Inv.-Nr. 2028: Ernst H. Kantorowicz an Karl Hampe, 15.09.1932
Metadaten
| Inventar-Nr.: | 2028 |
| Dateiname: | d19320915_kantorowicz_hampe.xml |
| Empfänger: |
|
| Schreib-/Versandort: | Frankfurt am Main |
| Empfängerort: | - |
| Datum des Schreibens: | 15.09.1932 |
| Datum des Poststempels: | - |
| Korrespondenzform: | Brief |
| Typ: | Manuskript |
| Umfang: | 3 Bl., 6 S. |
| Aufbewahrung: | Universitätsbibliothek Heidelberg?/Heid. Hs. 4067 III A - 189; Blatt 13-14? |
Brieftext
Frankfurt, 15. 9. 32.
Nehmen sie vielen herzlichen Dank für Ihre Besprechung Karl Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II., in: Historische Zeitschrift 146 (1932), S. 441–475. des "Fr. II. Ernst H. Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite, Band [1], Berlin 1927. ", mit der ich den heutigen Vormittag verbrachte [2] . Eine Kritik in dieser Form ist für den Kritisierten nur eine wirkliche, grosse Bereicherung und Belehrung, und ich wüsste nicht einen Punkt zu nennen, wo ich Ihnen nicht beipflichtete, Ihnen nicht für die Hinweise zu danken hätte [3] . Insgesamt sehe ich ja die eignen |Seitenwechsel Schwächen vieleicht noch schärfer u. ich wäre bei einer Selbstkritik in der Lage, viel schonungsloser vorzugehen – was allerdings nicht in meiner Absicht liegt. Ihre freundlichen Begleitworte: "Trotz der Meinungsverschiedenheiten freundschaftlichst" kann ich mir nur insofern nicht zu eigen machen, als ich die Meinungsverschiedenheiten wirklich nicht als erheblich ansehen kann – zumindest ist aber der Verschiedenheit der Meinung bisher von keiner Seite solches Verständnis entgegengebracht worden, u. kaum je wurde es so leicht gemacht, etwaige Mulden – statt der sonstigen Abgründe – zu |Seitenwechsel überbrücken. Gerade hierfür möchte ich Ihnen ganz besonders danken. Insgesamt hat Ihnen ja der Anmerkungsband Ernst H. Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband. Quellennachweise und Exkurse, Berlin 1931. schon gezeigt, dass ich selbst gewissen Absolutierungen und Übertreibungen skeptisch gegenüberstehe, und vor einer Anzahl von Formulierungen würde ich mich heute auch etwas mehr in Acht nehmen, oder aber die Dinge anders formulieren [4] . Was mich ganz besonders gefreut hat, ist Ihre scharfe Abwehr von Urteilen "nicht tiefer eindringender Leser" [5] und ebenso einige weitere sousentendu's, die Sie eingeflochten haben. – Was |Seitenwechsel übrigens C. F. MeyerConrad Ferdinand Meyer (1825-1898), Schweizer Dichter anbetrifft, so handelt es sich darum, dass er zunächst eine Novelle oder gar ein Drama: Petrus de Vinea Conrad Ferdinand Meyer, Entwürfe zu: Petrus Vinea [ca. 1881/91] schreiben wolle, mit dem er jedoch nicht recht zustande kam [6] . Schliesslich übernahm er die wesentlichen Teile der VineaPetrus de Vinea (†1249), ital. Jurist u. Poet; Kanzler Friedrichs II.-Charakteristik in seine Novelle "Der Heilige Conrad Ferdinand Meyer, Der Heilige [1880]" zu Schilderung des Thomas BecketThomas Becket (1118-1170), engl. Geistlicher u. Politiker; 1155-1162 Lordkanzler Heinrichs II., dann bis zu seiner Ermordung Ebf. v. Canterbury [7] . Über Fr. II.Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250), Kg. v. Sizilien, röm-dt. Kg., 1220-1250 Ks. selbst hat sich C. F. MeyerConrad Ferdinand Meyer (1825-1898), Schweizer Dichter an der gleichen Stelle auch recht ausführlich geäussert: er lässt DanteDante Alighieri (1265-1321), ital. Dichter in einem längeren Gespräch – ich glaube mit CangrandeCangrande (I.) della Scala (1291-1329), ital. Adliger; 1308-1329 Herr von Verona, Widmungsempfänger von Dantes "Paradiso" – begründen, weshalb er den Kaiser, den er doch so verehrte, in die Flammensärge versetzte [8] .. |Seitenwechsel dies [9] alles für das "Nachleben" recht interessant. –
Eine ganz aufschlussreiche Unterhaltung hatte ich vor ein paar Wochen mit Dr. BenzErnst Wilhelm Benz (1907-1978), dt. evangelischer Theologe u. Kirchenhistoriker mit dem Forschungsschwerpunkt Mystik. 1929 Dr. phil (Tübingen), 1931 theol. Habilitation (Halle), ab 1935 außerordentlicher, ab 1937 und 1946-1973 ordentlicher Professor in Marburg.-HalleHalle/Saale, dem JoachimJoachim von Fiore (†1202), kalabresischer Abt u. Geschichtstheologespezialisten, von dem ein erster Aufsatz Ernst Benz, Joachim-Studien I. Die Kategorien der religiösen Geschichtsdeutung Joachims, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 50 (1931), S. 24-111. in der Z. f. Kirch. G.Zeitschrift für Kirchengeschichte: seit 1877 erscheinende "Zeitschrift der Sektion für Kirchengeschichte im Verband der Historiker Deutschlands" erschien. Er ist eben dabei, einzelne Vineabriefe & BriefSic! des des VineaPetrus de Vinea (†1249), ital. Jurist u. Poet; Kanzler Friedrichs II.kreises "joachitisch" zu analysieren [10] , was für die Wirksamkeit dieser spiritualen Mystik in der Kanzlei nicht ohne Interesse sein dürfte. |Seitenwechsel Von BaethgenFriedrich Baethgen (1890-1972), dt. Historiker, 1913 bei Karl Hampe über die "Regentschaft von Papst Innozenz III." promoviert. Nach der Habilitation (1920) bei den MGH in Berlin beschäftigt, 1924-1927 außerordentlicher Professor in Heidelberg, wo er Kantorowicz kennenlernte. 1927-1929 2. Sekretär am Preussischen Historischen Institut in Rom, 1929-1939 Ordinarius für Geschichte in Königsberg, 1939-1948 in Berlin, 1948-1959 Präsident der MGH in München., der mich gestern & vorgestern hier besuchte, hörte ich zu meiner grossen Freude, dass es Ihnen gesundheitlich nach Wunsch gehe. Ich werde im Laufe der Ferien bestimmt nach HeidelbergHeidelberg kommen u. hoffe dann sehr, mich davon überzeugen zu können, wie gut Sie sich in den Ferien erholt haben.
Nehmen sie mit nochmaligem Dank alle guten Wünsche u. die besten Empfehlungen an
Ihre Frau GemahlinCharlotte Hampe, geb. Rauff (1883-1950), seit
1903 verheiratet mit Karl Hampe Ihres Ihnen aufrichtig
ergebenen
Abbildungen (6)
Das Copyright am Brieftext liegt bei: Ariane Phillips
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1Verfasst von: Andreas Öffner. Die Seiten auf dem oberen Rand von anderer Hand durchnumeriert von 1-6, die S. 5 von Kantorowicz' Hand als "II." Wahrscheinlich entfallen die Seiten 1-4 also auf einen gefalteten oder Doppel-Bogen.
