Heinricus dei gratiâ Romanorum imperator augustus Geroldo Lausannensi episcopo, Rainaldo Burgundiæ comiti, Beatrici eius genitrici, Tebaldo de Rubro Monte, Richardo de Monte Falconis, Aymoni de Falconiaco, Walcherio et liberis eius, Richardo de Rocato, Willelmo de Rollens, Hieremiæ de Rufiaco, Stephano de Treua, Rofredo et Hugoni, sed et Theoderico et Sigismundo comitibus cunctisque Bisuntinæ ecclesiæ sancti Stephani casatis et nostris fidelibus gratiam suam et omne bonum. Multorum relatione comperimus, quod ille Viennensis, inimicus pacis et concordiæ, ille contemptor apostolicæ auctoritatis et imperatoriæ, immo divinæ – qui enim potestati resistit, dei ordinationi resistit –, ille inquam, sanctorum patrum statutis inobediens ac rebellis, Bisuntinam sanctissimi protomartyris ecclesiam destruere nititur et ab illo archiepiscopalis sedis et dignitatis statu, quo à sanctis patribus et apostolicis viris fundata atque firmata est, contendit deiicere, quod neque nos æquanimiter ferimus neque fidelium nostrorum quempiam velle vel consentire volumus; quia sancti patres nostri eiusdem sanctæ sedis fundatores, tutores et advocati fuerunt, et nos sanctorum statutis consona sentientes eam in nostræ emunitatis tuitione suscepimus et, quæcumque ei imperatores seu Romani pontifices seu quilibet fideles contulerunt aut firmaverunt, perpetuâ ei tranquillitate possidenda concedimus atque sancimus. Unde vobis fidelibus nostris præcipimus, ut præscripto nostro sanctorumque privilegiis et præceptis inimico nullatenus consentiatis, sed, quæcumque temporibus antecessorum nostrorum eadem sancta sedes tenuit, restituere satagatis et tenere tranquille et quiete faciatis. Nos autem de proximo, deo volente, de pace et statu ecclesiæ disponemus. (SI.D.)
Heinrich fordert Bischof Gerold von Lausanne, Graf Rainald (III.) von Burgund und dessen Mutter Beatrix, weitere Genannte und die Vasallen der Kirche St. Stephan zu Besançon, die er seinerseits in seinen Schutz nimmt und deren Besitzungen er bestätigt, dazu auf, den Bestrebungen des (Erzbischofs Guido) von Vienne, der Stephanuskirche den Rang als erzbischöfliche Kathedralkirche zu entziehen, die Unterstützung zu versagen und für Restituierung und Erhalt ihres Besitzes Sorge zu tragen.
(1115 August – 1116 Januar).
Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010
Abschrift des 17. Jh. (von Chifflet) nach dem verlorenen Original im Kathedralarchiv zu Besançon in Coll. Baluze 143 f. 57r (alt 17 u. 97) der Nationalbibliothek zu Paris (B). – Abschrift des 17. Jh. in Ms. nouv. acquis. lat. 201 f. 10v–11r ebenda (C).
Drucke aus B: Chifflet, Lettre touchant Beatrix comtesse de Chalon (1656) 119 no 101 ohne Datum = Ders., Histoire de Tournus (1664) 374 zu 1115/Anf. 1116 (s. Anm. d’). – Stumpf, Acta imp. 468 no 329 zu 1115–1116. – Viellard, Doc. et mém. de Belfort 186 no 138 zu 1116 (?).
Reg.: Bréquigny, Table chronol. 2,449 zu ca. 1115. – Robert, Histoire du pape Calixte II. 39 mit Auszug in Anm. 1 zu 1116. – Chevalier, Reg. Dauphinois 1,535 no 3132 mit Auszug zu 1115/1116. – Hausmann, Reichskanzlei 60 (mit Anm. 4) zu 1112 Herbst. – Vregille in Histoire de Besançon 21,298 zu 1112–1113. – Schilling, Guido von Vienne 673 Reg. 127* zu (Spätjahr 1112?). – Stumpf Reg. 3218a zu 1115–1116.
