Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<†138.>>

Unecht.

Heinrich verbietet aufgrund der Klagen der Bürger von Worms die Erzwingung von Ehescheidungen durch den jeweiligen Vogt, regelt das eheliche Erbrecht unter Ausschluss fremder Ansprüche auf den Nachlass und befreit die Bürger von der unfreiwilligen Übernahme des Schiffszöllneramtes, das er für den Fall der Übernahme mit den Einkünften aus dem Tuchzoll ausstattet.

Worms, 1114 November 30.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Angebliches Original (ca. 47/48 b: 57,5/59 h) im Stadtarchiv zu Worms (A); Rückvermerk des 15. Jh.: Sagt vom heubtrecht.

Faks.: Bischof Burchard 1000–1025. Tausend Jahre Romanik in Worms. Begleitpublikation zur Ausstellung im Museum der Stadt Worms (11. März bis 1. Oktober 2000) hg. v. G. Bönnen unter Mitarbeit von I. Spille S. 65.

Drucke: Ludewig, Reliquiae 2,133 no 8. – Schannat, Hist. episc. Wormat. 1,349 Auszug (aus Frid. Zornii Chron. Worm. MS.). – Aus A: Moritz, Reichs-Statt Worms, App. doc. 144 no 3. – Bresslau, Diplomata centum 125 no 82. – Boos, UB d. Stadt Worms 1,53 no 62 = Keutgen, Urk. zur städt. Verf.-Gesch. 17 no 23 Auszug. – Bulst-Ernst, Texte 2,112 no 13. – Diestelkamp in Elenchus font. hist. urb. 1,79 no 51 Auszug. – Weinrich, Quellen 178 no 48 mit dt. Übers. – Weidemann in Das Reich der Salier, Katalog 499 no 2.2 in dt. Übers.

Reg.: Georgisch, Reg. chronol.-dipl. 1,499 no 16. – Scriba, Hess. Reg. 3,65 no 1024. – Goerz, Trierer Reg. 14. – Goerz, Mittelrhein. Reg. 1,465 no 1672. – Bischof Burchard S. 64. – Böhmer Reg. 2042. – Stumpf Reg. 3119.

Nach Hausmann, Reichskanzlei 45, 66 no 69, 72 no 9 und 80f. handelt es sich bei D. †138 um eine Fälschung auf der Grundlage eines echten Diploms, das nach Übertragung des inzwischen wieder verlorenen Siegels dem Falsum geopfert wurde. Das verlorene Original, aus dem zweifellos auch das Datum unverändert übernommen wurde, war nach seinen Feststellungen – wie das drei Monate ältere D.135 – eine Gemeinschaftsarbeit der beiden Notare Adalbert A und Adalbert B gewesen.

Hausmanns Zuweisungen der jeweiligen Anteile lassen sich bestätigen, auch wenn dies hinsichtlich der Schrift bei Notar Adalbert B nicht verifizierbar ist, da die Schriftbesonderheiten der beiden Notare von dem Schreiber der Fälschung nur ganz unzulänglich nachgeahmt wurden: Danach stammte von Adalbert A nur die Schrift des Protokolls und der Signum- und Rekognitionszeile (vgl. a.a.O. 66 no 69); für das Protokoll ergibt sich dies in erster Linie aus der peinlich genauen Nachzeichnung des typischen Chrismon dieses Notars, und auch für das dreifache v in avgvstvs (s. Anm. c) bietet z.B. D.136 eine Parallele; die Elongata der 1. Zeile selbst, in der übrigens das kanzleigemäße quartus vor Romanorum ausgelassen wurde, verfehlt das Schriftmuster hingegen vollständig, sowohl im ganzen Schriftcharakter als auch in Orthographie (hier sc̄ę statt eines mittig durchstrichenen SCAE, ausgeschriebenes et statt des tiron. Kürzels) und Buchstabenformen (zumeist Minuskel-a statt Kapitalis-A, elongiertes rundes s statt des verschleiften langen s, das t ohne Kopf in Gestalt einer liegenden 8 und ohne Fußverschleifung).

