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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Anne T. Thayer, Thomas Swalwell. A Monastic Life in Books (Library of the Written Word 135 – The Manuscript World 16) Leiden / Boston 2025, Brill, XL u. 388 S., ISBN 978-90-04-72010-7, EUR 175. – Im ausgehenden MA gehörte Durham zu den mächtigsten und reichsten benediktinischen Kathedralprioraten Englands. Die Notwendigkeit einer Reform von Kirche und Klöstern sah man, doch niemand rechnete mit der Radikalität der von Heinrich VIII. und seinen Beratern in den 1530er Jahren in Gang gesetzten Umwälzungen. Sie beendeten die monastische Geschichte Englands. In dieser Umbruchzeit lebte Thomas Swalwell, ein hochgelehrter Benediktiner und fähiger Verwalter, dem die Gnade zuteil wurde, 1539 kurz vor Schließung seines eigenen Klosters zu sterben. Predigten, Beichtsummen oder hochgelehrte theologische Traktate aus seiner Feder sind nicht überliefert. Was sich aber erhalten hat, sind knapp 50 Hss. und Drucke, die er im Lauf der Jahre mit Randnotizen versehen hatte. Mit diesen Marginalien beschäftigt sich Th., „seeking to understand how the information and wisdom he found in his many books resourced his very full devout and scholarly monastic life“ (S. XI). Dabei kontextualisiert sie breit, und so erfährt man en passant sehr viel Erhellendes zur (benediktinischen) Rechtswirklichkeit im spätma. England – vom Privileg des Kirchenasyls über die Erhebung (und Begründung) des Zehnten bis hin zu disziplinarischen Maßnahmen gegenüber Mitbrüdern. Gegliedert ist die Arbeit in zwei große Abschnitte (I. Monastic Life; II. Religious Landscape) mit insgesamt neun Kapiteln. Die Marginalien geben Einblick in die Denkweise und Lebenswelt Swalwells. Man erfährt vieles über intellektuelle Interessen und monastische Pflichten, über spirituelle Werte und die Antworten, die er auf Fragen zu geben wusste, die den turbulenten (kirchen)politischen Zeitläuften geschuldet waren: „Reading Swalwell’s marginalia is akin to looking over his shoulder as he works“ (S. 1) Seine Schrift, die sich mit fortschreitendem Alter „verunklarte“, verlangte der Vf. einiges an paläographischen Fähigkeiten ab. Besonders interessant sind diejenigen Passagen, die Swalwell im Lauf seines Lebens mehrfach kommentierte und die von einer großen geistig-theologischen Beweglichkeit zeugen. Wenig überraschend standen Werke, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der (praktischen) Pastoral stehen, im Mittelpunkt. Doch auch das im monastischen Kontext so bedeutsame Gebetsleben wurde qua Marginalien immer wieder bedacht und durchdrungen. Annotierend brillierte Swalwell weniger auf dem Gebiet der individuellen geistigen Entfaltung als im Prozess eines Sich-Einreihens in vorgegebene Traditionslinien, was aber gerade nicht heißt, dass zeitgenössische, humanistisch grundierte Auffassungen nicht auch in seine theologischen Überlegungen mit hineingeflossen wären. Die Marginalien verweisen auf eine umtriebige Persönlichkeit und auf die geschäftige und zunehmend unruhige Welt, in der sie lebte – eine Welt, in der Bescheidenheit (humilitas) und die Liebe zu Gott zwar der monastische Goldstandard blieben, in der man aber übler Nachrede und Verleumdung ebenso begegnen musste wie Verweltlichungstendenzen und laxer Moral. Die Spannung zwischen dem Wortlaut der Benediktsregel und ihrer zeitgenössischen Interpretation galt es kommentierend immer wieder neu zu hinterfragen. Dass ein Mönch in Durham Ende des 15. Jh. jährlich rund 1000 kg Fleisch und 365 kg Fisch verzehrte, bedurfte einer Begründung. Alle diejenigen seiner Mitbrüder, die, gut ausgebildet, auf pastorales Engagement (insbesondere auf die Predigt) verzichteten, betrachtete Swalwell mit Argwohn und annotierte: Scientiae talentum est donum Dei (zit. S. 111). Man bedauert, dass sich von Swalwells eigenen Predigten nichts erhalten hat. Lediglich ein Blatt, auf dem er knapp die Struktur einer (von ihm zu haltenden) Predigt gegen einen seine Pflichten vernachlässigenden Klerus notierte, ist überliefert. Deutlich wird aber, dass er keinerlei Berührungsängste gegenüber antiken Autoren hatte und auch den Einsatz von Exempla befürwortete. Bildung, egal ob scholastisch oder humanistisch grundiert, war für Swalwell ein hohes Gut. Lernen war eine geistige Ressource, die es zu teilen galt, und seine Marginalien bieten vielfältige Einblicke in die oft unsichtbare Welt des Lehrens und Lernens innerhalb des Klosters. Mit jüdischer und muslimischer Lehre setzte sich Swalwell auseinander, vermied dabei aber jedwede böswillige Polemik. Anders präsentiert sich die Behandlung der lutherischen Theologie, durch die seine eigene monastische Existenz in Zweifel gezogen wurde. Die Grundzüge des Lehrgebäudes waren ihm zwar allein aus den Schriften der Gegner Luthers bekannt, er kommentierte aber trotzdem unmissverständlich: Lutherus contra Christum oder Lutherus detestandus (S. 310). Th. leistet Großartiges darin, auf der Grundlage von Swalwells Marginalien auf all diejenigen Aufgaben und Anliegen der großen Klasse gebildeter Mönche hinzuweisen, die tief im englischen Bildungs-, Wirtschafts-, Kultur- und Geistesleben verankert war. Besonders wichtig: Diese Randbemerkungen vermitteln nicht den Eindruck von klösterlichem Ennui, Korruption oder allgemeinem Verfall. Vielmehr sind sie Ausdruck von anhaltender Vitalität, Kompetenz und dem Willen, ausgehend von der eigenen klösterlichen Existenz fruchtbringend für den Nächsten zu wirken. Swalwell war sicherlich kein Aktivist, der strukturelle oder theologische Veränderungen angestrebt hätte. Seine Marginalien sind nicht als ein allerletztes „Hurra“ aufzufassen, sondern als letzter Blick auf die Normalität einer Welt, die im Untergang begriffen war.

Ralf Lützelschwab