Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<108.>>

Verunechtet.

Heinrich bestätigt den Bürgern von Worms sowie den dortigen Juden die von seinem Vater gewährte Zollfreiheit an allen Reichsplätzen, (namentlich) in Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar und Angermund sowie zusätzlich in Nürnberg, erlässt ihnen das bisher zu zahlende jährliche Wachtgeld <und bestätigt ihren bisherigen herausragenden Rechtsstatus>.

Frankfurt – 1112 Oktober 16.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (ca. 44,5/45,5 b : 59/60 h) im Stadtarchiv zu Worms (A).

Drucke: Ludewig, Reliquiae 2,180 no 6 zu November 17 = (Wölckern), Hist. Norimberg., Prodr. 322 = (Wölckern), Singularia Norimberg. 366 = Roeder, Commentatio hist. de ortu et progressu civitatis Norimberg. 96. – Aus A: Moritz, Reichs-Statt Worms, App. doc. 142 no 2. – Murr, Urkunden 4. – Bresslau, Diplomata centum 124 no 81. – Boos, UB d. Stadt Worms 1,52 no 61. – (Pfeiffer), Nürnberger UB 1,18 no 26 Auszug.

Reg.: Schannat, Hist. episc. Wormat. 1,348. – Georgisch, Reg. chronol.-dipl. 1,495 no 16 zu November 17. – Roth, Gesch. des Nürnberg. Handels 1,7. – Lang, Reg. circ. Rezat. 1,37. – Erhard, Reg. Westf. 1,220 no 1381. – Scriba, Hess. Reg. 3,64 no 1020. – Arnold, Verf.-Gesch. d. Freistädte 1,194. – Goerz, Mittelrhein. Reg. 2,613 no 2206. – Böhmer-Will, Mainzer Reg. 1,246 no 26. – Fester, Reg. Baden 1,5 no 31. – Bode, UB d. Stadt Goslar 1,199 no 158. – Böhmer-Lau, CD Moenofrancofurt. 1,12 no 18. – Aronius, Reg. z. Gesch. d. Juden 99 no 215. – Rübel, Dortmunder UB Erg.-Bd. 1,28 no 59. – Reuter im Ausst.-Kat. “Von der Reichsstadt zur Industriestadt” 79 no 3. – Hirschmann in Beitr. z. Wirtsch.-Gesch. Nürnbergs 1,4 no 1. – Brilling-Richtering(-Aschoff, für 2. Aufl.), Westfalia Judaica 1.21,30 no 4. – Schalles-Fischer, Pfalz u. Fiskus Frankfurt 588 no 4b. – Engel, Ravensberger Reg. 1,158 no 88. – Die dt. Königspfalzen 1.3,257 no 127. – Böhmer Reg. 2024. – Stumpf Reg. 3091.

Unter teilweiser Benützung des im Text erwähnten DH.IV.267 von 1074 Januar 18 (= VU.; Boos a.a.O. 53 behauptet fälschlich Übernahme nur der Arenga) verfasst und geschrieben von Notar Adalbert A, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 65 no 48. Im Anschluss an die Korroboratio folgt ein in zwei Ansätzen erfolgter, knapp zweizeiliger späterer Nachtrag von anderer Hand (s. Anm. n und q); der gesamte übrige Text einschließlich der Datumzeile wurde vom Notar in einem Zug niedergeschrieben, der allerdings das Tagesdatum erst nachträglich eintrug (s. Anm. w). – Aus der Nachtragung des Tagesdatums ergibt sich, dass die Frankfurter Handlung und die wohl gleichzeitige Herstellung der Reinschrift früher erfolgt sein müssen.

Für die Datierung der Handlung fehlt allerdings jeder Anhaltspunkt, da in unserer Kenntnis des Itinerars im Sommer und Herbst des Jahres 1112 mangels zusätzlicher chronikalischer Nachrichten (vgl. Stüllein, Itinerar 53f.) zwischen D.104 (Mainz, 16. Juli) und DD.106/107 (Speyer, 6. und 8. Oktober) eine Lücke klafft; wir wissen daher nicht, auf welchem Wege der Hof nach Frankfurt gelangt war, und nicht einmal, ob der dortige Aufenthalt vor oder nach dem Speyerer Aufenthalt vom 6./8. Oktober anzusetzen ist, wenn auch die Vermutung dafür sprechen dürfte, dass zwischen der Frankfurter Handlung einerseits und der endgültigen Ausfertigung durch die vermutlich gleichzeitig mit der Nachtragung des Tagesdatums am 16. Oktober erfolgte Besiegelung andererseits keine allzu große Zeitspanne lag; fiel die Handlung demnach nach den 8. Oktober, hätten wir evtl. nur mit einem kurzen Abstecher aus dem Mittelrheingebiet nach Frankfurt mit unbekanntem Zweck (waren es Zollfragen?) zu rechnen; dabei wäre dann zu vermuten, dass man auf dem Weg von Speyer auch über Worms zog, wo erste Vorverhandlungen stattgefunden haben können, die aus unbekanntem Grund erst in Frankfurt zum Abschluss gekommen wären.