Ähnliche Ferne vom Schriftmuster gilt für die Unterfertigungszeilen, wo allerdings jetzt regelmäßig Kapitalis-A verwendet ist (wie bei Adalbert A ohne Querbalken), bei dem t von imperatoris entspricht auch die Gestaltung des Kopfes dem Schriftmuster, es fehlt aber ebenfalls die Fußschleife; schließlich hat auch der nachgetragene Aufstrich des Q (s. Anm. a’) sein Vorbild bei Adalbert A; am eindeutigsten gesichert ist wiederum, dass – wie das Chrismon – das Monogramm des Originals von Adalbert A gezeichnet war, was vor allem an der dornförmigen Verstärkung in der Mitte der Abstriche von Q und R sowie der schneckenförmigen Einrollung des G-Fußes erkennbar ist.

Wenn Hausmann a.a.O. 81 die einzigartige Formulierung der Rekognitionszeile (zu ihr s. auch Bresslau in Textband zu Kaiserurk. in Abb. 84 und Friedmann, Worms und Speyer 162 Anm. 816), die sich vor allem in ihrem Umfang von der vom Notar vorher und nachher (s. DD.109ff. und nochmals D.145) verwendeten knappen Formulierung mit Bruno cancellarius recognovit abhebt, durch “eigenmächtige Veränderungen” des Fälschers verursacht sieht, wobei er an unbestimmt bleibende “andere Vorlagen” denkt, scheint uns, da ein Grund für ein Abweichen des Fälschers vom Original ganz unersichtlich ist, eine andere Erklärung und damit letztlich eine Rückführung des Wortlautes auf das Original denkbar: Der rekognoszierende (Leiter der Hofkapelle) Arnoldus hatte zuvor nur zwischen März und Oktober 1112 (damals noch als einfacher Hofkaplan), und zwar wie hier ohne Titel, in Stellvertretung des damals auch noch das Kanzleramt wahrnehmenden Erzkanzlers Adalbert rekognosziert (s. Vorbemerkung zu D.109); es ist vorstellbar, dass Arnold 1114 nochmals, gleichfalls in Vertretung des (vermutlich abwesenden) Kanzlers Bruno, einmalig für die Rekognoszierung herangezogen wurde, dass jedoch der Fälscher versehentlich (Bresslau a.a.O. spricht von “mißbräuchlich”) ein vice … cancellarii des Originals durch vice … archicancellarii ersetzt hatte.

“Schrift und Diktat” des ganzen Kontextes sowie der Datierung spricht Hausmann (a.a.O. 72 no 9) dem Notar Adalbert B zu; der direkte Nachweis für die Schrift scheitert freilich aus dem einfachen Grunde, dass dem Fälscher auch hier die Orientierung am Schriftvorbild vollkommen misslang (während Adalbert B die Kopula et immer ausschrieb, begegnet hier daneben zusätzlich & und das tiron. Kürzel; langes s hat hier als Verschleifung immer nur Wellenlinien um die Oberlänge, während Adalbert B daneben in ungefähr gleicher Häufigkeit von der Oberlänge nach links auslaufende Einzel- oder Mehrfachverschleifungen bietet; insbesondere aber fehlt der unteren Hälfte des g die bei Adalbert B regelmäßig anzutreffende kleine Öse, s. Hausmann Abb. 3).

