Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<198.>>

Heinrich nimmt das Kloster San Severo (in Classe) in seinen Schutz, bestätigt seinen Besitz, namentlich die insula in angegebenen Grenzen und die halbe porta sancti Laurentii, sowie alle Besitzungen im Bistum Ravenna und in genannten Grafschaften, befreit es von allen öffentlichen Abgaben und unterstellt die Hintersassen der alleinigen Gerichtsbarkeit des Abtes.

Cortina, (1116 Dezember 25–31) – (Forlì), 1117 Januar 3.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 42/43,5 b : 51,5/52,5 h) im Staatsarchiv zu Forlì (A); Rückvermerk des 13. Jh.: Privilegium imperatoris Frederici, Name von Hand des 16./17. Jh. durchstrichen und durch Henrici ersetzt.

Drucke aus A: Mittarelli-Costadoni, Ann. Camald. 3, app. 269 no 183 “ex autographo abbatiae Classensis” = Amadesi, In antistitum Ravennatum chronotaxim 3,116 no 6 (angeblich “ex autographo abbatiae Classensis”, tatsächlich aus Mitt.-Cost.) = Riccardi, Storia dei vescovi Vicentini 46 Auszug. Reg.: Fantuzzi, Mon. Ravennati 2,349 no 145.15. – Ficker in Wilmans, Add. z. Westf. UB 92 no 116/34. – Ladewig-Müller, Constanzer Reg. 1,85 no 699. – Curradi in Storia di Ravenna 3,763 no 32. – Böhmer Reg. 2060. – Stumpf Reg. 3153.

Das Original des D.198 ist wohl nur versehentlich in Forlì zurückgeblieben, als in den Jahren 1797/98 die vorher dorthin verbrachten Urkunden der Ravennater Congregazioni soppressi in die Biblioteca Classense zu Ravenna zurückgeführt wurden (vgl. dazu Mazzatinti, Gli archivi della storia d’Italia 1,42). Vielleicht war aber auch der äußerst schlechte Zustand dafür der Grund: Das Pergament ist durch Mäußefraß namentlich an den senkrechten Falten und an den Faltungskreuzen stark beschädigt, so dass das linke Drittel fast ganz abgetrennt ist (bei einer neuzeitlichen Restaurierung wurden die Fehlstellen von der Rückseite her mit Leinenstreifen unterklebt); die Auslassungen bei Mittarelli-Costadoni zeigen, dass die Beschädigungen schon damals bestanden; die Ergänzungen konnten sich nicht in allen Fällen an VUU./VLL. oder NU. orientieren (vgl. z.B. Anm. o und y).

D.198 ist auf der Grundlage eines Empfängerentwurfs verfasst und geschrieben von Notar Adalbert A; Hausmann, Reichskanzlei 67 no 87 spricht dem Notar nur das Diktat zu, da ihm das Original nicht bekannt war; auch Pivec, der dem D.198 in MÖIG 51,36ff. eine ausführliche Untersuchung widmete, kannte das Original nicht (vgl. a.a.O. 36 Anm. 1) und spricht vielleicht deshalb fälschlich dem Notar das Diktat ab (a.a.O. 36: “Kanzleischreiber … völlig unbeteiligt”, 38: “Diktat … nicht kanzleigemäß”. u. 39: “im übrigen Kontext … keine Mitwirkung … faßbar”) und konzediert nur (a.a.O. 39), dass dieser das Eschatokoll “stilisiert” habe. Dem Diktat des Notars entspricht neben Protokoll und Eschatokoll sicher auch die Intervenientenliste.

Der Kontext basiert jedoch auf einer Anzahl von Vorlagen, deren Verarbeitung einerseits auf Empfängerseite zurückzuführen ist, an der aber auch der Notar selbst beteiligt war: Nur für den Anfang der Besitzliste bildete das einzige erhaltene echte ältere Herrscherdiplom für S. Severo, DO.I.349 von 967 Nov. 25 (= VU.IV) die Vorlage; Verwendung fand aber auch das DKo.II.68 von 1026 für das Kloster S. Lorenzo am Flusse Esino (Chiaravalle, 15 km w. Ancona, s. DDKo.II. S.442f.) (= VU.II), das seit 1053 San Severo unterstand, weshalb des Original des Konrad-Diploms offenbar im Archiv von S. Severo verwahrt wurde (vgl. Pivec a.a.O. 36f.).

