Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<257.>>

Heinrich restituiert dem Nonnenkloster Kaufungen aufgrund eines Fürstenspruches die diesem gewaltsam entzogenen Besitzungen, namentlich die im Forst Kaufungerwald gelegenen Dörfer Heiligenrode und Umbach.

Neuhausen, 1123 Mai 8.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 31/32 b : 40 h) im Staatsarchiv zu Marburg (A); Rückvermerk des 15. Jh.: Littera super Koufungirwalt, Helginrade et Vmbach; Excopiata.

Drucke aus A: Stumpf, Acta imperii 104 no 93. – Bresslau, Diplomata centum 55 no 40. – Posse, CD Sax. reg. 1.2,56 no 67 Auszug. – v. Roques, Kaufunger UB 1,27 no 22.

Reg.: Böhmer-Will, Mainzer Reg. 1,269 no 127. – Dobenecker, Reg. Thur. 1,247 no 1174. – Janicke, UB d. Hochst. Hildesheim 1,162 no 182. – Knipping, Kölner Reg. 2,31 no 207. – Ruperti in Jahrb. f. lothr. Gesch. 22,74 no 11. – Pappenheim, Pappenheimer Reg. 17f. no 362 u. 376. – Heidingsfelder, Eichstätter Reg. 102 no 313. – Diestelkamp-Rotter, Urk.-Regesten 1,133 no 188. – Stumpf Reg. 3191.

Das verschmutzte und stellenweise fleckige Pergament weist starke Schäden durch Mäusefraß auf; die dadurch verursachten Textverluste, die nach Ausweis einer Abschrift des 18. Jh. schon damals bestanden, lassen sich nur teilweise beheben. Das heute verlorene Siegel, dessen Fehlen schon für das Jahr 1900 (v. Roques) konstatiert ist, war 1889 anscheinend noch vorhanden, da es bei Posse identifiziert ist (“S. = Bresslau V.3”; bezieht sich auf Bresslaus Siegelverzeichnis in NA 6,577: Heinrich V.3 [= S.4.]).

Verfasst und geschrieben von Notar Heinrich, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 74 no 21. Wohl nur durch ein Versehen blieb die Zeichnung seines Monogramms unvollständig (s. Anm. w). – Die selbständig erweiterte Arenga entnahm der Notar dem in seinen Formularbehelf aufgenommenen und daraus in den Codex Udalrici (Eccard no 70) gelangten DH.II.196 für Bamberg von 1009 Juni 1 (= VL.), vgl. Hausmann in MIÖG 58,73 Formel 3a; insofern hat D.257 als unmittelbarer Beleg für allgemeine Berufung auf die Bibel in der Kanzlei Heinrichs V. (so Koch, Sacrum imperium 60 Anm. 237) auszuscheiden.

Die Zweifel Stumpfs (Reg. 3191) an der Richtigkeit des eindeutig lesbaren Tagesdatums (s. Anm. a’) und die damit verbundene Annahme einer Verschreibung für 8 idus martii (= März 8), womit D.257 in die Nähe des gleichfalls in Neuhausen ausgestellten D.252 von 1123 März 5 gerückt würde, erscheinen unbegründet: Es spricht einerseits nichts dagegen, dass Heinrich im Frühjahr 1123 seine damalige “Quasiresidenz” Speyer (vgl. Vorbemerkung zu D.253) öfter verließ und dabei das ca. 35 km entfernte und etwa 1,5 km nw. der Stadtmauern von Worms gelegene Neuhausen (heute Stadt Worms) in der Tat zweimal aufsuchte, zumal er dort eine neue Burg errichtet hatte; vgl. dazu Classen in Deutsche Königspfalzen 1,82ff.

