Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde
<<107.>>

Heinrich bestätigt dem Kloster Fruttuaria den Besitzstand, seine Freiheit und das Recht der freien Abtwahl.

Speyer, 1112 Oktober 8.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Abschrift des 17. Jh. aus dem Chartular von Fruttuaria in Recueil de Guichenon tom. 18, Ms. H. 97 f. 136r–v no 196 der Bibliothek der Faculté de médecine zu Montpellier (B).

Drucke: Guichenon, Histoire généal. de Savoye 2, preuves 664 “tirée du Cartulaire de cette Eglise” (g) = Ragioni della sede apostolica nelle presenti controversie colla corte di Torino 2.2 (1732), Somm. di documenti 11 no 10.

Reg.: Ragioni …, Tav. cronol. 26. – Carutti, Reg. com. Sabaudiae 92 no 253. – Ehlers, Metropolis 278 in no 45. – Böhmer Reg. 2023. – Stumpf Reg. 3090.

Das von Guichenon für seinen Druck (g) verwendete, heute verlorene (s. It. pont. 6.2,148f. mit der Sigle “C”) alte Chartular von Fruttuaria war zweifellos auch die Vorlage der Abschrift B; dies geht daraus hervor, dass zwischen B und g nur wenige und meist geringfügige Varianten zu verzeichnen sind (s. Anm. b, d, e, k, m, s, w, o’, u’, w’, y’, z’; wo nur die Sigle B verwendet ist, hat g immer dieselbe Lesung), wogegen die verschiedentlich mit der Doppelsigle Bg gekennzeichneten Gemeinsamkeiten (s. Anm. a, f, n, h’, l’, n’, q’, t’, v’, x’, a”) charakteristisch sind. – Das in It. pont. a.a.O. 149 mit der Sigle “E” als im Gemeindearchiv von San Benigno Canavese befindlich erwähnte “Repertorium antiquarum scripturarum” von 1688 war bei einem Besuch des Archivs unauffindbar; nach der von Cipolla in Atti della R. Accad. di Torino 26,894 gebotenen Auflistung der Diplome enthielt die Handschrift aber auch vermutlich keine Abschrift von D.107.

D.107 ist eine Wiederholung des – seinerseits das DH.III.338 von 1055 wiederholenden – DH.IV.220 von 1069 September 23 (= VU.I), eines der wenigen im Original erhaltenen älteren Diplome (daneben nur noch DDH.II.120 und H.IV.233); in den wenigen selbständigen Teilen (Proto- und Eschatokoll sowie Intervenientenliste) ist es verfasst von Notar Adalbert A, vgl. Hausmann, Reichskanzlei 65 no 47. Das DH.IV.220 hatte die im übrigen nur ganz partiell übernommene Besitzliste seiner Vorurkunde (DH.III.338) um atque cum Uillanoua, Faloa et villa, quę dicitur Airasca erweitert (S. 280 Z. 25f.), wovon Uillanoua Faloa et auf Rasur steht (an der Oberlänge des & ein anscheinend vom getilgten Text stehengebliebener titulus planus). – Die Herausgeber behaupten nun fälschlich, der Text auf Rasur stamme “wohl von gleicher Hand” (vgl. dortige Vorbemerkung und Anm. h), und “können (sich) nicht entschließen”, auf ihrem “Verdacht einer Verunechtung” zu beharren. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei der asyndetischen Einfügung der beiden Ortsnamen um eine Interpolation handelt, die eindeutig von anderer (späterer) Hand stammt (man vergleiche insbesondere die stark nach rechts umgebogenen Enden der Oberlängen der drei l) und für die offensichtlich unser D. die Vorlage bildete (daher in unserem Text dafür keine Kennzeichnung einer Abhängigkeit von VU.I durch Petitsatz). Den Terminus post quem für die Interpolation bildet das – in der Vorbemerkung des DH.IV.220 zu knapp zitierte – Privileg P. Paschals II. von 1110 März 13 (JL 6258; It. pont. 6,2,153 no 15; Guichenon a.a.O. preuves 24 = Migne, PL 163,268 no 292) (= VU.II für die betr. Stelle, s. Anm. g’), das sich auf die Bestätigung des Besitzerwerbs an beiden genannten Orten beschränkt: Agnes siquidem comitissa, Petri marchionis [von Tuszien, † 1078] filia, quæ derelicto sæculo monasterii quietem elegit, medietatem Villæ Novæ monasterio vestro contulit …, quam collationem nostra petiit autoritate firmari …; idipsum de villa Faloe constituimus, cuius medietatem unam ex oblatione Arditionis marchionis, qui per dei gratiam in vestro monasterio conversus est, alteram vero ex venditione fratris eius Manfredi [Dr.: Mam-] marchionis ad vestri cœnobii ius pertinere cognovimus.

