Abschrift in Urkundenform aus dem 1. Viertel des 12. Jh. im
Staatsarchiv zu Modena (B).
Ungedruckt.
Reg.: Vasina
in Storia di Ferrara 4,344. – Stumpf
Reg. –.
Die als absolut gleichzeitig anzusehende Abschrift B stammt von der
Hand des im Text als einer der Ferrareser Abgesandten genannten Notars
Bonusvicinus, der seit den späten 80er Jahren des 11. Jh. als Notar
der Kanoniker von Ferrara nachweisbar ist, vgl. Marzola, Le carte Ferraresi mit insgesamt 18 von Bonusvicinus stammenden
Urkunden, die älteste no
66 von 1088, die letzte no
90 von 1117 März 21 (Marzola berücksichtigt nur die Überlieferung aus
Ferrareser Archiven, weshalb auch unser D. bei ihm fehlt); von ihm
stammt auch eine nur abschriftlich erhaltene Urkunde der Markgräfin
Mathilde für B. Landulf von Ferrara von 1109 Juni 9 (Goez, Urk. Mathildes no
115).
Die Vermutung der Urheberschaft des Bonusvicinus hatte sich schon beim
Vergleich mit den Drucken seiner anderen Stücke aufgrund der
Orthographie ergeben, namentlich wegen der exzessiven Verwendung der
im Druck beibehaltenen
æ-Ligatur auch im Anlaut (s. Anm. f; zu anderen orthographischen
Eigenheiten s. Anm. y, a’, f’, x’) und bestätigte sich beim Vergleich
mit den im Kapitelsarchiv zu Ferrara verwahrten Originalen. –
Bonusvicinus war vermutlich auch der Urheber des der Kanzlei
vorgelegten Empfängerentwurfs; ein solcher ist schon wegen der
kanzleiwidrigen, der Papst- und Privaturkunde eigentümlichen direkten
Apostrophierung der Empfänger mit
in vos und
per vos (Z. ■ und ■) vorauszusetzen.
Die in den besonderen lokalen Verhältnissen Ferraras begründete
Betonung der Tatsache, dass es sich bei der außerhalb der Stadt
gelegenen Kirche San Giorgio um die Bischofskirche handle (æcclesiæ s. G. martyris, hoc est ipsorum episcopatui; erst in den 30er Jahren des 12. Jh. wurde unter Beibehaltung des
Georgspatroziniums der Bau einer neuen Kathedrale innerhalb der Stadt
begonnen), begegnet auch in der oben erwähnten, fast gleichzeitigen
Urkunde des Bonusvicinus von 1117 März 21 (æcclesiæ et æpiscopii sancti Georgii).
Der Entwurf wurde vom Kanzleinotar Adalbert A überarbeitet, auf den
sicherlich die Einfügung der Intervention des (italienischen) Kanzlers
zurückgeht, von dem aber insbesondere das Diktat des Protokolls sowie
des ganzen Eschatokolls herrührt; ob dies auch für die Korroboratio
gilt, ist nicht absolut sicher, doch ist für das
signari (s. auch D.188) statt des üblichen
insigniri auf das
assignari des gleichzeitigen D.198 (s. auch D.175 mit
adsignari) zu verweisen.
Die angesichts des knappen Textes jeweils nur geringfügige
Heranziehung von Ferrareser Urkunden, des DO.III.275 von 998 bzw.
seiner Wiederholung in DH.II.279 von 1014 (= VU.I) und des DH.III.194
von 1047 (= VU.IV), sowie der Privilegien P. Johanns XIII. von 967 (JL
3718; It. pont. 5,208 no
5 = VU.II) und P. Paschals II. von 1105 (JL 6023; It. pont. 5,210 no
11 = VU.III) – davon VU.I für das Domkapitel, VU.II–IV für die
bischöfliche Kirche (III zugleich für die Stadt, vgl. Anm. w) – mag
schon auf den Entwurf, also Bonusvicinus, zurückgehen, vielleicht aber
auch erst auf Adalbert A, der von den Ferrareser Königsurkunden bei
der Formulierung von D.198 (s. dortige Vorbemerkung) noch
ausgiebigeren Gebrauch als hier zu machen vermochte.
