Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<178.>>

Unter Vorsitz Heinrichs wird im Königsgericht auf Klage Wiberts, Priors des dem Kloster San Salvatore (zu Pavia) gehörigen Hofes mit der Cella Santo Stefano zu Melara, gegen Bedrückungen durch die Ministerialen der Gräfin (Mathilde) zu Révere über diesen, den Hof und alle dortigen Besitzungen von San Salvatore der Bann gelegt.

Governolo, 1116 Mai 13.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Originalplacitum (ca. 16/17 b : 56,5/58 h) im erzbischöflichen Archiv zu Ferrara (A); Rückvermerk des 13. Jh.: Car. Melarie.

Teilfaks.: Spagnesi, Wernerius tav. VII. – Schlögl, Unterfertigung Taf. XXXIX u. XL Abb. 23a–c.

Dr. aus A: Muratori, Ant. Ital. 12,945, 26,330 zu 1117 = Ricci, I primordi 85 no 28 zu 1117 Mai 15. – Spagnesi a.a.O. 68 no 8. – Marzola, Le carte Ferraresi 1,254 no 91 zu 1117 Mai 12.

Reg.: Visi, Notizie stor. di Mantova 2,239f. zu 1116. – Hübner, Gerichtsurk. 2,214 no 1568 zu 1117 Mai 13. – Indices … Muratorii 37 no 792 zu 1117 (1116) Mai (13). – Ricci a.a.O. 48 no 28 zu 1117 Mai 15. – Spagnesi a.a.O. 12 no 8. – Franceschini, Giurid. episc. e comunità rurali altopolesane 66. – Stumpf Reg. 3139 zu 1116 Mai (13).

Das schmale Pergamentblatt hat eine stark geschweifte Form mit konkavem linken und konvexem rechten Rand, die untere linke Ecke ist rund zugeschnitten. Für die ganze Urkunde einschließlich des Eschatokolls wurde eine sehr ähnliche und womöglich überall identische, sehr helle gelblichbraune Tinte verwendet; in der 1. Zeile der Unterfertigung des Obertus wirkt die Tinte etwas kräftiger, erscheint in der 2. Zeile aber wieder völlig identisch mit der des Kontextes; wenn die Kreuzbeischrift sowie die Unterschriften Werners und Ubalds im Ton geringfügig differieren, erklärt sich dies wohl aus der Verwendung von Federn jeweils unterschiedlicher Breite.

Zur eigenhändigen Eintragung von Kreuz und Beischrift (s. Anm. s und u) durch den Kaiser vgl. Schlögl a.a.O. 168ff. sowie das Merkmalsprotokoll 12 (S. 256f.). Bei der Deutung des .R. in der Beischrift (s. Anm. t) gibt Schlögl (ebenso Marzola) der Auflösung R(ex) den Vorzug gegenüber R(omanorum), offensichtlich in Analogie zu dem .R. von D.177, das dort aber nicht in einen Beischrift-Text eingebunden ist. Es kann jedoch kein Zweifel an der auch von Muratori und Spagnesi gewählten Lesung R(omanorum) bestehen, denn dies allein entspricht dem herkömmlichen Wortlaut der Kaiserunterschriften, wie ein Blick auf Schlögls eigene Tabelle 1 (S. 210ff.) zeigt (vgl. als ältestes Beispiel no 8 = O.III. von 998, ferner no 9, 14, 19–23, 31–33, 35, 36), und erscheint auch in der Unterschrift Heinrichs V. in D.168.

