Heinrich befiehlt dem Bischof (Otbert) von Lüttich brieflich und durch Boten, den (Abt) Hermann nicht mehr wegen der Abtei von St. Truiden zu behelligen.
(1107 März/April).
Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010
Stumpf Reg. –.
Abt Rudolf von St. Truiden/St. Trond (1108–1138) berichtet in lib. 7 c. 1 der Gesta abbatum Trudonensium (ed. Koepke in MGH SS 10,229ff., Neuausgabe in 2 Bänden durch DE BORMAN, Chronique de l’abbaye de St. Trond; zum Werk, dessen Bücher 1–7 [ca. 1114/15] und Buch 9 [ca. 1136] von Rudolf selbst verfasst sind, vgl. Monasticon Belge 6,13f. und Wattenbach-Holtzmann-Schmale 2,744ff., bes. 746 Anm. 327) über die gelegentlich der Vakanz durch den Tod des Abtes Theoderich († 1107 April 25, s. lib. 6 c. 25) im Konvent von St. Truiden aufgebrochenen Gegensätze zwischen Anhängern und Gegnern der novi ordinis introductio (= der 1107 März 1 unter dem Einfluss des seit 1103 als Prior amtierenden Rudolf eingeführte usus Cluniacensium, s. lib. 6 c. 21), die ihn selbst zur Aufgabe seines bisherigen Priorenamtes bewogen hatten. Rudolf berichtet dann – seine eigene Wahl zum Nachfolger Theoderichs nur verklausuliert andeutend –, dass der Mönch Herimannus, bereits früher Prätendent auf die Abtswürde (s. unten), zur Unterstützung seiner (alten) Ansprüche von Heinrich das verlorene D. *15 erwirkt hatte: Factam igitur fratres electionem [d.h. Rudolfs Abtwahl, s. unten] suam cum Leodii episcopo æcclesiæque representassent et inde Mettis transire vellent, invenerunt ibi [in Lüttich] nuntios imperatoris Herimannum prevenisse litteris imperialibus et viva voce episcopo precipientes, ut Herimanno ultra molestus de abbatia nostra non existeret (das prevenisse hängt grammatisch in der Luft).
Vorgebrachte Bedenken wegen der Person Hermanns fruchteten (zunächst) nichts; vgl die Fortsetzung: Episcopus tunc noviter imperatori reconciliatus fuerat [1106 August in Aachen, s. Meyer von Knonau, Jahrb. 6,11f. u. Stüllein, Itinerar 24f.] defuncto Leodii patre imperatoris, cuius partes contra filium adiuverat; quo timore non satis audebat – non [var.: ut] tamen eum decuisset – violentiæ imperatoris contradicere, neque tamen assensit, sed, quantum salva gratia imperatoris potuit, nuntiis rationem reddidit, quomodo apud sanctum Trudonem non posset amplius abbas canonice fieri, atque subiunxit: “Non est meum dare donum abbatiæ sancti Trudonis, sed abbatem eius benedicere; Metensis illud est episcopi, quem michi mittat benedicendum, ipse viderit”. Ibi, sicut et alias frequenter, religiosus vir, abbas sancti Iacobi Leodii Stephanus, multa fiducia et ratione nuntiis imperatoris ostendit, quod frustra laboraret imperator de Herimanno, quem suo suorumque comparium æcclesiastico iudicio constabat iam dudum dampnatum esse pro invasione huius abbatiæ, et pro obstinatione incorrigibilitatis suæ etiam excommunicatum fuisse nec potuisse tandem mereri absolutionem, nisi promissa amplius emendatione invasionis suæ et violęntiæ. Hac turbatione intermissa est fratrum profectio Mettis [s. oben], et reversi sunt ad claustrum nostrum disponentes nuntium suum mittere pro instanti necessitate ad Mettensem episcopum; das anschließende c. 2 beginnt dann: Nec mora; adest Herimannus et nuntiis imperatoris eum adducentibus per comitem Gislebertum [von Duras] in abbatiam introducitur … (vgl. dazu und zu den in c. 2ff. berichteten weiteren Vorgängen Meyer von Knonau a.a.O. 6,47 Anm. 24).