Andererseits aber ist insbesondere ein zeitlicher Ansatz in den Anfang des Monats März als zu früh auszuschließen, wenn die Anwesenheit u.a. mehrerer Mainzer Suffragane – von diesen ist B. Berthold I. von Hildesheim (1119–1130) überhaupt nur hier und war B. Heinrich von Paderborn (1084–1127) zuvor nur in den Jahren 1112 und 1114 (DD.103 und 135) am Hofe nachweisbar – nach der wohl zutreffenden Vermutung Goettings (Hildesheimer Bischöfe 334f.) dadurch veranlasst war, dass EB. Adalbert von Mainz gemeinsam mit diesen die nachträgliche Zustimmung Heinrichs zu der ohne seine Mitwirkung erfolgten Wahl, Weihe und Investitur Ottos von Schkeuditz zum neuen Bischof von Halberstadt einholen wollte; vgl. dazu auch Bogumil, Bistum Halberstadt 210ff. Diese Vorgänge nach dem erst kurz zuvor erfolgten Tod von Ottos Vorgänger, B. Reinhard (die bei SCHMIDT, UB Hochst. Halberstadt 1,128 no 155 mitgeteilten Nekrologeinträge schwanken zwischen Februar 27 [so Goetting a.a.O. 334] und März 2 [so Bogumil a.a.O. 56]), können sich leicht über die Monate März/April hingezogen haben, ehe die Sache vor Heinrich gelangte.

Der Hintergrund der uns überlieferten “Restitutions-Urkunde” bleibt recht unklar: Zunächst irritiert, dass die gewaltsamen Entfremder (in schonender Weise?) anonym gelassen werden (quorundam violentia). Sodann scheint die ganze Wahl der Verben (restituamus in der gegenüber der VL. erweiterten Arenga, remisimus im ersten Satz der Dispositio, concedimus … im anschließenden Nominatim-Satz) sowie die zusammenfassende Charakterisierung des ganzen Rechtsgeschäfts in der Korroboratio als nostra concessio den Verdacht zu rechtfertigen, dass Heinrich selbst, zumindest indirekt, der eigentliche Entfremder gewesen war; diese Vermutung wird durch den in eigenartiger Weise zur “Zeugenliste” überleitenden Schluss der Dispositio mit Hoc autem … rationabiliter fecimus fast zur Gewißheit, der doch wohl besagt, dass Heinrich iudicio principum zu seiner Handlung genötigt wurde.

Bei den quidam handelte es sich womöglich um Gefolgsleute Heinrichs, die er mit den (von ihm oder auf seine Veranlaßung hin von diesen) entfremdeten Gütern belehnt hatte, so dass der Vorwurf der violentia sie nur mit Einschränkung träfe. – Die Identifizierung der quidam versuchte Eckhardt in Zeitschr. f. hess. Gesch. 71,153 mit Hilfe einer Analyse der “Zeugenliste”, die angesichts der zweimaligen Aufeinanderfolge von Geistlichen und Laien eine deutliche Zweiteilung verrät, die sich vielleicht auch schon in dem einleitenden iusto rogatu und recto iudicio ausdrückt: Bei der mit Mainzer Prälaten eröffneten zweiten Personengruppe (ab Duto) handelt es sich am ehesten um bloße Zeugen; aber auch die erste Gruppe umfasste nicht ausschließlich die principes, die das rectum iudicium fällten, sondern endete rangmäßig spätestens mit den beiden Ludowingern, dem Grafen Ludwig (I.) und seinem Bruder Heinrich (Raspe I.), von denen Ludwig nach Eckhardts Annahme seine Nennung der Tatsache verdanke, dass er als Nachfolger des Grafen Werner (s. unten) Inhaber der hessischen Grafschaft war.

In den an der Nahtstelle zwischen beiden Gruppen stehenden Personen vermutet Eckhardt mit einiger Berechtigung die Prozessparteien, in dem Klostervogt Adalbert (von Schaumburg; wüste Burg bei Hoof wsw. Kassel; als Klostervogt in der Nachfolge des Grafen Werner bis 1132 belegt, vgl. v. Roques a.a.O. 30 no 24) den Kläger und in dem folgenden Gozmar (von Reichenbach; sö. Hess. Lichtenau) und seinen Brüdern “logischerweise” die Beklagten; für diese Deutung spricht, dass Gozmar und seine ungenannt bleibenden Brüder offenbar kollektiv erwähnt werden. Zu anderen Identifikationsmöglichkeiten für die quidam vgl. Heinemeyer, Königshöfe und Königsgut im Raum Kassel 187 Anm. 307; der von ihm in Betracht gezogene Graf Werner scheidet u.E. jedoch sicher aus.

