Digitale Briefausgabe Ernst Kantorowicz

Inv.-Nr. 3025: Ernst H. Kantorowicz an Paul Fridolin Kehr, 15.03.1930

Metadaten

Inventar-Nr.: 3025
Dateiname: d19300315_kantorowicz_kehr.xml
Empfänger: Paul Fridolin Kehr Paul Fridolin Kehr (1860-1944), dt. Historiker. 1903-1936 kommissarischer Direktor des Preußischen Historischen Instituts in Rom, 1915-1929 Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive bzw. Direktor des Preußischen Geheimen Staatsarchivs, ab 1917 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Deutsche Geschichte. Zwischen 1919 und 1935 gewählter Vorsitzender der Zentraldirektion der MGH, 1935/36 kommissarisch beauftragter Leiter des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde.
Schreib-/Versandort: Berlin
Empfängerort: -
Datum des Schreibens: 15.03.1930
Datum des Poststempels: -
Korrespondenzform: Brief
Typ: Manuskript
Umfang: 1 Bl., 2 S.
Aufbewahrung: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz/VI. HA, Nl Kehr, P. F., Nr. 20, Bl. 112r–v

Brieftext

[1]

Berlin W. 35
Genthinerstr. 13g.
15. III. 1930.

Hochverehrter Herr Geheimrat [2] !

Mit der gleichen Post erlaube ich mir, Ihnen einen Abdruck meiner Erwiderung Ernst H. Kantorowicz, "Mythenschau". Eine Erwiderung, in: Historische Zeitschrift 141/3 (1930), S. 457-471. an BrackmannAlbert Brackmann (1871-1952), dt. Historiker u. Archivar. Seit 1922 ordentlicher Professor an der Berliner Universität und von Ende 1929 an Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive; Mitherausgeber der Historischen Zeitschrift zu übersenden, der Sie insofern interessieren dürfte, als das Nachwort Brackmanns Albert Brackmann, Nachwort [zu Kantorowicz, Mythenschau], in: Historische Zeitschrift 141/3 (1930), S. 472-478. auch Sie in die Diskussion hineinzieht [3] . Ich vermute, Sie werden an dem Schlusssatz die gleiche Freude haben wie ich sie hatte, als ich mich plötzlich als ein Herakles (myth. Figur)Herakles redivivus am Scheidewege gesehen fand [4] . Aber die Diskussion dürfte damit wenigstens zum Abschluss gekommen sein – zumindest von meiner Seite. –

Im Februar aus Holstein zurückgekommen [5] hatte ich sehr bedauert, Sie hierBerlin nicht mehr angetroffen zu haben. Ich war etwas länger fortgeblieben als ursprünglich beabsichtigt. Aber bei dem damaligen schönen und milden Winterwetter war der Aufenthalt auf dem Land so erfreulich, dass ich gern ein paar Tage länger blieb. Meinen HallenserHalle/Saale Vortrag Ernst H. Kantorowicz, [Vortrag:] Grenzen, Möglichkeiten und Aufgaben der Darstellung mittelalterlicher Geschichte, Vortrag auf dem Historikertag in Halle (1930), ed. Eckhart Grünewald, Sanctus amor patriae dat animum - ein Wahlspruch des George-Kreises? Ernst Kantorowicz auf dem Historikertag zu Halle a. d. Saale im Jahr 1930 (mit Edition), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50/1 (1994), S. 89-125, hier S. 104-125. [6] habe ich indessen dort unter Dach bringen können. Ich glaube, dass er so gefasst ist, dass eine Diskussion nicht ganz leicht sein wird, obwohl die wesentlichen Fragen wohl alle wenigstens angeschnitten sind. Sie wirklich durchzuführen ist bei der beschränkten Zeit von 45 Minuten natürlich kaum möglich.

Gestern brachten hier die Zeitungen die BerlinerFriedrich-Wilhelms-Universität; Berlin Berufungen von CasparErich Caspar (1879–1935), dt. Mittelalterhistoriker u. Diplomatiker; 1909-1920 Mitarbeiter der MGH (Abt. Epistolae), Ordinarius in Königsberg (ab 1920), Freiburg (ab 1929) und Berlin (1930-1935) und HoltzmannRobert Holtzmann (1973-1946), dt. Mittelalterhistoriker; Professor in Gießen (ab 1913), Breslau (ab 1916), Halle (ab 1923) und Berlin (1930-1939), womit dieses schwere Problem wohl gelöst sein dürfte, da man in diesen Fällen mit Ablehnungen nicht wird zu rechnen brauchen.

