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Enno Bünz, Die mittelalterliche Pfarrei. Ausgewählte Studien zum 13.–16. Jahrhundert (Spät-MA, Humanismus, Reformation 96) Tübingen 2017, Mohr Siebeck, IX u. 862 S., 24 Abb., ISBN 978-3-16-153874-2, EUR 129. – Wie Wolfgang Petke es 2006 formulierte, ist die Pfarrei „ein Institut von langer Dauer“ und eine „Forschungsaufgabe von langer Dauer“ (S. 4). Wenn B. dies im Einleitungskapitel zu dem vorliegenden opus magnum schreibt, weiß er, wovon er spricht, beschäftigt ihn die ma. Pfarrei, sein „Lebensthema“ (S. V), doch seit seinen Studientagen Ende der 80er Jahre unablässig bis zum heutigen Tag, wie das Verzeichnis seiner mittlerweile mehr als 125 einschlägigen Publikationen eindrücklich belegt (vgl. S. 793–806), in denen er die vielfältigen Facetten dieser bis in die entlegensten Winkel präsenten Schnittstelle zwischen Kirche und Welt als „kleinste Einheit der Seelsorge“ (S. 84) und als „das zentrale und tragende Strukturelement der Seelsorge“ (S. 118) stets quellennah beleuchtet hat. Nicht von ungefähr gilt B. als der beste Kenner der Materie im deutschsprachigen Raum. Eine Synthese dieser langen Forschungsarbeit bildet der vorliegende Band, der gegliedert in vier Teile 18 bereits erschienene, nun aber grundlegend überarbeitete und auf den aktuellen Forschungsstand gebrachte Aufsätze sowie drei gänzlich neu konzipierte Kapitel umfasst. Im ersten Teil („Allgemeine Perspektiven“) wird die spätma. Pfarrei zunächst in einem zwar bereits publizierten, aber völlig neu konzipierten, erweiterten und aktualisierten Kapitel als Forschungsgegenstand und Forschungsaufgabe umrissen (S. 3–76). Daran schließt sich in dem bisher unveröffentlichten Kapitel „Pfarreien – Vikarien – Prädikaturen“ die Hinwendung zur Seelsorge durch ein im Spät-MA infolge der unzähligen Vikariestiftungen sich stets vermehrendes Seelsorgepersonal in den etwa 50.000 Pfarrkirchen Deutschlands an (S. 77–118). Das dritte Kapitel „Kurie und Region“ (S. 119–149) macht einmal mehr deutlich, welche Erkenntnisse sich durch gründliche Auswertung der vatikanischen Registerüberlieferung mit dem darin dokumentierten kurialen Provisionswesen gewinnen lassen hinsichtlich Patrozinien von Pfarrkirchen und Altären, Benefiziaten, Patronats- und Inkorporationsverhältnissen, Pfründenwerten, Bildungsgrad von Pfarrern und Vikaren sowie Klerikerkarrieren. Nach diesen überblicksartigen Einführungskapiteln, die den Rahmen des Themas „Pfarrei“ abstecken, stehen in den sechs Kapiteln des zweiten Teils „Frömmigkeit – Ökonomie – Gesellschaft – Kultur“ in vergleichender Perspektive im Mittelpunkt, wobei B. erfreulicherweise den Fokus verstärkt auf die ländlichen Verhältnisse legt. Das vierte Kapitel „Die Bauern und ihre Kirche“ behandelt die Einflussmöglichkeiten auch der ländlichen Bevölkerung bezüglich des Patronatsrechts und der Kirchenfinanzen (S. 153–185). Unter dem Titel „Memoria auf dem Dorf“ wird dann das Totengedenken in der Pfarrkirche, auf dem Friedhof und im Beinhaus behandelt (S. 186–233). In dem neu konzipierten Kapitel „Vikariestiftungen verändern den Kirchenraum“ wird die Heterogenität des Kirchenraums durch eine Vielzahl von Nebenaltären aufgrund des umfangreichen Stiftungswesens im Spät-MA thematisiert (S. 234–257). Am Beispiel des Taxus beneficiorum der Hamburger Dompropstei von ca. 1336 werden die Einkommensverhältnisse der Pfarrgeistlichkeit illustriert (S. 258–294). Das wieder neu konzipierte 8. Kapitel „Buchbesitz von