Mit der Fehldeutung des .R. hängt vermutlich ursächlich ein anderes Missverständnis zusammen: Schlögl (a.a.O. 171 u. 213) war offensichtlich der Auffassung, die Beischrift sei in der Reihenfolge, wie sie sich im Original präsentiert (imPerator Aūḡ. † .H. dei gracia .R.), unter “Auseinanderreißen des Titels” zu Pergament gebracht worden. Der Kaiser hat jedoch mit Sicherheit, wie das sowohl bei Unterschriften als auch bei notariellen Beischriften allgemein üblich ist, mit seiner Unterschrift rechts neben dem Kreuz begonnen; angesichts des extrem schmalen Pergamentblattes, verbunden mit der Position des Kreuzes in der Mitte des Schriftblockes, wie es sonst nur noch in D.214 begegnet (vgl. Schlögl a.a.O. 168), während es sonst am Zeilenbeginn steht, sowie der sehr großen Schrift konnte Heinrich hier jedoch nur den ersten Teil .H. bis .R. unterbringen, wonach bis zum rechten Rand nur noch 1,5 cm freiblieben, wich dann für die Fortsetzung, für die auch darunter in einer neuen Zeile Platz vorhanden gewesen wäre, auf den freien Zeilenbeginn links vor dem Kreuz aus.

Im Druck haben wir uns dafür entschieden, statt die Beischrift der Intention gemäß mit dem Kreuz zu eröffnen, wie es Muratori (und Ricci) tut – mit richtiger Umstellung der beiden Beischrift-Teile und Eröffnung mit Heinricus –, die Mittelposition des Kreuzes beizubehalten und nur die Stellung der beiderseitigen Teile der Beischriftzeile auszuwechseln, wohingegen Spagnesi und Marzola den Befund der Vorlage unverändert übernehmen. – Im übrigen ist Schlögls Vermutung (a.a.O. 171 Anm. 144) zuzustimmen, dass die trotz etwa doppelter Größe der Buchstaben entfernte Ähnlichkeit der Beischrift mit der Schrift des Notars Obertus sich am einfachsten mit der Annahme erklärt, dass der Kaiser einen vom Notar vorgelegten Text – der ohne Zweifel die von uns hergestellte richtige Reihenfolge aufwies – nachzeichnete. – Für Stumpf, der nur Muratoris Druck mit der von den meisten Späteren (s. noch Goez, Urk. Mathildes no 45 mit 1117 Mai 2 nach Marzola) übernommenen falschen Jahreszahl 1117 kannte, ergab sich das richtige Datum aus dem Itinerar des Kaisers (s. D.173ff.) in Verbindung mit der Wochentagsangabe des Textes.

Zur Geschichte der curtis Melara vgl. Franceschini a.a.O. 56ff., s. auch Spagnesi a.a.O. 69f. Anm. 2f. Deren Besitz wird dem Kloster San Salvatore zu Pavia seit dem DO.II.281 von 982 (Neudruck nach dem Original bei Colombo in Bibl. della soc. stor. subalp. 130 no 1: cortis Melaria) in den Diplomen bis zum DH.IV.291 von 1077, dann erst wieder in DO.IV von 1210 April 27 (B.-Ficker Reg. 389; vgl. DF.I.*1134) regelmäßig bestätigt; in den Papstprivilegien für San Salvatore erscheint die ausdrückliche Nennung Melaras, nach vorherigen pauschalen Besitzbestätigungen, erstmals in dem Privileg P. Eugens III. von 1145 April 22 (JL 8738; It. pont. 6.1,206 no 12) innerhalb der Enumeratio, wobei dann auch drei zugehörige Kirchen genannt werden. Die in unserem Text erst sehr spät genannte cella sancti Stephani (Z. ■) hat ihre terminologische Entsprechung erst in dem Privileg P. Urbans III. von 1186 Mai 17 (JL 15612; It. pont. 6.1,207 no 15): curtem Melarie cum plebe sancti Michaelis et cella sancti Stephani et capella sancti Martini et omnibus pertinentiis (zu den Patrozinien s. Franceschini a.a.O. 59f.).

