Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<236.>>

Heinrich bestätigt den Kirchen St. Martin und St. Marien zu Utrecht die königlichen Schenkungen im Gau Ijssel und Lek, restituiert den Pröpsten die durch den Grafen Wilhelm und dessen Vorgänger usurpierten Gerichtsrechte und bestätigt ihnen die dem Grafen Wilhelm wegen seiner Rebellion gegen den Kaiser im Fürstengericht aberkannte Grafschaft.

Utrecht, 1122 Mai 26.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Abschrift vom Ende des 12. Jh. im Liber donationum I der Kirche von Utrecht f. 46r–v (alt f. 43r–v) im Reichsarchiv zu Utrecht (B), – Abschrift aus dem ersten Viertel des 13. Jh. in Bondams Liber privilegiorum f. 58v–59r ebenda (C). – Abschriften vom Ende des 13. Jh. im Liber donationum II f. 61r (alt f. 58r; nur Anfang, s. Anm. v) (D1) und f. 75v–76r (alt f. 72v–73r) ebenda (D2). – Abschrift von ca. 1380 im Liber catenatus von St. Marien/Oudmunster f. 97r–v (alt f. 40r–v) ebenda (E).

Drucke: Aus B: Matthaeus, De nobilitate 216 = Mieris, Charterb. van Holland en Zeeland 1,85. – Aus E: Bergh, OB van Holland en Zeeland 1,72 no 110. – Aus BD1.2: Muller, Hed oudste Cartularium 117 no 75. – Muller-Bouman, OB sticht Utrecht 1,280 no 306. – Aus BCD1.2: Obreen, OB van Holland en Zeeland 56 no 112. – Aus BCD1.2 (u.a.): Koch, OB van Holland en Zeeland 1,214 no 105.

Reg.: Wauters, Table chronol. 2,115. – Bormans-Halkin, Table chronol. 11,121. – Brom, Reg. sticht Utrecht 1,61 no 300. – Muller, Reg. bisschoppen van Utrecht 1,17 no 85. – Diestelkamp-Rotter, Urk.-Regesten 1,131 no 185. – Böhmer Reg. 2073. – Stumpf Reg. 3176.

Die zahlreichen weiteren Abschriften (vollständige Aufzählung bei Koch) bleiben, da von B oder einer der anderen angegebenen Handschriften abhängig, für die Textherstellung und im Variantenapparat unberücksichtigt; dies gilt auch für die von Bergh allein zugrundegelegte, von B abhängige Abschrift E (vgl. Anm. d).

Oppermann, Untersuchungen 2,165 und (ihm folgend?) Hausmann, Reichskanzlei 73 no 9 haben das Diktat dem Kanzleinotar Heinrich zugesprochen. Sieht man jedoch davon ab, dass Protokoll und Unterfertigungszeilen kanzleigemäß sind, ist eine weitere Beteiligung des nach Ausweis des von ihm geschriebenen D.238 in Utrecht anwesenden Notars nicht nachweisbar, vielmehr sprechen einige Momente direkt dagegen: Der erste Teil der Dispositio ist mit Hilfe des letztlich auf das DO.I.58 von 944 zurückgehenden (s. Anm. 2) DH.III.153 von 1046 Mai 22 (= VU.) formuliert, wobei in dessen unzulänglichem Referat untergeht, dass es sich bei dem unter Weglassung der Pertinenzformel nur mit totum umrissenen bestätigten Komplex um ehemaliges Fiskalgut handelte (s. Anm. m) und dass die Begünstigten die Kapitel (fratres, s. Anm. o) der beiden Stifte waren.

Im übrigen bietet vor allem der über die Vorurkunde hinausgehende Text, der recht gewaltsam mit hoc addentes an die von dort übernommene Konfirmatio anschließt, einige Ungeschicklichkeiten, die dem geübten Notar kaum unterlaufen wären: Nachdem zunächst auf eine, in der Vorurkunde immerhin rudimentär vorhandene Publikatio ganz verzichtet war, erscheint eine solche unvermittelt als Eröffnung des Schluss-Satzes der Dispositio (Notum quoque sit …); der sachliche Gehalt dieses Satzes, die Übertragung bzw. Bestätigung (das favente et assistente eis [scil. den Pröpsten] iure ex antiquis regum traditionibus ist durch die VU. nicht gedeckt!) des comitatus an die Stiftspröpste, ist übrigens im Kern nichts anderes (vgl. das rückverweisende eundem advocatum in Z. ■) als die Zusammenfassung der in dem vorangehenden Abschnitt den Pröpsten (und deren villici) gleich zweimal und fast gleichlautend (Z. ■ und ■: omnis iusticia … pertineat) zugesprochenen Gerichtsbarkeit unter Ausschluss von Graf oder Vogt, also der Immunität, die allerdings durch die umfassendere Kompetenz des comitatus eine verstärkte Sicherung erfuhr. – Und während im ersten Abschnitt der Rechtsgrund für das Vorgehen gegen den Grafen Wilhelm eine schon länger zurückliegende Usurpation war, ist es im Schluss-Satz dessen gerade erfolgte Rebellion (vgl. dazu weiter unten). – Schließlich gehen der Schluss-Korroboratio schon zwei einer Korroboratio ähnelnde Formulierungen voraus (Z. ■ und ■).