Unabhängig von der Identifizierungsfrage wird man nämlich in Erwägung ziehen müssen, dass uns D.257 einen konkreten Beleg liefert für die tatsächliche Beachtung der im Wormser Konkordat (s. D.240) eingegangenen umfassenden Verpflichtung, die im “Investiturstreit” (in werra ista) entfremdeten Besitzungen consilio principum[!] vel iusticia zurückzugeben. Hatte Heinrich mit den Kaufunger Besitzungen Belehnungen vorgenommen, waren ja auch diese in seine Restitutionsverpflichtungen einbezogen (quę non habeo, ut reddantur fideliter iuvabo).

Ein Grund, der Heinrich zu seinem bzw. seiner Parteigänger vermuteten Eingriff in den Besitz des von seinen Urgroßeltern gestifteten (s. unten) Klosters bewogen hätte, ist nicht erkennbar. Man wird daher in Betracht ziehen können, dass er damit mittelbar B. Bruno von Speyer hatte treffen wollen, weil dieser etliche Jahre zuvor, noch vor oder während Heinrichs 2. Italienzug, zur antikaiserlichen Partei seines Bruders, EB. Adalberts von Mainz, gewechselt war (vgl. dazu Krey, Bischöfl. Herrschaft 36ff.).

Noch auffälliger ist die Tatsache, dass als einzige Petentin die Äbtissin Gisela genannt wird, nicht jedoch der anwesende und lediglich die Bischofsliste eröffnende B. Bruno von Speyer, obwohl knapp 40 Jahre zuvor das Kloster Kaufungen von Heinrich IV. durch dessen D.384 von 1086 Jan. 12 der bischöflichen Kirche von Speyer geschenkt worden war. Dazu passt der Befund, dass in der nur 3 Jahre jüngeren Urkunde EB. Adalberts von Mainz von 1126 Juni 3 (v. Roques a.a.O. 28 no 23; Stimming, Mainzer UB 1,447 no 540), mit der dieser der Äbtissin Gisela, der Impetrantin unseres D., die Neubruchzehnten im Kaufunger Wald (circumiacentis silve) überließ, mit keinem Wort von der Zugehörigkeit Kaufungens zu Speyer die Rede ist.

Das Verschweigen der Speyrer Rechte an Kaufungen in Adalberts Urkunde wie auch schon in unserem D. bringt Krey a.a.O. 43ff. sicher zu Recht mit der Territorialpolitik Adalberts in Zusammenhang, der bei seinem (erfolgreichen) Versuch der Entfremdung Kaufungens von Speyer vielleicht sogar das Einverständnis des dortigen Bischofs, seines leiblichen Bruders Bruno, besessen und nach dessen bald nach Ausstellung des D.257 eingetretenen Tod († 1123 Okt. 19) “die Rechte des Speyerer Bischofs an dem Kloster Kaufungen beansprucht” habe (a.a.O. 45).

Krey (a.a.O. mit Anm. 193 u. 195) vermutet zudem, dass Adalberts Bemühungen um den Besitz Kaufungens durch den Klostervogt, den 1121 gestorbenen Grafen Werner IV. von Gröningen (zugleich Wormser Hochstiftsvogt, Vogt des Mainzer Stifts Fritzlar und der zu Speyer gehörigen Abtei Limburg; zu ihm vgl. DD.*331 u. *335), seit Adalberts Haftentlassung im November 1115 einer seiner entschiedensten Anhänger, gefördert worden sein könnten, demnach schon einige Zeit vor 1121 eingesetzt hätten.

Zur Geschichte des in der zweiten Jahreshälfte 1017 von Heinrichs II. Gemahlin Kunigunde gegründeten und von Heinrich II. selbst in den Jahren 1017–1019 und 1023 reich dotierten (vgl. DDH.II.375, 376, 394, 406, 407, 409, 411, 412, 420, 487, s.a. D. †521) Klosters vgl. u.a. Eckhardt in Beitr. z. Gesch. d. Werralandschaft 12,21ff. – Es ist übrigens anzunehmen, dass die Restitution des D.257 auch die in der Urkunde EB. Adalberts von 1126 über Heiligenrode und Umbach hinaus genannten beiden Orte, Bettenhausen (w. Heiligenrode und nw. Kaufungen; interpoliert) und Eschenstruth (s. Kaufungen), eingeschlossen hatte; keiner dieser vier Orte begegnet in den Diplomen Heinrichs II., so dass es sich um spätere Erwerbungen bzw. Ausbauorte innerhalb des Kaufunger Forstes handeln dürfte, für den selbst ebenfalls ein Erwerbstitel fehlt und erst durch die Interpolation von cum toto nemore in dem, auf der Grundlage des echten DH.II.406a von 1019 Mai 4 über die Schenkung von Ober- und Niederkaufungen, zu Ende des 11. Jh. gefälschten D. †406b geschaffen wurde.