Wenn in der Vorbemerkung des DH.IV.220 in einer gewundenen Erklärung zwar konzediert wird, dass es sich “erst um Erwerbungen aus dem Anfang des 12. Jh.” zu handeln scheine, dann aber gesagt wird, es sei “doch auch nicht ausgeschlossen, dass sie schon vierzig Jahre früher [also vor 1069] gemacht waren”, scheitert dies für die Schenkung der Agnes allein schon daran, dass diese als Petentin ja 1110 noch lebte; deren Schenkung war womöglich der unmittelbare Anlass der Ausstellung des Privilegs, in das dann, sicher auf Wunsch des Klosters, nur noch als zusätzlicher Inhalt die Schenkung von Faule Aufnahme fand, die möglicherweise ihrerseits noch nicht sehr lange zurücklag (dass sie etwas älter war, ergibt sich aus dem pertinere cognovimus; zum Markgrafen Arditio von Montferrat vgl. D.*319); nachdem im Privileg nur von der Hälfte von Villa Noua die Rede ist, bleibt unbekannt, auf wen die andere Hälfte dieses Besitzes zurückgeht, deren Erwerb wohl vor 1110 lag, nicht erst zwischen 1110 und 1112 erfolgt sein wird. Für Uillanoua bieten die Register zu DDH.IV. und F.I. disparate Identifizierungen: Da einer der beiden interpolierten Orte, Faule prov. Cuneo, ca. 6 km nö. Moretta liegt, war dies vermutlich der Grund dafür, daß im Register zu DDH.IV. das Uillanoua mit dem ca. 5 km sö. Moretta gelegenen Villanova Solaro identifiziert ist; in DF.I.267 von 1159 April 17, das in seiner Besitzliste eine leicht veränderte Reihenfolge der Ortsnamen bietet, folgen aufeinander Serralonga et Villanoua, weshalb man im Register letzteres mit dem ca. 25 km sö. Turin gelegenen Villanova d’Asti (prov. Asti) und Serralonga mit dessen fraz. Serralunga identifizierte, wohingegen im H.IV.-Register auch dieses anders, nämlich mit dem weit entfernten Serralunga n. Masserano prov. Vercelli, identifiziert ist; ebenso gut könnte man auch Serralunga d’Alba (prov. Cuneo, ca. 9 km sw. Alba und ca. 35 km sö. Villanova Solaro) oder Serralunga di Crea (prov. Alessandria, ca. 12 km sw. Casale Monferrato) in Betracht ziehen! – D.107 hat übrigens, neben dem DH.IV.233 von 1070, dem erwähnten DF.I.267 (= NU.) als teilweise Vorlage gedient. Als Erklärung dafür, dass der nur kurzfristig (s. noch DD.100, †101, 106, 108), zur Entlastung des Erzkanzlers/Kanzlers Adalbert als Rekognoszent beschäftigte Kapellan Arnold, der nie das Kanzleramt innehatte, hier den Titel cancellarius führt, zieht Hausmann a.a.O. 80 neben einer Deutung als Zutat des Kopisten, die uns das Wahrscheinlichste zu sein scheint, in Betracht, es könnte sich um “eine bewusste Fiktion seitens der Kanzlei” gegenüber dem italienischen Empfänger handeln, auf den ja auch mit der Nennung EB. Friedrichs von Köln als des zuständigen Erzkanzlers Rücksicht genommen ist. Eigenartig ist fernerhin, dass nicht der eigentlich zu erwartende, zudem als Intervenient genannte, B. Burkhard von Münster rekognoszierte, der seit Ende 1110 (erstmals in D. †61) italienischer Kanzler war (s. Hausmann a.a.O. 54f.) und seither auch die sonstigen vor dem 2. Italienzug auf deutschem Boden ausgestellten Diplome für italienische Empfänger rekognosziert hatte (s. DD.118, 120–122, 137 und 148) – mit einer einzigen weiteren Ausnahme, dem vom deutschen Kanzler Bruno rekognoszierten D.143 für die Stadt Cremona (s. dortige Vorbemerkung).