Dass aber Adalbert B der Diktator (und dann wohl auch der Schreiber) war, ergibt sich einerseits im Kontext aus der für ihn typischen Zeugeneinleitungsformel (s. Hausmann a.a.O. 72f.), andererseits aus der Formulierung der Datierung mit der für ihn charakteristischen – von Adalbert A seit D.108 endgültig aufgegebenen – Angabe des Ordinationsjahres. Bei der Wahl der Ziffer XIIII für dieses ist übrigens denkbar, dass der Notar Adalbert A Einfluss genommen hat; denn die gesamten Jahreskennzahlen (Reihenfolge: Ind., Königs-, Ord.- und Kaiserjahre) VII/VIII/XIIII/IIII wirken wie eine für das Jahr 1114 um jeweils 2 Ziffern erhöhte Fortschreibung der Zahlen, die Adalbert A in den von ihm geschriebenen DD.106–108 aus dem Jahre 1112 verwendet hatte (V/VI/XII/II) – wobei Adalbert A übrigens wie dort (vgl. Vorbemerkung zu D.106) mit den Zahlen für das Ordinationsjahr um 2 Einheiten und für das Regierungsjahr um 1 Einheit hinter den richtigen Zahlen zurückblieb, wohingegen er in den zuvor von ihm allein datierten Diplomen seit D.124 (s. dortige Vorbemerkung) immer das richtige 9. Regierungsjahr eingesetzt hatte –, während nach der Rechnung des Adalbert B die von diesem in DD.99 und †101–104 aus dem Jahre 1112 eingesetzte Zahl XIII (statt richtigen XVI) für das Ordinationsjahr hier eigentlich auf XV erhöht sein müsste. – Auf eine Anregung des Adalbert B dürfte schließlich auch die Einzeichnung eines – von Adalbert A sonst kaum verwendeten – Beizeichens im Original zurückzuführen sein, das vom Fälscher nicht ganz korrekt wiedergeben wurde (s. Anm. c’).

Sieht man von Stüllein, Itinerar 67 sowie jüngst Friedmann a.a.O. (ohne eigene Bewertung) ab, ist Hausmanns eindeutiger Nachweis des Fälschungscharakters des D. †138 von der gesamten seitherigen Literatur, die nach wie vor von der Echtheit ausgeht (vgl. Schulz in Beitr. z. hochmal. Städtewesen 81ff.; Diestelkamp in Hist. Zs. Beiheft 7,269f.; Keilmann in Wormsgau 14,18f.; Opll, Stadt und Reich 172ff.), nicht zur Kenntnis genommen worden, so dass das Original auch noch im Rahmen der Salierausstellung des Jahres 1992 als echt präsentiert wurde (s. oben Weidemann). – Eine Scheidung zwischen dem echten Kern des Originals und den Zutaten des Fälschers lässt sich mit diplomatischen Mitteln nicht treffen, ebensowenig eine genauere Datierung der Fälschung anhand der Schrift.

Es scheint uns aber ein Indiz für die Annahme zu geben, dass die Fälschung nicht erst kurz vor dem DF.I.853 von 1184 Januar 3 (= NU.) entstanden ist, das sich auf unser D. beruft (Cum igitur ad noticiam nostram perlata fuisset divę memorię Heinrici V. Romanorum imperatoris augusti constitucio …) und dem dieses zusammen mit dem DH.IV.267 von 1074 als Vorurkunde gedient hat (s. Vorbemerkung zu D.108); denn in der Nachlassregelung des D. †138 geht es, trotz des das Hauptrecht nennenden Rückvermerks, lediglich um das Buteil (vgl. dazu Arnold, Verf.-Gesch. d. Freistädte 1,195; Rodenberg in Festgabe Zeumer 245f.; Schulz a.a.O. 82ff. mit eingehender Interpretation; Keilmann a.a.O. 18; s. auch Anm. o mit Verwendung des Begriffes buvteil in der umformulierenden NU.), während erst im Barbarossa-Diplom zusätzlich vom Hauptrecht die Rede ist (vgl. gleichfalls Anm. o); hätte die Fälschung des D. †138 der unmittelbaren Vorbereitung des DF.I.853 gedient, wäre das Hauptrecht sicher schon in ihm aufgenommen worden; Opll a.a.O. 173 meint allerdings, aber wohl zu Unrecht, “hinter der Betonung des freien Testierrechtes könnte auch das Verbot des ‘Hauptrechtes’ stehen”.

