Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<†258.>>

Unecht.

Heinrich bestätigt den Einwohnern von Stavoren ihr altes Recht gemäß der Regelung König Karls (des Großen), der Weisung durch die Kundigsten des Ortes, der Anerkennung durch Berater seines Vaters (Heinrichs IV.) und einer besonderen Verfügung des Grafen Ekbert (Verbot des gerichtlichen Zweikampfes, Befreiung von Vogtding, Regelung der Aufteilung des Wergeldes, Beschränkung der Strafe der Hauszerstörung auf vier Vergehen) sowie einer von ihm selbst verbrieften Regelung über die Höhe des Rheinzolls und über das “Geleit” zur Nagela, was alles er von Erzbischof Friedrich von Köln durch dessen Bann bekräftigen lässt, der Zuwiderhandelnde mit der Exkommunikation bedroht und den Priestern Frieslands befiehlt, diesen den Kirchzugang zu verwehren.

Mainz, (1118) 1123 (März-Mai).

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Abschriften des 14. Jh. im Register des Grafen Wilhelm III. von Holland für Friesland, EL 10 f. 16v no XLVIII u. XLIX (= 14. Jh.) bzw. no 51 u. 52 (= 18.Jh.) (B) und daraus in EL 12 f. 14v (C) im Allgemeinen Reichsarchiv zu s’Gravenhage (Den Haag).

Drucke aus BC: Schwartzenberg, Charterb. van Vriesland 1,71f. zu 1118 (s) = Beucker-Andreae, Disquisitio de origine iuris municipalis Frisici 364ff., 368, 379f. mit Anm. 4 u. 388 Auszüge (mit Kollationsvermerken des van Wyn in dessen Schwartzenberg-Handexemplar, vgl. a.a.O. 364) zu 1118 (b) = Waitz, Urk. z. dt. Verf.-Gesch. 125 no 9; 244 no 17 zu 1108 (Jan.) (w) = v. Richthofen, Unters. über fries. Rechtsgesch. 1,158f. (leicht gekürzt) u. 2.1,118f. (Auszug) zu 1118 (r) = Heck in NA 17,577 Auszug (zu 1123) = Jaekel, Grafen von Mittelfriesdland 120ff. Auszug (zu 1108) (j). – Oppermann, Untersuchungen 1,246 Beil. zu 1108 (Jan.) (o) und 2,165f. Auszug. – ter Kuile in Verslagen en mededeelingen 57,4 no 56 zu (1123 Mai) (tK) – van de Kieft in Elenchus font. hist. urb. 1,431 no 20 zu 1123 (vK).

Reg.: Ernst, Hist. du Limbourg 2,248f. Anm. 3 zu 1118. – Dobenecker, Reg. Thur. 1,220 no 1035 u. 1036 zu [1108 Jan.]. – Knipping, Kölner Reg. 2,8 no 53 zu [1108 Jan.]. -ter Kuile, OB van Overijssel 1,46 no 46 zu [1123 Mai]. – Jakobs in Beitr. z. hochmal. Städtewesen 46 zu 1108. – Stumpf Reg. 3214 zu (1106–1109) und Reg. 3026a zu (1108 Jan. Mainz).

Die äußerst fehlerhaften Abschriften erlauben keine Herstellung eines in allen Punkten zuverlässigen Textes (vgl. bes. Anm. k, r’ und t’), weshalb wir alle Emendationsversuche der bisherigen Drucke, sowohl die mit unseren übereinstimmenden als auch die davon abweichenden, verzeichnet haben.

Falsch ist insbesondere die Jahreszahl MCXVIII, da aufgrund der politischen Situation eine Anwesenheit EB. Friedrichs von Köln am Hofe im Jahre 1118 ausscheidet. – Über die richtige Datierung gehen die bisherigen Ansichten weit auseinander: Ficker (in Stumpf Reg. 3026a) wollte durch Eliminierung von X die Zahl zu 1108 korrigieren und D. †258 in die Nähe des in Mainz ausgestellten D.32/Reg. 3026 von 1108 Jan. 28 rücken, das den Erzbischof als Intervenienten nennt; Waitz übernahm diese Datierung, ebenso Mayer von Knonau, Jahrb. 6,75 mit Anm. 3. – Erstmals vertrat dann Heck in NA 17,581f. eine mit geringerem Eingriff in die handschriftliche Lesung mögliche Korrektur zu MCXXIII (s. Anm. l”), mit dem Hinweis darauf, dass der Feldzug des Sommers 1123 gegen Friesland Anlass dazu gab, “sich mit friesischen Dingen zu beschäftigen”, und auf den vorangehenden Aufenthalt des Hofes am Mittelrhein (vgl. DD.250ff., bes. D.253 von März 12/Speyer und D.257 vom Mai 8/Neuhausen, die beide EB. Friedrich als anwesend erwähnen). Die Lokalisierung des D. †258 nach Mainz, die nach Heck a.a.O. 582 gegen die Annahme einer Fälschung spräche, findet zudem ihre Stütze in einer zeitgenössischen Nachricht bei Cosmas von Prag († 1125) über einen Mainzer Aufenthalt des Hofes (vgl. MGH SS 9,126; SSrer.Germ. N.S. 2 [ed Bretholz],224), der nach Stüllein, Itinerar 98 mit Anm. 7 wohl in den Mai 1123 zu datieren ist (Meyer von Knonau a.a.O. 7,245 Anm. 23 spricht allgemein von “um die Mitte des Jahres”, wogegen Bretholz a.a.O. Anm. 6 für März-April eintritt).

