Die Urkunden Heinrichs V. und der Königin Mathilde

Abbildungsverzeichnis der europäischen Kaiser- und Königsurkunden

<<84.>>

Heinrich bestätigt der bischöflichen Kirche von Passau die von Bischof Ulrich vorgenommene Schenkung des von seinen Vorfahren ererbten Besitzes zu Mertingen.

Passau, 1111 Juni 24.

Vorbemerkung Thiel, Stand: 2010

Original (............) im Bayer. Hauptstaatsarchiv zu München (A).

Druck aus A: Mon. Boica 29.1,224 no 438.

Reg.: Lang, Reg. Boica 1,113. – Boshof, Passauer Reg. 1,143 no 481. – Böhmer Reg. 2003. – Stumpf Reg. 3065.

DD.84 und 85 stammen von ein- und demselben Schreiber. Doch ist in D.84 das Vorbild einer Kaiserurkunde eher erreicht, was dadurch ermöglicht wurde, dass der Schreiber in D.84 größeren Zeilenabstand wahren konnte, weil auf einem nicht sehr viel kleineren Perg.-Blatt nur etwa ein Drittel des Textumfangs von D.85 untergebracht werden musste. In D.84 sind daher die Ober- und Unterlängenverzierungen reicher; ct- und st-Ligaturen sind zumeist auseinandergezogen, in D.85 nie; außerdem ist gegenüber dem regelmäßigen titulus planus des D.85 in D.84 immer ein dipl. Kürzungszeichen verwendet. – Ein weiterer graphischer Unterschied betrifft das Minuskel-a: Während in D.85 ausschließlich die karolingische Form begegnet, erscheint in D.84 daneben häufig, aber in ganz ungleichmäßigem Wechsel das offene a; ebenso unregelmäßig ist die Umlautschreibung ae (immer mit offenem a) neben dem häufigeren ę anzutreffen; das ae erscheint in aecclesiae in Z. 4. des Or. auch im Anlaut, in den folgenden Vorkommen des Wortes ist dies aber regelmäßig zu accl- geschrumpft (Z. 6 [2x] † 7; vgl. Anm. c).

Letzteres spricht nun dafür, dass der Schreiber diese ihm offenbar ganz unvertraute Schreibung sowohl des offenen a wie des damit gebildeten ae einem Vorbild entnahm. Erster deutlicher Hinweis auf das denkbare Vorbild ist die Schreibung des amen in D.84, das neben Minuskel-e und Kapitalis- N ein griechisches M verwendet (zwei durch langen waagerechten Strich miteinander verbundene abgewandte Halbbögen). Dies ist nun, neben der durchgängigen Verwendung von offenem a und der ae-Schreibung, typisch für den meistbeschäftigten, seit 1071 tätigen Notar Heinrichs IV., Adalbero C (Faks.-Beispiele in Kaiserurk. in Abb. Lief. 2 Taf. 24/25 = DH.IV. 278 und 328), von dessen Hand auch das DH.IV.273 von 1074 für St. Nikola stammt; nur verwendet Adalbero C auch für das Schluß-n anscheinend regelmäßig die griechische Form (vordere Hälfte des oben beschriebenen M); D.85 hat dasselbe N, bietet das M jedoch als Unziale und für den Buchstaben e das griechische H. Das Or. von DH.IV.273 könnte auf den ersten Blick auch das graphische Vorbild für D.84 abgegeben haben. Übereinstimmungen finden sich darüberhinaus – dies zugleich in D.85 – in der Gestaltung der Elongata der 1. Zeile, vornehmlich für die regelmäßige Schreibung des offenen a mit stark gebrochenen Schäften, wobei D.85 dem Vorbild noch näher steht, da hier häufiger (in divina favente und imperator augustus; D.84 nur in den beiden letzten Wörtern) die beiden a-Schäfte über das Schriftband hinausgehende schräge Verlängerungen haben; das elongierte offene a begegnet in D.84 auch in der Datierung bei Actum und amen, in D.85 nur bei Actum. Dem Vorbild der Schreibgewohnheiten des Adalbero C entspricht in der Elongata beider Urkunden außerdem die Ausstattung der zweiten Schäfte von N und U mit Unterlängen. Schließlich entspricht auch das Schluss-m des in Elongata geschriebenen perpetuum in D.85 der beschriebenen griechischen Form, ferner in D.84 die Schreibung des sanctae mit der auseinandergezogenen ct-Ligatur.

Doch gibt es in D.84 eine bestimmte Buchstabenform, die wohl zwingend nahelegt, dass der Schreiber nicht bzw. nicht nur DH.IV.273 als Vorbild verwendet hat, sondern ein anderes, ebenfalls von Adalbero C geschriebenes Original gekannt hat: Das a von At (Z. 13; s. Anm. i) ähnelt einer Kombination aus karolingischem und offenen a, so als wäre dem Bogen eines karolingischen a links noch ein Bogen oder als wäre einem offenen a rechts noch ein in den Oberlängenbereich ragender Schrägschaft angefügt. Genau dieselbe Form begegnet nun beispielsweise in dem von Adalbero C geschriebenen und alle oben vermerkten graphischen Besonderheiten (einschließlich der Schreibung des amen) aufweisenden DH.IV.306 für die bischöfliche Kirche zu Augsburg von 1078 März 20 (Or. im Staatsarchiv Augsburg, Hochst. Augsburg Urk. 13; früher Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Kaiserselekt no 426) zweimal, bei dem mit Majuskeln geschriebenen Augustensi/Augustensis (S. 402 Z. 27 u. 33).

