Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<199.>>

Heinrich bestätigt der bischöflichen Kirche von Ferrara auf Bitten städtischer Gesandter alle Schenkungen seitens der römischen Kirche und seiner eigenen Vorgänger.

San Martino in Strada – (Forlì) 1117 (Januar 1–6).

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Abschrift in Urkundenform aus dem 1. Viertel des 12. Jh. im Staatsarchiv zu Modena (B).

Ungedruckt.

Reg.: Vasina in Storia di Ferrara 4,344. – Stumpf Reg. –.

Die als absolut gleichzeitig anzusehende Abschrift B stammt von der Hand des im Text als einer der Ferrareser Abgesandten genannten Notars Bonusvicinus, der seit den späten 80er Jahren des 11. Jh. als Notar der Kanoniker von Ferrara nachweisbar ist, vgl. Marzola, Le carte Ferraresi mit insgesamt 18 von Bonusvicinus stammenden Urkunden, die älteste no 66 von 1088, die letzte no 90 von 1117 März 21 (Marzola berücksichtigt nur die Überlieferung aus Ferrareser Archiven, weshalb auch unser D. bei ihm fehlt); von ihm stammt auch eine nur abschriftlich erhaltene Urkunde der Markgräfin Mathilde für B. Landulf von Ferrara von 1109 Juni 9 (Goez, Urk. Mathildes no 115).

Die Vermutung der Urheberschaft des Bonusvicinus hatte sich schon beim Vergleich mit den Drucken seiner anderen Stücke aufgrund der Orthographie ergeben, namentlich wegen der exzessiven Verwendung der im Druck beibehaltenen æ-Ligatur auch im Anlaut (s. Anm. f; zu anderen orthographischen Eigenheiten s. Anm. y, a’, f’, x’) und bestätigte sich beim Vergleich mit den im Kapitelsarchiv zu Ferrara verwahrten Originalen. – Bonusvicinus war vermutlich auch der Urheber des der Kanzlei vorgelegten Empfängerentwurfs; ein solcher ist schon wegen der kanzleiwidrigen, der Papst- und Privaturkunde eigentümlichen direkten Apostrophierung der Empfänger mit in vos und per vos (Z. ■ und ■) vorauszusetzen.

Die in den besonderen lokalen Verhältnissen Ferraras begründete Betonung der Tatsache, dass es sich bei der außerhalb der Stadt gelegenen Kirche San Giorgio um die Bischofskirche handle (æcclesiæ s. G. martyris, hoc est ipsorum episcopatui; erst in den 30er Jahren des 12. Jh. wurde unter Beibehaltung des Georgspatroziniums der Bau einer neuen Kathedrale innerhalb der Stadt begonnen), begegnet auch in der oben erwähnten, fast gleichzeitigen Urkunde des Bonusvicinus von 1117 März 21 (æcclesiæ et æpiscopii sancti Georgii).

Der Entwurf wurde vom Kanzleinotar Adalbert A überarbeitet, auf den sicherlich die Einfügung der Intervention des (italienischen) Kanzlers zurückgeht, von dem aber insbesondere das Diktat des Protokolls sowie des ganzen Eschatokolls herrührt; ob dies auch für die Korroboratio gilt, ist nicht absolut sicher, doch ist für das signari (s. auch D.188) statt des üblichen insigniri auf das assignari des gleichzeitigen D.198 (s. auch D.175 mit adsignari) zu verweisen.

Die angesichts des knappen Textes jeweils nur geringfügige Heranziehung von Ferrareser Urkunden, des DO.III.275 von 998 bzw. seiner Wiederholung in DH.II.279 von 1014 (= VU.I) und des DH.III.194 von 1047 (= VU.IV), sowie der Privilegien P. Johanns XIII. von 967 (JL 3718; It. pont. 5,208 no 5 = VU.II) und P. Paschals II. von 1105 (JL 6023; It. pont. 5,210 no 11 = VU.III) – davon VU.I für das Domkapitel, VU.II–IV für die bischöfliche Kirche (III zugleich für die Stadt, vgl. Anm. w) – mag schon auf den Entwurf, also Bonusvicinus, zurückgehen, vielleicht aber auch erst auf Adalbert A, der von den Ferrareser Königsurkunden bei der Formulierung von D.198 (s. dortige Vorbemerkung) noch ausgiebigeren Gebrauch als hier zu machen vermochte.

Vom Notar der Reichskanzlei war aber ohne Zweifel auch die Reinschrift des verlorenen Originals gefertigt: Für Protokoll und Eschatokoll ergibt sich dies aus der – im Gegensatz zu der für den nicht fehlerfreien Kontext (s. Anm. o, q, s–u, x, n’, y’) verwendeten einfachen Geschäftsschrift – sorgfältigen Nachzeichnung von Chrismon und Monogramm in den Formen des Adalbert A (s. Anm. a, q’); das dreimalige Vorkommen des tironischen et-Kürzels (s. Anm. b) neben dem überwiegenden und von Bonusvicinus in seinen eigenen Urkunden ausschließlich verwendeten & beweist, dass auch der Kontext von Adalbert A geschrieben war.