Da die fratres (unter ihnen Rudolf) sicher sehr bald nach Theoderichs Tod bzw. seiner nach drei Tagen erfolgten Beisetzung nach Lüttich gezogen waren, muss das dort bereits eingetroffene Mandat Heinrichs von Hermann schon vor Theoderichs Tod erwirkt worden sein. Als frühester Terminus post quem für D. *15 ergibt sich wohl das Datum der Einführung der Cluniazenserregel am 1. März (s. oben), die nach lib. 6 c. 23 offenbar für den Grafen Heinrich (von Limburg) als Obervogt der Anlass war, dem Kloster den Hermann aufzudrängen (iterum aggressus est sine omni dilatione suum nobis intrudere Herimannum); dort ist auch gesagt, dass einerseits Heinrichs V. Einsatz für Hermann (s. obiges frustra laboraret imperator …) auf Unkenntnis beruhte und dass sich andererseits zahlreiche Leute am königlichen Hof, darunter insbesondere der Kanzler Adalbert (zu seiner Rolle s. auch D.. *25), für Hermann verwendet hatten und dass außer Otbert von Lüttich auch der Bischof (Adalbero IV.) von Metz angeschrieben wurde: Herimannus etiam per quosdam complices et in curia regis aliquantum familiares conciliavit sibi animum cancellarii regis Adelberti nomine, qui postea archiepiscopus fuit Maguntiæ, et per ipsum regem habens eos fidos adiutores de sua restitutione. Res vero non fuerat ita notificata regi et cancellario, sicut se veritas habebat de Herimanno. Itaque mendaciis faventium Herimanno decepti restitui eum in abbatia nostra per litteras et missaticos suos Metensi et Leodiensi episcopo precęperant, cuius adventus cotidie nobis nuntiabatur. Comes autem Gislebertus paratus erat suscipere et, quia advocatus noster fuerat, in abbatiam eum introducere (danach folgt dann erst in lib. 6 c. 24 das inter quæ minantia famæ volitantis cotidie tonitrua eingetretene Ereignis der Krankheit und des Todes Theoderichs). Ob die auf Heinrich und Adalbert bezügliche Aussage per litteras … precęperant besagt, dass auch Heinrich – neben seinem D. *15 für den Lütticher – an den Bischof von Metz schrieb oder ein entsprechendes Schreiben nur von Adalbert ausging, muss offen bleiben; die Gelegenheit für D. *15 und weitere Schreiben könnte sich am ehesten auf dem Mainzer Fürstentag vom 14. April (Ostern) ergeben haben, von wo Heinrich über Metz nach Verdun zog (vgl. Stüllein a.a.O. 31f.), kaum während dieses Zuges selbst.
Die Ansprüche des aus dem Konvent hervorgegangenen Hermann gründeten sich darauf, dass er nach dem Tode des Abtes Lupo († 1093 oder 1095 Aug. 1) ohne Wahl und gegen Geldzahlung von Herzog Gottfried von Bouillon als Abt eingesetzt worden war (s. lib 5 c. 1; Meyer von Knonau a.a.O. 4,514) und auch die Unterstützung des (gregorianischen) B. Poppo von Metz fand, wohingegen ihm der (kaiserliche) B. Otbert von Lüttich die Weihe verweigerte und ihn exkommunizierte, woraufhin sich Hermann zum Grafen Heinrich von Limburg (1081/2–1119; in den Jahren 1101–1106 durch Einsetzung Heinrichs IV. Herzog von Niederlothringen; Bruder B. Poppos), dem maior advocatus des Klosters, flüchtete. Nachdem dann erst im Jahre 1099 mit Unterstützung B. Otberts der Mönch Theoderich gewählt worden war, der 1099 Jan. 30 in Aachen von Heinrich IV. die Investitur erhalten hatte (s. lib. 5 c. 2ff.; Meyer von Knonau a.a.O. 5,57f. mit Anm. 3), hielten während dessen ganzen Abbatiats die Auseinandersetzungen mit Hermann an, der in seinen Ansprüchen vom Obervogt Heinrich und, in schwankender Haltung, dem Unter- bzw. Teilvogt Graf Giselbert von Duras (ca. 5 km nw. St. Truiden; 1088–1136) unterstützt wurde; zu Beginn des Jahres 1106 war Hermann nochmals von Heinrich von Limburg eingesetzt worden, während sich Theoderich zu Giselbert von Duras flüchtete, doch wurde Hermann erneut vom Bischof von Lüttich exkommuniziert, und Theoderich, der nach Ostern 1106 mit Heinrich von Limburg seinen Frieden gemacht hatte, kehrte zurück, stieß aber jetzt auf die Gegnerschaft Giselberts von Duras.