Jaekel, der (a.a.O. 116ff.) dem D. †258 die bisher eingehendste Untersuchung widmete, lehnt hingegen das Jahr 1123 gerade wegen Heinrichs Friesenfeldzug als unpassend ab (a.a.O. 119f.) und plädiert für die Entstehung (der echten Vorlage) des Diploms, das die Rechte der Stavorener gegenüber dem Grafen von Mittelfriesland sichern sollte, zu einem Zeitpunkt, als ein “landfremder”, einer solchen “Instruktion” bedürftiger Graf die Grafschaft erhielt, was er (a.a.O. 124ff.) mit der Verleihung der seit dem Tode Heinrichs d. Fetten († 1101; vgl. dazu D.1) in königlicher Hand befindlichen (vgl. a.a.O. 125 u. 134) Grafschaft mit D. †29 von 1107 Dez. 28 an Heinrich von Zutphen gegeben sieht, der demnach frühestens im Januar 1108 (in Stavoren; vgl. a.a.O. 135) sein Amt angetreten haben könne, weswegen er das Diplom mit Waitz in die letzten Januartage des Jahres 1108 setzt.

Letztlich keine Klarheit in der Datierungsfrage bringt auch die letzte ausführlichere, aber nicht erschöpfende Behandlung des D. †258 durch Oppermann (Untersuchungen 1,212ff. und 2,167ff.), der zunächst (a.a.O. 1,212f.) noch von der Datierung auf 1108 (nach Waitz sowie Jaekel mit Übernahme seines Hinweises auf D. †29) ausgegangen war, sich jedoch ein Jahr später (a.a.O. 2,168 mit Anm. 1), außer der Berufung auf D.257 ohne weitere Begründung, der Datierung Hecks auf 1123 anschloss (a.a.O. 2,165f. bietet er Auszüge aus D. †258 ohne Datumsangabe).

Der handschriftliche Befund erlaubt in der Tat wohl nur eine Korrektur der Jahreszahl zu 1123 – allerdings nicht für den Text unseres D. in seiner vorliegenden Gestalt, die schon Ernst als Fälschung verdächtigt hatte.

Oppermann (a.a.O. 1,222f., modifiziert in 2,168ff.) macht nun wahrscheinlich, dass diese Fälschung um 1290 entstand, evtl. gleichzeitig mit oder im Anschluss an eine Urkunde von 1290 Juni 30 (Matthaeus, Vet. aevi analecta 23,472), die Anklänge an D. †258 aufweist (vgl. Anm. 1 und 2) und die abschließt mit dem Satz (Zitat bei Oppermann a.a.O. 1,223 und 2,168f.): Super omnia autem volumus, ut iura seu libertates a gloriosissimis imperatoribus, videlicet domino Heinrico et eius patre imperatoribus augustis, civibus Stauriae indultae et conscriptae seu constitutiones ab eisdem civibus inveniendae ratae maneant et inconvulsae. – In seiner jetzigen Gestalt hätte D. †258 einer Urkunde des Grafen Florens V. für Stavoren von 1293 April 1 (Mieris, Charterb. van Holland 1,544) vorgelegen gehabt; die Datierung der Fälschung auf 1290–1293 übernahm ter Kuile in der Vorbemerkung zu seinem Druck und in seinem Regest.