Mit meinen Arbeiten komme ich ganz gut vorwärts, so dass ich bald an die Placentiner Annalen Annales Placentini (Annalen von Piacenza) herangehen werde, damit meine "stille Liebe" zu dem Arbeitskreis der MonumentaMGH: Monumenta Germaniae Historica; Berlin (1875-1935) / München (1946-) bekundend [7] .

In der Hoffnung Sie hier in BerlinBerlin bald wieder begrüssen zu dürfen, bin ich stets
Ihr sehr ergebener
Kantorowicz.

1Verfasst von: Hedwig Munscheck-von Pölnitz. Oben rechts der blaue Buntstiftvermerk Kehrs "MG". Dieser hatte den Brief also zunächst einer Korrespondenzmappe der MGH zugeordnet (wahrscheinlich aufgrund des erwähnten Editionsprojekts); erst infolge von Kantorowicz' Frankfurter Berufung 1931 legte Kehr einen gesonderten Umschlag mit Kantorowicz-Briefen an. Selbiger gehörte zu dem beruflichen Briefbestand, den er am 16. Januar 1937 in seine Berliner Privatwohnung überführen ließ und dort auch noch aufbewahrte, nachdem seine Papsturkundenmaterialien in der Preußischen Akademie durch das Eingreifen der Gestapo beschlagnahmt worden waren und er unter Beobachtung stand.

2Verfasst von: Hedwig Munscheck-von Pölnitz. Mit Paul Fridolin Kehr stand Kantorowicz nachweislich von 1927 bis 1938 in persönlichem Kontakt. Eine Begegnung schilderte er erstmals am 23. April 1928 in einem Brief an Lucy von Wangenheim (vgl. Grünewald, Kantorowicz und die Monumenta Eckhart Grünewald, Ernst Kantorowicz und die Monumenta Germaniae Historica in den 1930er Jahren, in: Menschen und Strukturen: Annäherungen an eine MGH-Geschichte 1919 bis 1959. Beiträge der Tagung im Oktober 2023 in der Akademie für Politische Bildung Tutzing, hg. v. Martina Hartmann/Annette Marquard-Mois/Maximilian Becker (Studien zur Geschichte der Mittelalterforschung 3), Wiesbaden (voraussichtlich 2024). ), es ist aber davon auszugehen, dass sich beide schon im Oktober 1927 am Preußischen Historischen Institut im Rom getroffen hatten: Kantorowicz arbeitete dort am Ergänzungsband zu "Friedrich II.", sein Aufenthalt von Oktober bis November ist dokumentiert etwa durch einen Brief an Karl Hampe (Inv.-Nr. 12), einen aus Rom nach Berlin gesendeten Brief Otto Vehses an Kehr vom 3. Dezember 1927 (Archiv des DHI Rom, R3 Personal, Nr. 73, Bl. 45) oder seine Unterschrift im Gästebuch vom 28.11.1927 (ebd., S1 Institutsgeschichte, Nr. 76, o.Bl.); Kehr weilte und wohnte 1927 vom 2. zum 28. Oktober im Palazzo Lazzaroni, dem Sitz des Instituts (vgl. Kehr, Liber Vitae, hg. v. Munscheck-von Pölnitz (in Vorbereitung) Paul Fridolin Kehr, Liber Vitae Pauli Fridolini Kehr (Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nl Kehr, P.F., Nr. 183), ed. Hedwig Munscheck-von Pölnitz (in Vorbereitung)., Bl. 105r). Von vertrauensvollen Gesprächen der beiden Historiker über Stefan George und Kehrs Wertschätzung für Kantorowicz' Geschichtsdarstellung spricht Ladner, Erinnerungen (1994) Gerhard Ladner, Erinnerungen, hg. v. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 617), Wien 1994. , S. 29; danach Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 165 ff.

