Original (ca. 48,5 b : 66/66,5 h) im Kapitelsarchiv zu Bologna (A);
Rückvermerk des 12. Jh.:
Privileg. Heinrici filius [!] secundi Heinrici.
Teilfaks.: Thiel, Beiträge ■.
Drucke aus A: Savioli, Annali Bolognesi 1.2,161 no
101 zu “An. 1116 circa”. – Hessel
in NA 31,564 no
2 (mit Kennzeichnung der fast vollständigen Übereinstimmungen mit
DH.III.†346 durch Petitsatz). – Fanti-Paolini, CD della chiesa Bolognese 175 no
71 zu [1116–1118] mit der Kennzeichnung “Falso”.
Reg.: Stumpf
Reg. 3221 zu (c. 1118 Mai).
Als Empfängerausfertigung entstandene wörtliche Wiederholung des eines
Eschatokolls ermangelnden DH.III.†346 (Fanti-Paolini
no
48 = VU.), das nach Hessel
(a.a.O. 547) nur als “Nachzeichnung” erhalten ist, während Kehr
in seiner Vorbemerkung von einer “Urkunde … in Diplomform” spricht,
die er in den Anfang des 12. Jh. datiert; in der weiteren Untersuchung
wird sich herausstellen, dass nicht nur beide Bezeichnungen nicht
zutreffen, sondern auch die Kennzeichnung des DH.III.†346 als VU.,
woran wir der Einfachheit halber festhalten, zu relativieren ist!
Die VU. lieferte auch das Vorbild für die Schrift unseres D. (vgl. Hessel
a.a.O. 548f.), insbesondere für die Elongata der 1. Zeile und deren
Verwendung auch für den Anfang des noch in der 1. Zeile beginnenden
Kontextes (s. Anm. a); die Annahme Hessels, dass für den Schluss der Elongata, für den ab
iuxta die VU. als Vorbild ausschied, das DH.II.280 “wohl” als Vorlage
gediente habe, trifft nicht zu; dort ist zudem das
regalem von Anm. e ausgeschrieben! – Darüberhinaus lieferte die VU. auch die
Anregung für die zwar dort sachlich richtige (s. Anm. b), hier aber
sinnlose Erweiterung der Intitulatio, die nach Hessel
a.a.O. 550 (s. schon Steindorff
in Jahrb. H.III. 2,397) von den Datierungsformeln der Bologneser
Privaturkunden beeinflusst ist; vgl. z.B. die der Intitulatio der VU.
entsprechende Formulierung des Datierungsschlusses der unten zu
erwähnenden Urkunde B. Adalfreds von 1054 Mai 7 (Hessel
no
5; Fanti-Paolini
no
45):
… regnante quoque domno [Hein]rico Chonradi filio anno inperii eius
nono.
In ihren echten Teilen war die VU. ihrerseits eine Wiederholung des
als einziges der älteren Diplome für das Domkapitel im Original
erhaltenen DH.II.280 von 1014 (vor Februar 14; Fanti-Paolini
no
36). Dieses war in der VU. durch eine, zwischen allgemeiner
Besitzbestätigung und Immunitätsverleihung eingeschobene, lange
zweiteilige Besitzliste erweitert (VU. S. 473 Z. 4–39; unten S. ■ Z. ■
– ■), deren erster größerer Teil (Z. 4–28; unten Z. ■ – ■) von Kehr
“schon stilistisch” als interpoliert bezeichnet und deshalb in seinem
Druck in Winkelklammern eingeschlossen ist, während er für den zweiten
Teil (Z. 28ff.; unten Z. ■ff.) lediglich einräumt, dass dieser durch
seine Übereinstimmungen mit dem nach seiner Ansicht wahrscheinlich
gleichzeitig mit der echten Vorlage der VU. ausgestellten, in zwei
Nachzeichnungen des 12. Jh. erhaltenen Privileg P. Viktors II. von
1055 Juni 14 (JL 4337; It. pont. 5,256 no
3; Druck bei Hessel
a.a.O. 566 no
3 unter Verwendung beider Nachzeichnungen; Fanti-Paolini
no
46) “besser verbürgt” sei; dabei handelt es sich um eine unpräzise
Wiedergabe der ihrerseits vagen (s. weiter unten) Bemerkung Hessels a.a.O. 551, wonach im zweiten Teil “die von Viktor II. bestätigten
Güter wiederkehren”. Falsch ist übrigens Kehrs Feststellung, der nach seiner Bewertung “im D.346 an unpassender
Stelle interpolierte” Satz
omnes autem decimationes … potuerint (S. 473 Z. 35f., in Winkelklammern eingeschlossen; unten S. ■ Z. ■)
sei “nur in dem verunechteten zweiten Exemplar dieses Privilegs”
überliefert, – der Satz fehlt
jedoch in beiden
Exemplaren (s. Anm. m”; vgl. weiter unten); bei Kehrs Bemerkung handelt es sich offensichtlich um eine Verwechslung mit
der bei Hessel
a.a.O. 556 und 567 Anm. 4 vermerkten Erweiterung von Anm. g’ im
zweiten Exemplar!