Zweifellos erst zusammen mit der Fälschung des Heinricianum in der überlieferten Gestalt ist deren Schluss-Erweiterung um die, in dieser Form als Erfindung des Fälschers zu wertende Urkunde EB. Friedrichs entstanden, wobei auch nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden kann, ob schon in der Korroboratio des echten Heinrich-Diploms wie im jetzigen Text auf dessen bannus Bezug genommen war (dieser Auffassung ist offenbar Studtmann in AfU 12,319). Schon Waitz (a.a.O. 46) hatte auch für möglich gehalten. dass die (in B mit eigener Zählung versehene) EB.-Urkunde mit dem Diplom “nur Eine Urkunde” gebildet hatte (ebenso Dobenecker und Knipping), was sich denn auch zwingend aus der Formulierung sowohl im Schluss des Heinrich-Textes als auch der EB.-Urkunde ergibt, die beide hanc cartam zugleich vom Kaiser und dem Erzbischof besiegelt sein lassen. – Dass EB. Friedrich im echten Diplom von 1123 in irgendeiner Weise erwähnt war, wird man mit Oppermann (a.a.O. 1,223) mit Sicherheit annehmen können, der auch eine wohl zutreffende Erklärung dafür bietet, warum man um 1290 den Kölner EB. statt des eigentlich zuständigen Bischofs von Utrecht “urkunden” ließ.

Dem um 1290 verfälschten Diplom des Jahres 1123 muss überdies noch ein verlorenes älteres D. Heinrichs V. vorangegangen sein, das D.*329, das die im vorliegenden Text verschwiegenen, nur durch das scripsimus eis insuper als verbrieft konstatierten (man beachte demgegenüber das Präsens für die dispositiven Verben consignamus et confirmamus und consignari facimus) konkreten Inhalte enthalten hatte.

Jaekel a.a.O. 123ff. erschloss aus D. †258 die frühere Existenz von insgesamt fünf in ihm vorausgesetzten älteren Dokumenten: Neben einem D. Karls d. Großen (über “Rechte des Landes”, s. auch a.a.O. 122 sowie Anm. k), einer Urkunde des Grafen Ekbert II. von Braunschweig (Markgr. von Meißen, † 1090) und einem D. Heinrichs IV. (vgl. DH.IV.*523) rechnet er sogar mit zwei Deperdita Heinrichs V. (vgl. schon Heck a.a.O. 580), einem, mit dem er die Verleihungen Heinrichs IV. bekräftigte (Hec omnia scripta superius …, vgl. Anm. r’; ob der dort folgende Singular [pater] meus) auf die Vorlage zurückgeht oder einen Kopistenfehler darstellt, lässt sich nicht entscheiden), und einem zweiten (Scripsimus eis insuper …) über den Rheinzoll und den comitatus, das die in D. †258 fehlenden Angaben über die Höhe der dafür zu leistenden Zahlungen enthalten hätte; man wird aber als wahrscheinlicher annehmen dürfen, dass ein einziges Diplom Bestätigung und Neuverleihungen zusammen beurkundet hatte.

Wann die Ekbert-Urkunde anzusetzen ist, ob nach dem D. Heinrichs IV., wie der Text des D. †258 nahelegen könnte, oder davor, bleibt unsicher. Die friesische Grafschaft war Ekbert durch Heinrich IV. dreimal aberkannt und jedesmal der bischöflichen Kirche zu Utrecht verliehen worden, erstmals mit DH.IV.301 von 1077 Okt. 30 (comitatum quendam de Stauero; zu dieser Bezeichnung für die Grafschaft Mittelfriesland vgl. Jaekel a.a.O. 135; nach Anm. d zu D.301 war in einer Überlieferung des 14. Jh. über dortigem Ekbertum quondam marchionem übergeschrieben: in Stauero), sodann mit D.386 von 1086 Febr. 7 (quendam comitatum Fresię Ostrogowe et Westrogowe; mit D.388 von 1086 April 3 erhielt Utrecht aus der Konfiskationsmasse noch comitatum quendam nomine Islegowe) und schließlich mit D.402 con 1089 Febr. 1 (comitatum quendam in Fresia, qui vokatur Westrogowe et Ostrogowe). Jaekel a.a.O. 123 erklärt die auf Ekberts Nennung folgenden Bestimmungen Z. ■ff. als Inhalt seiner Urkunde, was so nicht erweislich erscheint.

Eine Datierung des verlorenen, durch D. †258 erneuerten älteren Diploms Heinrichs V. ist nicht möglich. Wenn Jaekel a.a.O. 129 dafür (zumindest für die Urkunde über den comitatus) die Jahre 1106 oder 1107 annimmt, ist dies lediglich eine Konsequenz seiner Datierung des D. †258 auf 1108; auf Jaekels alternative Jahresangabe ist wohl zurückzuführen, wenn Visser in Lex d. MA 8,81 kaiserliche Privilegien von “1108 und 1123” verzeichnet.

