Drittes Insert im Or.-Diplom Ks. Heinrichs VII. von 1313 Mai 19 (Böhmer
2.1 Reg. 536) im Staatsarchiv zu Pisa (B).
Drucke: Wohl aus Konzept zu B: Ughelli, It. sacra 13,530; 23,447 (u) = Magri-Santelli, Stato antico e moderno di Livorno 2,194. – Liber Maiolichinus, ed. Calisse, app. 144 no
8 Auszug zu 1116 Juni 26 (entspricht der dortigen falschen
Text-Lesung
VI. k. iul.).
Reg.: Böhmer
Reg. 1153 (zu 1016 Juni 25, Basileae [Heinrich II.]) und 2057. – Stumpf
Reg. 3144.
Zur Überlieferung vgl. Vorbemerkung zu D.188. Der Kontext, der sich
teilweise, besonders in Publikatio, Dispositio, Sanktio (teilweise)
und Korroboratio, an das ebenfalls (als 1. Insert) in dem D. Heinrichs
VII. enthaltene und wie D.189 nur durch dieses überlieferte DH.IV.404
von 1089 (= VU.) anlehnt, ist in den selbständig formulierten Teilen,
vor allem Arenga, Petitio, umfangreicher Narratio und Sanktio
(teilweise), offensichtlich von dem Empfängerdiktator des D.188
verfasst; wie dort stammt von Notar Adalbert A nur das Diktat von
Proto- und Eschatokoll, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 67 no
80 (mit Deutung des Handlungsortes auf Basiano, s. Vorbemerkung zu
D.187).
Der Druck Ughellis, der einige bessere und daher von uns übernommene Lesungen als B
bietet (s. Anm. g, h, l, d’) und dessen sonstige Varianten wir
vollständig erfasst haben, kann unseres Erachtens nicht auf dem
vorliegenden B-Original fußen (s. auch Anm. l und b’). – Dafür, dass
ihm nicht etwa eine verlorene Abschrift, sondern, wie oben von uns als
Vermutung formuliert, das zu seiner Zeit anscheinend noch im
Kapitelsarchiv vorhandene Konzept
von B als Vorlage diente – Ughelli
kannte ja auch ein heute verlorenes weiteres Transsumpt von D.188 (s.
dortige Vorbemerkung) –, gibt es zuerst nur einen unscheinbaren, aber
kaum anders deutbaren Hinweis: Bei der Erweiterung der Sanktio
gegenüber der VU. durch
violare vel
quomodo war eine gewisse stilistische Härte dadurch entstanden, dass in der
VU. schon vor dem unmittelbar vorangehenden
magna die identische Kopula
vel gestanden hatte; während Ughelli
dies beibehielt, hat der Schreiber von B dieses von ihm schon
geschriebene erste
vel, anscheinend aus rein stilistischen Gründen, unverzüglich und mit
Texttinte in
seu geändert (s. Anm. f’).
Sehr viel augenfälliger ist dann eine zweite Stelle, die in analoger
Weise zu interpretieren ist: Ughellis Vorlage, also nach unserer Auffassung das Konzept, hatte neben
vielen anderen Variierungen auch den Schluss der Korroboratio der VU.
durch
muniri mandavimus ersetzt (s. Anm. n’); der Schreiber des B-Originals wiederum hat dann
die ihm ungewöhnlich erscheinende Formulierung des Konzepts
eigenmächtig gegen das ihm vertrautere, in der vorangehenden Abschrift
der VU. verwendete
iussimus insigniri ausgetauscht; gerade in letzterem Falle ist ja irgendein Versehen Ughellis ausgeschlossen, und andererseits ist bisher nicht bekannt geworden,
dass er sonst willkürliche Veränderungen an seinen Vorlagen
vorgenommen hätte; gerade für Ughellis Zuverlässigkeit könnte letztendlich sprechen, dass sein Text in der
Sanktio, in Übereinstimmung mit der VU.,
nostræ cameræ lautet, wo B aus nicht ersichtlicher Vorlage
nostris scriniis bietet (s. Anm. k’).