Pfarrern“ zielt auf deren Bildungsstand, die Formen des Bücherkaufs und den Zweck der Pfarrbibliotheken (S. 295–333). Es folgen Ausführung zu den im 13. Jh. aufkommenden Pfarrei- und Pfarrersiegeln (S. 334–351). Der regionalen Perspektive ist der dritte Teil gewidmet, in dem zunächst in drei Kapiteln Franken im Fokus steht. In dem einführenden Kapitel „Die mittelalterliche Pfarrei in Franken“ setzt sich B. mit der Konzeption des Historischen Atlas Bayern auseinander und gibt auf Grundlage seiner profunden Quellenkenntnis Anregungen zu Verbesserungen (S. 355–380). Ein ins Jahr 1528 datiertes Steuerregister ist Ausgangspunkt des elften Kapitels zur Lage der Pfarrgeistlichkeit im Bistum Würzburg nach dem Bauernkrieg (S. 381–428). Ein 1487 vom Würzburger Generalvikar Kilian von Bibra ausgestelltes, gedrucktes Dispensformular zwecks Entbindung von der Residenzpflicht für den in Haindorf bei Schmalkalden bepfründeten Vikar Heinrich Groß regt an zu Ausführungen über die Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks im Rahmen der kirchlichen Verwaltung (S. 429–454). Drei weitere Kapitel richten den Blick auf Sachsen, nämlich auf die ma. Kirchenorganisation im Orlagau (S. 455–488), das kirchenorganisatorisch von Bamberg, Regensburg und Naumburg geprägte Vogtland (S. 489–523) und die als Klosterkirche der Zisterzienserinnen und als Bürgerkirche genutzte Kirche St. Michael in Jena (S. 524–566). Die Gründung eines Kirchspiels beleuchtet B. danach am Beispiel von Barlt in Dithmarschen (S. 567–592), die Gründung einer Kapelle am Beispiel von St. Jürgen in Heide (S. 593–628). Nach dem Blick auf die Institution „Pfarrei“ folgt im vierten Teil derjenige auf die handelnden Akteure, die Pfarrer. Hier werden zunächst Lebensführung, wirtschaftliche Situation und Bildung der thüringischen Pfarrgeistlichkeit sowie deren Seelsorge und Verhältnis zur Gemeinde anhand des Subsidienregisters von 1506 beleuchtet (S. 631–666). Anhand der Pönitentiarieregister des 15. Jh. wird der Fokus dann auf die Probleme der thüringischen Pfarrgeistlichkeit gerichtet, insbesondere auf deren Fehlverhalten wie unwürdiges Verhalten gegenüber Amtsbrüdern, Wirtshausbesuche, Körperverletzungen, Totschläge und sexuelle Exzesse; wohlgemerkt war davon nur die verhältnismäßig geringe Zahl von 40 der mehr als 1500 Weltgeistlichen betroffen (S. 667–693). Den Abschluss bilden schließlich zwei biographische Kapitel zu dem Bacharacher Pfarrer Winand von Steeg (1371–1453) (S. 694–719) und zu dem Büsumer Pfarrer Andreas Brus († 1532) (S. 720–764). Abgerundet wird der Band durch 24 Abbildungen (S. 768–789) sowie ein ausführliches Register der Orte, Personen und Sachen (S. 807–860). Indem B. die Pfarrei unter institutionen-, sozial- und frömmigkeitsgeschichtlicher Perspektive behandelt, unterschiedliche Quellenarten wie Urkunden, Chroniken, Rechnungen, Pfründenverzeichnisse bzw. Taxregister, Pfarrbücher, Testamente sowie Inschriften als Grundlage seiner Ausführungen heranzieht und mit Franken (Würzburg), Sachsen, Dithmarschen und Hamburg ganz unterschiedliche Regionen in den Blick nimmt, gelingt ihm eine hervorragende Gesamtschau der vielfältigen Aspekte des Phänomens „Pfarrei“. Ebenso wie die 2021 erschienenen Aufsätze zur Pfarreigeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit von Wolfgang Petke, dem B. das siebte Kapitel zu den Pfründenwerten nordelbischer Pfarreien gewidmet hat, wird dieses Buch Ausgangspunkt und Referenz für künftige Forschungen sein.

S. P.