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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 81,2 (2025) *.

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Post aus Nürnberg. Interdisziplinäre Forschungen zu den Briefbüchern des 15. Jahrhunderts, hg. von Mechthild Habermann / Peter Fleischmann / Klaus Herbers (Nürnberger Forschungen 34) Neustadt an der Aisch 2024, Verlag Ph.C.W. Schmidt, XX u. 230 S., Abb., ISBN 978-3-87707-317-9, EUR 36. – Der Band versammelt Beiträge, die aus dem von der DFG seit 2019 an der FAU Nürnberg geförderten Projekt „Kommunikation und Sprache im Reich. Die Nürnberger Briefbücher im 15. Jahrhundert: Automatische Handschriftenerkennung – historische und sprachwissenschaftliche Analyse“ hervorgegangen oder in dessen Umkreis entstanden sind (Einleitung der Hg., S. VII–XX). – Sabrina Späth, Kanzleipraxis und Korrespondenzwesen im frühen 15. Jahrhundert. Das älteste Nürnberger Briefbuch (1404–1408) (S. 1–17), zeigt anhand des paläographisch-kodikologischen Befunds, dass es sich beim ältesten Briefbuchcodex im Unterschied zu späteren Bänden nicht um ein Kopial-, sondern um ein Konzeptbuch handelt, und entwirft ein Panorama von (u. a. prosopographischen und verwaltungsgeschichtlichen) Auswertungsmöglichkeiten der Briefbücher, wobei sie die Rolle Nürnbergs als „Nachrichtenzentrum“ ähnlich wie Julian Krenz (s. u.) durch die Beobachtung relativiert, dass über die Hälfte der enthaltenen Schreiben an regionale Empfänger im allernächsten Umkreis Nürnbergs ging. – Christopher Folkens / Michael Rothmann, Kodifizierung der Kommunikation. Serieller Briefverkehr zwischen Nürnberg und Frankfurt zu Messezeiten (S. 19–44), verfolgen u. a. anhand der Nürnberger Briefbücher den durch die Bemühungen der Nürnberger um die Veranstaltung einer eigenen Messe ausgebrochenen Konflikt der Reichsstädte Nürnberg und Frankfurt, beleuchten an diesem Beispiel die unterschiedlichen Funktionen mündlicher und schriftlicher Kommunikation und deren bewussten Einsatz durch die Streitparteien und zeigen, wie ambivalent die Konfliktsituation für beide Städte war, da man abseits davon auf enge Zusammenarbeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen war. – Achim Rabus, Möglichkeiten und Grenzen KI-gestützter Manuskript-Transkription für unterschiedliche Einsatzzwecke (S. 47–60), erläutert zunächst unterschiedliche KI-basierte Anwendungen von HTR (Handwritten Text Recognition), hält Menge und Qualität der Trainingsdaten für den entscheidenden Faktor für die Effizienz von HTR und sieht vor allem die potentiell mögliche Massendigitalisierung von Quellen als Auslöser für einen eventuellen Paradigmenwechsel in den philologischen Disziplinen an. – Tobias Hodel, Das Ende der Edition? Ein Blick auf geschichtswissenschaftliche Editionen mit Fokus auf die Frühe Neuzeit – eine Provokation (S. 61–66), glaubt, dass sich die „klassische“ Edition von Massenquellen des späten MA und der frühen Neuzeit überlebt hat, da KI künftig alle damit verbundenen Aufgaben wie Textkonstitution, Verlinkung von Normdaten und Erkennen von Zitaten übernehmen kann, dass aber die Auswertung und Einordnung der Quellen dem Menschen vorbehalten bleiben wird. – Natalia Filatkina, Formelhafte Sprache im städtischen Schrifttum: Herausforderungen und Desiderate (S. 69–86), müht sich zunächst mit einer Definition des Terminus „Formelhaftigkeit“ ab und untersucht anschließend aus linguistischer Perspektive einzelne Jahrgänge der Rechnungsbücher der Stadt Luxemburg aus dem späten 14. und dem 15. Jh., wobei sie unter der Voraussetzung, dass „über die morpho-syntaktische Konventionalisierung einer Wendung bzw. das Vorhandensein eines Variantenspektrums … der Gebrauch dieser Wendung in Kommunikationssituationen“ entscheidet (S. 77), zu dem Ergebnis kommt, dass das Wissen über den Gebrauch von Formeln als „metasprachliches Wissen“ vorhanden und „in seinem Grundgerüst schreiberunabhängig“ gewesen sei (S. 81) und die Rechnungsbücher „keine kontinuierliche lineare oder fortschreitende Entwicklung zu einem endgültigen festen Formelinventar“ erkennen lassen (S. 85). – Katharina Neumeier, Zwischen den Zeilen lesen. Textrevisionen in den Nürnberger