Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<143.>>

Heinrich bestätigt den Cremonesen erneut den Besitz der communia beiderseits des Po zwischen der Adda-Mündung und Wlperula, den herkömmlichen freien Schiffshandel (auf dem Po) zwischen dem Meer und Pavia sowie sicheren Verkehr im Königreich Italien, gewährt ihnen die Verlegung seiner Pfalz vor die Stadtmauern und bestätigt ihnen die guten alten Gewohnheiten und alle Verleihungen seiner Vorgänger.

Worms, 1115 Juni 3.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 44,5/46 b : 52/53,5 h) im Staatsarchiv zu Cremona (A); Rückvermerk des 12. Jh.: Imperator Anricus; 13. Jh.: primum in registro [= nicht erhaltene Hs.]; andere Hand: De Pado; 14. Jh.: Hoc est privilegium loquens de aq[ua] Padi; 15. Jh.: Exsemplatum[!] per manum Frederici de Cassamala. – Notarielles Vidimus aus dem Anfang des 13. Jh., mit zahlreichen, im 19. Jh. von Ippolito Cereda korrigierten Fehlern, ebenda (B).

Drucke: Aus A: Muratori, Ant. Ital. 4,23 zu 1114 (s. Anm. x). – Robolotti, Repert. dipl. Cremonese 1,141 no 9 aus einer auf Muratori beruhenden Abschrift Ceredas im Staatsarchiv zu Cremona zu 1115 (trotz der Text-Lesung … decimo quarto nach Muratori). – Torelli, Reg. Mantov. 1,114 no 157 Auszug aus Abschrift des 14. Jh. im Staatsarchiv zu Mantua zu 1114. – Groppali-Bartoli in Circolo di studi Cremonesi, Atti et comunicazioni 1,42 Anm. 1 fehlerhaft aus A zu 1115 (im Text jedoch … decimo quarto). – Almansi, Statuta universitatis mercatorum Cremonae 139 no 1 aus Abschrift von 1499 im Statutenbuch zu 1120 Juli 5. – Falconi, Le carte Cremonesi 2,89 no 262 aus B und Kopie des 15. Jh. zu 1114 (trotz der Lesung .XV. im Text).

Reg.: Cavitelli, Annales 41a zu 1116 Juli 6. – Robolotti, Repert. 1,33 no 267 zu 1115. – Astegiano, CD Cremonese 1,98 no 26 zu 1114. – Indices … Muratorii 87 no 785 zu 1114. – Torelli in Atti e memorie di Mantova N.S. 14–16,220 zu 1114. – Simeoni in Atti e memorie per l’Emilia e la Romagna 2,156 Anm. 16 zu 1114 Januar. – Gualazzini, Il “Populus” di Cremona 43 Anm. 2 zu 1114. – Ders., Inventario dell’archivio storico camerale 12 no 36 zu 1120 Juli 5 (s. auch S. 125). – Böhmer Reg. 2038 zu 1114 (nach Muratori). – Stumpf Reg. 3113 zu 1114 (nach Böhmer).

Verfasst und geschrieben von Notar Adalbert A, dem Hausmann, Reichskanzlei 66 no 64 (zu 1114) allerdings nur das Diktat zuspricht; dies ist nur so erklärlich, dass Hausmann, obwohl er das “Or.” im Staatsarchiv Cremona nennt, dies in Wirklichkeit nicht gesehen hat. – Die Ursache dafür, ebenso wie für die erstaunliche Tatsache, dass Falconi seinem Druck nicht das Original, sondern das Vidimus B zugrundelegte, könnte darin liegen, dass das Original, das zuvor gemeinsam mit dem Vidimus verwahrt worden war, in neuerer Zeit von diesem separiert und in einer zur Sicherung des bestens erhaltenen Siegels (s. Anm. v) hergestellten Kassette geborgen wurde. – Der Text des Vidimus, in dem die Rekognitionszeile fehlt (s. Anm. w), war augenscheinlich auch die Grundlage für Hausmanns falsche Feststellung (a.a.O. 45 Anm. 2) über D.143 als einziger Ausnahme von der alleinigen Rekognition durch den Kanzler Bruno; die Rekognition durch den deutschen statt des für den Empfänger zuständigen italienischen Kanzlers (Burkhard) hat ihre Parallele in D.107 für Fruttuaria.

