Digitale Briefausgabe Ernst Kantorowicz

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Inv.-Nr. 254: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 15.12.1961

Metadaten

Inventar-Nr.: 254
Dateiname: d19611215_kantorowicz_baethgen.xml
Empfänger: Friedrich Baethgen Friedrich Baethgen (1890-1972), dt. Historiker, 1913 bei Karl Hampe über die "Regentschaft von Papst Innozenz III." promoviert. Nach der Habilitation (1920) bei den MGH in Berlin beschäftigt, 1924-1927 außerordentlicher Professor in Heidelberg, wo er Kantorowicz kennenlernte. 1927-1929 2. Sekretär am Preussischen Historischen Institut in Rom, 1929-1939 Ordinarius für Geschichte in Königsberg, 1939-1948 in Berlin, 1948-1959 Präsident der MGH in München.
Schreib-/Versandort: Princeton, New Jersey
Empfängerort: -
Datum des Schreibens: 15.12.1961
Datum des Poststempels: -
Korrespondenzform: Brief
Typ: Typoskript
Umfang: 1 Bl., 2 S.
Aufbewahrung: MGH-Archiv/A 246/II, 5

Brieftext

22 ALEXANDER STREET
PRINCETON, N.J.

15. XII. 1961

Mein lieber Baetghen -

Ich habe Ihnen eine traurige Nachricht zu übermitteln: Leonardo OlschkiLeonardo Olschki (1885-1961), ital.-US-amerikan. Romanist, Orientalist und Literaturwissenschaftler; von 1924 bis 1933 Professor in Heidelberg; Emigration nach Italien und dann in die USA ist am 7. Dezember gestorben, in BerkeleyBerkeley, California (USA). Er hatte durch ein paar Wochen an Angina pectoris gelitten, kam dann nach San FranciscoSan Francisco, California (USA) ins Hospital, wo er prompt eine Embolie bekam, liess sich trotzdem wieder nach Hause bringen, und starb dann innerhalb von 24 Stunden. Er war 76 und war bis zuletzt noch tätig und arbeitsam. Mir schrieb er vor einigen Wochen noch einen lustigen Brief über die Götter in Uniform Ernst H. Kantorowicz, Gods in Uniform, in: Proceedings of the American Philosophical Society 105 (1961), S. 368-393. [1] . Sie sind wohl das letzte überlebende Mitglied der "Incalcata" [2] ausser SchrammPercy Ernst Schramm (1894-1970), dt. Historiker und nach dem Krieg einflussreicher Historiker als Mediävist und als Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs; Mitglied der Zentraldirektion der MGH, und ich frage mich, ob Sie nicht für das DADA: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters; Köln Weimar Wien einen Nachruf verfassen wollen [3] . Mit Daten, soweit ich sie habe, stehe ich Ihnen gern zu Seite. Schliesslich war er doch einer der besten Mediaevisten, die wir gehabt haben und verdient es wahrlich, wenigstens commemoriert zu werden.
Ihnen geht es hoffentlich nicht schlechter als zur Zeit unseres Wiedersehens [4] , oder eher besser wegen des |Seitenwechsel reduzierten Gewichts trotz der 2000 Kalorien unseres Essens bei WalterspielRestaurant Walterspiel (1926-1944 und 1950-1995): Renommiertes Restaurant im Hotel "Vier Jahreszeiten" in der Münchener Maximilianstraße. Ich habe auch meine in Europa [5] zugesetzten Pfunde indessen verloren und bin gut beisammen, soweit das in unserem Alter möglich ist. Um ein Übriges zu tun, fahre ich, wie immer um diese Zeit, nach dem karibischen Meer, den Virgin Islands (vormals Dänisch West-Indien) [6] , und freue mich für ein paar Wochen der Kälte zu entfliehen, zu schwimmen, und den Pelikanen wie den Delphinen zuzuschauen. Aus Haien mache ich mir weniger.
HeydenreichLudwig H. Heydenreich (1903-1978), dt. Kunsthistoriker, der sich intensiv mit Leonardo da Vinci beschäftigte war eben ein Semester hier bei uns und hatte, glaube ich, eine gute arbeits- und genussreiche Zeit [7] . Sie sehen ihn wohl gelegentlich bei einem der selten gewordenen Besuche der MGHMGH: Monumenta Germaniae Historica; Berlin (1875-1935) / München (1946-).
Lassen Sie mich Ihnen ein gutes Neues Jahr wünschen. Gesundzubleiben ist in unserem Alter die Hauptsache, und das wünsche ich Ihnen vor allem, mir aber den MONARCHIA Dante Alighieri, Monarchia -Aufsatz [8] .

