Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<202.>>

Heinrich bestätigt der bischöflichen Kirche von Brixen die von seinem Vater, Kaiser Heinrich (IV.), geschenkte Abtei Disentis sowie den gesamten übrigen Besitz.

Im Bistum Volterra, 1117 Juni 17.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 43,5 b : 57,5 h) im Staatsarchiv zu Bozen (A).

Drucke aus A: (Bonelli), Notizie istor.-crit. di Trento 3.1,161. – Sinnacher, Beyträge 3,185 no 5. – Mohr, CD Cur-Raetiens 1,156 no 112. – Santifaller, Brixner Urk. 1,39 no 34. – Meyer-Marthaler u. Perret, Bündner UB 1,198 no 263.

Reg.: Mohr, Reg. Disentis 9 no 37. – Jaeger in Archiv f. Kunde österr. Gesch.-Quellen 15,341. – Hidber, Schweizer. Urk.-Register 1,464 no 1594. – Gebele, Hermann v. Augsburg 118 no 44. – Ficker in Wilmans, Add. z. Westf. UB 92 no 116/35. – Thommen, Urk. z. Schweizer Gesch. 1,6 no 8. – Zoepfl-Volkert, Augsburger Reg. 1,254 no 420. – Böhmer Reg. 2061. – Stumpf Reg. 3155.

Unter weitgehender Verwendung des DH.II.424 von 1020 April 24 (= VU.I; vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 7,38 Anm. 16) sowie in geringem Umfang (primär für die über VU.I hinausgehende Einbeziehung des Gesamtbesitzes, s. Text nach Anm. r) des DH.III.23 von 1040 Januar 16 (= VU.II) geschrieben und in den wenigen selbständig formulierten Partien auch verfasst von Notar Adalbert A, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 67 no 88. – Für Kontext und Datierung ist eine dunkelbraune bis schwarze Tinte verwendet, für die elongierte 1. Zeile sowie für die Signum- und Rekognitionszeile jedoch eine gemeinsame hellbraune Tinte, so dass anzunehmen ist, dass auch die 1. Zeile erst ganz am Schluss der Niederschrift nachgetragen wurde.

In D.202 sowie dem weitgehend zerstörten D.204, den beiden letzten erhaltenen Originalen des Notars, begegnet letztmals als Kanzleigebrauch innerhalb der Datierung die Angabe der Königsjahre (vgl. noch D.212). Wenn der Notar dabei statt der richtigen XII die (in D.204 zerstörte) falsche Zahl XI verwendet, so bedeutet dies nur eine konsequente rechnerische Fortschreibung der falschen Zahl X, die er in der zweiten Jahreshälfte 1116 seit D.187 und auch noch in den beiden ersten, vor den 6. Januar als Epochentag der Königsjahre gehörenden Diplomen des Jahres 1117, DD.198 und 199, ständig verwendet hatte.

Aus dem außerhalb der Kanzlei entstandenen DH.II.424, das im ersten Teil unserem D. als einzige Vorurkunde diente, ist – neben der ungebräuchlichen Formulierung der Devotionsformel – der in Heinrichs Diplomen sonst nicht begegnende Titel rex Theutonicorum übernommen (vgl. Koch, Sacrum Imperium 131; Kienast, Deutschland u. Frankreich 2,269f. Anm. 665; Merta in Intitulatio III,196f.); Rieger in Zs. f. österr. Gymnasien 26,774f. und Bayer in Gött. gel. Anz. 1875 S. 1180 hatten ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis angenommen und deshalb Bedenken gegen die Echtheit von DH.II.424 erhoben; obwohl diese Bedenken durch Bresslaus Vorbemerkung ausgeräumt waren, hat später Müller-Mertens, Regnum Teutonicum 64f. nochmals die Echtheit von DH.II.424 in Zweifel gezogen (vgl. Zurückweisung in der Besprechung durch Beumann in Archiv f. Kulturgesch. 55,221).

Im Schlussteil ist wegen weitgehend wörtlicher Übereinstimmung zwischen beiden schwer zu entscheiden, ob VU.I oder VU.II als unmittelbare Vorlage diente; da jedoch einzelne Abweichungen die Annahme nahelegen, dass die ältere VU.I auch hier die Hauptvorlage bildete (vgl. Hinweise in Anm. w), haben wir uns dort auch auf die Verwendung der alleinigen Randziffer I beschränkt. Santifaller a.a.O. hat nur das DH.II.424 (VU.I) als Vorurkunde gewertet und dementsprechend in seinem Druck durch Kursivsatz gekennzeichnet. Ganz abwegig ist die, wohl auf der Vorbemerkung zu DH.IV.5 (dort irrige Verwendung der Bezeichnung “Stumpf Reg. 3089” statt 3155!) beruhende, im Bündner UB vertretene Ansicht (ebenso Seibert in Die Salier u. das Reich 2,566), das eine fast wörtliche Wiederholung des DH.III.23 darstellende DH.IV.5 von 1057 Februar 4 sei die eigentliche und einzige Vorurkunde unseres D.; wie die in den Anmerkungen notierten Abweichungen (vgl. bes. Anm. s, ferner Anm. x–z, c’) zeigen, ist dies jedoch völlig ausgeschlossen, aus dem DH.IV.5 (= VU.III) ist lediglich die Nennung B. Altwins (s. Anm. o/p) als dessen Empfänger entnommen.

