Digitale Briefausgabe Ernst Kantorowicz

Inv.-Nr. 253: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 10.12.1958

Metadaten

Inventar-Nr.: 253
Dateiname: d19581210_kantorowicz_baethgen.xml
Empfänger: Friedrich Baethgen Friedrich Baethgen (1890-1972), dt. Historiker, 1913 bei Karl Hampe über die "Regentschaft von Papst Innozenz III." promoviert. Nach der Habilitation (1920) bei den MGH in Berlin beschäftigt, 1924-1927 außerordentlicher Professor in Heidelberg, wo er Kantorowicz kennenlernte. 1927-1929 2. Sekretär am Preussischen Historischen Institut in Rom, 1929-1939 Ordinarius für Geschichte in Königsberg, 1939-1948 in Berlin, 1948-1959 Präsident der MGH in München.
Schreib-/Versandort: Princeton, New Jersey
Empfängerort: -
Datum des Schreibens: 10.12.1958
Datum des Poststempels: -
Korrespondenzform: Brief
Typ: Typoskript
Umfang: 1 Bl., 1 S.
Aufbewahrung: MGH-Archiv/A 246/II, 5

Brieftext

THE INSTITUTE FOR ADVANCED STUDY
PRINCETON, NEW JERSEY
SCHOOL OF HISTORICAL STUDIES

10. Dezember 1958

Mein lieber Baetghen!

Ihr Brief hat mich weder verstimmt noch gab er Anlass, Ihnen zu zürnen; aber ich verhehle Ihnen nicht, dass ich, wie wir alle hier, ziemlich enttäuscht war [1] . Sehr viele hatten sich auf Ihr Kommen gefreut, und ich natürlich in erster Linie, da ich gehofft hatte, mit Ihnen für viele Abende fach- und menschensimpeln zu können. Bei meinen kurzen Besuchen in MünchenMünchen war das ja nur in beschränktem MahseSic! möglich [2] . Ich verstehe aber, dass Sie sich entscheiden mussten und nicht beides, AkademieBAdW: Bayerische Akademie der Wissenschaften; München und PrincetonPrinceton, New Jersey (USA), vereinen konnten [3] . UbrigensSic! fand ich Sie gesundheitlich im letzten Sommer eigentlich sehr gut, und dass wir mit steigender Senilität uns an das Klapprigerwerden gewöhnen müssen, sowohl bei uns selbst wie bei anderen, ist selbstverständlich.

Ich möchte trotzdem die Möglichkeit Ihres Herkommens zu einer späteren Zeit nicht völlig ausschliessen. 1959-60 würde es allerdings nicht mehr möglich sein, weil wir einen Tag vor dem Einlaufen Ihres Briefes über unsere Mittel bereits disponiert hatten. Sollten Sie im Jahr darauf, also 1960-61, daran denken können, PrincetonPrinceton, New Jersey (USA) zu besuchen (wenn man überhaupt so weit denken kann), so lassen Sie mich das bitte rechtzeitig wissen. Ein einfacher Brief genügt natürlich, da wir ihre Applikation ja noch liegen haben; nur wäre es gut, diesen Brief im Oktober oder November des Jahres zu erhalten, das Ihrem Besuch vorausgehen würde [4] .

An Dr. OppenheimerJ. Robert Oppenheimer (1904-1967), US-amerikan. Physiker; 1947-1966 Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton werden Sie wohl ein paar Zeilen schreiben müssen [5] und ihn davon unterrichten, dass Ihre Neuwahl zum Präsidenten der AkademieBAdW: Bayerische Akademie der Wissenschaften; München etwas Unvorhergesehenes war, und dass Sie sich gerade in Anbetracht des Jubiläumsjahres diesem Vertrauensvotum nicht entziehen konnten [6] . Ich kann Ihnen versichern, dass auch er ziemlich enttäuscht war.

Von mir sonst nichts Neues. Ich werde Sylvester schon im Süden sein und, wie geplant, bis Mitte Januar dort bleiben [7] . Es wird Sie übrigens interessieren, dass der gegenwärtige PapstAngelo Giuseppe Roncalli (1881-1963), als Johannes XXIII. von 1958-1863 Papst, ein alter Freund der Casa OlschkiCasa Editrice Leo S. Olschki; Florenz , an Leonardo OlschkisLeonardo Olschki (1885-1961), ital.-US-amerikan. Romanist, Orientalist und Literaturwissenschaftler; von 1924 bis 1933 Professor in Heidelberg; Emigration nach Italien und dann in die USA SchwesterMargherita Rosenthal, geb. Olschki (1892-1979), jüngere Schwester von Leonardo Olschki, verheiratet mit dem deutsch-US-amerikanischen Antiquar u. Kunsthistoriker Erwin Rosenthal, die in BerkeleyBerkeley, California (USA), Hillside Court, wohnt, einen Brief geschrieben hat, den er jedoch Hellside Court adressierte [8] .