Da aus Passau außer DH.IV.273 kein weiteres Diplom Heinrichs IV. überliefert ist, liegt die Vermutung nahe, die graphische Vorlage in dem von Gawlik angenommenen, aber von ihm als “unsicher” bezeichneten und auf “um 1067 – 1073 März 3” datierten Deperditum DH.IV.*493 für St. Nikola zu suchen. – Die obere Datierungsgrenze des Deperditums müsste dann aufgrund der Urheberschaft des Adalbero C auf nach 1071 eingeengt werden, ließe sich bei Überprüfung weiterer Originale wohl noch genauer fixieren.

Aber auch die untere Zeitgrenze muss nicht mit dem Privileg P. Alexanders II. vom 3. März 1073, in dem die Stiftung und Dotierung von St. Nikola durch die Kaiserin Agnes bereits erwähnt wird, zusammenfallen; Heinrich IV. kann diese Aktion seiner Mutter durchaus erst später beurkundet haben: In diesem Zusammenhang ist jedenfalls auffällig, dass bei Adalbero C, der in der Formulierung seiner Apprekatio eine sehr große Variationsbreite zeigt, ein exakt mit D.84 übereinstimmender Wortlaut nur noch ein einziges Mal begegnet, bei DH.IV.283 von 1076 April 21; sonst am ähnlichsten noch in DD.295 und 296, beide von 1077 Juni 11, jedoch D.295 endend mit feliciter amen, aber ohne nostri, und D.296 endend mit bloßem feliciter (die Abweichungen womöglich durch nur kopiale Überlieferung beider Stücke verursacht); die häufigste Formulierung präsentiert das oben erwähnte DH.IV.273 mit in nomine domini Iesu amen (erstmals D.260).

Übrigens ist die knappe Formulierung von D.85 wohl nur als Verkürzung des in D.84 vollständig übernommenen Vorbilds anzusehen.

In nomine sanctae et individuae trinitatis. Heinricus divina favente clementia imperator augustus cunctis Christi fidelibus imperpetuum. Religiosorum et bonorum virorum desideriis ac petitionibus tanto faciliorem adhibere debemus assensum, quanto inde nostrum imperium confirmari ac dilatari et in futuro a summo principe, qui est rex regum et imperator imperatorum, regnum nobis confidimus preparari cęlorum. Notum igitur fieri volumus omnibus nostris, immo Christi fidelibus, tam futuris quam presentibus, quod reverentissimus ac beatus vir Ǒdalricus, sacrosanctę Patauiensis aecclesiae episcopus, predium et hereditatem, quę sibi in loco, qui dicitur Mardingen, in provincia Sueuia, in pago Ǒgesgowe, maiorum suorum successione provenerat, super altare beati Stephani protomartyris, Patauiensis acclesiae patroni, cum omnibus appendiciis et pertinentiis suis, familia scilicet, acclesiis (!), villis, molendinis, agris, pratis, silvis, piscationibus, aquis, pascuis, viis, exitibus et reditibus, cultis et incultis, quesitis et non quesitis, sicut ad eum patrum suorum hereditate descendit, ad utilitatem acclesiae et servitium dei, prout ipse ordinaverit, pro remedio animae suę parentumque suorum ac nostri prosperitate imperii potestativa manu tradidit nostramque clementiam id suscipere atque tueri postulavit, ea videlicet conditione, ut ministri et servientes eius eo iure et lege, qua ceteri beati Stephani ministri ac servientes vivunt, utantur, et ut nullus successorum suorum potestatem habeat id cuiquam in b[e]neficium prestare vel concambio mutare nisi in presentia regis vel imperatoris, qui tunc regnum gubernat. Cuius petitioni tanto clementius annuimus, quanto eam dignam coram deo et hominibus perpendimus, ut, qui oblationis eius tutores atque adiutores existimus, remunerationis quoque eius participes efficiamur. Unde ut hęc traditio firma rataque omni futuro tempore permaneat, nostra imperiali auctoritate precipimus et confirmamus. At si aliquis inimicus dei, quod absit, hoc imperiale edictum temere violare presumpserit, iram dei nostręque potentię vindictam et defensionem sibi non dubitet affuturam. Hęc igitur omnia ut firma illibataque permaneant, kartam presentem nostrę confirmationis testem scribi iussimus, quam, ut infra videtur, manu nostra confirmatam et sigilli [nostri] impressione insignitam omnis generationis tam futurę quam presentis noticię relinquimus.

Signum domni Heinrici Romanorum imperatoris invictissimi. (M.4.) (SI.3.)

Adalbertus cancellarius recognovit.

Actum Patauie anno incarnationis domini millesimo CXI, indictione IIIIa, VIII. kl. ivlii, anno Vo regni Heinrici imperatoris huius nominis quinti, imperii vero primo; in nomine domini nostri Iesv Christi amen.