Das Diplom ohne Tagesangabe (s. Anm. t’) gehört in unmittelbare zeitliche Nähe zu D.198 von 1117 Januar 3: Mit diesem gemeinsam hat es die ursprüngliche Auslassung des Tagesdatums, dessen Nachtragung hier allerdings, anders als dort (in D.3153 gemeinsam mit der Indiktion nachgetragen, s. dortige Anm. ac), unterblieb, ohne dass deshalb an der tatsächlich erfolgten Ausfertigung gezweifelt werden dürfte; Bonusvicinus könnte seine Abschrift vom Original ja auch schon vor dort erfolgter Nachtragung des Tagesdatums genommen haben. Eine weitere Gemeinsamkeit bildet die identische Formulierung der Rekognitionszeile, wo abweichend vom sonstigen regelmäßigen Brauch des Notars der Bischofs- dem Kanzlertitel vorangestellt ist. Insbesondere aber hat der Notar die Publikatio unseres D.199 buchstabengetreu, einschließlich aller Veränderungen gegenüber der Vorurkunde (s. Anm. e, g–i), für D.198 übernommen.

Daraus ergibt sich nun zweifelsfrei, dass die Abfassung von D.199 vor derjenigen von D.198 erfolgt sein muss; dass der Notar unter Verwendung der Ferrareser Vorurkunden, die ihm anscheinend länger zur Verfügung standen (s. Vorbemerkung zu D.198), zuerst das D.198 für S. Severo und dann erst D.199 für Ferrara verfasst hätte, ist äußerst unwahrscheinlich; allenfalls ist gleichzeitige Abfassung beider in Betracht zu ziehen.

Dies gilt jedoch nicht für den Zeitpunkt der Herstellung der Reinschriften, deren Grenzdaten dadurch festliegen, dass beide von Anfang an, neben dem laufenden Kaiserjahr, die Angabe des am 25. Dezember 1116 beginnenden Inkarnationsjahres 1117 und diejenige des seit der Mitte des Jahres 1116 (D.187) kanzleigemäß um 1 Einheit zu niedrig berechneten, demnach noch bis zum 6. Januar 1117 geltenden 10. Königsjahres aufwiesen. Nur D.199 enthielt auch schon die gegenüber den Diplomen des Jahres 1116 um 1 Einheit erhöhte Indiktionszahl, während in D.198 dafür eine Lücke gelassen war, die erst später zusammen mit dem Tagesdatum ausgefüllt wurde (s. oben); dass im Original von D.199 die Indiktion, ohne gleichzeitige Ergänzung um die Tagesangabe, für sich allein nachgetragen gewesen wäre, ist mit Sicherheit auszuschließen.

Das ursprüngliche Fehlen der Indiktion in D.198 zwingt nun zu dem Schluss, dass zum Zeitpunkt der Niederschrift der Indiktionswechsel, anders als beim Inkarnationsjahr, noch nicht erfolgt war, aber dicht bevorstand. Dies bedeutet zugleich, dass nach der an anderen Beispielen nicht überprüfbaren Berechnungsweise des Notars Adalbert A die Epochentage für Indiktion und Inkarnationsjahr offensichtlich nicht zusammen auf den 25. Dezember fielen, vielmehr für die Indiktion mit dem 1. Januar, der nach der indictio Romana möglichen Variante zum 25. Dezember, anzusetzen ist. Die Niederschrift von D.198 war demnach vor dem 1. Januar 1117 (und nach dem 25. Dezember 1116), diejenige von D.199 zwischen dem 1. und 6. Januar 1117 erfolgt.

Aus der – in unserem D. auch nicht behobenen – Aussparung des Tagesdatums in beiden Diplomen ergibt sich zwingend der Tatbestand uneinheitlicher Datierung mit Auseinanderklaffen von Handlungs- und Beurkundungsort, von denen jeweils nur ersterer bekannt ist. Zieht man aber in Betracht, dass dem gefälschten D. † 296 für S. Vitale zu Ravenna für die Ortsangabe Forlimpopoli und die Tagesangabe des 28. Dezember (1116) eine echte Vorlage zur Verfügung stand, dann ergibt sich aus den Handlungsorten aller drei Stücke eine räumliche Konzentration, die die Vermutung nahelegt, dass der Kaiser das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel in der Bischofsstadt Forlì verbrachte – und hier auch der Notar seine Schreibgeschäfte erledigte: San Martino in Strada (com. Forlì) liegt ca. 4 km s., Forlimpopoli ca. 6 km sö. Forlì, und von Forlì aus war mit einem eine knappe Tagesreise beanspruchenden Abstecher das ca. 20 km nördlich gelegene Cortina (ca. 15 km w. Ravenna) erreichbar; namentlich die Nachtragung des Handlungsortes Cortina in D.198 (s. dortige Anm. af) spricht dafür, dass der Notar die Reinschrift nicht dort, sondern erst nach der Rückkehr (nach Forlì) fertigte, wobei er auf Anhieb zwar die Lage des Handlungsortes im Gebiet der Erzdiözese Ravenna angeben konnte, sich des Namens des unbedeutenden Cortina aber erst nochmals vergewissern mußte. – Vermutlich hat er sogar D.198 erst hier verfasst, da er die benutzten Ferrareser (Original-)Urkunden ja sicher nicht unterwegs mit sich führte.