Wegen der Umformulierungen gegenüber dem teilweise ungeschickt formulierten D. †138 (vgl. z.B. Wechsel zwischen Aussteller-Plural und -Singular) sind die Parallel-Passagen der NU. in den Anmerkungen in extenso zitiert. – Der erste Teil der Dispositio enthält inhaltliche Übereinstimmungen und z.T. wörtliche, durch Petitsatz gekennzeichnete Anklänge zur Einleitung sowie zu c.1 und c.15 des Wormser Hofrechtes B. Burchards I. von Worms von ca. 1023/25 (MGH Const. 1,639 no 438) (= VU.); der Inhalt von c.15 (s. Anm. h) ist durch das Buteil-Verbot von D. †138 aufgehoben. Zum Hofrecht vgl. Rodenberg a.a.O. 237ff. (ebenda 240 und Schulz a.a.O. 83 zu c.15). – Zu der in der älteren Literatur vielfach unrichtig gedeuteten Bestimmung über das Schiffszöllneramt vgl. Opll a.a.O. 173f.

(C.) In nomine sanctę et indivęduę (!) trinitatis. Heinricus divina favente clementia Romanorum imperator augustus. Quoniam ex imperialis auctoritate dignitatis antecessores mei reges vel imperatores urbes et populos, quos plus diligebant, sepe pre ceteris speciali honore donabant, volumus et nos simili auctoritate omnibus regni nostri principibus notum esse, quod privilegium honoris dederimus Wormaciensis urbis concivibus. Videlicet lamentabilem eiusdem populi clamorem et infinitas, quas patiebantur insuper conubiis suis, calumnias ex eorum petitione et consensu principum meorum ita terminavi, ut deinceps ob hanc causam non habeant occasionem conquerendi. Nempe volumus, statuimus, iubemus, ut, quicumque aut undecumque sit vir, qui uxorem seu de consortio suo sive de alia familia ibidem acceperit aut uxoratus aliunde illuc venerit, hanc unam eandemque iusticiam omnis indiscrete ex hoc in perpetuum habeant, ut nullus advocatus coniugia eorum iuramenti coactione dissolvat et nulla vel maior vel minor potestas in obitu vel viri vel mulieris aliquid de rebus relictis tamquam iure debitum exigat, sed, sicut in sequentibus ordinavimus, hęc res fixa sedeat: Scilicet si vir prior uxore sua obierit, uxor et eius progenies, quam de viro illo habuerit, quicquid possessionis reliquerit vir, ipsa absque omni contradictione obtineat; et éadem lex de muliere, si prior obierit, ad maritum redeat. Si vero sine progenie ambo defuncti fuerint, proximi heredes relictam substantiam habeant, et nulla, ut predictum est, ab aliquo advocato aut ab alia qualibet persona pro eisdem bonis calumnia eis fiat.

Est et aliud, quod simili iuris nostri potentia eisdem urbanis nostris remitto, hoc scilicet, ut nullus a magistratibus urbis invitus super theloneum navium constituatur; sed ne servitium inde nobis constitutum vilescat, dum unusquisque hoc officium timore damni recipere non audeat, tradimus in subplementum ad hoc officium de nigris et grossis laneis pannis theloneum constitutum, cuius thelonei mensura de singulis pannis in dimidio constat denario. Et ut hęc auctoritatis nostrę traditio stabilis et inconvulsa omni evo permaneat, signo nostro corroboravimus et subtus inpressione sigilli nostri insigniri iussimus, asscriptis testibus, qui viderunt et audierunt: Bruno Treuerensis archiepiscopus, Erlǒnc Herbipolensis episcopus, Erlolf Wldensis abbas, Gotefrît comes palatinus, Willihelmus comes et alii complures clerici ac laici.

Signum domni Heinrici quarti Romanorum impera(M.9.)toris invictissimi. (SMP.)

Arnoldvs vice Brunonis archicancellarii recognovit.

Data II. kl. decemb., anno dominicę incarnationis millesimo CXIIII, indictione VII, regnante domno Heinrico V. rege Romanorum anno VIII, ordinationis eius regni quidem XIIII, imperii autem IIII; in nomine domini, actum Wormacię, feliciter amen. (SI.D.)