Zum Namen und zur früheren Ausdehnung des “Kaufunger Waldes” vgl. Heinemeyer a.a.O. 124ff.

Während nach ihm (140f.) der südlich der Losse und damit südlich des Klosters gelegene Kaufunger “Stiftswald” ein Teil des Königsforstes mit dem Namen Kaufunger Wald war, möchte neuestens Eckhardt in Veröffl. d. Hist. Komm. f. Hessen 61,52ff. dies in Zweifel ziehen.

Bei dem Bertoldus comes, den Posse (Register S. 419) fälschlich mit dem nie in Heinrichs Umgebung genannten Grafen Berthold von Andechs identifiziert, handelt es sich sicher um den in D.255 genannten Grafen Berthold von Lindenfels, und bei dem hier folgenden Conradus um dessen dort genannten nepos Konrad (v. Bickenbach). – Der Truchsess Volkmar (zu ihm s. D.24) und der Marschall Heinrich (Haupt; zu ihm s. D.135) begegnen gemeinsam, ohne Titel und in umgekehrter Reihenfolge, auch in D.276 von 1125 (letzterer: Henricus Houvth).

(C.) In nomine sanctae et individuę trinitatis. Heinricus divina favente clementa (!) quartus Romanorum imperator augustus. Divinis et salutaribus sanctarum scripturarum amonemur documentis et erudimur, ut ęcclesias deo dicatas cum larga benivolentia ditemus et pia devotione amplificare non cessemus, et si qua violenter sunt ablata, nos [ea imperiali restitu]amus auctoritate. Notum igitur omnibus tam presentibus quam futuris Christi fidelibus esse volumus, qualiter nos pro remedio animę nostrę et paren[tum nostrorum............] ęcclesia Cǒfungensis in foreste Cǒfhungeruualt appellata quorundam violentia amiserat, digna et devota peticione Gislę abbatissę eid[m] ęccl[esi]ę [........] remisimus. Nominatim autem IIas villas Helingenrodh scilicet et Vmbach in eodem foreste (!) sitas, cum omni iure, areis, edificiis, terris cultis sive incultis, pratis, pascu[is,...., aquis aquarum]ue decursibus, piscationibus, molendinis, silvis, venationibus, viis et inviis, exitibus et reditibus, quesitis et inquirendis, omnemque utilitatem, quę vel in presenti vel in fut[ur]o inde provenire potest, in communem sororum ibidem deo famulantium usum concedimus, transfundimus et confirmamus. Hoc autem tam iusto rogatu quam recto iudicio principum, qui presentes aderant, rationabiliter fecimus. Quorum nomina hęc sunt: Adelbertus Mogontinus archiepiscopus, Fridericus Coloniensis archiepiscopus, Bruno Spirensis episcopus, Stephanus Metensis, Bertolfus Hildemensis, Heinricus Paderbrunnensis, Gebehardus Herbipolensis, Ǒdalricus Eistatensis; dux Heinricus Bauuariorum, Fridericus dux et frater eius Conradus, Godefridus palatinus comes, Ludeuuicus comes et frater eius Heinricus, Adelbertus eiusdem ęcclesię advocatus, Gozmarus et fratres eius; Duto Mogontinę ęcclesię archidiaconus, Richardus cantor eiusdem ęcclesię, Gotteboldus Frislariensis ęcclesię prepositus, Adelbertus Wormatiens[is ę]cclesię prepositus; Bertoldus comes, Conradus, Folcmarus dapifer, Heinricus marescalcus. Ut autem huius nostrę concessionis privilegium stabile et inconvulsum permaneat, hanc inde cartam propria manu corroboratam scribi et sigilli nostri impressione iussimus insigniri.

Signum Heinrici quarti Romanorum imperatoris (M.9.) invictissimi.

Phillippus cancellarius regognovi (!) vice Adelberti Mogontini archicancellarii. (SI.D.)

Data apud Nuhusen, anno dominicę [incarnationis MCX]XIII, indictione XIIIma, VIII. id. mai.