Treffen nun unsere Erklärungsversuche das Richtige, hätten wir in dem
B-Original ein Beispiel dafür, dass ein Transsumptor am Text seiner
Inserte stilistisch motivierte Manipulationen vorgenommen hätte. – Da
letzte Sicherheit nicht zu gewinnen ist, haben wir im Text an den drei
Stellen die B-Lesungen beibehalten. Für die weitere Differenz zwischen
dem verderbten B-Text und Ughelli
bei Anm. z haben wir keine befriedigende Erklärung.
Mit Urkunde von 1103 (Goez, Urk. Mathildes no
74) hatte schon die Markgräfin Mathilde dem Domstift Pisa die beiden
Höfe (castrum Papiani et curtem … et castrum Liuurni et curtem…), bei denen es sich um Reichslehen handelte (vgl. Schneider, Reichsverwaltung 1,243f. und 248f.; Gross, Lothar III. 206 und 226), geschenkt, und zwar ebenfalls zur
Domfabrik (opere [sancte] Marie Pisane civitatis), allerdings schon mit der Zusatzbestimmung, dass die Objekte der
Domfabrik (opera) nur bis zur Vollendung des Dombaues (usque ad explecionem operis ecclesie sancte Marie; Domweihe am 26. Sept. 1118 durch P. Gelasius II. während seines
einmonatigen Pisaner Aufenthaltes, vgl. JL 6651–6655) gehören und
danach an das Domkapitel fallen sollten (Goez
a.a.O. S. 209 Z. 10 u. 13f.:
finita opera/post finitam operam canonicis); wenn daher Goez
a.a.O. im Kopfregest das Domkapitel schlechthin als Empfänger der
Mathilde-Urkunde bezeichnet, so ist dies nur bedingt richtig (s. Schneider
a.a.O. 249 Anm. 2). – Nach dem Tode Mathildes legte der Empfänger
offenbar Wert darauf, möglichst bald von Heinrich V. als ihrem Erben
eine Erneuerung zu erhalten, wobei womöglich mit Absicht darauf
verzichtet wurde, von einer Bestätigung zu sprechen.
Nach dem überlieferten Text des DH.IV.404 (= VU.) war auch dessen
einziger Gegenstand die Schenkung beider Höfe zur Domfabrik. – Während
Livorno nur in diesen drei Urkunden als Besitz des Domstiftes genannt
wird, begegnet Pappiana schon in DH.IV.359 von 1084 (dort
interpoliert, s. unten) sowie in dessen Nachurkunden, dem DKo.III.191
von 1147 und dem DF.I.728 von 1178, denen noch ein Deperditum Lothars
III. von vermutlich 1136 vorangegangen war (vgl. B.-Petke
Reg. 524), außerdem in einer Urkunde EB. Rogers von Pisa von 1126
Juni 17 (vgl. Caturegli, Reg. di Pisa 195 no
300, Dat. nach calc. Pisanus; Ughelli
a.a.O. 23, 385 zu 1127).
In den Vorbemerkungen zu DDH.IV.359 und 404 lässt nun v. Gladiss
für den Hof Pappiana “erst” die EB.-Urkunde von 1126 als Erwerbstitel
gelten und wertet demgemäß dessen Nennung in allen älteren Urkunden,
also den beiden DDH.IV., der Mathilde-Urk. und D.189, und sogar noch
in dem jüngeren DKo.III.191 (vgl. dazu, den Verdacht gegen das
DKo.III. ablehnend, an demjenigen gegen D.189 jedoch festhaltend, die
dortige Vorbemerkung) als Interpolation. – Dies steht zwar für das
DH.IV.359 außer Zweifel; in dem inzwischem im Staatsarchiv zu Pisa
aufgefundenen Original (Drucke danach bei Tirelli Carli, Carte dell’Arch. Capit. di Pisa 3, 55 no
23 und [fehlerhaft] bei Sirolla, Carte dell’Arch. di Stato di Pisa 2, 67 no
39) fehlt denn auch die Stelle
curtem de Papiana, die in der dem DD.-Druck zugrundeliegenden Nachzeichnung aus der 1.
Hälfte des 12. Jh. am Beginn der allgemeinen Besitzbestätigung auf
Rasur eingeschoben ist (vgl. dortige Anm. m).