Eine weitgehend richtige, auf seiner Gesamtschau der überwiegend durch
Nachzeichnungen überlieferten älteren Privilegien des Domkapitels
(a.a.O. 547ff.) beruhende Sicht der Abhängigkeit des zweiten Teils der
Besitzliste hatte sich, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, an
anderer Stelle (zu S. 551 vgl. oben) schon bei Hessel
gefunden.
Zu diesen Nachzeichnungen zählt Hessel
(vgl. a.a.O. 547f.) noch das D.O.I.372 von 969 (Fanti-Paolini
no
30) und das auf der Grundlage von DH.II.280 gefälschte und wie dieses
auf 1014 datierte DH.II.†519 (Fanti-Paolini
no
37), ferner das Privileg P. Alexanders II. von 1066 Aug. 18 (It.
pont. 5,257 no
4; JL 4571 zu 1065 o. T. und JL 4595a zu 1066; Fanti-Paolini
no
51; fehlerhafter Druck bei Pflugk-Harttung, Acta 2,116 no
151, nach Abschrift von 1700 und mit der falschen Jahreszahl 1071)
sowie zwei Urkunden des B. Adalfred von Bologna von 1045 Aug. 16
(Druck bei Hessel
a.a.O. 568 no
4 nach Abschrift des 17. Jh., zu dieser vgl. a.a.O. 554; Fanti-Paolini
no
42)) und von 1054 Mai 7 (Hessel
571 no
5, Fanti Paolini
no
45).
Während die Nachzeichnung des DO.I.372 dem 10. Jh. angehört (a.a.O.
548), geht Hessel
davon aus (a.a.O. 554), dass alle anderen Nachzeichnungen, das D.211
eingeschlossen(!), “unter gemeinsamer Leitung hergestellt wurden”,
also einer weitgehend einheitlichen Aktion zu verdanken sind, wobei er
die meisten einer einzigen Hand zusprechen möchte (DH.II.†519 und VU.
eindeutig, die ältere Nachzeichnung des Viktor-Privilegs und die
jüngere Adalfred-Urkunde “mit ziemlicher Sicherheit”), das D.211 und
das Alexander-Privileg jedoch als von anderen Händen geschrieben
ansieht und vorsichtig meint, dass ihre Schrift “einen etwas jüngeren
Eindruck” mache (a.a.O. 548f.).
Völlig verfehlt sind jedoch Hessels vagen Versuche einer Datierung der Nachzeichnungen – damit auch des
D.211: Insgesamt meint er, die Tätigkeit des Schreibers sei “tief ins
12. Jh. herunterzurücken” (a.a.O. 548), engt dies dann etwa auf die
Jahrhundertmitte ein, indem er meint, die Nachzeichnung der
Adalfred-Urkunde von 1054 (no
5) gehöre “etwa hundert Jahre nach den … Ereignissen” (a.a.O. 555),
und bietet außerdem die Vorschläge “vor 1168” (557) und “einige Zeit”
früher als 1179 (559f.); bei B.-Graff
Reg. 1798 heißt es, Hessels Datierungen zusammenfassend: “nach der Mitte des 12. Jh.”. – Zuvor
hatte Schum
in NA 1,135 noch extremere Vorstellungen geäußert, indem er
einerseits für die VU. eine von Bresslau
in Vorbemerkung zu DH.II.†519 zurückgewiesene Datierung auf “wohl um
1055” annahm und andererseits speziell für D.211 erklärte, dessen
Schrift könne “nicht gut in das 12. Jh. hineinverlegt werden”. –
Demgegenüber hatte Bresslau
a.a.O. für das DH.II.†519, zusammen mit der nach seiner wie Hessels Feststellung von derselben Hand stammenden VU., Entstehung im Ende
des 11. oder dem Anfang des 12.Jh. angenommen. Mag für die Datierung
der durchwegs an älteren Schriftvorlagen orientierten Nachzeichnungen
auch keine letzte Sicherheit zu gewinnen sein, so trifft Kehr
mit seiner Datierung der VU. – und damit auch der anderen
Nachzeichnungen – in den Anfang des 12. Jh. (s. oben) zweifellos das
Richtige.
Bei einem späteren Zeitansatz wäre auch kaum vorstellbar, dass in der
Kontextschrift des DH.II.†519 und der VU. noch die von Bresslau
a.a.O. und von Hessel
(a.a.O. 548) konstatierten, aus Papsturkunden übernommenen kursiven
Buchstabenformen anzutreffen wären; beide denken offenbar an das
doppelstöckige
e, das doppel-c-förmige offene
a und die
ri-Ligatur, aus der Papsturkunde ist außerdem die Form des dipl.