Während die Indiktion zu 1115 passend gegenüber derjenigen des Jahres 1114 um 1 Einheit erhöht ist, unterblieb diese Erhöhung für die Regierungs- und Kaiserjahre (s. Anm. 2) gegenüber den seit D.130 von 1114 April 14 verwendeten Zahlen; dies ist womöglich dadurch verursacht, dass die Kanzlei seit dem Herbst 1114 offenkundig (selbst bei der Annahme von Deperdita nach D.137 von 1114 Sept. 13) nur noch sporadisch geurkundet hatte; in den beiden restlichen von Notar Adalbert A verfassten Diplomen des Jahres 1115, DD.147 u. 148, stimmen die Jahreskennzahlen gleichfalls nur teilweise. – Meyer von Knonau, Jahrb. 6,294 mit Anm. 14 u. 15, der nur die auf Muratori zurückgehende falsche Datierung des D.143 auf 1114 Juni 3 in der älteren Literatur kannte (ebenso Stüllein, Itinerar 63), trug keine Bedenken, D.143 und D.130 von 1114 April 14 (dessen Handlung sogar noch früher lag, vgl. dortige Vorbemerkung) einem einzigen “abermaligen längeren Aufenthalt in Worms” zuzurechnen, womit er eine Aufenthaltsdauer für möglich hielt, wie sie Heinrich wohl höchst selten einer Bischofsstadt zugemutet hat (ein ähnlich langer Aufenthalt, gleichfalls in Worms, fiel in den Frühsommer 1124, s. Stüllein a.a.O. 104).

D.143 ist die im Wortlaut nur wenig Anklänge aufweisende (s. Anm. c und i) Erneuerung der Begünstigung der Stadt durch DO.III.198 von 996 Mai 22 (= VU.), das aber schon mit DO.III.222 von 996 August 3 ausdrücklich als von der Stadt erschlichen wiederrufen wurde (vgl. auch DO.III.270 von 998 Januar 19), nachdem die faktische Verwerfung schon knapp eine Woche später erfolgt war, indem Otto III. mit den beiden DD.204 und 205 von 996 Mai 27 die entsprechenden Rechte zugunsten der bischöflichen Kirche beurkundet hatte, der er außerdem am selben Tage demonstrativ ein Schutzprivileg erteilte (D.206). Das DO.III.198 hatte in isolierter Singularität und in eklatantem Widerspruch zu einer ganzen Serie älterer und jüngerer Diplome gestanden, in denen die letztlich auf dem comitatus beruhenden Rechte immer wieder der bischöflichen Kirche bestätigt worden waren: Nach zwei Deperdita Karls d. Großen und Ludwigs d. Frommen (Lechner, Verl. Urk. no 107 und 109) hatte die ununterbrochene Reihe der erhaltenen Diplome mit dem DLo.I.58 von 841 eingesetzt und zunächst bis zum DO.II.272 von 982 gereicht, sodann durch und nach Otto III. ihre Erneuerungen durch Heinrich II. (D.84 von 1004), Konrad II. (D.146 von 1030 und D.162 von 1031; vgl. auch DD.251/252 von 1037) und Heinrich III. (D.319 o.D.) erfahren.