Die von der Hand des Jesuiten Pierre François Chifflet († 1682) stammende Abschrift B war die direkte Vorlage seiner beiden Drucke (vgl. Anm. d’). Während wir sonst bei frühneuzeitlichen Überlieferungen, die ohne Rücksicht auf den Befund in Original oder älteren Vorlagen die stereotyp normierten Umlautschreibungen ae und oe (mit oder ohne Ligatur) aufweisen, diese jeweils zu e vereinfacht haben, ist in vorliegendem Fall, in dem ganz singulär auf ein und denselben Autor zurückgehende Abschrift und Drucke vorliegen, die übrigens in ihrer Orthographie vollständig übereinstimmen, die æ-Schreibung bewusst beibehalten worden.
D.151 zählt zu den Mandaten, als deren Verfasser Pivec in MÖIG 46,267, 270 u. bes. 295f. mit unzulänglichen Mitteln den Kaplan David nachzuweisen versuchte; zur Zurückweisung seines Diktatvergleichs vgl. Hausmann a.a.O. 310ff. Wenn Hausmann seinerseits a.a.O. 65 no 45 (zu 1112 nach IX 16; vgl. dazu unten) das Diktat dem Notar Adalbert A zusprechen möchte, scheint uns dies jedoch angesichts des Mangels an geeignetem Vergleichsmaterial unerweislich. Für die Darstellung des Sachverhalts war der Verfasser jedenfalls auf Informationen von Empfängerseite angewiesen, die zweifellos auch auf die Auswahl der Adressaten Einfluss genommen hatte.
Empfängereinfluss ist aber auch für die Verwendung des Terminus casati in der die Inskriptio abschließenden allgemeinen Erwähnung der Vasallen von St. Stephan anzunehmen; zum Begriff vgl. Mittellat. Wörterb. 2,323; zum Vorkommen in Besançon vgl. u.a. H. Cl ╘re, Les Casati de l’église Saint-Etienne de Besançon, ferner Vregille, Hugues de Salins, archevêque de Besançon 1031–1066 S. 285f. Auffällig ist die Seltenheit des Vorkommens dieses Begriffes, den Heinrichs Diplome sonst nicht kennen, in den Diplomen auch seiner Nachfolger: Unter Lothar III. begegnet er nur einmal, und zwar in dem von Wibald von Stablo verfassten DLo.III.119 von 1137 für Stablo (B.-Petke Reg. 634), woraus er in dessen Nachurkunde, DKo.III.5, Eingang fand; und interessanterweise sind die beiden einzigen weiteren DD. Konrads III., in denen das Wort vorkommt, gleichfalls von Wibald verfasst, DKo.III.132 für Raimund von Baux (wiederholt in DDF.I.61 u. 316) und DKo.III.143 für Cambrai (wiederholt in DDF.I.43 u. 825; dort auch der Begriff casatura); darüber hinaus ist es nur noch in zwei Diplomen Barbarossas für burgundische Empfänger anzutreffen, in DF.I.291 für Clairvaux und in DF.I.388 für Genf. – Dem der Kanzlei oder Kapelle angehörigen Verfasser des Mandats ist aber jedenfalls die sehr emphatische Invektive gegen Guido von Vienne zuzusprechen, außerdem sicher auch die kanzleigemäße Formulierung der Salutatio, vgl. dazu Vorbemerkung zu D.226.