Kürzungszeichens übernommen; da letzteres nur im Viktor-Privileg
anzutreffen ist (zum Schreiber des verlorenen Originals vgl. Kehr
in Gött. Nachr. 1897,368 und in MIÖG Erg.-Bd. 6,86 Anm. 4), sieht Hessel
in diesem zu Recht das Vorbild, während Bresslau
“vielleicht” an das Privileg P. Johanns XIII. von 967 April 15 (JL
3714; It. pont. 5,256 no
2; Fanti-Paolini
no
29), mit einem anderen Kürzungszeichen, denken möchte.
In der VU. begegnen die kursiven Buchstabenformen übrigens nur in den
ersten vier Zeilen des Kontexts, dort schon vereinzelt ersetzt durch
die im weiteren Text durchgängig verwendeten Normalformen von
a und
e; in D.211, das, wie für die Elongata, auch für die Kontextschrift
weitgehend dem Vorbild der VU. folgt, sind die kursiven Formen, im
Wechsel mit Normalformen, hingegen im ganzen Text anzutreffen, das
doppelstöckige
e dabei zumeist zu einer
§-ähnlichen Form verunstaltet, während das dipl. Kürzungszeichen durch
Zuspitzung der unteren Rundung die Gestalt eines
pro-Kürzels annahm. – Aus diesen graphischen Unterschieden, die vor allem
das Unvermögen des Schreibers belegen (vgl. weiter unten), muss nicht
unbedingt auf einen größeren zeitlichen Abstand zwischen der
Niederschrift der VU. und der im Folgenden ermittelten Entstehung des
D.211 geschlossen werden.
Gegen Hessels Subsumierung auch des D.211 unter die “Nachzeichnungen” ist von
vorneherein einzuwenden, dass allein dieses besiegelt war, bei den
anderen jedoch eine Besiegelung schon mangels ausreichenden Platzes
nie vorgesehen war. – Was uns in D.211 in seiner erhaltenen Gestalt
vorliegt, ist nämlich ohne jeden Zweifel, was die gesamte bisherige
Literatur verkannte, ein – trotz seines auf den ersten Blick
auffälligen Eschatokolls – einwandfreies Original! – Während Hessels und Kehrs Annahme einer echten Vorlage der VU. sich allein auf die dortige, in
Anm. h mitgeteilte Formulierung stützen konnte, hatte Hessel, der sich sonst recht widersprüchlich äußert (a.a.O. 547 u. 554),
wenigstens auch für die ursprüngliche Existenz eines echten Diploms
Heinrichs V. im Text des D.211 mehrere Hinweise gefunden (a.a.O.
551f.): Die Intervention der Königin Mathilde, die Nennung des in zwei
Urkunden von 1105 und 1110 erwähnten (vgl. a.a.O. 552 Anm. 1)
Albertus vicedominus (Fanti-Paolini
no
63 u. 66, jeweils mit
Albertus diaconus et vicedominus) und “endlich” die – seiner Ansicht nach “in der Form verdorbene” –
Unterschrift B. Gebhards von Trient.
Gerade letztere, auf die sich offensichtlich auch Stumpfs Datierung stützte (vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,363, Nachtr. zu S. 73), liefert den Schlüssel für die
Originalität des D.211. Schum
a.a.O., der sich erstaunlicherweise als Einziger überhaupt zur
Unterschrift äußert, möchte sie zwar “als späteren nicht minder
unechten Nachtrag auf eine bereits vorhandene Fälschung betrachten”.
Es gibt jedoch keinen vernünftigen Grund, an der Originalität der
Unterschrift Gebhards zu zweifeln; auch die spezielle Kürzung von
Tridentinus (s. Anm. bf), auf die ein Kopist kaum verfallen wäre, darf direkt als
persönliche Eigenheit Gebhards angesehen werden.
Sicherstes Kriterium für die Echtheit der Unterschriftszeile bildet
ausgerechnet ihre von Hessel
voreilig als “verdorben” bezeichnete Formulierung; diese hat nämlich,
mit dem eröffnenden
Ego, der Devotionsformel
dei gratia und dem Abschluss durch
subscripsi, eine vollständige Parallele in der Kanzlerunterschrift des
Konzept-Textes (a) des D.179, das nur rein zufällig die Stadt
Bologna zum Empfänger hat. – Vielleicht hatte die Kanzlei auch das
vom Empfänger vorgelegte Pergament des D.211 zunächst nur als Konzept
behandelt und der Erzkanzler es mit einer konzeptgemäßen genehmigenden
Unterschrift versehen; da die Textniederschrift jedoch
Reinschrift-Charakter besitzt, hätte man sich später entschlossen, es
trotz der fehlerhaften Intitulatio und des Fehlens der üblichen – aber
in ihrer Doppelung keineswegs unverzichtbaren – Unterfertigung mit
Signum- und Rekognitionszeilen als vollgültiges Diplom zu akzeptieren
– und mit einem Siegel zu versehen! – Vermutlich der in ihrer Form
einmaligen Art und Weise der Expedition des D.211 ist es auch
zuzuschreiben, dass der Eintrag einer Datumzeile unterblieb.
