Sammlung
Eine Sammlung (egal ob kanonische Sammlung oder Briefsammlung) besteht aus einem oder mehr Texten in bestimmter Reihenfolge. Für das Akademieprojekt ist zu unterscheiden zwischen relevanten, vielleicht relvanten und irrelevanten Texten. Erstere sind alle päpstlichen Schreiben bzw. Fragmente solcher Schreiben. Die zweite Gruppe umfasst Texte, die vielleicht aus päpstlichen Schreiben stammen, z.B. Texte die in einer Handschrift als Papstbrief bezeichnet werden (das aber nicht sein müssen) oder umgekehrt Auszüge aus Papstbriefen, die unter einer anderen Bezeichnung in den Handschriften zu finden sind. Die dritte Gruppe sind Texte, die mit Sicherheit nicht auf päpstliche Schreiben zurückgehen, z.B. weil ihre tatsächliche Herkunft von einem Konzil, aus dem römischen Recht, aus der Bibel oder einer anderen fons materialis bekannt ist, oder Texte anderer Art, z.B. Kommentare und andere diskursive Elemente (bei Gratian z.B. causae, questiones, dicta).
Abschriften
Wenn in der Forschung von Sammlungen die Rede ist, dann implizit meist von einer hypothetischen Urfassung, die mit der oder den erhaltenen Handschriften nicht identisch ist. Auch wenn es für die meisten praktischen Fragen keine Rolle spielt, ist es wichtig, dass die (Urfassung der) Sammlung und ihre diversen Handschriften nicht identisch sind. Beispiele für Grenzfälle:
- Von der Sammlung des Deusdedit gibt es nur eine vollständige Abschrift, die noch im Mittelalter angefertigt wurde, und das offenbar kurz nach Fertigstellung der Sammlung. Obwohl fast alles, was wir über Inhalt, Aufbau und Wortlaut der Sammlung wissen, auf dieser einen Handschrift basiert, ist sich die Forschung einig, dass die (Urfassung der) Sammlung in bestimmten Punkten von dieser Sammlung abwich. Zum Beispiel finden sich mehrere Kommentare (getrennt von den Kanones), aber mitten in einem Kanon einmal ein Satz, der in keiner anderen Überlieferung des Kanon zu finden ist und verdächtig wie ein Kommentar aussieht. Die Forschung nimmt daher an, dass Deusdedit den Kanon kommentierte und in seiner (verlorenen) Handschrift der Kommentar auch vom kommentierten Text unterscheidbar war (z.B. am Seitenrand stand oder durch ein spezielles Zeichen als Kommentar markiert war), das aber spätestens bei Anfertigung der erhaltenen Handschrift der Kommentar in den Haupttext gerutscht ist.
- Von der ca. 1095 (mitten im Pontifikat Urbans II.) entstandenen Collectio Britannica gibt es nur eine Handschrift, von der man lange glaubte, sie sei ebenfalls ca. 1095 oder nur wenige jahre später geschrieben worden. Obwohl die erhaltene Abschrift zeitnah und sehr gut ist, hat die Forschung lange spekuliert, ob die (Urfassung der) Britannica nicht von der erhaltenen Fassung abwich und noch nicht die "aktuellsten" Abschnitte mit Papstbriefen von Alexander II. und Urban II. enthielt. Der Grund dafür sind Parallelen zwischen der Britannica und etwas jüngeren Sammlungen, in denen große Teile der Britannica verwendet wurden, aber ausgerechnet die Abschnitte zu Urban II. und seinem Vorgänger Alexander II. nicht. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die anderen Sammlungen eine Kurzfassung verwendeten und erst danach (vielleicht erst bei Anfertigung der erhaltenen Handschrift) eine Langfassung der Britannica angefertigt wurde, indem "aktuelle" Briefe des letzten und des regierenden Papstes engefügt wurden.
Eine Sammlung ist also den erhaltenen Abschriften ähnlich, aber meist nicht identisch mit diesen Handschriften, auch nicht mit dem "Konsens" dieser Handschriften.
Abgrenzung von Sammlungen
Sammlungen unterscheiden sich voneinander durch Auswahl, Anordnung und Wortlaut der enthaltenen Texte. Bei sehr großer Ähnlichkeit in allen drei Bereichen wird man Handschriften als Textzeugen einer Sammlung ansehen, v.a. wenn nur der Wortlaut abweicht. Bei größeren Abweichungen, v.a. in der Anordnung, spricht man meist von Versionen oder Fassungen einer Sammlung. Noch größere Abweichungen werden, auch wenn die Überlappungen groß sein können, als unterschiedliche Sammlungen bezeichnet. Beispiele für Grenzfälle:
- Die Collectio II librorum/VIII partium trägt ihren sperrigen Titel, weil die einzigen beiden Handschriften zwar das gleiche Material in der gleichen Reihenfolge und fast mit identischem Wortlaut überliefern, aber eine Sammlung die Texte in zwei Bücher (libri) einteilt, die andere in acht Bücher oder Teile (partes) eingeteilt ist. Sie werden als Abschriften einer Sammlung behandelt.