Mit dieser erfreulichen Nachricht, die den Mangel an Unfehlbarkeit beweist, möchte ich schliessen und Ihnen ein gutes Weihnachten und Neues Jahr wünschen.

Alles Herzliche
Ihres
EKa.
Ernst H. Kantorowicz

1Verfasst von: Andreas Öffner. Kantorowicz hatte Baethgen 1956 für das Frühjahrs-Semester 1958 an das Institute for Advanced StudyInstitute for Advanced Study; Princeton, New Jersey eingeladen (Inv.-Nr. 251Inv.-Nr. 251: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 12.11.1956); im Herbst 1957 hatte Baethgen offenbar darum gebeten, den Besuch aus gesundheitlichen Gründen um ein Jahr verschieben zu können (vgl. Inv.-Nr. 252Inv.-Nr. 252: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 17.12.1957). Dass man sich darauf verständigte, geht hervor aus Inv.-Nr. 851Inv.-Nr. 851: Ernst H. Kantorowicz an Leonardo Olschki, 17.02.1958 vom 17.02.1958 an L. Olschki: "Baethgen ist krank geworden und kommt erst im nächsten Jahr."

2Verfasst von: Andreas Öffner. Im August 1958 war Kantorowicz (nach 1953 zum ersten Mal) für fünf Tage in München gewesen, was immerhin mehrere "kurze Besuche" bei Baethgen möglich erscheinen lässt. In Inv.-Nr. 252Inv.-Nr. 252: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 17.12.1957 hatte er sich - wenn auch noch für April - angekündigt. Zur Reise, die Kantorowicz zuvor v.a. nach England, Spanien und Griechenland geführt hatte, vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 349 und 434, für die Chronologie seinen Brief an Elise Peters vom 04.10.1958.

3Verfasst von: Andreas Öffner. Baethgen hatte 1956 zusätzlich zur Präsidentschaft der MGH die der Bayerischen Akademie der Wissenschaften übernommen, was "er selbst als Erfüllung seines Lebens betrachtete" (Schaller, Friedrich Baethgen (1973) Hans Martin Schaller, Nekrolog Friedrich Baethgen, in: Historische Zeitschrift216 (1973), S. 783-786., S. 784).

4Verfasst von: Andreas Öffner. Weitere Schritte Kantorowicz' oder Baethgens, dessen Princeton-Besuch nochmals in die Wege zu leiten, sind wenigstens aus ihrer Korrespondenz nicht bekannt; die "Member Files" des IAS vermerken s.v. "Baethgen, Friedrich" nur die bereits erfolgte Absage: "(declined) 2nd term 1958-59".

5Verfasst von: Andreas Öffner. Anders noch Kantorowicz' nach der ersten Absage Baethgens: "An Oppenheimer brauchen Sie, glaube ich, garnicht zu schreiben" (Inv.-Nr. 252Inv.-Nr. 252: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 17.12.1957).

6Verfasst von: Andreas Öffner. 1959 feierte die Bayerische Akademie der Wissenschaften ihr 200jähriges Bestehen. Baethgens Wahl zu ihrem Präsidenten am 17. Februar 1956 hingegen lag schon ein gutes halbes Jahr zurück, als ihn die erste Andeutung Kantorowicz' bezüglich einer IAS-Einladung erreichte (Inv.-Nr. 956Inv.-Nr. 956: Ernst H. Kantorowicz an Fritz Demuth, 29.07.1938).

7Verfasst von: Andreas Öffner. Kantorowicz verbrachte 1958/59 seinen Winterurlaub auf der Karibikinsel St. John; vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 432.

8Verfasst von: Andreas Öffner. Die Anekdote hatte Leonardo Olschki seinem Freund Kantorowicz in einem Brief vom 03.12.1958 berichtet; zitiert ist der betreffende Passus bei Dörner, La vita spezzata (2005) Anke Dörner, La vita spezzata. Leonardo Olschki: Ein jüdischer Romanist zwischen Integration und Emigration, Tübingen 2005. , S. 325, Anm. 119. Mit Margherita Rosenthal, geb. Olschki und deren Mann war Kantorowicz in Berkeley persönlich gut bekannt gewesen; vgl. ebd. S. 196.

Abbildungen (1)

Das Copyright am Brieftext liegt bei: Ariane Phillips

Projektphase 1: Transkription (Lisa-Maria Speck/Janus Gudian) | Textauszeichnung (Lisa-Maria Speck) | Kommentar (Lisa-Maria Speck)
Projektphase 2: Textauszeichnung (Andreas Öffner) | Kommentar (Martina Hartmann/Andreas Öffner)

Zitierlink zu diesem Datensatz: https://data.mgh.de/databases/eka/eka0253

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