Dass hier der in der ersten Jahreshälfte 1117 (s. Vorbemerkung zu
D.202) als italienischer Erzkanzler eingesetzte B. Gebhard
unterschrieb, erklärt sich zweifellos allein dadurch, dass zum
Zeitpunkt der Entstehung des D.211 der dafür eigentlich zuständige
Kanzler, B. Burkhard von Münster († 1118 März 19), abwesend war, da er
vermutlich schon zu Beginn des Jahres 1118 seine Gesandtschaftsreise
nach Konstantinopel angetreten hatte (vgl. Vorbemerkung zu D.†208).
Übrigens gibt es keinen Anhaltspunkt für die von Hausmann, Reichskanzlei 50 geäußerte Annahme, “sogleich nach dem
Bekanntwerden” von Burkhards Tod habe der Ravennater Elekt Philipp das
Amt des italienischen Kanzlers erhalten. Ein Diplom, das von Philipp,
der als
cancellarius imperatoris allein als Zeuge in dem DMa.3 vom November 1118 erwähnt wird,
rekognosziert gewesen wäre, existiert überhaupt nicht, was allerdings
an der mangelnden Kanzleiexpedition in der letzten Phase des 2.
Italienzuges liegen könnte; das letzte auf italienischem Boden
ausgestellte Diplom, D.212 von 1118 Mai 31 (danach gibt es aus den
Monaten Juni bis August nur die 3 Placita DD.213–215), trägt
jedenfalls die Rekognition B. Gebhards als
cancellarius, während Hausmann
(der a.a.O. Anm. 3 für D.212 statt der richtigen Stumpf-Nr. 3157 fälschlich “St. 3151” angibt) von Rekognition dieses D.
durch den “italienischen Erzkanzler(!) Gebhard” spricht.
Nimmt man die unterschiedlichen Titulaturen Gebhards als
cancellarius in D.212 und als
archicancellarius in D.211 beim Wort, dann ergeben sich daraus u.E. eindeutige
Aufschlüsse einerseits für die Datierung des D.211 und andererseits
für die Frage der Kanzlernachfolge: Die Verwendung des Gebhard
zukommenden Titels
archicancellarius in unserem D., von dem übrigens Hausmann
bemerkenswerterweise keine Kenntnis nimmt, erklärt sich am ehesten
dadurch, dass man damals noch keine Nachricht vom Tode Burkhards
hatte, den man dementsprechend noch als amtierenden Kanzler ansehen
musste, weshalb Gebhard an Stelle des abwesenden Kanzlers mit seinem
eigentlichen Titel die Unterschrift geleistet hätte (Savioli
a.a.O. 1.1,170 meint hingegen, anstelle des
et Italię archicancellarii subscripsi habe “nell’ autentico”
ad vicem[!] Burcardi cancellarii recognovi gestanden). – Wenn dann in dem offensichtlich erst später
ausgestellten D.212 Gebhard als
cancellarius unterfertigte (vielleicht wegen des zusätzlichen Titels
episcopus unter Verzicht auf den denkbaren Doppeltitel
archicancellarius et cancellarius oder umgekehrt), drängt sich die Vermutung auf, dass Heinrich zunächst
auf die Ernennung eines Nachfolgers des Kanzlers Burkhard verzichtet
hatte und Gebhard die in D.211 nur fakultative unmittelbare Leitung
der Kanzlei endgültig selbst übernommen hatte. – Damit würde
einerseits D.211 auf jeden Fall vor den 31. Mai gehören (zu weiterer
Eingrenzung vgl. weiter unten). Andererseits scheint es fraglich, ob Hausmanns Einschätzung des 31. Mai als unmittelbarer Terminus post quem für
die Bestellung des Kanzlers Philipp richtig ist, ob nicht vielmehr
Heinrich ihn erst kurz vor seinem Verlassen Italiens zur Unterstützung
seiner dort gebliebenen Gemahlin eingesetzt hatte, was ja auch Hausmann
mit seiner Alternative (“Der terminus ad quem ist der Abzug des
Kaisers aus Italien im September 1118”) in Betracht zieht.