Wie immer alles sehr Herzliche und alle guten Wünsche
Ihres senilisierenden [9]
EKa.

1Verfasst von: Andreas Öffner. Am 10. November des Vorjahres hatte Kantorowicz "einen Vortrag von 20 Minuten in Philadelphia über die 'Götter in Uniform' [gehalten], und das gleiche in erweiterte [sic] Fassung und für die reife Jugend in Dumbarton Oaks" (Inv.-Nr. 863Inv.-Nr. 863: Ernst H. Kantorowicz an Leonardo Olschki, 05.02.1961 vom 5. Februar 1961 an Olschki). In einer Antwort vom 15. Juni äußerte Olschki seine Vorfreude auf die Lektüre: "Synthronoi, Götter im Uniform, creatio ex nihilo und noch Ungeborenes werde ich mit soviel Jubel als Wehmut empfangen. Nur mal her damit" (zitiert nach Dörner, La vita spezzata (2005) Anke Dörner, La vita spezzata. Leonardo Olschki: Ein jüdischer Romanist zwischen Integration und Emigration, Tübingen 2005. , Anhang 3, S. 336). Der "lustige Brief" selbst scheint nicht erhalten zu sein.

2Verfasst von: Martina Hartmann. Diesem Heidelberger Zirkel, der 'unverkalkten' Akademie, die "nur Noch-Nicht-Arrivierte auf[nahm] und [...] Ordinarien strikt aus[schloss]", hatten neben Olschki, Baethgen und Schramm auch Gerhard Ritter und Heinrich Zimmer angehört; vgl. Dörner, La vita spezzata (2005) Anke Dörner, La vita spezzata. Leonardo Olschki: Ein jüdischer Romanist zwischen Integration und Emigration, Tübingen 2005. , S. 24. Zur Academia incalcata id est collegium eruditorum nondum calcatorum vgl. Herklotz, Richard Krautheimer (2021) Ingo Herklotz, Richard Krautheimer in Deutschland. Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere 1925-1933, Münster-New York 2021., S. 353 mit Verweis auf Schmugge, Stephan Kuttner (2015) Ludwig Schmugge, Der Kirchenrechtler Stephan Kuttner zwischen Deutschland und Rom bis zur Emigration in die USA (1930–1940), in: Orte der Zuflucht und personeller Netzwerke. Der Campo Santo Teutonico und der Vatikan 1933–1955, hg. v. Michael Matheus/Stefan Heid, Freiburg 2015, S. 76-93., S. 80 f. sowie Steuer, Deutsche Prähistoriker (2001) Heiko Steuer, Eine hervorragende nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900-1995, Berlin-New York 2001.; zu Schramm als Mitglied Thimme, Percy Ernst Schramm (2006) David Thimme, Percy Ernst Schramm und das Mittelalter. Wandlungen eines Geschichtsbildes (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 75), Göttingen 2006., S. 204 ff.

3Verfasst von: Martina Hartmann. Diesen Vorschlag hat Baethgen nicht aufgegriffen - vermutlich, weil im Deutschen Archiv nur Nachrufe auf Editoren oder Zentraldirektoren der MGH veröffentlicht wurden. Zu den erschienenen Nachrufen auf Olschki vgl. Dörner, La vita spezzata (2005) Anke Dörner, La vita spezzata. Leonardo Olschki: Ein jüdischer Romanist zwischen Integration und Emigration, Tübingen 2005. , S. 245 f.