Eine Beantwortung der Unklarheiten ergibt sich aber vielleicht aus dem erwähnten Nachtrag. Bei diesem geht Bresslau a.a.O. 187 offenbar von dessen Echtheit aus, vermutet sogar mit dem ungeeigneten Hinweis auf den doppelten Singular in meos et mecum, er gehe womöglich auf den unmittelbaren Befehl des Herrschers zurück (“iussu regis forsan additum”). Die damit verbundene Unterstellung, dass der wegen Benützung der VU. (s. unten) zweifellos von Empfängerseite stammende Nachtrag die Anerkennung der Kanzlei gefunden hätte und demnach vor der Besiegelung eingetragen wurde, lässt sich aufgrund der großzügigen Raumaufteilung im Eschatokoll (s. Anm. n und w), die eine unauffällige Unterbringung gestattete (der Unauffälligkeit sollte wohl auch die Anknüpfung in Kleinschreibung dienen, s. Anm. n), allein vom äußeren Befund her nicht widerlegen.

Zweifel erweckt aber einerseits, dass nicht der Notar selbst, etwa gleichzeitig mit der Nachtragung des Tagesdatums, die Eintragung der Ergänzung übernahm, andererseits, dass der Nachtragsschreiber in der Absicht, den Notar als Urheber erscheinen zu lassen, dessen Schrift nachzuahmen trachtete, was ihm allerdings nur unvollkommen gelang: So verwendete er zwar in digniores und dignitatem das für den Notar typische gezopfte g, hatte aber zuvor in regibus ein einfaches g geschrieben; ferner übernahm er zunächst immer dessen gerades d, in apud predecessores geriet ihm jedoch zweimal ein schräges d in die Feder. – Wegen der Nachahmung eines Vorbildes ist es schwer, einen Schriftvergleich anzustellen; es scheint nicht ausgeschlossen, dass der Schreiber identisch ist mit dem, ebenfalls fremde Schriftmuster nachahmenden und dadurch einen Vergleich erschwerenden Fälscher des D. †138, der übrigens auch Schwierigkeiten mit dem Singular und Plural (s. o.) hatte.

Es sind jedoch besonders inhaltliche Gründe, die gegen die Kanzleimäßigkeit des Nachtrages sprechen: Die Wormser, die zweifellos schwer daran trugen, dass durch D.90 Speyer ihnen den früheren Rang als salischer Vorort abgelaufen hatte (vgl. dortiges locum istum … pre ceteris sublimare proponimus), hatten sicher darauf gedrängt, dass aus der VU. auch deren ausführliche und emphatische Narratio übernommen werde, wo ihnen dieser Rang noch zuerkannt war (s. unten). Heinrich dürfte ihnen dies, in der noch frischen Erinnerung an ihre Rebellion vom September des Vorjahres (vgl. Meyer von Knonau, Jahrb. 6,213f.; Stüllein a.a.O. 49f.; zu beachten ist das fidem … servare debent in der Promulgatio), rundweg abgeschlagen haben; die Versuche der Wormser, doch noch zum Ziel zu gelangen, würden eine einleuchtende Erklärung für die Verzögerungen in der Ausfertigung des an sich inhaltlich unproblematischen Diploms darstellen. Der erste Teil des Nachtrags sollte durch seinen Rückgriff auf zwei getrennte Stellen der VU.-Narratio (S. 342 Z. 45f. und Z. 33f.) diesen Mangel durch die Übernahme der Kernaussage omnibus cuiuslibet urbis civibus digniores in den Nachtragstext wettmachen; der Sinn der demselben Ziel dienenden Bestätigung der auf ewig geltenden maxima tocius iusticię dignitas im zweiten Teil des Nachtrags (s. Anm. q) bleibt unklar.