2Verfasst von: Andreas Öffner. Den Hauptband hatte Hampe Korrektur gelesen (vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 151 sowie sein Korrekturbogen-Exemplar in der Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 4067 IV - 10), für seine Besprechung aber die Veröffentlichung des darin angekündigten wissenschaftlichen Unterbaus Ernst H. Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband. Quellennachweise und Exkurse, Berlin 1931. abgewartet: "Das Erscheinen des schon 1927 angekündigten Ergänzungsbandes zu dem in erstaunlich weite Kreise gedrungenen Buche von Ernst Kantorowicz 'Kaiser Friedrich der Zweite' ermöglicht endlich nach der hinlänglich bekannten, in dieser Zeitschrift [sc. der HZ] Bd. 140 und 141 sowie auf dem Hallenser Historikertag geführten Polemik und einigen vorläufigen Besprechungen eine eingehendere kritische Würdigung, die einem solchen Werk gegenüber unabweisliche Pflicht ist" (Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II. (1932) Karl Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II., in: Historische Zeitschrift 146 (1932), S. 441–475., S. 441).
3Verfasst von: Andreas Öffner. Was den Ergänzungsband anbelangt, fiel Hampes Besprechung rundweg positiv aus: "Um es gleich zu sagen: die Quellenbeherrschung, die dieser Unterbau in Weite und Enge erfüllt, darf als vorbildlich bezeichnet werden. Noch nie ist [...] das Gesamtmaterial so umfassend durchgearbeitet, ausgewertet und reinlich vorgelegt, wie es hier geschehen ist" (Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II. (1932) Karl Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II., in: Historische Zeitschrift 146 (1932), S. 441–475., S. 441). Die kritische Würdigung des Hauptbandes hingegen wirkt trotz positivem Tenor und Resümee (s.u.) etwas ambivalenter und grundsätzlicher, als es Kantorowicz' Antwort vielleicht erwarten ließe: Während Hampe Kantorowicz' Sorgfalt, den künstlerischen Stil und die Geschlossenheit seiner Darstellung sowie die Eigenständigkeit seines Deutungsversuchs nachdrücklich begrüßt (vgl. ebd. S. 444), spricht doch ein deutlicher Vorbehalt aus seiner Kritik an der 'weltanschaulichen' Verhaftung, der "stark konstruktive[n] Neigung" und dem Hang besagter Deutung, "die Zurückhaltung bedächtigen Sinnsuchens [...] mit geistvoller, oft sehr subjektiver Sinngebung zu vertauschen (ebd. S. 445).
4Verfasst von: Andreas Öffner. Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II. (1932) Karl Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II., in: Historische Zeitschrift 146 (1932), S. 441–475., S. 475 hatte nach einigen "Randbemerkungen", mit denen er die "Gefahrenzonen" der Kantorowicz'schen "Schaffensart" andeuten wollte (vgl. S. 447-449, für die Zitate S. 449; gemeint ist wieder die "konstruktive Neigung", s.o.), und einem kritischen Durchgang durch das Buch (vgl. ebd. S. 449-475) die Ebene der Formulierungen angesprochen und ein positives Fazit gezogen: "Es handelt sich bei den abweichenden Meinungen über die Stärke der Ausdrücke oftmals um Unterschiede des Temperaments. Und auch zu vielen anderen Differenzpunkten [...] möge man bedenken, daß sie sich gerade einer besonders originellen Leistung gegenüber häufen müssen. Daß aber eine solche von ungewöhnlichem Ausmaß vorliegt, dafür sei dem Verf. hier am Schluß der Dank all derer ausgesprochen, denen die Geschichte des letzen großen Stauferkaisers am Herzen liegt."
5Verfasst von: Andreas Öffner. Vgl. (mit Zitat aus Köhler, Historie und Metahistorie (1930) Walter Köhler, Historie und Metahistorie in der Kirchengeschichte (Philosophie und Geschichte 28), Tübingen 1930., S. 28, Anm. 32) Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II. (1932) Karl Hampe, Das neueste Lebensbild Kaiser Friedrichs II., in: Historische Zeitschrift 146 (1932), S. 441–475., S. 441: "Ganz unmöglich dürfte es auch für einen nicht tiefer eindringenden Leser sein., K.s Buch etwa hinzustellen 'als warnendes Beispiel einer Schau, die über die Kleinarbeit hinwegspringt'."
