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Julian Yolles, Making the East Latin. The Latin Literature of the Levant in the Era of the Crusades (Dumbarton Oaks Medieval Humanities) Washington, D.C. 2022, Dumbarton Oaks Research Library and Collection, XII u. 296 S., 6 Abb., ISBN 978-0-88402-488-0, USD 39,95. – Y. untersucht historiographische, theologische und rhetorische Texte, die in den Kreuzfahrerstaaten des 12. Jh. entstanden sind, und fragt nach ihrer Bedeutung für die Formierung eines Traditions- und Selbstbewusstseins der lateinischen Eliten in der Levante. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit der lateinischen Historiographie stehen Fulcher von Chartres (S. 47–84) und Wilhelm von Tyrus (S. 177–217). Für Fulchers Chronik konstatiert Y., dass ihre Rezeptionsgeschichte im lateinischen Osten ihre überragende Bedeutung für die Formierung des Selbstverständnisses der Jerusalemer Könige und des Patriarchats erkennen lässt. Die Darstellung Fulchers, die als erstes historiographisches Werk die Geschichte des ersten Kreuzzugs unmittelbar in die Geschichte des Königreichs Jerusalem einmünden ließ, wurde nicht nur historiographisch, sondern auch liturgisch rezipiert und entfaltete so eine nachhaltige Wirkung. Der zweite große Historiograph des Jerusalemer Reichs, Wilhelm von Tyrus, war insofern höchst innovativ, als er die Geschichte des Königreichs nicht mit dem ersten Kreuzzug, sondern mit der muslimischen Eroberung des syrisch-palästinischen Raumes im 7. Jh. beginnen ließ. Damit schuf Wilhelm einen ganz neuen Deutungshorizont für seine gebildeten Zeitgenossen in den Kreuzfahrerstaaten. Das „Volk Gottes“, das für die Sache des Heiligen Landes einstand, formte sich in dieser Perspektive aus allen christlichen Gruppierungen in Syrien-Palästina, von den griechisch-orthodoxen über die arabischen Christen bis zu den neu ins Land gekommenen Lateinern. Maßgeblich hierfür war Wilhelms Vertrautheit mit christlich-arabischen Werken, die er möglicherweise über arabische Christen im Umfeld des Jerusalemer Hofs kennenlernte. Neben Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus untersucht Y. die frühe Textproduktion in den Kanonikerstiften auf dem Jerusalemer Tempelberg und bei den Patriarchengräbern in Hebron (S. 85–125). In beiden Stiften war man bemüht, die Bedeutung der eigenen Gemeinschaft gegenüber den Kanonikern am Heiligen Grab in Jerusalem zu profilieren und zu überhöhen. Dabei entstanden Texte, die den Tempelberg in einen heilsgeschichtlichen Kontext rückten, so dass das Tempelstift als höherrangig als das Heiliggrabstift erschien. Für das Stift in Hebron zeigt Y. ähnliche literarische Strategien, mit denen an die Bedeutung der Patriarchengräber in Hebron angeknüpft wurde. Für die lateinische Literatur in Antiochia ist die multikonfessionelle und multikulturelle Prägung der Stadt von zentraler Bedeutung. Theologisch-philosophische Auseinandersetzungen spielen hier eine ebenso große Rolle wie rhetorische Traditionen, die den hohen Rang der Latinität in Antiochia erkennen lassen (S. 127–175). Insgesamt plädiert Y. für eine neue Aufmerksamkeit für die lateinische Textproduktion in den Kreuzfahrerstaaten. Sie sei sehr viel ambitionierter und für die kulturelle Entwicklung der Eliten im lateinischen Osten prägender gewesen, als man es bislang erkannt habe.

Stefan Tebruck