Den Rückschluss auf Datierung in die Königszeit würde erlauben, wenn man annimmt, dass die kanzleiwidrig formulierte Intitulatio mit dem zu 1123 nicht passenden und zum Kaisertitel in der “Friedrich-Urk.” in Widerspruch stehenden Königstitel eine bloße Übernahme aus dem älteren Diplom darstellt (zu anderer Erklärung der Verwendung der Begriffe rex und imperator vgl. Heck a.a.O. 580, Jaekfl a.a.O. 119 u. 127 und Oppermann a.a.O. 2,168f.); dies würde zugleich bedeuten, dass es sich bei dem älteren Diplom ebenso um eine Empfängerausfertigung gehandelt hatte wie bei der ursprünglichen Fassung des D. †258, das Oppermann a.a.O. 2,164ff. u. 169 fälschlich dem Kanzleinotar Heinrich zuweisen wollte, das jedoch keinerlei Kanzleidiktat erkennen lässt.

Inwieweit das Original des D. †258 bei der Verfälschung von ca. 1290 Eingriffe erfuhr, lassen wir namentlich wegen der rechtsgeschichtlichen Implilationen, auf die wir nicht eingehen können, offen. Sicher zur Verfälschhung zu rechnen ist jedenfalls eine Textstelle (s. Anm. 3), die ebenso nur in einer Urkunde des B. Andreas von Utrecht von 1132 Mai 29 (Muller-Bouman, OB sticht Utrecht 1,311 no 340) in der verfälschten Gestalt, die diese um 1290 zusammen mit D, †258 und weiteren Fälschungen erfuhr begegnet (vgl. dazu Oppermann a,a,O. 1,212ff, bes. 214ff. u. 222ff. und 2,167ff.).

Zur Lokalisierung der Naghela, eines verschwundenen Gewässers, das den Wasserweg zur @sel und über diese zum Rhein ermöglichte, vgl. Jaekel a.a.O. 128ff.

Bei dem in allen Drucken falsch wiedergegebenen vodthing (s. Anm. s) ist zu fragen, ob es über seine Bedeutung als Übersetzung des vorangehenden generale placitum hinaus etwas mit der speziellen Bedeutung des von Oppermann a.a.O. 1,224ff ausführlich Behandelten “Bo@g” (vgl. @ Beucker-Andreae a.a.O. 381ff.) zu tun hat.

In nomine sancte et individue trinitatis. Dominica protegente [clementia] Heinricus rex. Notum ergo facimus omnibus Christi nostrique fidelibus tam futuris quam presentibus, qualiter nos Staurencibus omne ius, quod a Karolo rege de terra cum eis est institutum et ab ipsius loci probatissimis est decretum et inventum et quod ab aliis sapientibus patrisque nostri fidelibus est collaudatum, tam legale ius quam morale, et illud precipue, quod comes Egbartus specialiter eis maiore quodam dilectionis affectu constituit, [confirmamus], scilicet ut cum extraneis aut etiam inter se duellum pro aliqua causa non confligant, generale placitum, quod dicitur vodthing, non observent pecuniamque, quam et de perpetrato homicidio debent, exinde inter se dividant et nullis aliis excepto suo comite superiori, prout eis placuerit, partem inde distribuant, fracturas et combustiones domorum non pacientur inter se nisi ob has quatuor causas, utpote si quis hominem vel mulierem interfecerit morte, que dicitur morth, aut si quis pacem, quam omnis possi[de]t Frisia scilicet in domibus, per homicidium violaverit aut communem pacem tocius civitatis illius infregerit aut mulierem vi in ea oppresserit, ob has IIIIor causas permittimus fracturas et combustiones domorum, ita tamen, ut alicuius innocentis domus, licet etiam facientibus consanguinitate coniunctus sit, dampnum non paciatur. Quodsi aliquis stipantibus parentibus [et] amicis penas pati noluerit aut comiti, ne fiat, contradixerit aut comes aliqua causa inductus facere noluerit, inimicus sit regis et tota substancia communis in manu sit regis. Hec omnia scripta superius pater meus ipsis Staurencibus scripsit et consignavit et nos etiam consignamus et confirmamus. Scripsimus eis insuper de tholonio, quantum dare debeant euntes et redeuntes per Renum, et de comitatu vulgariter gheferdi, contra Naghelam. Quod si quis eis infregerit, iugiter sit inimicus regis. Et ut hec semper rata permaneant, hanc cartam sigilli nostri inpressione signamus et Coloniensem episcopum suo sigillo sub banno consignari facimus.

Fredericus dei gracia Coloniensis archiepiscopus omnibus fidelibus salutem. Omnes, qui huic regum nostrorum pie ordinationi contradixerint, excommunicamus, sive clerici sive laici fuerint, et sacerdotibus Frisie precipimus sub banno, ne aliquem supradicte legis violatorem in ecclesia vel in atrio ecclesie vivum vel mortuum suscipiant. Quod si quis fecerit, nisi satisfecerit, anathema sit. Et ut hec in perpetuum inconvulsa permaneant, hanc cartam iussu imperatoris nostro sigillo sicut ipse consignamus.

Data anno ab incarnatione domini MoCoVIII; acta Maguncie; feliciter.