Vom Notar der Reichskanzlei war aber ohne Zweifel auch die Reinschrift
des verlorenen Originals gefertigt: Für Protokoll und Eschatokoll
ergibt sich dies aus der – im Gegensatz zu der für den nicht
fehlerfreien Kontext (s. Anm. o, q, s–u, x, n’, y’) verwendeten
einfachen Geschäftsschrift – sorgfältigen Nachzeichnung von Chrismon
und Monogramm in den Formen des Adalbert A (s. Anm. a, q’); das
dreimalige Vorkommen des tironischen
et-Kürzels (s. Anm. b) neben dem überwiegenden und von Bonusvicinus in
seinen eigenen Urkunden ausschließlich verwendeten & beweist, dass
auch der Kontext von Adalbert A geschrieben war.
Das Diplom ohne Tagesangabe (s. Anm. t’) gehört in unmittelbare
zeitliche Nähe zu D.198 von 1117 Januar 3: Mit diesem gemeinsam hat es
die ursprüngliche Auslassung des Tagesdatums, dessen Nachtragung hier
allerdings, anders als dort (in D.3153 gemeinsam mit der Indiktion
nachgetragen, s. dortige Anm. ac), unterblieb, ohne dass deshalb an der tatsächlich
erfolgten Ausfertigung gezweifelt werden dürfte; Bonusvicinus könnte
seine Abschrift vom Original ja auch schon vor dort erfolgter
Nachtragung des Tagesdatums genommen haben. Eine weitere Gemeinsamkeit
bildet die identische Formulierung der Rekognitionszeile, wo
abweichend vom sonstigen regelmäßigen Brauch des Notars der Bischofs-
dem Kanzlertitel vorangestellt ist. Insbesondere aber hat der Notar
die Publikatio unseres D.199 buchstabengetreu, einschließlich aller
Veränderungen gegenüber der Vorurkunde (s. Anm. e, g–i), für D.198
übernommen.
Daraus ergibt sich nun zweifelsfrei, dass die Abfassung von D.199 vor
derjenigen von D.198 erfolgt sein muss; dass der Notar unter
Verwendung der Ferrareser Vorurkunden, die ihm anscheinend länger zur
Verfügung standen (s. Vorbemerkung zu D.198), zuerst das D.198 für S.
Severo und dann erst D.199 für Ferrara verfasst hätte, ist äußerst
unwahrscheinlich; allenfalls ist gleichzeitige Abfassung beider in
Betracht zu ziehen.
Dies gilt jedoch nicht für den Zeitpunkt der Herstellung der
Reinschriften, deren Grenzdaten dadurch festliegen, dass beide von
Anfang an, neben dem laufenden Kaiserjahr, die Angabe des am 25.
Dezember 1116 beginnenden Inkarnationsjahres 1117 und diejenige des
seit der Mitte des Jahres 1116 (D.187) kanzleigemäß um 1 Einheit zu
niedrig berechneten, demnach noch bis zum 6. Januar 1117 geltenden 10.
Königsjahres aufwiesen. Nur D.199 enthielt auch schon die gegenüber
den Diplomen des Jahres 1116 um 1 Einheit erhöhte Indiktionszahl,
während in D.198 dafür eine Lücke gelassen war, die erst später
zusammen mit dem Tagesdatum ausgefüllt wurde (s. oben); dass im
Original von D.199 die Indiktion, ohne gleichzeitige Ergänzung um die
Tagesangabe, für sich allein nachgetragen gewesen wäre, ist mit
Sicherheit auszuschließen.
Das ursprüngliche Fehlen der Indiktion in D.198 zwingt nun zu dem
Schluss, dass zum Zeitpunkt der Niederschrift der Indiktionswechsel,
anders als beim Inkarnationsjahr, noch nicht erfolgt war, aber dicht
bevorstand. Dies bedeutet zugleich, dass nach der an anderen
Beispielen nicht überprüfbaren Berechnungsweise des Notars Adalbert A
die Epochentage für Indiktion und Inkarnationsjahr offensichtlich
nicht zusammen auf den 25. Dezember fielen, vielmehr für die Indiktion
mit dem 1. Januar, der nach der
indictio Romana möglichen Variante zum 25. Dezember, anzusetzen ist. Die Niederschrift
von D.198 war demnach vor dem 1. Januar 1117 (und nach dem 25.
Dezember 1116), diejenige von D.199 zwischen dem 1. und 6. Januar 1117
erfolgt.