Gegen Übergriffe der canusinischen Ministerialen aus dem ca. 5 km w. Melara gelegenen Révere war die Markgräfin Mathilde, bei deren Erwähnung im Text das nackte comitissa ohne einen Zusatz wie etwa bone memorie verwundert, bereits in einem Placitum von 1106 Januar 9 vorgegangen (Goez a.a.O. no 93; Teilfaks. bei Steffens, Lat. Pal. Taf. 164a, Vollfaks. Taf. 278; vgl. Spagnesi a.a.O. 70 Anm. 3 und Franceschini a.a.O. 65f.), an dem auch von den in D.178 genannten Personen Ubald als einziger Richter und Sasso von Bianello mitgewirkt hatten; auf Klage des frater Liutharius, prior curtis Melarię, ex parte domni Iohannis sancti Saluatoris de Papia venerabilis abbatis (eine eindeutige Formulierung gegenüber dem leicht irritierenden Wibertus prior de curte Melara sancti Saluatoris unseres Textes), hatte sie auf Gewohnheitsrecht (iuste ac usualiter absque omni redditu) sich stützende Ansprüche der homines nostri de Réveri auf Schweinetrieb, Eichel- und sonstige Weiderechte per totam silvam curtis Melarie zurückgewiesen; die dortige Grenzbeschreibung der silva berührt sich übrigens nur in einigen Punkten mit der umfangreichen Beschreibung des fundus Melara in einer der drei Urkunden der Kaiserin Adelheid für San Salvatore von 999 (Colombo a.a.O. 31 no 3; s. Franceschini a.a.O. 56).

Zur dem Kaiser brieflich vorgetragenen Klage der consules von Pavia wegen Übergriffen des kaiserlichen missus Sigefridus auf drei Höfe von San Salvatore, darunter Melara, vgl. D.*322 (s. auch Spagnesi a.a.O. 70 Anm. 3). – Zu einigen der in D.178 genannten Personen vgl. Spagnesi a.a.O. 69 Anm. 1. Den unterfertigenden kaiserlichen iudex Obertus hält Goez für identisch mit dem Obertus iudex, der eine Urkunde der Markgräfin Mathilde von 1095 (a.a.O. no 43) fertigte.

(SN.) Dum in dei nomine die sab[ato, que fu]it III. idus madii, in loco GubernuIę, scilicet prope ecclesiam, H[enricus] d[ei] gracia quintus Romanorum imperator augustus in iudicio resideret ad iusticias faciendas ac deliberandas, adessent cum eo Wernerius Bononiensis, Vbaldus de Carpenetha, iudices, Arduinus de Palude, Opizo de Gunzaga, Sasso de Bibianello, Girardus de Plaza, Sicfredus de Bondeno, Rolandus de Runco Rolandi, Ratikerius de Gunzacha, Odo de Mulo et reliqui quamplures viri nobiles, ibi in illorum veniens presenciam Wibertus prior de curte Melara sancti Saluatoris uná cum fratre suo Iohanne presbitero cepit postulare mercedem deo ac domno imperatori piissimo, ut ipse iusticiam faceret de tanta opressione, quam de predicta corte Melara sancti Saluatoris a ministris comitissę de Reuere iniuste paciebatur. Tunc domnus imperator, iusticę (!) pacisque amator ac omnium ecclesiarum defensor, misericordia motus, per iudicum consilium, per lignum, quod in sua tenebat manu, bannum imperiale super predictum Uuibertum priorem et super curtem Melaram et super omnes res et posessiones, piscaciones, venaciones et super omnia bona et iura, que prefata ecclesia sancti Saluatoris in curte Melara vel extra curtem tunc habebat vel inantea deo propicio adquisitura erat (!) legittime, scilicet ut nullus patriharcha, archiepiscopus, episcopus, dux, marchio, comes, vicecomes, capinaneus (!), vavassor, advocatus, gastaldio, villicus, decanus vel aliqua magna parvaque persona predictum priorem suosve succesores de prefata curte Melara vel de cella sancti Stephani sine legali iudicio disvestire, molestare vel inquietare audeat. Qui vero infringere hoc preceptum temptaverit, sciat se compositurum centum libras auri, medietatem imperatoris camere et medietatem predicto priori sancti Saluatoris suisve successoribus eisdem ecclesiis sancti Saluatoris et Stephani de Melara servientibus. Factum est hoc anno ab incarnacione domini nostri Iesu Christi millesimo CXVI, indictione VIIII.

.H. dei gracia.R. + imperator augustus.

(+) Ego Wernerius iudex affui et subscripsi.

(S.) Ego Vbaldvs iudex interfui et subscripsi.

(SN.) Ego Obertus domni Henrici imperatoris iudex interfui et per eiusdem imperatoris preceptum hanc noticiam scripsi.