Aus der Vorurkunde ist aber außer der Dispositio auch die Korroboratio entnommen, womit schon eine der von Oppermann a.a.O. zitierten “Diktatproben” (daneben noch Arenga und Datierung) für das Diktat des Kanzleinotars entfällt. Hinsichtlich der Arenga äußert sich Niermeyer, Onderzoekingen 87f. bei Behandlung des D.276 nur ganz beiläufig, indem er die dort wie hier begegnende Verwendung eines Zitates aus Lc. 2,52 (s. Anm. 1) als einzigen, aber u.E. nichtssagenden Hinweis auf angebliches “Kanzleidiktat” wertet.

Die von Oppermann dem Notar zugewiesene Datierung weist vollends in eine ganz andere Richtung: Ihre dem Notar absolut fremde Opulenz ist allen während Heinrichs Lütticher Aufenthalt von Mai/Juni ausgestellten Urkunden, den DD.236–238, ebenso gemeinsam wie dem DMa.5 vom 14. Mai, aber auch nur hier anzutreffen; vgl. dazu auch Kölzer, Studien 221 mit Anm. 336, der allerdings nur DD.236 und 237 erwähnt. Der Schlüssel zur Erklärung liegt darin, dass eines dieser Stücke, das D.237 vom folgenden Tag, von Abt Berengoz von St. Maximin in Trier für das ebenfalls unter seiner Leitung stehende Kloster Werden verfasst ist. Die dort gebotene, dem von ihm verfassten echten D.150 für St. Maximin entnommene und das Muster für die anderen fraglichen Stücke abgebende Datierung ist charakterisiert durch den für Berengoz typischen Fehler, daß er für die anni regni die, oft fehlerhaft berechnete (hier müsste die Zahl XXIIII lauten, s. Anm. 3), Zählung der anni ordinationis verwendet; vgl. dazu Vorbemerkung zu D. †16 und Thiel, Beiträge ■.

Es gibt keine andere Erklärung, als dass Berengoz, der für die persönliche Impetration des D.237 in Utrecht weilte, auch für die Datierung der anderen Diplome verantwortlich ist; sogar Notar Heinrich ließ sich, allerdings nur für dieses eine Mal, für das von ihm geschriebene D.238 von der Berengoz-Datierung beeinflussen, jedoch mit wiederum für Heinrich charakteristischen Änderungen; da diese Eingriffe in den Datierungen unseres D.236 ebenso wie in DMa.5 unterblieben, ist auch daraus ein Indiz gegen eine Beteiligung des Notars am Diktat zu entnehmen.

Berengoz war nun sicher nicht selbst der Diktator von D.236, das man vielmehr einem Utrechter Notar wird zusprechen müssen, von dem Berengoz lediglich konsultiert worden wäre – falls ihm der eitle Mann nicht sogar seinen Rat aufgedrängt hatte.

Am ehesten auf diesen Notar dürfte dann auch das Diktat des DMa.5 zurückgehen, das mit D.236, außer gleichem Wortlaut für die Datumzeile, auch in der Korroboratio drei gemeinsame Formulierungen aufweist, die in D.236 Änderungen gegenüber seiner VU. darstellten: deren abweichende Eröffnung (s. Anm. m’), die Verwendung von rata (s. Anm. o’) und vor allem den Ersatz des sigilli nostri impressione durch sigillo nostro (s. Anm. q’), eine Änderung, die dem Kanzleinotar, dessen eigenes Diktat der Formulierung der Vorurkunde entsprochen hätte, nie in den Sinn gekommen wäre.

Nachdem schließlich die Adaptation des Schemas der Berengoz-Datierung hier bis in die letzten Einzelheiten dem DMa.5 entspricht, was nur durch einen einheitlichen Diktator – ob nun den Empfängernotar oder Berengoz selbst – erklärlich ist, hielten wir uns für berechtigt, diesen Befund durch Petitsatz zu kennzeichnen, wobei wir zur Abhebung von der mit Randziffer I bezeichneten VU. für DMa.5 die Randziffer II verwenden.

Den historischen Hintergrund für das Vorgehen gegen den Grafen Wilhelm bildete eine seditio, zu der es während des mehr als einen halben Monat dauernden Aufenthaltes des Hofes in Utrecht, wo Heinrich das auf den 14. Mai fallende Pfingsfest (s. DMa.5) gefeiert hatte, aus unbekannten Gründen gekommen war. Zu den Vorgängen vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,193f. mit Anm. 5 u. 6 und Stüllein, Itinerar 93f. mit Quellenbelegen, ferner Oppermann in Westd. Zs. 27,204f. und Struick in Jaarboek Oud Utrecht 1972, 18ff. – Als Parteien nennt Ekkehard (rec. IV, ed. Schmale-Ott 360f.), der das Ereignis fälschlich zu Weihnachten 1122 stellt, einerseits aulici (Ann. Patherbrunn., ed. Scheffer-Boichorst 140: imperatoris amici) andererseits episcopi ministeriales.