Die Rekognitionszeile des D.202 bietet insofern eine Neuerung, als sie erstmals wieder einen italienischen Erzkanzler nennt, nachdem B. Burkhard von Münster als italienischer Kanzler bis dahin während des ganzen 2. Italienzuges von Anfang an (s. D.155), zuletzt in D.199, allein rekognosziert hatte (s. Meyer von Knonau a.a.O.). Der Verzicht auf die Nennung EB. Friedrichs von Köln als italienischer Erzkanzler, der nur in der Zeit von 1112 Oktober 8 (D.107) bis 1115 Dezember 20 (D.148) – mit Unterbrechungen – in den Rekognitionen genannt worden war (s. Bresslau, Handb. 21,480), ist sicher auf die Abkühlung seines Verhältnisses zu Heinrich zurückzuführen, wobei die Weiterbeschäftigung Burkhards, der von EB. Friedrich exkommuniziert worden war, als Kanzler sicher auch schon eine Spitze gegen den Kölner darstellte (vgl. Bresslau in MIÖG 6,132f.; Meyer von Knonau a.a.O. 212 Anm. 27). – Immerhin war durch die bloße Nichtnennung Friedrichs dessen Erzkanzleramt nicht grundsätzlich in Frage gestellt; die Ernennung eines neuen Erzkanzlers für Italien in der Person B. Gebhards von Trient (1106–1120) hat aber zweifellos die förmliche Aberkennung des Erzkanzleramtes für den Kölner zur Voraussetzung gehabt, die vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass EB. Friedrich es gewagt hatte, zu Anfang des Jahres 1117 persönlich die über Heinrich verhängte Exkommunikation zu verkünden (vgl. Bresslau in MIÖG 6,133; Meyer von Knonau a.a.O. 7,38 Anm. 16; Hausmann a.a.O.).

Zu den chronologischen Schwierigkeiten, welche zwei Urkunden von 1111 Juli 13 und 14 (Dr.: Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. 3 no 3; Reg: Huter, Tiroler UB 1.1,63f. no 138 u. 139) bereiten, in denen B. Gebhard als cancellarius domini Henrici imperatoris bezeichnet ist, vgl. Bresslau, Handb. 21,480 Anm. 2 und bes. Huter a.a.O. 64, der spätere Beurkundung oder Einschub des Titels durch den vidimierenden Notar des 14. Jh. annimmt. – Die Formulierung der Rekognitionszeile des D.202 mit der Nennung des Erzkanzlers ist aber offenbar ein einmaliger Fall geblieben und keine feste Kanzleipraxis geworden, soweit sich das angesichts des fast vollständigen Fehlens von Diplomen aus der zweiten Jahreshälfte 1117 beurteilen lässt; jedenfalls rekognoszierte Burkhard das allenfalls einen knappen Monat jüngere D.204 wieder in herkömmlicher Weise allein, was auch für das D.†208 von 1117 Dezember 15 gilt.

Die unbestimmte Kennzeichnung des Handlungsortes mit in episcopatu Wlterrensi lässt unterschiedliche Interpretationen zu: Da kaum anzunehmen ist, dass dem Notar der Name des unbekannten Ortes zu unbedeutend erschien, ist wahrscheinlicher, dass ihm der Name zur Zeit der Ausfertigung entfallen war, was bedeuten würde, dass die Handlung schon einige Zeit zurücklag; letzteres würde auch für den Fall gelten, dass die Formulierung sich aus einem Rückblick erklärt, dass man nämlich das Gebiet des Bistums schon verlassen hatte, das heißt, man hätte schon auf dem ins Gebiet von Lucca (s. D.*203) führenden weiteren Weg nach Norden die ca. 20 km nördlich von Volterra und ca. 35 km südlich von Lucca verlaufende Grenze zwischen beiden Bistümern (vgl. Diözesankarte des 13. Jh. in Studi e Testi 58) überschritten gehabt und die Beurkundung wäre erst im Gebiet des Bistums Lucca erfolgt.