Den sachlichen und zeitlichen Hintergrund des undadierten Mandats bildet ein Konflikt zwischen den benachbarten Kanonikerstiften St. Stephan und St. Johann in Besançon um den Rang als sedes archiepiscopalis; vgl. dazu u.a. Robert a.a.O. 36ff., Vregille in Histoire 21,296ff. und die neueste Untersuchung des “Kapitelstreites von Besançon” bei Schilling a.a.O. 373–382: Mit Mandat von 1115 April 22 (JL 6456; Gallia pont. 1,53 no 53, 80 no 7 und 93 no 9; Chifflet a.a.O. 371; Mansi, Conc. 20,1047 u. 21,141; verkürzt Migne, PL 163,380 no 427; vgl. Schilling a.a.O. 376f. u. 674 Reg. 130*) hatte P. Paschal II. den EB. Guido von Vienne, der in den Jahren 1107–1109 zweimal als vicarius die Leitung der vakanten Bischofskirche von Besançon gehabt hatte (vgl. Robert a.a.O. 36, Schilling a.a.O. 360ff.), als päpstlichen Legaten mit der Beilegung des Konflikts im Rahmen eines in Dijon oder anderswo vorgesehenen Konzils beauftragt; auf dem von Guido 1115 August 15 in Tournus eröffneten Konzil, an dem 10 burgundische Bischöfe (darunter zwar diejenigen von Genf und Sion/Sitten, bemerkenswerterweise jedoch nicht Gerold v. Lausanne, obwohl Suffragan von Besançon) sowie 18 Äbte (darunter als einziger namentlich genannter Pontius von Cluny) teilnahmen, wurde die Entscheidung zugunsten von St. Johann gefällt (Chifflet a.a.O. 372f.; Mansi, Conc. 21,142; vgl. Schilling a.a.O. 378 u. 674 Reg. 131); Paschal II. warf Guido nur wenig später mit Schreiben von 1115 August 27 (JL 6467; Gallia pont. 1,54 no 55, 81 no 9 und 94 no 11; Chifflet a.a.O. 373; Migne, PL 163,387 no 436; Schilling a.a.O. 379 u. 674 Reg. 133*) vor, sich nicht an die Anweisung vom 22. April gehalten zu haben, und erklärte schließlich mit Privileg von 1116 März 24 (JL 6517; Gallia pont. 1,55 no 56, 81 no 10 und 94 no 12; Chifflet a.a.O. 375, in unmittelbarem Anschluss an D.151; Migne, PL 163,402 no 466; Schilling a.a.O. 380f. u. 675 in Reg. 135) wieder den alten Vorrang von St. Stephan.
Auf die beiden Daten von 1115 August 15 und 1116 März 24 gründete schon Chifflet u.E. zu Recht seine Datierung von D.151 auf etwa die Jahreswende 1115/1116 (s. Anm. d’), ein Zeitansatz, den im wesentlichen die gesamte ältere Literatur übernommen hatte (s. oben; vgl. noch Kallmann in Jahrb. f. Schweiz. Gesch. 14,53 zu 1115). Es ist aber sogar eine relativ genaue Datierung möglich; denn der Schluss-Satz kann nur auf Heinrichs 2. Italienzug bezogen werden, der aufgrund des de proximo offenbar unmittelbar bevorstand, weshalb das Mandat zeitlich dicht vor D.153 gehört, womöglich in den bis in den Januar währenden Speyerer Aufenthalt (s. D.150).
Dementgegen wollte Giesebrecht 53,1214 das Mandat auf 1112 datieren und es aus der “erbitterten Stimmung des Kaisers” gegen Guido als unmittelbare Antwort auf die von diesem auf dem 1112 September 16 [= Terminus post quem für Hausmann a.a.O. 65 no 45, s. oben] eröffneten Konzil von Vienne (zu diesem s. D.*105) gegen ihn ausgesprochene Exkommunikation erklären; er bestreitet damit einerseits den Zusammenhang mit obigen Streitigkeiten (“von denen der Kaiser nicht spricht”), wobei er übersieht, dass es ausdrücklich um die (in diesem Streit) verletzten Rechte St. Stephans ging; in totaler Fehlinterpretation schließt er aus den Vorwürfen gegen Guido sogar auf dessen “Bestrebungen …, das Erzbistum Besançon zu beseitigen”, während es sich doch nur um die Frage handelte, an welcher Kirche dieses – unbestrittene – Erzbistum seinen Kathedralsitz haben sollte; auch das Zusatzargument, dass “man später [nach 1112] kaum noch Guido contemptor apostolicae auctoritatis nennen konnte” (s.a. Schilling a.a.O. 374f.), versagt angesichts des von Paschal II. am 27. August 1115 ausgesprochenen scharfen Tadels. An dem falschen Zeitansatz Giesebrechts ist seitdem (1890) anstandslos festgehalten worden; vgl. außer Vregille und Hausmann (s. oben) noch Meyer von Knonau, Jahrb. 6,248 mit Anm. 50 (mit Wiederholung der falschen Behauptung: “aber Heinrich V. spricht nur allgemein[!] vom Erzstift Besançon, ohne Erwähnung der localen Streitsache”), ferner Chapuis, Recherches sur les inst. polit. du pays de Vaud 56 (behauptet in Anm. 3 sogar fälschlich für 1112 eine Entsprechung zu Heinrichs Itinerar) sowie Koch, Sacrum Imperium 60 Anm. 237 (zu “nach 1112”); Pivec in MÖIG 46,295 ließ eine Entscheidung zwischen 1112 und 1115–1116 offen, aber mit der Tendenz zu 1112. – Nicht zu überzeugen vermögen die neuestens von Schilling a.a.O. 373ff. nochmals zugunsten der Datierung in das Jahr 1112 vorgetragenen Argumente; sie räumt zwar ein (a.a.O. 375), die erneute Klage der Kanoniker von St. Stephan passe “auch gut” in die Zeit nach dem Konzil von Tournus (August 1115), meint aber, es wäre für diese kaum notwendig gewesen, “zusätzlich die (ohnehin wenig wirksame) Unterstützung des Kaisers zu suchen”, nachdem sie “bereits Paschalis II. auf ihre Seite gebracht” hatten.