4Verfasst von: Andreas Öffner. Kantorowicz hatte im Zuge seiner Europareise von 1961 wohl im September "36 Stunden in München wegen einer Institutes-Sache" [sic!] verbracht (Inv.-Nr. 4193Inv.-Nr. 4193: vom 29.11.1961 an Eva Pietrkowski/Peters; danach auch Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 349). Vielleicht war bei den "Unterhaltungen mit drei Menschen, die ich sehr gut kannte - Kollegen" (ebd.) neben Baethgen auch der amtierende MGH-Präsident Herbert Grundmann zugegen, der im Rahmen der Zentraldirektionssitzung vom 3./4. Oktober zu Protokoll gab, "daß H. Kantorowicz erklärt habe, daß für H. Fowler [d.i. Georg B. Fowler) keine amerikanischen Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden" (MGH-Archiv, B 769/Id). Vielleicht handelte es sich also bei der "Instituts-Sache" um die Edition der Schriften Engelberts von Admont, mit der Fowler nicht vorankam. Kantorowicz war seit 1948/49 korrespondierendes Mitglied der Zentraldirektion (vgl. Inv.-Nr. 969Inv.-Nr. 969: Ernst H. Kantorowicz an Friedrich Baethgen, 30.01.1949 und Baethgen, Bericht für die Jahre 1943-1948 (1950) Friedrich Baethgen, Monumenta Germaniae Historica. Bericht für die Jahre 1943-1948, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 8 (1950), S. 1-25. , S. 10).

5Verfasst von: Andreas Öffner. Kantorowicz' Europareise hatte ihn vor allem nach Griechenland, Rom und schließlich auch Paris geführt; vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 458 f.

6Verfasst von: Martina Hartmann. Zu Kantorowicz' Urlauben auf den Virgin Islands vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 452.

7Verfasst von: Martina Hartmann. Ludwig Heydenreich war ein Schüler von Erwin Panofsky und hatte es sicher dessen Fürsprache zu verdanken, dass er nach Princeton eingeladen wurde. Die "Member files" des IAS (hier online) nennt die Jahre 1961-62 als Bewilligungszeitraum des Forschungsaufenthalts.

8Verfasst von: Martina Hartmann. Baethgens "Monarchia-Aufsatz" Friedrich Baethgen, Die Entstehungszeit von Dantes Monarchia. Vorgelegt am 1. Febr. 1957 (Sitzungsberichte 1966/5), München 1966. , der auf einen 1957 gehaltenen Vortrag zurückging, erschien erst nach dem Tod Kantorowicz'. Dieser war an dem Thema besonders interessiert, weil er selbst gelegentlich Seminare über den Dante-Text hielt; vgl. Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 328 und 403.

9Verfasst von: Andreas Öffner. Laut Lerner, Kantorowicz (2020) Robert E. Lerner, Ernst Kantorowicz. Eine Biographie, Stuttgart 2020. , S. 430 waren "Senilität" und "die Angst vor dem Alter" seit Kantorowicz' 60. Geburtstag, also lange bevor im Sommer 1962 das letztlich tödliche Aneurysma diagnostiziert wurde - "zur fixen Idee" geworden.

Abbildungen (4)

Das Copyright am Brieftext liegt bei: Ariane Phillips

Projektphase 1: Transkription (Lisa-Maria Speck/Janus Gudian) | Textauszeichnung (Lisa-Maria Speck) | Kommentar (Lisa-Maria Speck)
Projektphase 2: Textauszeichnung (Andreas Öffner) | Kommentar (Martina Hartmann/Andreas Öffner)

Zitierlink zu diesem Datensatz: https://data.mgh.de/databases/eka/eka0254

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