- Die Collectio IV librorum hingegen gilt meist als eine von der Collectio LXXIV titulorum verschiedene Sammlung, obwohl der Hauptunterschied in der Einteilung der Kanones einmal in 74 Titel, einmal in vier Bücher besteht. Allerdings enthält die Collectio IV librorum ein paar Kanones, die in der anderen Sammlung nicht enthalten sind.
- Die Handschrift Vat. lat. 1361 galt für den Herausgeber von Anselms Collectio canonum als Abschrift dieser Sammlung; heute wird sie als (einzige) Abschrift einer eigenen Sammlung, der Collectio XIII librorum in Vat. lat. 1361 gewertet. Auch sonst gilt, dass die Forschung die Abschriften von Anselms Sammlung beinahe ebenso vielen Fassungen der Sammlung zuordnet, wie es Handschriften gibt, obwohl die Unterschiede zwischen diesen nicht wesentlich größer sind als zwischen den Abschriften anderer Sammlungen.
Gerade aufgrund der in der Forschung nicht einheitlichen, teils sehr kleinteiligen Unterscheidung vieler Fassungen und des fließenden Übergangs zwischen "Fassungen" und "eigenen Sammlungen" kann es sinnvoll sein, Fassungen einer Sammlung und/oder verschiedene Sammlungen wieder zu Gruppen zusammenzufassen. Zum Beispiel kann für viele Sammlungen festgestellt werden, dass sie mit "74T oder einer verwandten Sammlung" zusammenhängen, aber nicht genau, zu welcher dieser untereinander sehr ähnlichen Sammlungen ein Zusammenhang besteht. Um das abzubilden, kann die Definition von Gruppen sinnvoll sein, die bestimmte Eigenschaften ihrer Mitglieder erben, z.B. terminus post quem, Beziehungen zu anderen Sammlungen oder Gruppen
Unterscheidung nach Inhalt
Viele Sammlungen enthalten sehr unterschiedliche Materialien, also z.B. selten nur Papstbriefe oder Auszüge aus Papstbriefen.
Gliederung
Texte/Kanones
In aller Regel sind die enthaltenen Texte einer Sammlung voneinander abgegrenzt. Die kleinste Einheit ist meist der Kanon. Die Abgrenzung erfolgt z.B. durch Überschriften, Numerierung, Initialen, Leerzeilen oder andere klare Merkmale. Teilweise muss die Entscheidung, wo ein Kanon endet und ein anderer anfängt, aber auch vom Bearbeiter getroffen werden. Ein Beispiel ist die Collectio canonum in Paris, BnF, lat. 13368 (ab fol. 9r, siehe die Bilder hier). Teilweise enthalten die Sammlungen auch Übersichten über den Inhalt, z.B. in Form einer capitulatio, aus einer numerierten Aufzählung der Rubriken aller Kanones der Sammlung oder einzelner Bücher derselben besteht. Diese Zählung taucht dann in der Regel vor den jeweiligen Rubriken wieder auf und erlaubt auch modernen Nutzern eine einfache Zitation ("Buch 2, Kanon 123"); die capitulatio kann auch helfen, ausgefallene Rubriken zu rekonstruieren oder Kanones voneinander abzugrenzen. Allerdings kann die Einteilung in der capitulatio auch von der in der Sammlung selbst abweichen; typisch ist zB dass das Inhaltsverzeichnis nicht angepasst wird, obwohl zusätzliche Kanones in die Sammlung aufgenommen wurden.
Bücher und Titel
Viele Sammlungen, die das Material nach Rechtsmaterien anordnen, sind in Bücher (libri, auch partes genannt) gegliedert, die ihrerseits je einige Dutzend bis einige Hundert Kanones enthalten. Die Nummerierung der Kanones beginnt dann meist mit jedem Buch neu. Manchmal erfolgt die Einteilung in Bücher auch unabhängig von sachlichen Kriterien (Deusdedit, 4L). Die Einteilung in "Titel" ist funktional oft der in Bücher vergleichbar: die gesamte Sammlung wird in Titel eingeteilt, die jeweils eine meist überschaubare Zahl Kanones enthält, oft zu gleichen oder verwandten Themen.
Andere Einteilungen
- Drei Gliederungsebenen: Buch - Titel - Kanon, zB Polycarpus
- Diskursive Elemente: Alger, Gratian