Briefbüchern (S. 87–104), untersucht die vom Nürnberger Stadtschreiber Leupold in den zweiten Band der Briefbücher (1408/09) eingetragenen rund 240 Texte auf wiederkehrende Revisionen und kommt zu dem Ergebnis, dass mit den nachträglichen Eingriffen in den Text die in den einschlägigen Lehrbüchern der ars dictaminis formulierten Ziele wie perspicuitas, puritas, brevitas und variatio erreicht werden sollten. – Mechthild Isenmann, Streit unter Kaufleuten! Das Kommunikationsgeflecht zwischen dem Nürnberger Rat und Handelsgesellschaften im 15. und 16. Jahrhundert (S. 107–135), schildert anhand mehrerer ausgewählter Fallbeispiele aus dem 15. und 16. Jh. die wichtige Rolle von Vertretern des Nürnberger Rats, die häufig auch Regierer von Familien-Gesellschaften waren, in innergesellschaftlichen Konflikten, in denen sie als Vermittler, Zeugen oder auch Ermittler auftreten konnten. – Monika Hanauska, Praktiken der Glaubwürdigkeitserzeugung: Beglaubigen, Bezeugen und Verifizieren in spätmittelalterlichen Texten der Kölner Stadthistoriographie (S. 137–151), vergleicht eine Prosachronik (Dat Nuwe Boych) mit einer Reimchronik (Die Werverslaicht) zur Kölner Stadtgeschichte der zweiten Hälfte des 14. Jh. in Hinsicht auf die im Titel genannten Praktiken und führt die Tatsache, dass die Kategorie „Beglaubigen“ nur in der Reimchronik eine Rolle spielt, insofern auf Genrekonventionen zurück, als in der Reimchronistik weniger Wert auf die Überprüfbarkeit der Aussagen gelegt werde als im Prosa-Pendant. – Julian Krenz, „von todes wegen abgangen“ – Die Tode Ruprechts I., Sigismunds I. und Albrechts II. in den Nürnberger Briefbüchern und das „Nachrichtenzentrum“ Nürnberg (S. 155–171), konstatiert, dass zumindest für das 15. Jh. der Begriff „Nachrichtenzentrum“ für die Reichsstadt Nürnberg in quantitativer Hinsicht nicht zutreffend sei, da es in den Nürnberger Briefbüchern relativ wenig „Nachrichten“ im engeren Sinn des Wortes (also definiert durch Aktualität, Neuigkeitswert und vor allem Relevanz für einen größeren Empfängerkreis) gebe und sich hier die regionale, nicht aber eine europäische Rolle Nürnbergs als Nachrichtenzentrum spiegle, dass aber in qualitativer Hinsicht, insbesondere in der Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung, schon eher Charakteristika eines solchen Zentrums vorhanden seien. – Martin Mayr, Handschrifterkennung bei historischen Dokumenten (S. 175–188), erläutert die im Hintergrund ablaufenden technischen Vorgänge bei HTR und sieht als potentiell interessante Felder der Weiterentwicklung die verbesserte Datenerweiterung durch Textimitation bzw. die automatische Gewinnung von Metadaten an. – Steffen Krieb, Post vom Kaiser. Briefe Friedrichs III. an den Nürnberger Rat (S. 191–202), hebt den Wert der Briefbücher als Quelle einerseits für Deperdita aus der Kanzlei Kaiser Friedrichs III., andererseits für die Kontextualisierung der Schreiben des Kaisers, also für ihre Genese und die damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungsprozesse im Nürnberger Rat hervor. – Franz Fuchs / Rainer Scharf, Briefe des Nürnberger Rats an den Hof Kaiser Friedrichs III. (S. 203–217), unternehmen einen eindrucksvollen, statistisch unterfütterten Tour d’horizon durch jene rund 1360 Stücke der Nürnberger Briefbücher, welche Schreiben des Nürnberger Rats (und vereinzelt auch von Einzelpersonen) an den Hof Kaiser Friedrichs III. überliefern, geben einen Überblick über deren Adressaten (Friedrich III. selbst, sein Hofpersonal, überwiegend aber die am Hof weilenden Vertreter des Rats) und zeigen, wie sich mit Hilfe der Quelle nicht nur die Nürnberger Gesandtschaften, sondern auch die Vorgänge, die zur Ausstellung kaiserlicher Urkunden für die Reichsstadt (wie der großen Privilegienbestätigung für Nürnberg vom 19. März 1452) führten, minutiös rekonstruieren lassen. Ein schöner, ein sehr lebendiges Bild des Kaiserhofs und des dortigen Betriebs vermittelnder Abschluss eines interessanten Bandes (mit dem Wermutstropfen, dass ein Register der zitierten Hss. und Archivalien fehlt), der Appetit auf die Lektüre der vom Projekt ursprünglich nicht angestrebten Edition macht, deren erste Bände mittlerweile erschienen sind!

M. W.