In nomine sancte et individue trinitatis. Henricus divina favente clementia quartus Romanorum imperator augustus. Sancte ecclesie profectui tanto largius et diligentius debemus providere, quanto excellentius sublimati sumus ex divino munere. Quapropter omnium dei nostrorumque fidelium tam futurorum quam presentium solers industria noverit, qualiter nos pro amore divino animeque nostre remedio et ob interventum fidelium nostrorum, Vdalrici Aquilegiensis patriarche, Brunonis Treuerensis archiepiscopi, episcoporum quoque: Brunonis Spirensis, Erlundi Werzeburgensis, Burchardi Monasteriensis, Fructuariensi monasterio in honore sancte dei genitricis Marie constructo et sanctorum martyrum Benigni et Tyburtii omnia, que ab avo meo et a patre meo imperatoribus et ab antecessoribus meis regibus vel imperatoribus eidem monasterio quidem sunt tradita aut a quibuscumque iuste et legaliter quomodolibet concessa, imperiali nostra auctoritate confirmare et corroborare decrevimus cum omnibus suis pertinentiis, vel que nunc habet aut deinceps aquirere potuerit, sitis in episcopatibus aut comitatibus Yporediensi videlicet, Taurinensi, Vercellensi, Nouariensi, Mediolanensi, Ticinensi, Terdonensi, Astensi, Albensi, Aquensi, Albigaunensi, Saonensi, Ferrariensi, Parmensi, Augustensi, ea videlicet ratione, ut idem cenobium omnium hominum remota contradictione sit liberum nulliusque potestati subditum. Liceatque monachis, cum venerabilis abbas Almeus, qui nunc preesse videtur, hac vita decesserit, quemcumque velint, ex illis eligere et eundem, a quocumque ipsis placeat, ordinare. Obtineatque prenominatus abbas libere omnia superius memorata cum curte illa Serralonga et castello Longobardorum cum omnibus suis pertinentiis necnon cum prediis omnibus intra fines Morocion positis atque cum illa Villa Noua, quam dedit domina Agnes, filia marchionis Petri, Faloa et villa, que dicitur Ayrasca. Insuper etiam statuimus, ut nullus archiepiscopus, episcopus, dux, comes, vicecomes vel aliqua regni nostri magna parvaque persona presumat [prefatum] monasterium inquietare aut disvestire aut abbati suisque successoribus aliquam molestiam vel iniuriam inferre vel ab eiusdem monasterii abbate vel familia aut villanis ad ipsum locum pertinentibus bannum vel aliquam conditionem requirere aut decimas exigere aut in terris dominicatis aut in agris, pratis, vineis vel rebus aliquibus aut animalibus. Si quis hanc nostram imperialem excellentie confirmationem infringere aut violare presumpserit, mille libras auri optimi componat, medietatem camere nostre et medietatem predicto abbati. Quod ut verius credatur et diligentius ab omnibus observetur, hanc cartam inde conscriptam manu propria, ut infra videtur, corroborantes sigilli nostri impressione iussimus insigniri.

Signum domini Henrici quarti Romanorum imperatoris invictissimi.

Arnoldus cancellarius vice Frederici Coloniensis archiepiscopi [et] archicancellarii recognovi.

Data VIII. id. octobr., indictione V, anno dominice incarnationis MCXII, regnante Henrico quinto rege Romanorum anno VI, ordinationis eius XII, imperii II; actum est Spire; in Christo feliciter [amen].