Aus der Originalität des D.211 ergibt sich hinsichtlich der eingangs
angesprochenen großen Besitzliste der VU. der Terminus ad quem für die
dortige Einfügung des ersten Teiles. – Die echte Vorlage der VU. hatte
nach den nicht in allen Einzelheiten zutreffenden Feststellungen Hessels (a.a.O. 555) ihre Vorurkunde, das DH.II.280, lediglich um den
zweiten Teil der Besitzliste erweitert, wie sich aus deren fast
wörtlichen Wiederholung im Privileg P. Alexanders II. von 1066 ergibt, die sich
neben der Übernahme der Besitzliste (s. Anm. e’ und g’) auch im
übrigen Kontext, für Arenga und Publikatio (s. Anm. d), allgemeine
Besitzbestätigung (s. Anm. i) und namentlich für fast den ganzen
Schluss ab
Optanter (dort richtig
Optantes, s. Anm. ag), an die Formulierungen der VU. anlehnte, wie Hessel
a.a.O. feststellte, während er anderwärts fälschlich auch (a.a.O.
549) oder ausschließlich (a.a.O. 551) das DH.II.280 als Muster in
Betracht zog; erst im originalen Privileg P. Honorius’ II. von 1129
März 15 (JL 7363; It. pont. 5,257 no
5; Savioli
a.a.O. 174 no
110 = Migne, PL 166,1293 no
89; Fanti-Paolini
no
80), das die Besitzliste des Alexander-Privilegs bis auf eine
Auslassung (s. Anm. m”) übernimmt, ist die Formulierung des Kontextes
dem kurialen Formular angepasst (vgl. Hessel
a.a.O. 550).
Dieser zweite Teil der Besitzliste ist hinsichtlich ihrer Vorlagen
ebenfalls zweigeteilt: Der größere Teil (bis
potuerint, s. Anm. s”) beruht fast wörtlich und insbesondere in absolut
identischer Reihenfolge (s. Anm. g’) auf der Urkunde B. Adalfreds von
1054, die von Kehr, der sich im Druck der VU. in seiner Vorurkunden-Kennzeichnung durch
Petitsatz auf das DH.II.280 beschränkte, trotz Hessels Vorgabe überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. – Für den
Schlussteil ab
totum etiam domnicatum (s. Anm. t”) muss eine verlorene Urkunde als Vorlage gedient haben
(vermutlich ebenfalls eine Bischofsurkunde, während Hessel
a.a.O. 555 missverständlich formuliert, dass Heinrich III. die
Bestätigung der Adalfred-Schenkung “um drei Güter vermehrte”). –
Übrigens ist diese Ergänzung zur Adalfred-Urkunde offenbar der Grund
für Kehrs These (vgl. oben), dass der vorangehende, die Liste der
Adalfred-Urkunde abschließende Satz von Anm. m” an “unpassender
Stelle” eingeschoben sei.
Beide Teile der Schlussliste haben zwar ihre partielle Parallele in
dem von Kehr
hinsichtlich seiner Übereinstimmungen mit der VU. allein erwähnten
Privileg P. Viktors II. von 1055, jedoch in einer beide Teile
miteinander vermengenden völlig veränderten Reihenfolge (zur Eröffnung
mit der in der Mitte der Adalfred-Liste stehenden
domus iuxta eandem ecclesiam mit Zufügung eines Vorspanns vgl. Anm. y’ mit Anm. a”). Diese
Umstellungen waren vermutlich auch der Grund dafür, dass zwei Stellen
ganz weggelassen wurden, vgl. Anm. q’ und m”; davon kommt der
Auslassung von Anm. m” besonderes Gewicht zu, da Hessel
a.a.O. 556f. daran verfehlte Erörterungen über die Gründe für das
Fehlen der “allgemeinen Zehntbestätigung” im Viktor-Privileg anknüpft,
die aus der VU. auch ins Alexander-Privileg übernommen war,
eigenartigerweise aber, trotz Hessels gegenteiliger Behauptung (a.a.O. 556), in dem von diesem abhängigen
Honorius-Privileg fehlt.
Während der zweite Teil der Besitzliste der VU. demnach zu deren
echtem Kern gehört hatte, bildet der umfangreichere erste Teil
zweifellos eine spätere Zufügung (s. Hessel
a.a.O. 551f. u. 558, spricht an der letzten Stelle versehentlich vom
“zweiten” Teil). Deren Teren Terminus post quem bestimmt sich
vermutlich aus der Erwähnung der
massa Taurani (S. ■ Z. ■), da erst eine von Gaudenzi
in Bull. dell’ Ist. stor. It. 22,200 Anm. 4 und von Hessel
(a.a.O. 558 Anm. 4) erwähnte Urkunde der Markgräfin Mathilde von 1105
Juli 19 (Goez, Urk. Mathildes no
89; Fanti-Paolini
no
64), mit der diese dem Domkapitel die Kirche San Michele bei Argelato
(16 km n. Bologna;
iuxta castrum Argelatae) schenkte, damit die aufgrund der Formulierung (Insuper do atque concedo …) als Zustiftung zu betrachtende und demnach auch in der Nähe von
Argelato zu vermutende Schenkung der
medietas massa Taurani verband (während es sich dabei nach Hessel
a.a.O. 562 Anm. 1 um den alten Namen eines Landgebietes bei Argelato
handelt, heißt es bei Goez
im Register S. 585: “bislang nicht bestimmt, wahrscheinlich im
Bolognese”).
