Original (............) im Bayer. Hauptstaatsarchiv zu München (A).
Druck aus A: Mon. Boica 29.1,224 no
438.
Reg.: Lang, Reg. Boica 1,113. – Boshof, Passauer Reg. 1,143 no 481. – Böhmer
Reg. 2003. – Stumpf
Reg. 3065.
DD.84 und 85 stammen von ein- und demselben Schreiber. Doch ist in
D.84 das Vorbild einer Kaiserurkunde eher erreicht, was dadurch
ermöglicht wurde, dass der Schreiber in D.84 größeren Zeilenabstand
wahren konnte, weil auf einem nicht sehr viel kleineren Perg.-Blatt
nur etwa ein Drittel des Textumfangs von D.85 untergebracht werden
musste. In D.84 sind daher die Ober- und Unterlängenverzierungen
reicher;
ct- und
st-Ligaturen sind zumeist auseinandergezogen, in D.85 nie; außerdem ist
gegenüber dem regelmäßigen titulus planus des D.85 in D.84 immer ein
dipl. Kürzungszeichen verwendet. – Ein weiterer graphischer
Unterschied betrifft das Minuskel-a: Während in D.85 ausschließlich die karolingische Form begegnet,
erscheint in D.84 daneben häufig, aber in ganz ungleichmäßigem Wechsel
das offene
a; ebenso unregelmäßig ist die Umlautschreibung
ae (immer mit offenem
a) neben dem häufigeren ę anzutreffen; das
ae erscheint in
aecclesiae in Z. 4. des Or. auch im Anlaut, in den folgenden Vorkommen des Wortes
ist dies aber regelmäßig zu
accl- geschrumpft (Z. 6 [2x] † 7; vgl. Anm. c).
Letzteres spricht nun dafür, dass der Schreiber diese ihm offenbar
ganz unvertraute Schreibung sowohl des offenen
a wie des damit gebildeten
ae einem Vorbild entnahm. Erster deutlicher Hinweis auf das denkbare
Vorbild ist die Schreibung des
amen in D.84, das neben Minuskel-e und Kapitalis-
N ein griechisches
M verwendet (zwei durch langen waagerechten Strich miteinander
verbundene abgewandte Halbbögen). Dies ist nun, neben der
durchgängigen Verwendung von offenem
a und der
ae-Schreibung, typisch für den meistbeschäftigten, seit 1071 tätigen
Notar Heinrichs IV., Adalbero C (Faks.-Beispiele in Kaiserurk. in Abb.
Lief. 2 Taf. 24/25 = DH.IV. 278 und 328), von dessen Hand auch das
DH.IV.273 von 1074 für St. Nikola stammt; nur verwendet Adalbero C
auch für das Schluß-n anscheinend regelmäßig die griechische Form (vordere Hälfte des oben
beschriebenen
M); D.85 hat dasselbe
N, bietet das
M jedoch als Unziale und für den Buchstaben
e das griechische
H. Das Or. von DH.IV.273 könnte auf den ersten Blick auch das graphische
Vorbild für D.84 abgegeben haben. Übereinstimmungen finden sich
darüberhinaus – dies zugleich in D.85 – in der Gestaltung der Elongata
der 1. Zeile, vornehmlich für die regelmäßige Schreibung des offenen
a mit stark gebrochenen Schäften, wobei D.85 dem Vorbild noch näher
steht, da hier häufiger (in
divina favente und
imperator augustus; D.84 nur in den beiden letzten Wörtern) die beiden
a-Schäfte über das Schriftband hinausgehende schräge Verlängerungen
haben; das elongierte offene
a begegnet in D.84 auch in der Datierung bei
Actum und
amen, in D.85 nur bei
Actum. Dem Vorbild der Schreibgewohnheiten des Adalbero C entspricht in der
Elongata beider Urkunden außerdem die Ausstattung der zweiten Schäfte
von
N und
U mit Unterlängen. Schließlich entspricht auch das Schluss-m des in Elongata geschriebenen
perpetuum in D.85 der beschriebenen griechischen Form, ferner in D.84 die
Schreibung des
sanctae mit der auseinandergezogenen
ct-Ligatur.
Doch gibt es in D.84 eine bestimmte Buchstabenform, die wohl zwingend
nahelegt, dass der Schreiber nicht bzw. nicht nur DH.IV.273 als
Vorbild verwendet hat, sondern ein anderes, ebenfalls von Adalbero C
geschriebenes Original gekannt hat: Das
a von
At (Z. 13; s. Anm. i) ähnelt einer Kombination aus karolingischem und
offenen
a, so als wäre dem Bogen eines karolingischen
a links noch ein Bogen oder als wäre einem offenen
a rechts noch ein in den Oberlängenbereich ragender Schrägschaft
angefügt. Genau dieselbe Form begegnet nun beispielsweise in dem von
Adalbero C geschriebenen und alle oben vermerkten graphischen
Besonderheiten (einschließlich der Schreibung des
amen) aufweisenden DH.IV.306 für die bischöfliche Kirche zu Augsburg von
1078 März 20 (Or. im Staatsarchiv Augsburg, Hochst. Augsburg Urk. 13;
früher Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Kaiserselekt no
426) zweimal, bei dem mit Majuskeln geschriebenen
Augustensi/Augustensis (S. 402 Z. 27 u. 33).
Da aus Passau außer DH.IV.273 kein weiteres Diplom Heinrichs IV.
überliefert ist, liegt die Vermutung nahe, die graphische Vorlage in
dem von Gawlik
angenommenen, aber von ihm als “unsicher” bezeichneten und auf “um
1067 – 1073 März 3” datierten Deperditum DH.IV.*493 für St. Nikola zu
suchen. – Die obere Datierungsgrenze des Deperditums müsste dann
aufgrund der Urheberschaft des Adalbero C auf nach 1071 eingeengt
werden, ließe sich bei Überprüfung weiterer Originale wohl noch
genauer fixieren.
Aber auch die untere Zeitgrenze muss nicht mit dem Privileg P.
Alexanders II. vom 3. März 1073, in dem die Stiftung und Dotierung von
St. Nikola durch die Kaiserin Agnes bereits erwähnt wird,
zusammenfallen; Heinrich IV. kann diese Aktion seiner Mutter durchaus
erst später beurkundet haben: In diesem Zusammenhang ist jedenfalls
auffällig, dass bei Adalbero C, der in der Formulierung seiner
Apprekatio eine sehr große Variationsbreite zeigt, ein exakt mit D.84
übereinstimmender Wortlaut nur noch ein einziges Mal begegnet, bei
DH.IV.283 von 1076 April 21; sonst am ähnlichsten noch in DD.295 und
296, beide von 1077 Juni 11, jedoch D.295 endend mit
feliciter amen, aber ohne
nostri, und D.296 endend mit bloßem
feliciter (die Abweichungen womöglich durch nur kopiale Überlieferung beider
Stücke verursacht); die häufigste Formulierung präsentiert das oben
erwähnte DH.IV.273 mit
in nomine domini Iesu amen (erstmals D.260).
Übrigens ist die knappe Formulierung von D.85 wohl nur als Verkürzung
des in D.84 vollständig übernommenen Vorbilds anzusehen.