3Verfasst von: Hedwig Munscheck-von Pölnitz. Kantorowicz bezieht sich hier auf den vorletzten Satz in Brackmann, Nachwort [zu Kantorowicz, Mythenschau] (1930) Albert Brackmann, Nachwort [zu Kantorowicz, Mythenschau], in: Historische Zeitschrift 141/3 (1930), S. 472-478. , S. 477 f.: "Denn in Kantorowicz steckt doch zugleich ein 'Positivist', der sein Buch durch gründliches Quellenstudium unterbaut hat und der seit geraumer Zeit eine stille Liebe zu dem Arbeitskreis der Monumenta Germaniae historica bekundet, so daß noch gar nicht abzusehen ist, ob er am Ende seiner Entwicklung bei Stefan George oder bei Paul Kehr stehen wird." Kantorowicz' Erwiderung auf Brackmanns Akademie-Vortrag (bzw. Brackmann, Kaiser Friedrich II. in "mythischer Schau" (1929) Albert Brackmann, Kaiser Friedrich II. in "mythischer Schau", in: Historische Zeitschrift 140/3 (1929), S. 534-549. ) und das Nachwort seines Kontrahenten zu dieser Erwiderung erschienen gemeinsam in Heft 3 des HZ-Bandes 141, das (anders als die Hefte 1 und 2) 1930 herauskam. Zum 'Schlagabtausch' in der Historischen Zeitschrift vgl. Kantorowicz' Briefe an Brackmann (Inv.-Nr. 3022Inv.-Nr. 3022: Ernst H. Kantorowicz an Albert Brackmann, 05.08.1929, Inv.-Nr. 3023Inv.-Nr. 3023: Ernst H. Kantorowicz an Albert Brackmann, 15.09.1929 und Inv.-Nr. 3024Inv.-Nr. 3024: Ernst H. Kantorowicz an Albert Brackmann, 27.10.1929) sowie Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 153-157.

4Verfasst von: Martina Hartmann. In einem Brief an Maurice Bowra von 1959Inv.-Nr. 75: Ernst H. Kantorowicz an Maurice Bowra, 21.06.1959 bezeichnete Kantorowicz sich nochmals als Herakles am Scheideweg, als er durch dessen Vermittlung die Eastman-Professur in Oxford für ein Jahr hätte bekommen können; er blieb jedoch in Princeton.

5Verfasst von: Martina Hartmann. Kantorowicz war seit 5.1.1930 im "Haus am Hang", einer Villa in Malente-Gremsmühlen in der Holsteinischen Schweiz, die sein Vater 1918 gekauft hatte und in der auch seine Mutter nach dem Tod des Vaters gelegentlich lebte; vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 115 und S. 182 (zum Verlust der Villa im Jahr 1931).

6Verfasst von: Martina Hartmann. Der Vortrag fand am 24.4.1930 auf dem 17. Deutschen Historikertag in Halle an der Saale statt; vgl. dazu Grünewald, Kantorowicz und Stefan George (1982) Eckhart Grünewald, Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beiträge zur Biographie des Historikers bis zum Jahre 1938 und seinem Jugendwerk "Kaiser Friedrich der Zweite" (Frankfurter historische Abhandlungen 25), Wiesbaden 1982. , S. 90–101 und Grünewald, Sanctus amor (1994) Eckhart Grünewald, Sanctus amor patriae dat animum - ein Wahlspruch des George-Kreises? Ernst Kantorowicz auf dem Historikertag zu Halle a. d. Saale im Jahr 1930 (mit Edition), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50/1 (1994), S. 89-125. (mit Edition).

7Verfasst von: Hedwig Munscheck-von Pölnitz. Obwohl Kantorowicz keine Editionserfahrung vorweisen konnte, erhoffte sich Kehr von ihm eine Neuedition der um 1235 entstandenen Annales Placentini, die bereits 1862 und 1901 bei den MGH herausgegeben worden waren; vgl. Kehr, Bericht 1929 (1932) Paul Fridolin Kehr, Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica [1929], in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 49 (1932), p. I-XII., p. IV, der dort die von Brackmann, Nachwort [zu Kantorowicz, Mythenschau] (1930) Albert Brackmann, Nachwort [zu Kantorowicz, Mythenschau], in: Historische Zeitschrift 141/3 (1930), S. 472-478. , S. 477 f. ( s.o.). in die Welt gebrachte, von Kantorowicz aufgegriffene Formulierung von der "stillen Liebe" reiterierte: "Eine längst notwendige neue Ausgabe der Annales Placentini Gibellini nach der Londoner Hs. will Dr. Ernst Kantorowicz übernehmen und damit seiner 'stillen Liebe' zu den Monumenta Germaniae offnen Ausdruck leihen". Die Edition kam nie zustande.

Abbildungen (2)

Das Copyright am Brieftext liegt bei: Ariane Phillips

Projektphase 1: -
Projektphase 2: Transkription (Hedwig Munscheck-von Pölnitz) | Textauszeichnung (Andreas Öffner) | Kommentar (Hedwig Munscheck-von Pölnitz/Martina Hartmann)

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