Unklar ist, ob für die Erwähnung dieses Objektes Zusammenhänge
bestehen mit der von Gaudenzi
(a.a.O. 156ff.) in ihrer Echtheit bezweifelten, durch notarielle
Kopie von 1179 überlieferten Urkunde des
Aimericus marchio und seiner Frau
Franca von 946 Sept. 10 (Savioli
a.a.O. 42 no
24 zu April 28; vgl. Hessel
a.a.O. 558f.), mit der diese der Bologneser
canonia insgesamt 2000 Mansen
in terra [var.:
territorio] Bon(oniensi) vel Motin(ensi), pago Persiceta et
Saltusplano schenkten und in deren umfangreichen Namenliste von den in D.211
genannten Orten, neben
Saltusplano selbst (nach Hessel
a.a.O. 562 Anm. 21 alter Name eines Landgebietes bei Galliera, ca. 20
km sw. Ferrara und knapp 30 km n. Bologna), auch die
silva Tauriana sowie
Ducentola (in com. S. Giovanni in Persiceto, 20 km nw. Bologna) erscheinen.
Über die Vorlage(n) dieses ersten Teils der Besitzliste, der
jedenfalls durch D.211 die Anerkennung der Kanzlei fand, wodurch ihm
der Charakter einer “Interpolation” abgeht, als was ihn Hessel
(a.a.O. 552: in VU. “Verfälschung”, in D.211 “unecht”) und Kehr
(s. oben für die VU.) verwarfen, lässt sich nur spekulieren (Hessel
a.a.O. 551: “scheint eine echte Vorlage nicht zur Verfügung gestanden
zu haben”), wobei seine offensichtlich mangelhafte Komposition eine
Antwort erschwert: Die erst mit S. ■ Z. ■ einsetzenden Formulierungen
mit einem wiederholten, keinesfalls auf den Kaiser beziehbaren
concedimus, jeweils gefolgt von einem diplomwidrigen
vobis (vgl. auch das
reconfirmamus mit folgendem
vestris des mit Z. ■ beginnenden Schlußteiles), könnten am ehesten daran denken
lassen, dass eine oder mehrere Bischofsurkunden zugrundelagen, zumal
in diesem Abschnitt einmal von Herleitung
de iure der bischöflichen Kirche die Rede ist (vgl. auch das
ubi famuli … von Z. ■); da auch der vorangehende Anfangsabschnitt, der in Z. ■ mit
idest an die allgemeine Besitzbestätigung des ursprünglichen Textes
anknüpft, mit einer entsprechenden Bemerkung abschließt (de iure sancte Bononiensis ecclesiæ), würde dies in dieselbe Richtung weisen, wenn man das
idest … als partielle Konkretisierung der dortigen Herleitung
ab eorum episcopis aut … (Z. ■) verstehen will. – Womöglich hatte sich die Erweiterung zunächst
auf diesen Abschnitt beschränkt, bevor man sie mit
et concedimus … erweiterte.
Wenn die Erweiterung tatsächlich primär ursprüngliche Besitzungen der
bischöflichen Kirche betraf, würde dies zu der Annahme Hessels (a.a.O. 560) passen, dass der ganze Komplex der vom Domkapitel
hergestellten Nachzeichnungen der Abwehr von Angriffen von Seiten des
Bischofs diente, die Hessel
vor allem auf das DH.II.†519 stützte, das Veräußerungen von
Besitzungen der bischöflichen Kirche an die schriftliche Zustimmung
des Domkapitels binden und dem Bischof jede Verfügung über Besitzungen
des Domkapitels verbieten wollte.
Ganz konkreter Auslöser für die Aktionen des Domkapitels könnte die
Entfremdung der von B. Adalfred geschenkten und in der VU. bestätigten
ecclesia sancte Marie in Monte Palensi durch einen späteren Bischof gewesen sein, da diese als
monasterium sancte Marie situm in massa, que vocatur Monte Palense, unter den Besitzungen erscheint, die der bischöflichen Kirche im
Privileg P. Gregors VII. von 1074 März 23 (JL 4847; It. pont. 5,247 no
12; Savioli
a.a.O. 118 no
70; Fanti-Paolini
no
52) bestätigt wurden, wiederholt in den Privilegien P. Paschals II.
von 1114 März 6 (JL 6387; It. pont. 5,249 no
17; Savioli
a.a.O. 152 no
94; Fanti-Paolini
no
67) und P. Lucius’ II. von 1144 Mai 13 (JL 8602; It. pont. 5,250 no
22; Savioli
a.a.O. 206 no
130; Fanti-Paolini
no
104).