Der Beleg für einen angeblichen Aufenthalt des Kaisers am 3. Mai 1117 in Volterra (vgl. Davidsohn, Forsch. z. ält. Gesch. von Florenz 171) ist angesichts der Tatsache, dass Heinrich zu Pfingsten (13. Mai) noch in Rom weilte, wo er seine Gemahlin Mathilde krönen ließ, gänzlich unbrauchbar, vgl. dazu Scheffer-Boichorst, Zur Gesch. des XII. u. XIII. Jh. 65 no 1 und Meyer von Knonau a.a.O. 38 Anm. 16. – Übrigens wird Heinrich auch im Juni 1117 nicht Volterra selbst aufgesucht haben: Als er nach dem 13. Mai wegen der Sommerhitze von Rom nach Norden aufgebrochen war, bildete Sutri die einzig bekannte nächste Station (vgl. Meyer von Knonau a.a.O. 36f. mit Anm. 14); wenn er die bis dahin benützte Via Cassia weiterhin in Richtung Nordwesten als Route beibehielt, hätte ihn dies geradeswegs nach Siena geführt; um von dort nach Volterra zu gelangen, hätte er einen ca. 40 km weiten Abstecher nach Westen machen müssen, während er wahrscheinlich unmittelbar nach Nordwesten weiterzog, wobei er, wenn er evtl. den Weg durch das Tal der Elsa nahm, nur den Ostrand des Bistums Volterra berührt hätte.

Unklar bleibt, wieso gerade hier und jetzt diese Bestätigung für Brixen erteilt wurde, nachdem der als Empfänger genannte, erst 1118 geweihte B. Hugo von Brixen vermutlich den ganzen Italienzug mitgemacht hatte, wo er auch seinen fidelis famulatus erwiesen haben mochte; jedenfalls ist er in der zweiten Hälfte des Jahres 1116 am Hof nachweisbar (s. DD.185 und †295), andererseits fehlen in den beiden folgenden Jahren Belege für seine Anwesenheit im Bistum Brixen (zu Nennungen in undatierten Texten s. Redlich, Trad.-B. d. Hochst. Brixen 146ff. und Huter a.a.O. 65ff.), erst eine Urkunde von 1120 Okt. 31 nennt ihn als Aussteller (s. Santifaller a.a.O. 40 no 35). – Es ist denkbar, dass man in Brixen erst damals seitens des Klosters Disentis mit dem zu D.202 in Widerspruch stehenden, die Reichsunmittelbarkeit des Klosters bestätigenden D.106 von 1112 konfrontiert worden war; daraufhin könnte sich eine Abordnung aus Brixen zum Hof (und dem dort befindlichen B. Hugo) begeben haben, welche die Vorurkunden oder einen mit ihrer Hilfe hergestellten Vorentwurf mitgebracht hatte. – Zur Frage der beiden gegensätzlichen Diplomata-Reihen über die Stellung des Klosters Disentis und die These Faussners (Königsurk.-Fälsch. Wibalds 121) über den angeblichen Fälschungscharakter des D.202 vgl. Vorbemerkung zu DD.106 und 186.

(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus diviva aspirante clementia quintus rex Theuthonicorum et IIIItus imperator augustus Romanorum. Si ęcclesias in laudes et honores dei constructas aliquibus bonis ditare studuerimus, hinc remunerationem fine carentem nos recepturos non incerti erimus. Quocirca omnibus in Christo fidelibus notum esse volumus, qualiter nos divini fervoris instinctu pro remedio animę nostre parentumque nostrorum, interventu ac petitione dilectę coniugis nostrę Mathildis reginę, mediantibus principibus nostris, Herimanno Augustensi episcopo, Gebehardo Tridentino episcopo, Tvringone Vuicentino episcopo, Aribone Feltrensi episcopo, Erlolfo abbati Wldensi, Hvgoni Brixinensi episcopo ob retributionem fidelis famulatus sui necnon et ęcclesię in honore sanctorum martyrum Cassiani et Ingenvini dedicatę, cui videtur preesse, abbatiam Tisentinensem sitam in pago Curiensi, ab Heinrico imperatore augusto bonę memorię patre nostro Althvino episcopo predicteque ęcclesię in proprium traditam, cum omnibus ad eam iure pertinentibus, ęcclesiis, decimationibus, areis, edificiis, agris, campis, pratis, pascuis, silvis, venationibus, aquis aquarumve decursibus, piscationibus, molendinis, vineis, terris, cultis et incultis, exitibus et reditibus, viis et inviis, quesitis et inquirendis, cum familia utriusque sexus, omnesque eiusdem ęcclesię possessiones, quas ipsa ęcclesia olim per precepta regum sive imperatorum usque nunc visa est possidere, per hanc nostram paginam donamus et consolidamus atque confirmamus, ea videlicet ratione, ut prefatus episcopus suique successores liberam inde habeant potestatem, quicquid eis placuerit, faciendi ad utilitatem ęcclesię suę. Et ut hec nostrę donationis et corroborationis auctoritas firmior omni habeatur tempore, hoc preceptum inde conscriptum propria manu confirmavimus et sigillo nostro insigniri iussimus.

Signum domni Heinrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi. (M.9.)

Burcardus cancellarius et episcopus Monasteriensis vice Gebehardi archicancellarii recognovit. (SI.D.)

Data XV. kal. iulii, indictione X, anno dominicę incarnationis millesimo CXVII, regnante Heinrico quinto rege Romanorum an[no] XImo, imperante VIImo; actum est in episcopatu Wlternensi; in Christo fęliciter amen.