Maximilian Gamer, Die Polygraphia des Johannes Trithemius nach der handschriftlichen Fassung. Edition, Übersetzung und Kommentar (Mittellateinische Studien und Texte 56,1–2) Leiden / Boston 2022, Brill, XV u. 253 S. bzw. 505 S., ISBN 978-90-04-52508-5 bzw. 978-90-04-46709-5 (Bd. 1) bzw. 978-90-04-50774-6 (Bd. 2), EUR 120. – Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Sponheimer und später Würzburger Abts Johannes Trithemius († 1516) wird maßgeblich durch seine kryptographischen Werke Steganographia und Polygraphia bestimmt, die zu seinen Lebzeiten nicht in den Druck kamen, da die ältere, unvollendete Steganographia im Verdacht stand, schwarze Magie zu kolportieren. Um diesem Vorwurf zu entkommen, verfasste der Abt mit der Polygraphia ein bewusst auf Orthodoxie angelegtes neues Werk, das hauptsächlich aus Kodierungstabellen besteht, denen kurze schriftgeschichtliche Einleitungen vorangestellt wurden. Es ist Kaiser Maximilian I. gewidmet; ein autographes Dedikationsexemplar wurde ihm am 8. Juni 1508 überreicht (jetzt ÖNB Wien, Cod. 33081). Trithemius hat jedoch weiter daran gearbeitet und 1514 und 1515 zwei weitere autographe Hss. angefertigt, die heute in Celle (Bibl. des Oberlandesgerichts, Grupensche Stiftung C 23) und Wolfenbüttel (Herzog August Bibl., 8. Aug. fol.) liegen, sowie bereits eine Reihe von Abschriften mit hohem Quellenwert. Erst zwei Jahre nach dem Tod des Autors kam es 1518 in Basel zum Erstdruck, dem ein weiteres, heute verschollenes Autograph zugrunde lag. G. hat bereits vor Veröffentlichung dieser Edition auf die hohe Varianz zwischen den einzelnen Fassungen hingewiesen; unter anderem konnte er aufzeigen, dass die Stuttgarter Hs. (Landesbibl., poet. et phil. 2o 89) nicht als Autograph gelten kann. Im ersten Band erläutert er auch die herausragende Stellung des Werks innerhalb der Geschichte der Kryptographie und stellt die Ergebnisse seiner Kollationsarbeit konzise zusammen; im zweiten Band wird der Text der Polygraphia mit der Wiener Hs. als Leiths. geboten, der sich erheblich von der Druckfassung 1508 unterscheidet und z.B. noch nicht auf die ‘Hunibald’-Fiktion zugreift, durch die Trithemius sein Renommé als Historiker verspielte. Auch wenn die typographisch präzise aufbereiteten Worttabellen auf den ersten Blick nicht dem entsprechen, was man als historischen Text anzusprechen gewohnt ist, steht hier eine einzigartige Quelle zur Schriftlichkeit im Umfeld Kaiser Maximilians und zu frühhumanistischem Nachdenken über die Geschichte von Schrift überhaupt zur Verfügung.
A. M.-R.