D.108 fand in den jüngeren Herrscherdiplomen für Worms keine Berücksichtigung. Das zwei Vorgänger-Diplome bestätigende DF.I.853 von 1184 Januar 3 nennt als Vorlage seines ersten Teiles divę memorię Heinrici V. Romanorum imperatoris augusti constitucio, womit D. †138 von 1114 gemeint ist, für den zweiten Teil das privilegium predecessoris et proavi nostri Heinrici quarti divi imperatoris; in der Vorbemerkung des DF.I.853 ist letzteres wegen des quartus imperator – wobei übersehen wurde, dass auch an der ersten Stelle eine falsche Ordinalzahl in Verbindung mit dem Kaisertitel verwendet ist – fälschlich auf unser D.108 bezogen und das DH.IV.267 ausdrücklich ausgeschlossen, welches aber tatsächlich gemeint ist, zumal es ja gänzlich unvorstellbar ist, dass Heinrich V. von Barbarossa als sein proavus bezeichnet worden wäre.

Weil D.108 nicht benützt wurde, fehlen im Barbarossa-Diplom einige Dinge: 1) In erster Linie die Bestimmung über das Wachtgeld (Z.■ – ■).

2) Sodann die Einbeziehung der Juden (Z. ■), die in die VU. (S. 343 Z. 4; s. unsere Anm. f) erst als eine auf D.108 beruhende Interpolation des frühen 13. Jh. gelangten. Die in unserem D. die Konstruktion sprengende Plazierung (daher unten in Parenthese gesetzt) legt den zwingenden Schluss nahe, dass die Formulierung im Konzept nachträglich eingeschoben war; gleichwohl handelte es sich vermutlich um keine inhaltliche Erweiterung gegenüber der Vorurkunde: Während dort nämlich schlechthin von den habitatores die Rede ist (s. Anm. c), worunter die Juden eingeschlossen waren, spricht unser Diplom an dieser Stelle von den Wormser cives, weshalb jetzt die zusätzliche Erwähnung der nicht zu den Bürgern zählenden Juden letztlich zwingend erforderlich war. Im Barbarossa-Diplom ist übrigens prononciert wiederholt (S. 82 Z. 45; S. 83 Z. 1f., 5f., 9, 19 und 34) immer nur von den cives die Rede.

3) Schließlich fehlt unter den Zollstätten das in unserem D. über die VU. hinausgehende Nürnberg, stattdessen erscheinen zusätzlich Nijmegen und Duisburg; die Erweiterungen der Zollstätten-Liste, schon in DH.IV.267 aufgrund der dortigen Lücke (s. Anm. h) ins Auge gefasst, spiegeln keine realen Veränderungen wider, da angesichts der Formulierung in omnibus locis imperiali [VU.: regiae] potestati assignatis in der VU. und in unserem D. jeweils kein erschöpfender Katalog intendiert war, was das Barbarossa-Diplom durch den Abschluss der Liste mit et in locis reliquis ad imperium spectantibus klar herausstellt.

Das D. Ottos IV. von 1208 (B.-Ficker Reg. 248; Boos a.a.O. 1,87 no 110), das (ohne Nennung der Juden) abwechselnd von cives und von habitatores spricht, hat übrigens weder D.108 noch das Barbarossa-Diplom benützt, sondern geht nach Ausweis der Diktatabhängigkeit allein auf das DH.IV.267 zurück, das wiederum mit falscher Ordinalzahl als domini imperatoris Heinrici quarti autenticum privilegium bezeichnet ist; die Liste der Zollstätten ist dort selbständig – daher ohne die Nennung Nürnbergs – um Duisburg und Kaiserswerth erweitert; gegenüber dem DF.I.853 fehlt deshalb auch die dortige vicissitudo, dass die Bürger der anderen Reichsstädte ihrerseits in Worms Zollfreiheit geniessen sollen; als Neuerung enthält das Ottonianum seinerseits das Verbot des Zweikampfs zwischen Wormsern und Auswärtigen.

