidquid fiscus imperialis exinde exigere poterat … concedimus.

Aus zwei Abschnitten des D.259, darunter die ganze zweite Dispositio, wurde der Schluss des wohl Ende des 12. Jh. gefälschten DKar.†300 (= NU.) zusammengestückelt (s. Anm. i und l’). – Den Text des D.259 – nicht nur der Arenga (s. unten) – muss der Notar übrigens gleichfalls seinem Formularbehelf einverleibt haben, wie die von den Herausgebern übersehene Benützung in einigen Diplomen der frühen Stauferzeit beweist: Der Notar selbst benützte die Arenga in dem von ihm als Kanzler Konrads III. während dessen Gegenkönigtums weitgehend verfassten DK.III.1 von 1129 Juli 14 (s. Anm. c); geringfügige Benützung begegnet sodann in dem DF.I.4 von 1152 (s. Anm. e), etwas ausführlichere schließlich auch in zwei von dem Notar Arnaldus verfassten Diplomen der Kaiserin Beatrix, dem DBt.4 von 1183 Jan. 1 (im Druck mit der falschen Monatsangabe Juni) sowie in dem DBt.7 von 1183 Okt. 2, das außer auf das DBt.4 nochmals unmittelbar auf D.259 zurückgriff (s. Anm. b), aus dem Arnaldus auch den Anfang der Dispositio übernahm (s. Anm. i); nicht auszuschließen ist auch, dass D.259 das Vorbild dafür abgab, dass in dem umfangreichen DBt.7 die Korroboratio weit vorne (S. 500 Z. 17) in Verbindung mit der Petitio geboten wird.

Die von Stumpf a.a.O. aufgrund seiner fälschlichen Angabe des Titels mit “Rom. rex” geäußerten Zweifel an der Echtheit des D.259 wurden von ihm selbst in den Zusätzen und Berichtigungen (a.a.O. 540) unter Berufung auf die Intitulatio in Gallia Christiana zurückgenommen. – Meyer von Knonau, Jahrb. 7,245 Anm. 23 bezweifelt im Hinblick auf die Nachricht der Paderborner Annalen (a.a.O. und 250 Anm. 32), dass Heinrich circa pentecosten (3. Juni) zum Feldzug gegen die Friesen (ad fines occidentis) aufgebrochen sei, die Richtigkeit der von D.259 gebotenen Kombination von Datum und Ausstellort; dagegen wendet Stüllein, Itinerar 99 mit Anm. 10 zu Recht ein, dass der Beginn des Feldzugs vermutlich zwar für den Pfingsttermin angesagt war, aber aus irgendwelchen Gründen verschoben wurde; vgl. dazu auch Brühl, Palatium und Civitas 2,154 mit Anm. 49, der offen lässt, ob Heinrich evtl. das Pfingstfest in Straßburg gefeiert hatte, wofür es nun allerdings keinerlei Anhaltspunkte gibt, die Dauer eines dann fast für den ganzen Monat Juni vorauszusetzenden Aufenthalts in Straßburg vielmehr gegen diese Annahme spricht. Für die Richtigkeit der Datierung von D.259 sprechen im übrigen zwei Gründe: Straßburg als Handlungsort hat die Nennung der drei elsässischen Grafen für sich, die auch bei den beiden Straßburger Stücken DD.247/248 von Ende Januar anwesend waren; andererseits ergibt sich aus der Nennung des in der handschriftlichen Überlieferung verderbten (s. Anm. e”) A. Feredlensis episcopus eine enge zeitliche Nähe zum Friesenzug, da in dem fast gleichzeitigen D.260 ein episcopus Uercellensis genannt ist, bei dem es sich um den seit spätestens 1122 amtierenden (vgl. Schwartz, Besetzung 141) B. Anselm von Vercelli handelt; aus dem Feredlensis ergibt sich ohne paläographische Schwierigkeiten (ed statt cel durch Verwechslung von e mit c und von d mit cl/el) unsere Emendation zu Fercellensis, eine Schreibung statt Vercellensis, wie sie z.B. auch in DKo.III.55 begegnet (vgl. Vorbemerkung zu D.*256). B. Anselm hatte demnach von Straßburg aus den Hof während des Feldzuges begleitet. Grandidiers Lesung Verdensis muss als willkürliche Konjektur gewertet werden, weil er vermutlich mit der handschriftlichen Form nichts anzufangen wusste; sie scheitert schon an der Namens-Sigle A., weil damals in Verden der von Heinrich nicht akzeptierte (s. D.196; vgl. B.-Petke Reg.53) und daher nie am Hofe genannte B. Thietmar II. (1116–1148) und in Verdun, an das Grandidier womöglich auch dachte, obwohl für dies die Schreibung Verdunensis/Vird- lauten müsste, B. Heinrich (1117–1129) amtierten. – Der von Heinrich als consanguineus bezeichnete Abt Hugo regierte 1123–1136 (vgl. Baumont a.a.O. 83).