Aus der umfangreichen Intervenientenliste von D.198 wird man übrigens auf einen Hoftag Heinrichs schließen dürfen, der eben nach Forlì, dessen Bischof dann wohlbegründet nach dem Erzbischof von Ravenna an 1. Stelle genannt ist, einberufen wurde und der Vorbereitung des bevorstehenden Zuges nach Rom gedient haben wird; dieser angesagte Hoftag hätte auch die Abgesandten Ferraras sowie, im Gefolge des Erzbischofs von Ravenna, den Abt Petrus von S. Severo und vermutlich auch Beauftragte von S. Vitale auf den Weg nach Forlì gebracht.

Die geringe inhaltliche Aussagekraft des Textes dürfte der Grund dafür sein, dass sich in der ansonsten sehr breiten kopialen Überlieferung Ferraras keine Abschrift unseres D. ermitteln ließ, die einer sichereren Emendation des fehlerhaften Textes unseres D. hätte dienen können; so muss z.B. letztlich offenbleiben, ob es sich bei Azonem … Sichelmum um eine (so unsere Edition mit Weglassung eines Kommas nach dem auch stilistisch für Zusammengehörigkeit sprechenden videlicet) oder um zwei Personen handelt. – Stumpf Reg. 3154 entfällt. Die dort im Anschluss an Reg. 3153 (= D.198) als Beleg für ein angeblich im Stadtarchiv zu Forlì liegendes Or.-Diplom für “S. Apollinare in Classe zu Ravenna” (ohne Datums- und Inhaltsangabe) zitierte Mitteilung Bethmanns beruht offensichtlich, wie schon von Bresslau in Vorbemerkung zu DH.III.144 festgestellt, auf einer Verwechslung mit D. † 296 für S. Vitale oder D.198 für S. Severo, deren Originale sich früher in Forlì befunden haben (s. Vorbemerkung zu D.198). Dies ergibt sich auch aus den posthum veröffentlichten Nachrichten Bethmanns in Archiv 12,584 (s. auch S. 585; an beiden Stellen ist nur von einem Original von 1117 für S. Severo in der Stadtbibliothek – nicht im Stadtarchiv – die Rede), worauf sich die Zusätze zu Stumpf S. 539 (außer für Reg. 3152 = D. † 296 und Reg. 3153 = D.198) fälschlich nochmals für das Reg. 3154 berufen. Eine Verwechslung namentlich mit dem Original von D.198 für S. Severo ist am ehesten dadurch erklärlich, daß im Jahre 1457 die Archivfonds von S. Apollinare und S. Severo miteinander vereinigt wurden.

(C.) In nomine sanctæ et individuæ trinitatis. Henricus divina favente clemencia quartus Romanorum imperator augustus. Omnium sanctæ dei æcclesiæ nostrorumque fidelium noverit universitas populum Ferrariensem per legatos suos infra designatos nostræ clemenciæ supplicasse, ut æcclesiæ sancti Georgii martyris, hoc est ipsorum episcopatui, pro Christi amore et ipsius populi fidelitate concederemus et auctoritate nostra confirmaremus ea, quecumque vel a Romana [ecclesia] vel a nostris predecessoribus reg[ni] Ro[manorum] principibus eidem largita sunt æcclesiæ. Qua supplicacione permoti nostrique cancellarii Burchardi, Monasteriensis episcopi, necnon cæterorum principum nostrorum suggestione summoniti concedimus et corroboramus in vos, hoc est Azonem videlicet Sichelmum, Bonum Uicinum notarium, et per vos [in] iamdictam æcclesiam et episcopum Landulfum eiusque successores ea omnia, quæ prefata æcclesia Romana vel anteriores principes eidem æcclesiæ contulerunt, ea scilicet lege, ne quisquam hominum aliquid molestare sive iniuriare super isdem rebus vel aliis iam nunc ei quesitis vel in futurum querendis prefatæ inferat æcclesiæ. Quodsi quis contrafecerit, centum libras auri nomine pene componat, medietatem quidem nostris scriniis, medietatem vero supradictæ æcclesiæ. Ut autem hæc omnia cunctis fiant cerciora, sigilli nostri iussimus hanc paginam impressione signari.

Signum domni Henrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi. (M.9.)

Bvrchardus æpiscopus Monasteriensis et cancellarius recognovit.

Data [ ] indictione X, anno dominicæ incarnationis millesimo CXVII, regnante Henrico quinto rege Romanorum anno X, imperante sexto; actum apud sanctum Martinum in Strata; in Christo feliciter amen.