Schilling verkennt u.E. das in St. Stephan zweifellos weiter bestehende Misstrauen gegen den – an der Kathedralschule des rivalisierenden St. Johann erzogenen (s. Schilling a.a.O. 40 mit Anm. 129 u. 644 Reg. 2) – Guido, worin man sich mit Heinrich einig wissen durfte, wie sich zeigen sollte, zu Recht: Mit Privileg von 1121 Nov. 10, wörtlich wiederholt in Erneuerung von 1122 März 19 (JL 6935 u. 6955; Gallia pont. 1,57f. no 61 u. 63, 83 no 17 u. 19 und 95f. no 19 u. 22; Robert, Bullaire 1,377 no 262 und 2,11 no 283; vgl. Schilling a.a.O. 378 mit Anm. 113, s.a. 674f. Reg. 131 u. 135), widerrief P. Calixt II. (= Guido) das Privileg P. Paschals II. von 1116 als erschlichen (s. Schilling a.a.O. 380 mit Anm. 121) und bestätigte dem Stift St. Johann wieder den Vorrang (in tota Bisuntinę civitatis parochia … episcopalis sedis et matricis ecclesię … dignitas); zum Rangstreit vgl. zuletzt Gallia pont. 1,31, 76 u. 89.
Der dem eigentlichen Mandatstenor vorangehende Abschnitt ab quia sancti patres … mit der darin enthaltenen Schutzverleihung und Besitzbestätigung legt übrigens, zusammen mit der Formulierung nostro sanctorumque privilegiis et præceptis (das vorangehende præscripto gehört zu dem anschließenden inimico [= Guido]), den Schluss nahe, dass St. Stephan von Heinrich auch ein entsprechendes verlorenes Diplom (praeceptum) erhalten hatte, gegen dessen Realisierung Guido Widerstand leistete, der durch das Mandat gebrochen werden sollte.
Zu den Adressaten vgl. u.a. Viellard a.a.O. 186f. (Anmerkungen), Robert, Histoire 39, Vregille a.a.O. 21,298, Schilling a.a.O. 36f. mit Anm. 103 u. 109. Der verstorbene Gemahl der nicht zufällig, zusammen mit ihrem Sohn, gleich nach B. Gerold von Lausanne angesprochenen Beatrix war Guidos Bruder, Graf Stephan I. von Burgund († 1102; beide Söhne des Grafen Wilhelm II., † 1087; vgl. die Stammtafel bei Schilling a.a.O. 41). Mit Sigismundus comes ist nach Viellard u. Vregille Graf Simon von la Rocheen-Montagne gemeint. – Die Schluss-Stellung zweier Grafen war vermutlich kein Versehen, sondern sollte, namentlich angesichts des Anschlusses mittels sed et, ihrer Nennung vielleicht besonderern Nachdruck verleihen, was zumindest für Thierry II. von Montbéliard gelten dürfte, bei dem es sich nach Robert a.a.O., wie bei dem an zweiter Stelle genannten Sohn der Beatrix, dem Grafen Rainald III. († 1148), um Neffen Guidos handelte. Unsicher ist (wegen des Genus), ob auf obiges la Roche-en-Montagne das de Rocato zu beziehen ist; Viellard u. Robert geben es mit “de la Roche” wieder, während Vregille von “Richard [Joret] le Déroché” spricht.
– Zu der Schott’schen Fälschung Stumpf Reg. 3124 vgl. Anhang no 3.