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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Borders and the Norman World. Frontiers and Boundaries in Medieval Europe, ed. by Dan Armstrong / Áron Kecskés / Charles C. Rozier / Leonie V. Hicks, Woodbridge 2023, Boydell & Brewer, XX u. 395 S., Karten, Abb., ISBN 978-1-78327-785-8, GBP 85, Online: https://www.cambridge.org/core/books/borders-and-the-norman-world/192F28DFB56A84D2D0F2175981E29FDA. – Der Band ist aus einer Online-Tagung im Jahr 2021 hervorgegangen: Die dreizehn Beiträge waren ursprünglich für den aufgrund der Pandemie verschobenen Leeds International Medieval Congress von 2020 vorgesehen. Ziel des Bandes ist es, die Grenzen der hochma. „Welt der Normannen“ auf den Britisch-Irischen Inseln, in Nordwestfrankreich, Süditalien und auf Sizilien zu untersuchen. Dabei sollen Grenzen als Werkzeuge betrachtet werden (S. 1). In ihrer Einleitung überblicken die Hg. A. / K. (S. 1–13) die insbesondere seit den 1980er Jahren gediehene Forschung zu diesem Thema. Unter anderem merken sie an, dass Grenzen sowohl für sich genommen untersucht werden können als auch im Hinblick auf verwandte Themen wie „power, identity, ideology, rulership, memory, communications, and networks“ (S. 3). Die Beiträge kombinieren diese beiden Ansätze und Themen auf vielfältige Weise. Sie sind drei Teilen zugeordnet. Im ersten Teil mit dem Titel „Borders in and around the Norman World“ stellt Caitlin Ellis (S. 17–42) die Invasion Irlands ab 1169 in den Zusammenhang früherer irischer Kontakte zu erstens angelsächsischen Rebellen gegen Wilhelm den Eroberer und zweitens normannischen Rebellen gegen seinen Sohn und Nachfolger Heinrich I. Chelsea Shields-Más / Charles C. Rozier (S. 43–68) untersuchen neu, warum es den ersten normannischen Königen so schwer fiel, England nördlich des Humber zu kontrollieren, und wie sie sich dieser Herausforderung stellten. Astrid Lemoine-Descourtieux (S. 69–98) bietet einen besonders wertvollen Überblick über die mittlerweile hervorragend erforschte Entstehung und Festigung der Grenze der Normandie zwischen 911 und 1135, wobei sie auch die jüngsten archäologischen Entdeckungen berücksichtigt. Áron Kecskés (S. 99–121) analysiert die Grenzen (z. B. Stadtmauern und Brücken) zwischen der zum Kirchenstaat gehörenden Stadt Benevent und den sie umringenden normannischen Herrschaften im frühen 12. Jh. Der zweite Teil trägt den Titel „Ecclesiastical Boundaries“ und besteht aus fünf chronologisch angeordneten Aufsätzen, die sich alle mit den Grenzen zwischen kirchlicher, insbesondere päpstlicher, und weltlicher Macht in den Jahrzehnten um 1100 befassen. Maria Vezzoni (S. 125–148) vergleicht, wie Papst Alexander II. seinen Einfluss auf die Normannen in Süditalien und in England geltend machte, und kommt zu dem Schluss, dass er dabei geschickt für beide Seiten vorteilhafte Verhältnisse schuf. Dan Armstrong (S. 149–170) setzt die Beziehungen zwischen dem Papsttum, England und Irland in einen größeren Zusammenhang, indem er sie als Teil einer Strategie der Päpste sieht, ihre Autorität über Netzwerke der persönlichen Freundschaft geographisch auszuweiten (eine Strategie, die im untersuchten Fall der Beziehung zwischen Papst Gregor VII. und Erzbischof Lanfranc jedoch versagte). William M. Aird (S. 171–200) gelingt es hervorragend, am Beispiel der Reisen Anselms von Canterbury zu veranschaulichen, wie bedeutend die Mobilität von Klerikern (über politische Grenzen hinweg) für die päpstlichen Kirchenreformen des 11. und 12. Jh. war. Ignazio Alessi (S. 201–214) befasst sich mit der Frage, inwieweit die normannischen Herrscher über Sizilien zu dieser Zeit sowohl weltliche als auch kirchliche Macht ausübten, und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass sie keine päpstlichen Legaten waren. Callum A. Jamieson (S. 215–240) nimmt die Legationen des Johannes von Crema in den Jahren 1124/25 nach England und Schottland unter die Lupe und klärt unter anderem, warum die betreffenden Könige sowie die Erzbischöfe von Canterbury und von York diese unterstützten oder zumindest nicht behinderten. Der dritte Teil mit dem Titel „Conceptual Boundaries“ startet mit Emily A. Winkler / Nia Wyn Jones (S. 243–272) über die vielfältigen Wahrnehmungen der Grenze zwischen England und Wales in den sogenannten Gesta Stephani und bei Giraldus Cambrensis (für die Gesta Stephani wird hier, S. 250, ein anderer Titel vorgeschlagen: De bellum ciuile [sic!] Anglie). Mark Hagger (S. 273–300) untersucht, wie Ordericus Vitalis und Wilhelm von Jumièges über geographische Grenzen schrieben, und zeigt unter anderem, dass Grenzen – insbesondere jene der Normandie – für diese Autoren (und ihre Leserschaft) stets aus zwei Teilen bestanden: einer Linie sowie einer Zone auf der „hiesigen“ Seite, die besonders stark bewaffneten Angriffen ausgesetzt war (S. 278f.). Laut H. waren für Ordericus die Grenzen seines Klosters Saint-Evroult das zentrale Thema seines Geschichtswerks. Marie-Agnès Lucas-Avenel (S. 301–330) stellt die Frage, inwieweit die Werke des Amatus von Montecassino, Wilhelms von Apulien und des Gaufredus Malaterra als „normannische Historiographie“ gelten können, d.h. inwieweit sie sich mit einer gens Normannorum befassen, den Einfluss Dudos von Saint-Quentin erkennen lassen oder gewisse Sitten als „normannisch“ betrachten. John Aspinwall (S. 331–358) befasst sich mit einem Artefakt, nämlich der „Cassa di Terracina“ (Rom, Museo di Palazzo Venezia, Inventarnummer 438). Dieser noch nicht genau datierten Holztruhe ist unter anderem ein Löwe eingeschnitzt, der ein Kamel erbeutet – das gleiche Motiv also, das sich auch auf dem weitaus berühmteren Krönungsmantel König Rogers von Sizilien wiederfindet. Der Vf. diskutiert, welche Bedeutung diese Cassa möglicherweise für die geltenden Annahmen über den Kulturtransfer im Süden Italiens und auf Sizilien haben könnte. Ein programmatisches Schlusswort von Leonie V. Hicks (S. 359–366) über „Borders, Landscapes, and Seascapes“ beschließt den Band. Er ist also nicht nur für diejenigen zu empfehlen, die sich für die vergleichende Geschichte geographischer Grenzen interessieren. Grenzen als Werkzeuge werden besonders deutlich im ersten Teil sowie bei Hagger thematisiert. Auffällig ist aber auch, wie viele der Beiträge sehr direkt (wenn auch implizit) das Thema der europäischen Staatenbildung im Hoch-MA behandeln.

Max Lieberman