Dem aus der Hofkapelle hervorgegangenen (s. Schwartz, Besetzung 163f.; Fleckenstein, Hofkapelle 1,194 Anm. 294 und 227 Anm. 448) kaiserlichen Bischof
Adalfred (letztmals belegt als Petent des Viktor-Privilegs von 1055,
s. Anm. l’) war von Petrus Damiani die Verschleuderung von
latissima ecclesiastici iuris praedia in suburbio [scil. von Bologna] constituta vorgeworfen worden (s. Bresslau, Jahrb. Ko.II. 2,185 Anm. 1; Schwartz
a.a.O. 163 Anm. 2); offenbar hatte Adalfreds Nachfolger, der
päpstliche B. Lambert (vermutlich vor 1062 eingesetzt, belegt bis
1080, s. Schwartz
a.a.O. 164), Empfänger des Gregor-Privilegs von 1074, Adalfreds
Verfügung über diese Kirche angefochten. – Bei Heinrich V. konnte das
Domkapitel sicher auf Unterstützung gegen den damaligen Bischof Viktor
II. (1104/05–1130) rechnen, der zwar einmal im Jahre 1116 am Hofe
nachweisbar war (s. D.183; zur Erklärung vgl. dortige Vorbemerkung),
im Jahre 1118 aber auf Seiten des am 24. Januar gewählten
antikaiserlichen Papstes Gelasius II. stand, vgl. Schwartz
a.a.O. 165 (ebenda 162 zu dem wohl in die Frühzeit Bolognas
gehörenden
Clemens episcopus von Z. ■; vgl. zu ihm Fanti-Paolini
61 no
4 (zu [VI. sec. ?]), s.a. Gaudenzi
a.a.O. 200 mit Anm. 2 und Hessel
a.a.O. 558 Anm. 1).
Keine endgültige Klarheit lässt sich darüber gewinnen, wo
das Domkapitel das D.211 impetrierte, womit auch seine genauere
Datierung zusammenhängt. Es spricht jedoch alles dafür, dass dies in
Oberitalien geschah, ehe Heinrich nach Erhalt der Nachricht von der
Wahl P. Gelasius’ II., die ihn irgendwo am Po (in Pad <u> anis regionibus) erreichte, nach Rom aufbrach, wo er in der Nacht vom 1. auf den 2.
März eintraf (vgl. Meyer von Knonau
a.a.O. 60 mit Anm. 11 u. 12). Wenn daher die Bewilligung des D.211
spätestens in den Monat Februar fiel, würde sich daraus zugleich
ergeben, dass der
archicancellarius seit der Abreise B. Burkhards an seiner Stelle die Aufgaben des
Kanzlers wahrgenommen hätte. – Eine andere Möglichkeit kann wenig
Wahrscheinlichkeit beanspruchen, dass nämlich zusammen mit dem
Bologneser Irnerius, der beim römischen Volk für die am 8. März
erfolgte Wahl des Gegenpapstes Burdinus/Gregor VIII. agitierte (vgl. Meyer von Knonau
a.a.O. 64 mit Anm. 19/S. 66), die als Repräsentanten des Domkapitels
genannten beiden Personen nach Rom gekommen wären und dort das als
Reinschrift mitgebrachte Pergament vorgelegt hätten.
Eine abschließende Bewertung der Genese des D.211 lässt sich u.E.
jedoch erst aus der bisher unbeantworteten Frage nach derjenigen der
ungefähr gleichzeitig, jedenfalls nicht viel früher entstandenen (s.
oben) VU. gewinnen: Wenn man mit Hessel
auch diese in ihrer vorliegenden Gestalt als “Nachzeichnung”
bezeichnen wollte, würde dies voraussetzen, dass eine – nicht
erhaltene – entsprechende gleichlautende Vorlage existiert hätte, also
ein besiegeltes angebliches Original, in dem das – gleichfalls
verlorene – echte D.H.III.346 um den ersten Teil der Besitzliste
erweitert gewesen wäre.