Nachdem Hermann durch die das Mandat des D. *15 aufhebende Entscheidung des D. *25 vom Dezember 1107 die Unterstützung Heinrichs V. verloren hatte, erfolgte Ende Januar (quarta ebdomada) 1108 in Lüttich die erneute Wahl Rudolfs – in Anwesenheit des Bischofs von Metz, den der Konvent schon seit dessen Anwesenheit beim Aachener Hoftag von 1107 Dez. 25 (vgl. lib. 7 c. 15: Imperator inde [= Lüttich, s. D. *25] abiens habuit curiam suam Aquisgrani in natale domini, ad quam cum audissent fratres nostri, quod episcopus Metensis adesset, venerunt ibi ad eum …) bedrängt hatte, die ursprüngliche Wahl Rudolfs anzuerkennen –, worauf dieser am 30. Januar als Abt eingesetzt wurde und nach einer durch Giselbert von Duras verursachten Verzögerung, der nach wie vor Hermann favorisierte, am 23. Februar die Abtweihe erhielt. Die erste Wahl Rudolfs durch den Konvent, die aber wegen D. *15 nicht weiter betrieben werden konnte, war offenbar gleich nach Theoderichs Tod erfolgt, da nur darauf das obige electionem suam bezogen werden kann.
Zur Geschichte des in der Diözese Lüttich gelegenen (ca. 45 km nw. Lüttich), aber von seinem Gründer Trudo ins Eigentum der bischöflichen Kirche zu Metz übertragenen Klosters, woraus sich aufgrund ihrer jeweiligen Rechte (vgl. das wörtliche Zitat der Äußerung B. Otberts von Lüttich: Non est meum …) die Involvierung beider Bischöfe ergab, vgl. Pieyns-Rigo in Monasticon Belge 6,13ff. und zuletzt Joris in Lex. d. MA 7,1204f.). Zu den Auseinandersetzungen mit Hermann vgl. u.a. Charles, La ville de Saint-Trond 89ff. und Boes, L’abbaye de Saint-Trond 160ff., zuvor schon mit umfangreichen Zitaten aus den Gesta Meyer von Knonau a.a.O. 6,47ff., 71ff., 300ff.– Zu den Vögten, von denen der Untervogt Giselbert von Duras häufig schlechthin als advocatus bezeichnet wird, vgl. Lecl ╘re, Les avoués de Saint-Trond (mit Vögteliste S. 110f.) und Charles a.a.O. 347ff. Heinrich von Limburg und Giselbert von Duras (dieser dort als liber homo bezeichnet) begegnen gemeinsam in Heinrichs D. †8.
Die unvermeidlich ausführliche Darstellung hier und in D. *25 (s. auch D. *144) findet, abgesehen von der Komplexität der Vorgänge, ihre Rechtfertigung darin, dass der zeitgenössische Bericht Rudolfs einen fast einmaligen Einblick darein gewährt, in welchem sonst nicht dokumentierten Umfang der Herrscher mit Mandaten und durch – u. U. über einen langen Zeitraum sich hinziehende – Gerichtsentscheidungen agierte, und zugleich offenbart, wie stark die zum Hof gehörigen Personen Einfluss nehmen konnten – und nahmen!