Den in diesen Diplomen im einzelnen variierenden Umfang der fraglichen (bischöflichen) Rechte umschreibt in weitgehend abschließender Formulierung das DKo.II.162 von 1031 (zum Or. vgl. Wibel in NA 43,215ff., 220f; Wiederholung des D.146 von 1030): quicquid curature, tolonei atque portatici seu ripatici aliquo ingenio de iam fata Cremonensi civitate ad publicam functionem pertinuit, tam de parte ipsius civitatis comitatus quam de parte cortis Sexpilas, necnon ripas et piscarias a Uulpariolo usque in caput Addue cum molendinis et molatura eorum [danach nur in DKo.II.146: et portubus] … atque cum uniuscuiusque navis solito censu … seu cum persolutione omnium navium Cremonam adeuntium tam Ueneticorum quam ceterorum navium …, districtionem vero civitatis infra et extra per quinque miliariorum spatia. – Unsicher ist, ob die Serie der Anerkennungen der bischöflichen Rechte schon mit dem DH.III.319 ihr Ende fand oder erst mit dem das DKo.II.162 wiederholenden, in Zusammenhang mit Streitigkeiten zwischen Bischof und Stadt wohl verfälschten (vgl. Vorbemerkung zu DH.V.77) DH.IV.36a von 1058.

Die Festschreibung der städtischen Rechte durch D.143 sieht Opll, Stadt und Reich 250 in den Bemühungen Heinrichs begründet, wieder gute Beziehungen zu der Stadt zu knüpfen, die in Gegensatz zu seinem Vater gestanden hatte. Jedenfalls war diese Begünstigung der Stadt endgültig: Nachdem Lothar III. und Konrad III. weder für die bischöfliche Kirche noch für die Stadt geurkundet hatten, erhielten beide von Barbarossa eine Reihe von Diplomen; in denjenigen für den Bischof ist keine Rede mehr von diesen alten Rechten, wohl aber in denen für die Stadt, insbesondere dem DF.I.261 von 1159 Februar 22, und zwar in einer durch die Konzentrierung auf den freien Handelsverkehr eher unserem Diplom entsprechenden, von der umfangreichen Umschreibung in den älteren bischöflichen Diplomen stark abweichenden Formulierung (Cremonenses á Cremona deorsum in aqua Padi et in omnibus locis et vallibus, in quibus aqua Padi aliquo tempore derivatur, usque ad mare … secure cum omnibus mercationibus, quascumque voluerint, vadant et navigent, ut nullus … aliquod theloneum … ab eis exigat …; habeant quoque ipsi Cremonenses in predictis locis, vallibus et aquis vendendi et emendi liberam facultatem; vgl. ferner das umfassende Privileg DF.I.653 von 1176 Juli 29).

Ganz anders verhält es sich mit den Papstprivilegien für die bischöfliche Kirche, in denen weiterhin – unter Berufung auf das (zu diesem Zweck verfälschte?) DH.IV.36a und in wörtlicher Anlehnung an dieses – der Bischof als Inhaber der Rechte erscheint: Erstmals im Privileg P.Alexanders II. von 1066 Oktober 30 (JL 4596; It. pont. 6.1,264 no 1; Falconi a.a.O. 1,520 no 213), wiederholt von P. Calixt II. 1124 Februar 1 und letztmals von P. Lucius II. 1144 März 17 (JL 7140 und 8524; It. pont. 6.1,264 no 5 und 266 no 14; Falconi a.a.O. 2,131 no 287 und 200 no 327).

Die Dispositio unseres D. ist in dem D. Friedrichs II. von 1226 Juli (B.-Ficker Reg. 1642; Böhmer, Acta imp. 782 no 1089 = NU.) wiederholt, vgl. auch deren Erneuerungen durch Ludwig d. Bayern von 1329 Juni 21 (Böhmer a.a.O. 806 no 1118) und Karl IV. von 1355 Februar 16 (Böhmer a.a.O. 810 no 1123; B.-Huber Reg. 1991).

