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Ryan Thornton, Franciscan Poverty and Franciscan Economic Thought (1209–1348) (The Medieval Franciscans 21) Leiden / Boston 2023, Brill, XI u. 344 S., ISBN 978-90-04-53532-9, EUR 134. – Th. schließt an eine fundamentale Grundfrage der Franziskanerforschung an, nämlich an die nach dem Grad und der Durchführbarkeit des von Franziskus vorgegebenen Prinzips der radikalen Armut. Der Vf. möchte dem Verhältnis von gelebter Armut und der Entwicklung der Armutstheorie bei den Franziskanern nachgehen („how the way that the Friars Minor practiced poverty influenced the way that they thought about matters economic“, S. 25). Diese nach Jahrzehnten immer noch hochspannende Frage nach dem Verhältnis von Norm und Realität im Franziskanerorden untersucht er anhand sehr bekannter Quellen von der frühen Phase unter Franziskus bis ins Jahr 1348. Zugleich verfolgt er chronologisch die wichtigsten Etappen der Ordensgeschichte. Ein zentrales Problem des gewählten Ansatzes ist die Arbeit allein aus normativen Quellen, die die Lebensrealität der durchaus heterogenen Ordensmitglieder und Strömungen im Orden kaum wiedergibt. Klar wird allerdings, dass sich quasi seit Anbeginn ein stetiger ordensinterner Diskurs entspann, der das Thema Armut im Mittelpunkt hatte. Inwieweit gerade dieser Diskurs die wirtschaftstheoretischen Texte späterer Zeit geprägt hat, die auf Entwicklungen wie die kommerzielle Revolution reagierten, ist schwer zu ergründen – taucht die freiwillige Armut als Abgrenzungsprinzip der nach Selbstperfektion strebenden Minderbrüder doch zu selten auf in den Texten, die die Franziskaner eher in ihrer Rolle als Seelsorger, Beichtväter und Prediger adressieren. Diese Diskrepanz stellt ein methodisches Problem dar. Es wird auch deutlich, dass Armut bei den Franziskanern immer schon ein fluider Begriff ist, der sich in der Regel und im Testament des Ordensgründers als humilitas, minoritas und penitentia findet, während in päpstlichen Bullen wie Exiit qui seminat Nikolaus’ III. von 1279 oder Quo Elongati Gregors IX. von 1230 – die der Vf. durchaus immer wieder als Leittexte betrachtet – das Prinzip der Armut stärker betont wird. In ihnen geht es um die Rolle des sine proprio, den Umgang mit Geld, um den Lebensunterhalt durch Arbeit, um den Umgang mit Besitz (Gebrauch vs. Besitz) und um die Rolle von Stellvertretern (nuncii) als Besitz- und Geldverwalter. Das Buch bietet hier in weiten Teilen eine verdienstvolle Relektüre sehr bekannter und gut beforschter Quellentexte, die allerdings kaum überraschende Ergebnisse zu bringen vermag. Ein Beispiel hierfür ist der Traktat De contractibus des Petrus Johannis Olivi, der bereits von Giacomo Todeschini und auch von Sylvain Piron nicht nur jeweils ediert, sondern auch gründlichst analysiert wurde. Hier bringt die Auswertung einiger einschlägiger Textstellen (S. 155–165) leider kaum neue Erkenntnisse, was auch daran liegt, dass Olivi das Thema Armut in diesem Text gar nicht anschneidet. Der Vf. bemerkt zur diesem Befund, dass Indizien ja mehr als nichts sind („a weak indication is not a lack of indication“, S. 165), was nicht sehr befriedigend ist. Der Mangel an klaren Bezügen zwischen den Motiven Armut und Wirtschaft allgemein liegt an der etwas zu kurz kommenden Quellenkritik. Denn die Traktate waren bestimmt als Beichthandbücher für Beichtväter u.a. von Kaufleuten. In dieser Konkretheit in Bezug auf die Anwendbarkeit (Abschluss von Handelsverträgen, Rückzahlung von Darlehen und Restitution im Schadensfall) liegt ihre Stärke, was aber auf der anderen Seite auch das Fehlen des Themas Armut erklärt. Überhaupt ist die Frage nach der Sicht franziskanischer Theoretiker auf die Wirtschaft ihrer Zeit einschließlich der Kernthemen Handel, Verträge, Wucher und Zins m.E. durchaus entkoppelt von der gelebten freiwilligen Armut und der immer wieder debattierten Frage nach dem usus pauper im Orden. Hinzu kommt, dass sich der Orden immer schon durch heterogene Strömungen auszeichnete (z.B. im Konflikt mit den provenzalischen Ordensleuten, darunter Olivi), die die Regel des Franziskus und die des Ordens doch unterschiedlich auslegten. Nach der Lektüre bleibt zu konstatieren: Den verwendeten Quellen zufolge können wir franziskanische Armut hier vor allem als eine Norm greifen, als Forderung nach Armut in der Regel und in den päpstlichen Bullen. Doch wie können wir jemals wissen, wie diese Regeln befolgt und/oder ausgelegt wurden? Wie haben die Brüder – von denen viele aus reichen Elternhäusern stammten – wirklich gelebt, und wie haben sie ihre Ansichten in Predigt und Seelsorge vertreten? Das bleibt an dieser Stelle offen. Interessante Entwicklungen im Diskurs um Armut und Wirtschaft gab es vor allem auch im 14. und 15. Jh. (v.a. Bernardino da Siena und Eiximenes), diese werden leider nur ausblickartig im Epilog angeschnitten. Dennoch baut das Buch hier eine wichtige Brücke zur späteren Wirtschaftstheorie der Franziskaner. Th. liefert eine kluge, gelehrte und in einer sehr klaren und verständlichen Sprache verfasste Studie, die eine gute Orientierung und Einführung in die Thematik bis in die Mitte des 14. Jh. bietet. Dabei gerät er jedoch auch an die Grenzen dessen, was seine normativen Texte hergeben.

Tanja Skambraks