6Verfasst von: Andreas Öffner. Für die diversen Entwürfe zu Novelle bzw. Trauerspiel - der Autor schwankte zwischen beiden Formen - vgl. Meyer, Sämtliche Werke 15, hg. v. Luck (1985) Conrad Ferdinand Meyer, Sämtliche Werke, Bd. 15: Clara. Entwürfe. Kleinere Schriften, hg. v . Rätus Luck, Bern 1985., S. 57-79; dazu ebd. S. 399-455. Unvollendet blieb unter den mediviävistischen Stoffen Meyers auch seine Arbeit an "Pseudoisidor" (vgl. ebd. S. 95–99 und 496–514).
7Verfasst von: Andreas Öffner. Für den Text der Novelle vgl. Meyer, Sämtliche Werke 13, hg. v. Zäch (1962) Conrad Ferdinand Meyer, Sämtliche Werke, Bd. 13: Der Heilige. Die Versuchung des Pescara, hg. v . Alfred Zäch, Bern 1962., S. 5-147. Petrus de Vinea wie Thomas Becket treten bei Meyer in ihrer politischen Funktion als "Kanzler" auf.
8Verfasst von: Andreas Öffner. Vgl. Inferno, Canto X, 118-120 und XIII, 55-78 (Dante, Die Göttliche Kommödie (1949) Dante Alighieri, Die Göttliche Kommödie. Italienisch und Deutsch. Übersetzt von Hermann Gmelin, 3 Bde., Stuttgart 1949., S. 124 f. bzw. 154-157) und dazu den Zwischen-Dialog aus der Rahmenhandlung in Meyers "Die Hochzeit des Mönchs Conrad Ferdinand Meyer, Die Hochzeit des Mönchs [1884]" (Meyer, Sämtliche Werke 14, hg. v. Zäch (1961) Conrad Ferdinand Meyer, Sämtliche Werke, Bd. 14: Die Hochzeit des Mönchs. Das Leiden eines Knaben. Die Richterin, hg. v . Alfred Zäch, Bern 1961., S. 43 f.): "'Darf ich unterbrechen?' fragte Cangrande, der höflich genug gewesen war, eine natürliche Pause der Erzählung [Dantes] abzuwarten. [...] 'Traust du dem unsterblichen Kaiser jenes Wort von den drei großen Gauklern zu?' [...] Dante verneinte mit einer deutlichen Bewegung des Hauptes. 'Und doch hast du ihn als einen Gottlosen in den sechsten Kreis deiner Hölle verdammt. Wie durftest du das? Rechtfertige dich!' 'Herrlichkeit', antwortete der Florentiner, 'die Kommödie spricht zu meinem Zeitalter. Dieses aber liest die fürchterlichste der Lästerungen mit Recht oder Unrecht auf jener erhabenen Stirne. Ich vermag nichts gegen die fromme Meinung. Anders vielleicht urteilen die Künftigen.' 'Mein Dante', fragte Cangrande zum andern Mal, 'glaubst du Petrus de Vinea unschuldig des Verrates an Kaiser und Reich?' [...] Dante verneinte mit derselben Gebärde. 'Und du lässest den Verräter in deiner Kommödie seine Unschuld beteuern?' 'Herr', rechtfertigte sich der Florentiner, 'werde ich, wo klare Beweise fehlen, einen Sohn der Halbinsel mehr des Verrats bezichtigen, da schon so viele Arglistige und Zweideutige unter uns sind?' 'Dante, mein Dante', sagte der Fürst, 'du glaubst nicht an die Schuld, und du verdammst! Du glaubst an die Schuld und du sprichst frei!'"
9Verfasst von: Andreas Öffner. Auf dem oberen Rand die Blattzahl "II."
10Verfasst von: Andreas Öffner. Vgl. dann Benz, Ecclesia spiritualis (1934) Ernst Benz, Ecclesia spiritualis, Stuttgart 1934. , S. 225-234.