Es ist jedoch gänzlich unvorstellbar, dass man es irgendwann zwischen
1105 und 1118 gewagt hätte, eine solche Fälschung auf den Namen
Heinrichs III. herzustellen, deren Besitzliste eine nach Kenntnis der
Zeitgenossen erst im Jahre 1105 erfolgte Schenkung enthielt! – Die
einzige plausible Erklärung scheint uns zu sein, dass DH.III. †346 einen – mit dem Ziel der Erlangung des
D.211 hergestellten – “Entwurf” darstellte, in dem realitätsnah, d.h.
in Reinschriftform, der Einbau der jetzt keineswegs mehr als
Interpolation zu wertenden Erweiterung der Besitzliste geprobt werden
sollte; diese Vorstellung hegte übrigens offenbar auch schon Gaudenzi
(a.a.O. 200 Anm. 2), wenn er DH.III.†346 und D.211 lediglich als “due
diversi redazioni” ein und derselben Fälschung ansah, was Hessel
(a.a.O. 551) zu Unrecht zurückwies. – Nur in einem solchen, nicht zur
Besiegelung vorgesehenen Entwurf konnte man bei der ausschließlichen
Konzentration auf die Besitzliste auch getrost auf jede
(erst der Reinschrift des D.211 vorbehaltene) Änderung am sonstigen
Text verzichten, was namentlich für die Intitulatio und die
Intervenientenliste gilt.
Es ist übrigens davon auszugehen, dass es sich bei dem echten Original
des DH.III.346 um eine Empfängerausfertigung gehandelt hatte, die auch
schon die “bolognesische” Erweiterung der Intitulatio um
filius Conradi imperatoris enthalten hatte; auf den Empfänger ist es jedenfalls mit Sicherheit
zurückzuführen, dass das DH.III.346 bei seiner weitestgehenden
Anlehnung an seine Vorurkunde, das DH.II.280, unpassenderweise den
dortigen Titel
rex übernahm, ein Fehler, der dann bei seiner sklavischen Abhängigkeit vom
“Entwurf” auch in D.211 beibehalten wurde. Dessen unkundigen
Schreiber, womöglich nur ein Gehilfe des Schreibers der VU., müssen
übrigens bei seiner Änderung der Intitulatio-Erweiterung der VU. (s.
Anm. b) zu
filius secundi Heinrici imperatoris sehr verschwommene Vorstellungen über die Zählung der Herrscher mit
dem Namen Heinrich geleitet haben, die aber nicht die von Schum
(a.a.O. 135) für “wahrscheinlicher” erklärte, von ihm selbst
zurückgenommene (s.a. Hessel
a.a.O. 552) Ansicht rechtfertigen, dass man bei D.211 “nicht Heinrich
V., sondern Heinrich IV. im Auge gehabt und ihm diese Urkunde
unterschieben wollte”.
An obigem Befund, der das DH.III.†346 als eigenständige “Vorurkunde”
eliminiert, orientiert sich auch unsere Druckeinrichtung: Da die von Hessel
in seinem Druck vorgenommene, der Kennzeichnung der Übereinstimmungen
mit der angeblichen VU.-“Nachzeichnung” dienende Präsentation fast des
gesamten Textes des D.211 in Petitsatz damit ihre Grundlage verliert,
beschränken wir den Petitsatz auf die zum echten Text der VU.
gehörenden Partien, also den auf DH.II.280 beruhenden Stammtext und
den zweiten Teil der Besitzliste, während der als tatsächliche
Erweiterung zu wertende erste Teil der Besitzliste in Normalschrift
gesetzt ist. Darüberhinaus haben wir, um die von Kehr
im Druck der VU. unterlassene entsprechende Kennzeichnung ihrer
Abhängigkeit nachzuholen, die mit der Adalfred-Urkunde und dem
Viktor-Privileg übereinstimmenden Stellen zusätzlich durch Kursivsatz
gekennzeichnet; da das echte DH.III.346 von 1055, nicht erst das
D.211, dafür den zeitlichen Bezug bildet, haben wir die
Adalfred-Urkunde mit der Sigle VU.II, das Viktor-Privileg, das zwar
jünger als das D. Heinrichs III. ist, aber die dortige inhaltliche
Erweiterung zur Adalfred-Urkunde widerspiegelt, mit der Sigle VU.III
bezeichnet, haben außerdem in den darauf bezüglichen Anmerkungen statt
der sonstigen einfachen VU.-Sigle die um römische Zählung erweiterte
Sigle VU.I verwendet; die am Rand ausgeworfenen Doppel-Siglen I/II
bzw. I/III besagen, dass auf VU.I der Petitsatz, auf VU.II bzw. VU.III
der Kursivsatz hinweist; zu den nur auf VUU.II.III bezüglichen
Auslassungs-Sternen in diesem Abschnitt vgl. Anm. l’; Varianten des
nicht nur die Besitzliste des echten DH.III.346 wiederholenden,
sondern auch im Kontext von diesem abhängigen (s. oben) Privilegs P.
Alexanders II. von 1066 haben wir, gleichfalls auf DH.III.346 bezogen,
mit der Sigle NU. zitiert.