Die Identifizierung des Angere, bei dem jedenfalls davon auszugehen ist, dass es denselben Ort wie das in dem DKo.III.136 für Kaiserswerth unter den Zollstätten aufgezählte Angera (s. D. *314) meint, ist bis heute nicht unstreitig, vgl. die Zusammenstellung der früheren Deutungen (bis 1971) bei Scholz-Babisch,, Qu. z. Gesch. d. Klevischen Rheinzollwesens 4 no 6 Anm. 1. Während letztere eine von allen abweichende Identifizierung des Angera des DKo.III.136 (vermutlich wegen des dort folgenden nec in Nouiomago) mit dem ca. 9 km nö. Nijmegen (auf der Südseite des Waal) gelegenen Angeren am Nederrijn fordert (ebenso bei Flink in Diestelkamp, Beitr. z. hochmal. Städtewesen 178: Angeren in der Betuwe), dürfte es sich doch wohl am ehesten um das südlich von Duisburg (dieses selbst evtl. später an die Stelle von Angere getreten, s. oben zum D. Ottos IV.) und dicht nö. Kaiserswerth gelegene, heute zur Stadt Düsseldorf gehörende Angermund handeln (so Register zu DDKo.III. S. 631, Engel a.a.O. und zuvor schon in Ravensberger Blätter 1974 no 12 [Juli], 181f.; s.a. B.-Baaken Reg. 344); die früher überwiegende Deutung auf das westfälische Enger w. Herford findet sich zuletzt noch in den Registern zu DDH.IV. S. 868 und zu DDF.I. 4,519 (dort und S. 550 mit der falschen Schreibung Engern); Hirschmann hatte es sogar mit dem, wie das vorangehende Hammerstein, im Kr. Neuwied gelegenen Engers (die Schreibung Engers auch bei Reuter) identifiziert.

Das salva tamen custodia civitatis besagt nach Arnold a.a.O. 195, dass die Bürger für den Erlass des Wachtgeldes jetzt selbst ihre Stadt für den Kaiser bewachen sollten. – Herimannus marchio ist bei Meyer von Knonau a.a.O. 259 mit Anm. 77, wohl wegen seiner Stellung zwischen zwei Grafen, statt mit Markgraf Hermann II. von Baden fälschlich mit dem Grafen Hermann von Winzenburg identifiziert, vgl. dazu Vorbemerkung zu D.127.

(C.) In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Imperialis potestatis est et pietatis omnium servituti congruis respondere beneficiis, videlicet ut, qui in servicii devotione se exibent promtiores, in servicii etiam remuneratione se iudicari digniores gaudeant et sublimiores. Notum igitur esse volumus omnibus Christi nostrique fidelibus tam presentibus quam futuris, qualiter nos ob firmam et inviolabilem fidem, quam Warmacienses cives patri nostro beatę memorię servaverunt et nobis etiam servare debent, consilio etiam et rogatu principum nostrorum, Alberti Maguntini archiepiscopi, Bvrchardî Monasteriensis episcopi, Frederici ducis, Godefridi comitis de Caloen, Herimanni marchionis, Gerardi de Wasemberc, teloneum videlicet, quod pater noster eis remisit, nos etiam eis remittimus – et Iudeis ibidem demorantibus – et stabili privilegio confirmamus in omnibus locis imperiali potestati assignatis, siquidem Franchennevvrt, Boparten, Hamerstein, Drvtmvnni, Goslarię, Angere et Nvorenberc. Insuper etiam censum, quem pro vigiliis omni anno soliti erant, salva tamen custodia civitatis, ut nobis perpetuam fidelitatem conservent, eis condonamus. Quam confirmationem supradictam remissione facta ut nullus successorum nostrorum videlicet regum seu imperatorum infirmare velit, rogamus et pro sui facti cuiuslibet optanda stabilitate obligamus; qui, quod absit, in quo nos infirmat, se et quod fecerit infirmari credat. Hanc igitur confirmationem, ut infra videtur, nostra manu in hac carta, quam scribi iussimus, inscriptam et nostri sigilli impressione insignitam omnis generationis tam futurę quam presentis noticię reliquimus. Et ut omnes horum imitacione regibus et dominis suis discant servare fidelitatem, nos eos omnibus cuiuslibet urbis civibus digniores iudicamus et eis maximam tocius iusticię dignitatem, quam apud predecessores meos et mecum habuerunt, in ęternum firmam concedimus.

Signum domni Heinrici quarti Romanorum imperatoris invic(M.9.)tissimi.

Arnoldus vice Alberti Maguntini archiepiscopi et archicancellarii recognovit. (SI.3.)

Data XVII. kl. novembris, indictione Vta, anno dominicę incarnationis millesimo CXII, regnante Heinrico V. rege Romanorum anno VI, ordinationis eius XII, imperii IIo; actum est Franchenevort; in Christo feliciter amen.