In nomine sancte et individue trinitatis. Henricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Imperialem celsitudinem nostram decet predecessorum nostrorum pia exempla sectari et ecclesias deo dicatas ab incursu et infestatione malignantium diligenti cura defensare eisque a bonis ac religiosis viris collata bona retinere et conservare. Hac igitur ratione et discretione utiliter inspecta iura, auctoritates, privilegia, libertatem a sancte Romane sedis pontificibus sive ab antecessoribus nostris regibus vel imperatoribus sancte Luxouiensi ecclesie concessam et contraditam confirmamus, corroboramus et auctorisamus. Insuper imperiali auctoritate nostra per omnem eiusdem ecclesie abbatiam tessariam omnimodis fieri prohibemus et interdicimus. Hoc autem principum nostrorum consilio, fidelium nostrorum petitione, specialiter autem pro remedio anime nostre benigne fecimus, quia vir venerabilis Hugo, noster consanguineus atque eiusdem ecclesie abbas, privilegia imperatorum, Lotharii scilicet ac Ludouici, nostre maiestati presentavit, in quibus continebatur, qualiter Pippinus quondam rex et imperator Carolus per eorum auctoritatem concessissent eidem monasterio et ibidem deo servientibus privilegium de quolibet negotio, undecumque illud fiscus exigere poterat. Cuius precibus ob amorem dei libentissime assensum prebentes hoc auctoritatis nostre et confirmationis preceptum iamdicto monasterio fieri iussimus [et] sigilli nostri impressione insigniri fecimus, ut homines eiusdem monasterii necessitatibus ad diversa negotia servientes per universum regnum imperiumque nostrum nostro imperiali banno libere [secur]e discurrant, et nullus iudex publicus aut exactor nullum theloneum, portaticum, pontaticum, gest[aticum] de ipsis aut eorum hominibus, undecumque fiscus accipere consuevit, ullatenus exigere p[resumat], nec in pontibus nec in aquis, sicut prediximus, nec in mercatis nec in quibuslibet locis, sed p[er] quecumque castella, portus vel quelibet loca homines et negotiantes ipsius monasterii ire, r[edire], vendere et comparare absque alicuius contradictione prevaleant. Si quis autem, quod absit, h[anc] nostre corroborationis paginam violare presumpserit, auri purissimi centum libras compon[at] et in scriniis imperatoris reponat. Huic concessioni principes et fideles nostri adfuerunt: Berto[ldus] Basileensis episcopus, B. Argentinensis episcopus, A. Fercellensis episcopus, Stephanus Metensis ep[iscopus], Godefridus palatinus, Hugo comes, Albero comes, Albertus comes.

Signum Henrici quarti Romanorum imperatoris (M.) invictissimi.

Philippus cancellarius recognovi vice Adelberti Mogont[ini] archicancellarii.

Data Argentine, anno dominice incarnationis MCXXIII, indictione XIII, V. kal. iulii.