Pivec a.a.O. 36ff. konnte nun sicher nachweisen, dass überdies noch ein Deperditum Ottos II. verwendet wurde, das von dessen von Ende 980 bis Ende 982 tätigen Kanzleinotar It.I verfasst war. Da dessen Diktat äußerst variabel war, daher der Wortlaut des Deperditums auch in den formelhaften Partien unbekannt bleibt, haben wir Übereinstimmungen des D.198 mit Textstellen aus verschiedenen, von uns mit VL.-Siglen versehenen Diplomen des It.I durch Petitsatz gekennzeichnet: DO.II.239 von 980 Dez. 31 (= VL.IIId), D.242 von 981 Jan. 15 (= VL.IIIa), D.249 von 981 Mai 5 (= VL.IIIb) und D.278 von 982 Aug. 2 (= VL.IIIc), nur in den Anmerkungen zitiert wird DO.II.268 (= VL.IIIe); wegen der besonderen Nähe zum Diktat des in Ravenna und für das dortige Marienkloster ausgestellten DO.II.242 (= VL.IIIa; vgl. die Randziffern und bes. Anm. x”) darf man übrigens annehmen, dass das Deperditum wie dieses in den Januar des Jahres 981 gehört.

Am auffälligsten ist jedoch, dass wohl auch das DO.III.275 für Ferrara von 998 Febr. 9 (= als VL.V mit Parallelen nur in den Anmerkungen zitiert, vgl. Anm. c, c”, f”–h”, l”, n”, o”, r”, v”) herangezogen wurde, was nur dadurch erklärlich ist, dass dem Kanzleinotar damals die Ferrareser Urkunden verfügbar waren, vgl. dazu Vorbemerkung zu D.199, dessen Text der Notar seinerseits für die Eröffnung der Publikatio verwendete (= VL.I); dies belegt zugleich, dass der Notar stärkere Eingriffe in den Empfängerentwurf vorgenommen hatte.

D.198 fand später Verwendung in dem Ende 13./Anfang 14. Jh. gefälschten DKo.II. † 284 von angeblich 1029 (vgl. Pivec a.a.O. 36ff.; in der Vorbemerkung des DKo.II. † 284 wird das D.198 nicht erwähnt), offensichtlich unter gleichzeitiger oder überwiegender Heranziehung des Deperditums Ottos II., da das Falsum die Nachzeichnung eines Monogramms aus der Kaiserzeit Ottos II. aufweist (vgl. dortige Vorbemerkung und Pivec a.a.O. 38).

D.198 diente aber vor allem dem um zusätzliche Bestimmungen erweiterten DF.I.428 von 1164 Febr. 10 (= NU.) als Vorurkunde; diese Tatsache ist in der dortigen Vorbemerkung zwar festgehalten, unverständlicherweise beschränkt sich jedoch die Kennzeichnung der Abhängigkeit durch Petitsatz nur auf den Passus Volumus etiam bis remota (Z. ■ – ■, dort S. 320 Z. 44 – S. 321 Z.6), obwohl auch der ganze vorangehende Abschnitt S. 320 Z. 34–44 (s. hier Anm. m bis w’) fast wörtlich aus D.198 übernommen ist! Zu den auf uneinheitliche Datierung hinweisenden Nachtragungen in der Datierung (s. Anm. ac und ai) vgl. ausführlich die Vorbemerkung zu D.199.

Zu den Grenzangaben der “Insula di S. Severo” nach dem DO.I.349 vgl. Fabbri in Storia di Ravenna 2.1,14 u. 21ff. mit Karten 1–4 (nach S. 16); während dort und sonst (s. Anm. v) Candiani portus die Südgrenze bildete, wäre in D.198 die Südgrenze mit der Angabe des ca. 12 km s. Ravenna gelegenen Campanio (com. Ravenna, mit S. Pietro in Campanio) beträchtlich nach Süden verschoben, weshalb anzunehmen ist, dass es sich bei dem hiesigen Cambiani um eine Verschreibung für Candiani handelt. Über die Bedeutung des über die VU. hinausgehenden, auch in der NU. genannten Besitzes der “Hälfte” der porta sancti Laurentii (an der Südostecke der Stadtmauer) war in der lokalen Literatur nichts zu finden; das Privileg P. Lucius’ III. von 1184 April 27 (JL 15027 u. 15037; Mittarelli-Costadoni a.a.O. 4, app. 113 no 63; Migne, PL 201,1249 no 137) liefert genauere Angaben: medietatem porte sancti Laurentii cum ripa fluminis usque ad turrem sancti Cypriani, cum ipsa turri, et ab ipsa usque ad palatium quondam Theodorici regis, cum casamentis et tenimentis; nach dem DKo.II. † 284 (S. 398 Z. 10ff.) gehörte S. Severo monasterium sancti Thome apostoli positum foris porta sancti Laurenti cum omnibus rebus et possesionibus suis. – Zum Kloster, das im Jahre 1457 dem benachbarten Kloster S. Apollinare in Classe unterstellt wurde und von dem keine Reste erhalten sind, vgl. It. pont. 5,106f. und Montanari in Storia di Ravenna 3,298f.