Als für die machinatio Verantwortlichen machen die Paderborner Annalen lediglich einen auf kaiserlicher Seite stehenden Gisilbertus namhaft. Scheffer-Boichorst a.a.O. 141 Anm. 1 und Meyer von Knonau a.a.O. 193 Anm. 5 denken dabei an Personengleichheit mit dem später, nach den Annalen im Jahre 1127, von Lothar III. als notorischer Bischofsfeind hingerichteten nefarius homo Gisilbertus (B.-Petke Reg. 181, der die Nachricht zu 1129 einordnet, äußert sich nicht zu Identität; für die Annahme Scheffer-Boichorsts, es handle sich möglicherweise um den in D.238 genannten Giselbertus eodem tempore villicus factus zu Muiden, gibt es keine Anhaltspunkte).

In den Augen Heinrichs hingegen war nach Aussage unseres D. der in den Quellen in diesem Zusammenhang sonst nicht genannte Graf Wilhelm wohl der maßgebende Mann auf bischöflicher Seite, der deshalb mit Amtsentzug bestraft wurde, während B. Godebald selbst, der nach Ekkehard als maiestatis reus in kaiserliche Haft genommen worden war, schon bald gegen Zahlung einer magna pecunię summa freikam und in D.238 vom 2. Juni wieder als Spitzenzeuge auftreten konnte. – Zur genealogischen Zuordnung des seit 1108 belegten Grafen Wilhelm (de Goe/de Upgoye/uten Goye) und seinen (bischöflichen) Ämtern vgl. Maris, Van voogdij tot maarschalkambt 24f., 42f., 57 u. 65; nach ihr war er zugleich Stadtgraf von Utrecht, Graf von Ijssel und Lek und bischöflicher (Unter-)Vogt im Gebiet der Grafschaft, zu unterscheiden von dem gleichnamigen Hochvogt, mit dem zusammen er die Liste der Laienzeugen einer Urkunde B. Burchards von 1108 eröffnet (Muller-Bouman 258 no 278: Wilhelmus advocatus, Wilhelmus comes).

Korroboratio und Eschatokoll des D.236 dienten der Urkunde Mathildes für das Stift St. Martin von 1125 Mai 26 (DMa.6 = NU.) als Vorurkunde. – D.236 lieferte überdies in seiner im Matthaeus-Druck gebotenen Gestalt die Vorlage für das Textgerüst eines der beiden von Bodmann auf den Namen Heinrichs V. gefälschten Diplome für das Kloster Johannisberg (vgl. Anhang no 6).

In nomine sanctę et individuę trinitatis. Heinricus divina favente clementia [quartus] Romanorum imperator augustus. Quę a predecessoribus nostris pię memorię imperatoribus sive regibus sanctis ęcclesiis dei collata sunt et postea inminuta sive neglecta comperimus, decet regalem iusticiam ea supplere et restaurare ob spem ęternę remunerationis, et hoc acceptabile credimus coram deo et hominibus. Quia igitur ex antiquis primum ęcclesiarum munimentis, deinde renovantibus et confirmantibus hoc ipsum paginis et sigillis suis pię memorię imperatore augusto Heinrico secundo et avo nostro Heinrico tercio, totum, quod in pago est Isla et Lake, cognovimus regali munificentia traditum duobus monasteriis in Traiecto, uni in honore sancti Martini, alteri in honore sanctę dei genitricis Marię omniumque sanctorum dedicato, placuit nobis eandem piorum regum traditionem regali nostra auctoritate confirmare, hoc addentes, ut, quod a Wilhelmo comite eiusque predecessoribus aliquibus violenter usurpatum est, amodo supradictis ęcclesiis stabili et perpetua regalitatis nostrę traditione inconvulsum permaneat, scilicet ut, sicut terra et homines et census ad predictas ęcclesias attinent, ita omnis iusticia ad prepositos earundem ęcclesiarum et villicos eorum pertineat, et nullus ibi comes vel advocatus preter prepositos sit, sed omnis iusticia ad illos pertineat, sive in furtis sive in aggeribus sive in bellicis navibus, que vulgo silinc vocantur, vel quibuscumque aliis negociis ad seculare placitum pertinentibus. Notum quoque sit omnibus regni fidelibus, quod idem Wilhelmus comes in presentia nostra in ipsa civitate Traiecti contra nos bello et armis manum levavit, et ob hoc iudicio principum et liberorum hominum eundem comitatum prepositis predictarum ęcclesiarum favente et assistente eis iure ex antiquis regum traditionibus inconvulsa auctoritate confirmavimus. Ut autem hęc traditio nostrę auctoritatis rata permaneat, hanc paginam inde conscriptam manu propria roborantes sigillo nostro insigniri iussimus.

Signum domni Heinrici quarti imperatoris invictissimi.

Bruno cancellarius vice Adelberti archicancellarii recognovi.

Data VII. kl. iunii, anno dominice incarnationis MCXXII, indictione XV, anno autem domni Heinrici quinti regni quidem eius XXIII, imperii vero XII; actum est Traiecti; in dei nomine feliciter amen.