Hinsichtlich der anderen Urkunden jedoch liegen dem Einwand gegen die
Nennung Pappianas zwei Deutungsfehler zugrunde: Zwar formuliert v. Gladiss
in der Vorbemerkung zu DH.IV.359 richtig, dass Empfänger der
EB.-Urkunde von 1126 das “Domkapitel” war, verkennt aber offenbar,
dass dies nicht für die älteren Urkunden gilt, die vielmehr für die
ecclesia Pisana, also letztlich für den Erzbischof ausgestellt waren, lediglich mit
der Zweckbindung an die Domfabrik (VU. und D.189:
ad utilitatem atque edificationem Pisane ecclesie); durch die Urkunde von 1126 erhielt das Domkapitel (canonici) vom Erzbischof den Hof Pappiana ohne die bisherige Zweckbindung zur
freien Verfügung als Entschädigung dafür, dass das Kapitel auf
erzbischöfliche Weisung hin und aus übergeordneten Interessen (mea auctoritate et consilio sowie
inexcusabili et necessaria causa maioris nostræ ecclesiæ et pro pace
et quiete communis populi Pisani …) zur Veräußerung eines anderen Besitzes genötigt worden war.
Die Urkunde von 1126, die übrigens in DF.I.728 als einziger älterer
Titel zitiert wird, scheidet damit nicht nur als Grundlage für den
Interpolationsverdacht gegen die älteren Urkunden aus, die in ihr
belegte Verfügungsgewalt des Erzbischofs über Pappiana hat vielmehr
deren Gültigkeit zur Voraussetzung. – Außerdem ist in dem bei v. Gladiss
zu Recht als verunechtet gewerteten DH.IV.404, wohl unter dem
Eindruck der tatsächlichen Interpolation von Pappiana in DH.IV.359,
mit Pappiana der falsche der beiden Höfe als interpoliert
gekennzeichnet:
curtem
<Papianam et> Liuurnam iacentem in valle Sercle … cum omnibus ad eam
pertinentibus (s. Anm. m–r). Aus der Formulierung ergibt sich zwar klar, dass die
Schenkung Heinrichs IV. wirklich nur einen
Hof betraf; dieser kann aber wegen des – in D.189 richtig hinter
Papianam stehenden (s. Anm. m) – Zusatzes
in valle Sercle eben nicht Livorno gewesen sein, sondern nur das ca. 7 km n. Pisa und
in der Tat im Tal des Serchio liegende Pappiana, das wir daher allein
als von der VU. abhängig durch Petitdruck gekennzeichnet haben,
während nunmehr Livorno in der VU. als interpoliert zu gelten hat;
diese Richtigstellung mittlerweile auch bei Struve
in DA 53,526 mit Anm. 104 und 328 mit Anm. 108.
Die beiden Urkunden Mathildes und Heinrichs V. haben die Schenkung
Heinrichs IV. zugunsten der Domfabrik lediglich um Livorno erweitert,
und sie sind auch insofern völlig unverdächtig, als die Domfabrik und
das Erzstift später nachweislich auch darüber verfügten (vgl. Schneider
a.a.O. 249 mit Anm. 2); aus einer dieser beiden Urkunden gelangte
Livorno später, mit falscher Plazierung, in das DH.IV.404. Nur durch
Ungeschicklichkeit des Diktators von D.189, der zu sehr am Text von
DH.IV.404 als VU. klebte, spiegelt sich hier noch das dortige
Einzelobjekt in dem vor beiden Ortsnamen stehenden Singular
curtem, während das
eam der VU. durch das auf beide Höfe beziehbare reflexive
suis einigermaßen geheilt ist.
Über das in den Jahren 1113–1115 auf maßgebliches Betreiben der
Pisaner durchgeführte, unter Leitung des Kardinallegaten Boso von S.
Anastasia (s. Hüls, Kardinäle 147f.) und seit 1114 unter militärischer Führung des Grafen Raimund Berengar III. von Barcelona (1097–1131)
stehende, gegen die Mauren auf Mallorca und den übrigen Balearen
gerichtete “Kreuzzugs”-Unternehmen unterrichten mehrere fast
gleichzeitige Quellen, neben dem um 1115 wohl von Heinrich von Pisa
verfassten “Liber Maiolichinus” noch die “Gesta triumphalia per
Pisanos facta” (ed. Gentile
in Muratori, SS 26.2,87ff., bes. 90ff.) und die “Vita S. Ollegarii” c. 3–6 (España
Sagrada 29,473ff.; vgl. Fita
in Boletin de la Real Academia de la Historia 40,50ff.).