Zur Verlegung der Pfalz vor die Stadtmauern vgl. Brühl, Fodrum 1,493ff.; Ders. in Hist. Forsch. f. W. Schlesinger 412; Haverkamp, Herrschaftsformen 1,96 Anm. 42 (mit falscher Wiedergabe des concessimus durch “der Kaiser fordert”!); Opll a.a.O. 251. – Dass die Zusage später Realität wurde, ergibt sich aus dem DF.I.895 von 1185, wo Barbarossa in seinem Bericht über die Treulosigkeit der Cremonesen (die er mit D.941/942 von 1186 wieder in Gnaden aufnahm) sagt, dass diese hospitati nos fuerunt ad sanctam Agatham und die Verhandlungen im refectorium sancte Agathe stattfanden; auch die durch das DF.I.660 von 1176 Dezember 12 beurkundeten Abmachungen mit der Stadt wurden in quodam casamento de ecclesia beate Agathe de burgo Cremone beschworen (vgl. Brühl, Fodrum 1,607 Anm. 141). – Wlperula, in den sonstigen Urkunden immer Vulpariolus, war der Stadthafen von Cremona (vgl. Vorbemerkung zu DLo.I.58); die Mündung der von Nordwesten kommenden Adda in den Po liegt heute in Luftlinie ca. 11 km w. Cremona (ca. 2,5 km südlich davon liegt Castelnuovo Bocca d’Adda).

Für die Datierung des aus dem Text unseres D. (Z. ■) sich ergebenden Deperditums Heinrichs V. für die Stadt Cremona gibt es keine konkreten Anhaltspunkte; es ist jedoch denkbar, dass es gegen Ende des 1. Italienzuges ausgestellt wurde, als Heinrich am 19. Juni 1111 bei bzw. in Verona mit DD.74 u. 77 für zwei andere Cremoneser Empfänger, die Kirche St. Agata und das Domkapitel, urkundete. Da Heinrich von einer Erneuerung (renovamus) seines früheren Diploms spricht, wird das Deperditum wohl weitgehend gleichen Inhalts wie D.143 gewesen sein; wenn die Stadt für die Erwirkung von D.143 jedoch eine Gesandtschaft nach Worms schickte, wird es entweder um eine inhaltliche Erweiterung oder zumindest um konkretere Fassung des einen oder anderen Punktes gegangen sein.

(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Quemadmodum ab inimicorum infestatione nullatenus est cessandum, sic fidelium et amicorum voluntati est condescendendum eorumque dignę petitioni diligenter satisfaciendum. Quapropter omnibus Christi nostrique fidelibus tam futuris quam presentibus notum fieri volumus, qualiter rogatu et petitione fidelium nostrorum Cremonensium pro fidelissimo servicio eorum, quecumque quondam nostri privilegii auctoritate eis concessimus, eadem nunc pro bonę fidei eorum perseverentia (!) renovamus renovantesque in posterum confirmamus, videlicet ea, quę suę locutionis proprietate communia vocant, tam quę in presenti habent quam ea, quę in futuro sunt habituri, a bucca Adde usque ad Wlperula ex utraque Padi fluminis parte, et ut a mari usque Papiam secure ac libere nemine eis quicquam molestię inferente eundi et redeundi et mercardi (!) secundum usum et antiquam consuetudinem eorum cum navibus suis facultatem habeant, et per totum regnum nostrum Italię secure vadant; concessimus etiam eis, ut extra muros civitatis eorum deinceps palatium et hospicium nostrum habeamus; et bonos usus eorum et omnia, quę ex fęlicis memorię predecessorum nostrorum regum sive imperatorum concessum obtinuerunt, confirmamus. Si quis vero episcopus, dux, marchio, comes, vicecomes, gastaldio, advocatus, scultatius contra huius nostri precepti paginam ire temptaverit, auri mille mancosos componat, medietatem camerę nostrę, medietatem ei, qui dampnum vel iniuriam passus est. Et ut hoc verius credatur et omni ęvo inviolabiter conservetur, hanc cartam inde conscriptam et manu propria corroboratam impressione nostri sigilli insigniri iussimus.

Signum domni Heinrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi. (M.9.) (SI.3.)

Bruno cancellarius recognovit.

Data III. nonas iunii, anno dominicę incarnationis millesimo CXVmo, indictione VIII, regnante Heinrico quinto rege Romanorum [ann]o VIIII, imperante IIII; actum est Warmacię; in Christo fęliciter amen.