(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Omnium sanctę dei ęcclesię nostrorumque fidelium noverit universitas, qualiter nos pro rem[e]dio animę nostrę, nostrorum parentum, regum et imperatorum, necnon interventu principum nostrorum, Ieremię Rauennatis archiepiscopi, Petri Foroliuiensis episcopi, Turingi Uincentini episcopi, Sigefridi Uercellensis episcopi, Arponis Feltrensis episcopi, Geb[har]di Tridentini episcopi, Ǒldelrici Constantiensis episcopi, abbatis Erlodi Wldensis, Warnerii marchionis, Anselmi marchionis, Alberti comitis de Martilingo, Maleuicini comitis aliorumque nostrorum fidelium, rogatu etiam Petri venerabilis [abbat]is suorumque confratrum ęcclesiam sancti Severi, et quicquid ad eamdem pertinet vel pertinere debet, sub mundiburdio nostrę tuitionis suscepimus. Concessimus etiam eis, quicquid antecessores nostri concesserunt et quę per precepta et privilegia eide[m ęcclesię] confirmaverunt, idest nostram dominicatam insulam a monasterio us[que] ad mare et a Badareno flumine usque ad Cambiani portum, scilicet tot[a]m [in]tegram cum piscationibus et pascuis, et di[midi]a[m] portam sancti Laurentii cum ripis fluminis et omnia mobilia et [inmobiles po]ssessiones et iura, que idem prefatum monasterium sancti Seue[ri hab]et in episcopatu Rauennati vel in comitatu Anconiense vel in [comitatu] Esii vel in Senegalia vel in Pesariense vel in Ariminensi vel in Ficoclensi vel Cesinensi vel Pup[uliensi vel L]iuiensi vel Fauentini vel Ymoliensi vel Bononiensi vel Ferrarie[n]si vel Comaclensi vel Gubiensi aut in comitatu Calensi vel Cast[ellanensi] Felicitatis vel Bobiensi vel in qualicumque loco nostri imperii obtinuerit. Volumus etiam et precipim[us predic]tum monasterium ab omni datione, functione, arbergaria, pedagaria et ripatico liberum esse et absolutum. Insuper vero [eidem] sancto loco concedimus, ut abhinc aldionis (!) seu aldiones sive quilibet residentes ad nullum pla[citum] vadant ad nullamque distrinctionem nisi in dominium et distrinctionem abbatis eiusdem monasterii, sed liceat abbatem et mon[achos] pro dei amore animęque nostrę remedio sub nostrę tuitionis protectione quiete vivere et deo famul[ari et] p[ro] nobis deum deprecari omnium hominum contradictione remota. Si quis ergo huius nostrę auctoritatis seu confirmationis preceptum quandoque [t]emerario ausu infringere temptaverit, sciat se compositurum auri obtimi libras centum, medieta[tem ca]merę nostrę et medietatem regentibus eiusdem venerabilem locum. Quod ut verius credatur diligentiusque ab omnibus observetur, manu propria roborantes presentem paginam nostro sigillo iussimus assigna[ri].

Signum domni Heinrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi. (M.9.) (SI.3.)

Burchardus episcopus Monasteriensis et cancellarius recognovit.

Data III. non. ianuarii, indictione X, anno dominicę incarn[ationis MCX]VII, regnante Heinrico quinto rege Romanorum a[nno X, imper]ii VI; actum est Cortinę in archiepatu (!) Rauennati; in Christo feliciter amen.