In wie engem inneren Zusammenhang die Ausstellung des D.189 mit diesem
Ereignis stand, lässt sich aus dessen Narratio/Petitio bei allem
Wortreichtum nicht unmittelbar entnehmen, sondern geht erst aus
Barbarossas Münzprivileg für die Pisaner von 1155 (DF.I.119) hervor,
das nochmals unter den
preclara virtutum opera der Pisaner an erster Stelle die Eroberung der
Baleares insule, que nunc Maiorica dicuntur, aufführt. In den genannten Quellen wird lediglich gesagt (z.B. Gesta
93 Z.23ff. und 94 Z.12ff.), dass die gewaltige Kriegsbeute zu einem
großen Teil, unter Einschluss der
regalium ornamentorum insignia (der als
rex bezeichnete almoravidische Sultan
Burrabe [Abu Rabiáh] war mit den
regii thesauri bei einem Fluchtversuch aufgegriffen worden), der Pisaner Domkirche
zugewiesen worden war; in DF.I.119 ist aber nun über diese Quellen
hinausgehend konkret gesagt, dass – aus diesem der Domkirche
zugefallenen Schatz – die Reichskrone und das Reichsschwert an
Heinrich V. ausgehändigt wurden (Pisanus populus … regeque subacto coronam regni illius et gladium ad
presentiam dive recordationis Henrici imperatoris, avunculi patris
nostri, ob titulum laudis et glorie destinavit).
Es liegt auf der Hand, dass diese Übergabe der maurischen
Reichsinsignien den konkreten Anlass für D.189 bildete, und offenbar
waren die drei hier und in D.188 genannten Pisaner Abgesandten, deren
zwei auch an dem Kriegszug teilgenommen hatten (zum Konsul Pietro
Albizio s. Lib. Maiol., Register, ferner Gesta 92 Z.33:
Petrus Albithonis, nobilis Pisanus miles; zu Pietro Visconti vgl. Pratesi
in Pisa nei secoli XI e XII 28f.; der
iurisconsultus Tiapaldus ist sonst nicht belegt), deren Überbringer gewesen.
Obwohl die Eroberung der Balearen nur ein kurzlebiger Erfolg war (vgl.
zuletzt Vones, Gesch. der Iber. Halbinsel 63: “kläglich zum Scheitern verurteilt”),
da sie sich Ende 1115/Anfang 1116 schon wieder in Händen der
Almoraviden befanden, ist das Ereignis in D.189, wo es zudem mit
eodem anno fälschlich auf 1116 bezogen ist, – noch sehr zurückhaltend – als
Mehrung der
gloria imperii gewertet; in dem von Wibald von Stablo verfassten DF.I.119 jedoch ist
die Eroberung, im Sinne eines Universalkaisertums, schlicht als
ad imperii nostri augmentum erfolgt bezeichnet; in die gleiche Richtung zielt die im
Barbarossa-Diplom vorangehende Feststellung, dass der
Pisanus populus, … terra marique celebris, limites Europe, in qua
sedem et domicilium imperii habemus, … ornat et tuetur; hier sind nun einige Formulierungen aufgegriffen, die schon in dem
ebenfalls von Wibald verfassten DKo.III.261 für Pisa von 1151
verwendet waren (… urbem vestram, quę semper … in pace et in bello terra marique
imperii Romani consuevit esse domicilium; s. Vorbemerkung zu DF.I.119), wobei aber zu beachten ist, dass der
von Wibald in DF.I.119 auf die
limites Europe gemünzte Begriff
domicilium imperii sich in seinem DKo.III.261 auf die Stadt Pisa bezogen hatte! Zu dem
von Wibald geprägten Gebrauch von
imperium in der frühstaufischen Kanzlei vgl. Herkenrath, Regnum und Imperium 13ff. u. passim, bes. 18 mit Anm. 88 (dort die
beiden Textstellen).