Aus der – in unserem D. auch nicht behobenen – Aussparung des
Tagesdatums in beiden Diplomen ergibt sich zwingend der Tatbestand
uneinheitlicher Datierung mit Auseinanderklaffen von Handlungs- und
Beurkundungsort, von denen jeweils nur ersterer bekannt ist. Zieht man
aber in Betracht, dass dem gefälschten D. † 296 für S. Vitale zu
Ravenna für die Ortsangabe Forlimpopoli und die Tagesangabe des 28.
Dezember (1116) eine echte Vorlage zur Verfügung stand, dann ergibt
sich aus den Handlungsorten aller drei Stücke eine räumliche
Konzentration, die die Vermutung nahelegt, dass der Kaiser das
Weihnachtsfest und den Jahreswechsel in der Bischofsstadt Forlì
verbrachte – und hier auch der Notar seine Schreibgeschäfte erledigte:
San Martino in Strada (com. Forlì) liegt ca. 4 km s., Forlimpopoli ca.
6 km sö. Forlì, und von Forlì aus war mit einem eine knappe Tagesreise
beanspruchenden Abstecher das ca. 20 km nördlich gelegene Cortina (ca.
15 km w. Ravenna) erreichbar; namentlich die Nachtragung des
Handlungsortes Cortina in D.198 (s. dortige Anm. af) spricht dafür,
dass der Notar die Reinschrift nicht dort, sondern erst nach der
Rückkehr (nach Forlì) fertigte, wobei er auf Anhieb zwar die Lage des
Handlungsortes im Gebiet der Erzdiözese Ravenna angeben konnte, sich
des Namens des unbedeutenden Cortina aber erst nochmals vergewissern
mußte. – Vermutlich hat er sogar D.198 erst hier verfasst, da er die
benutzten Ferrareser (Original-)Urkunden ja sicher nicht unterwegs mit
sich führte.
Aus der umfangreichen Intervenientenliste von D.198 wird man übrigens
auf einen Hoftag Heinrichs schließen dürfen, der eben nach Forlì,
dessen Bischof dann wohlbegründet nach dem Erzbischof von Ravenna an
1. Stelle genannt ist, einberufen wurde und der Vorbereitung des
bevorstehenden Zuges nach Rom gedient haben wird; dieser angesagte
Hoftag hätte auch die Abgesandten Ferraras sowie, im Gefolge des
Erzbischofs von Ravenna, den Abt Petrus von S. Severo und vermutlich
auch Beauftragte von S. Vitale auf den Weg nach Forlì gebracht.
Die geringe inhaltliche Aussagekraft des Textes dürfte der Grund dafür
sein, dass sich in der ansonsten sehr breiten kopialen Überlieferung
Ferraras keine Abschrift unseres D. ermitteln ließ, die einer
sichereren Emendation des fehlerhaften Textes unseres D. hätte dienen
können; so muss z.B. letztlich offenbleiben, ob es sich bei
Azonem … Sichelmum um eine (so unsere Edition mit Weglassung eines Kommas nach dem auch
stilistisch für Zusammengehörigkeit sprechenden
videlicet) oder um zwei Personen handelt. – Stumpf
Reg. 3154 entfällt. Die dort im Anschluss an Reg. 3153 (= D.198) als
Beleg für ein angeblich im Stadtarchiv zu Forlì liegendes Or.-Diplom für “S. Apollinare in
Classe zu Ravenna” (ohne Datums- und Inhaltsangabe) zitierte
Mitteilung Bethmanns beruht offensichtlich, wie schon von Bresslau
in Vorbemerkung zu DH.III.144 festgestellt, auf einer Verwechslung
mit D. † 296 für S. Vitale oder D.198 für S. Severo, deren Originale
sich früher in Forlì befunden haben (s. Vorbemerkung zu D.198). Dies
ergibt sich auch aus den posthum veröffentlichten Nachrichten Bethmanns in Archiv 12,584 (s. auch S. 585; an beiden Stellen ist nur von
einem Original von 1117 für S. Severo in der Stadtbibliothek – nicht
im Stadtarchiv – die Rede), worauf sich die Zusätze zu Stumpf
S. 539 (außer für Reg. 3152 = D. † 296 und Reg. 3153 = D.198)
fälschlich nochmals für das Reg. 3154 berufen. Eine Verwechslung
namentlich mit dem Original von D.198 für S. Severo ist am ehesten
dadurch erklärlich, daß im Jahre 1457 die Archivfonds von S.
Apollinare und S. Severo miteinander vereinigt wurden.