Herwig Wolfram, Arnulf von Kärnten. Eine biographische Skizze (Relectio. Karolingische Perspektiven 7) Ostfildern 2024, Jan Thorbecke Verlag, 167 S., ISBN 978-3-7995-2807-8, EUR 22. – Der mittlerweile neunzigjährige Vf. wird im Vorwort als „Meister seines Faches“ (S. 10) gerühmt, und der Rez. wäre der letzte, der diese Einschätzung in Frage stellen wollte. Umso mehr schmerzt es ihn, feststellen zu müssen, dass der Band die gewohnte Höhe wolframscher Interpretations- und Darstellungskunst leider nicht erreicht. Er gliedert sich in vier etwa gleich lange – oder eher: gleich kurze – Teile. Der erste (S. 17–43) stellt die südöstlichen Nachbarn des Frankenreichs im 9. Jh. vor und bietet dazu hauptsächlich eine Zusammenfassung von zwei einschlägigen Monographien des Vf. (Grenzen und Räume und Salzburg – Bayern – Österreich, beide 1995, vgl. DA 52, 771f. und 53, 231), die lediglich in einzelnen Details korrigiert oder ergänzt werden. Der zweite Teil (S. 45–75) ist eine quasi-annalistische Nacherzählung der politischen Entwicklung im Ostfrankenreich von 887 bis 899 anhand der Annales-Fuldenses-Fortsetzungen und Reginos Chronik. W. ist bekanntlich ein begnadeter Erzähler, und so ist dieser Abschnitt durchaus eingängig zu lesen, aber naturgemäß von begrenztem Neuigkeitswert. Der dritte Teil (S. 77–112) versucht, sich Arnolf (warum der Vf. die weniger quellengemäße Schreibung „Arnulf“ bevorzugt, wird nirgends erklärt) als Herrscherpersönlichkeit anzunähern, reißt die dafür ergiebigen Themen aber jeweils nur kurz an, um sich dann in 14 knappen Unterkapiteln – das kürzeste von ihnen umfasst gerade zweieinhalb Zeilen – 18 Frauen zu widmen, mit denen der Kaiser es im Lauf seines Lebens zu tun bekam, von seiner Mutter bis hin zu der angeblichen Giftmischerin, die für seinen Tod verantwortlich gemacht wurde. Der vierte Teil (S. 113–143) behandelt dann Arnolfs Verhältnis zu verschiedenen Adelsgruppen, von einzelnen wichtigen Personen über regional bedeutende Familien bis hin zum „geistlichen Adel“ der kirchlichen Amtsträger. Auch hier scheinen die Vorlieben des Vf. durch, indem etwa den bayerischen, besonders im späteren Niederösterreich aktiven Wilhelminern vier Seiten eingeräumt werden, den sächsischen Liudolfingern hingegen ebenso wie dem lotharingischen Adel insgesamt jeweils nur eine. Nach einem etwas erratischen Klein-Kapitel über „das verschwundene karolingische Lehnswesen“ (S. 145–147) charakterisiert ein kurzes „Schlusswort“ (S. 149f.) Arnolf als „konservativen Reformer“. Insgesamt gibt es in dem Buch kaum einen Satz, dem man nicht zustimmen würde; dass man es dennoch unbefriedigt aus der Hand legt, liegt vor allem an den Dingen, die nicht darin stehen. Vieles, was genauere Behandlung verdient hätte, bleibt bloß Andeutung, Diskussionen werden ausgespart zugunsten einer glatten, gelegentlich ans Apodiktische grenzenden Erzählung, und als Folge davon vermisst man letztlich originelle Gedanken. Nun muss man von einer biographischen Darstellung keineswegs reihenweise Neuerkenntnisse verlangen, auch eine umsichtige Zusammenfassung des einschlägigen Forschungsstands hätte durchaus ihre Berechtigung. Dann dürfte man allerdings schon erwarten, dass die vorhandene Literatur gründlich ausgewertet wurde; hier hat der Vf. die Forschungsleistungen seiner Kollegen jedoch überaus selektiv zur Kenntnis genommen, was sich besonders in der zweiten Hälfte des Buchs bemerkbar macht. Hinzu kommt, wie aus der vorstehenden Inhaltsangabe deutlich geworden sein dürfte, eine allgemeine Unausgewogenheit, die den Verhältnissen im Südosten des Reichs stets ungleich höhere Aufmerksamkeit widmet als dem gesamten Rest von Arnolfs Herrschaftsbereich. Das durchaus vorhandene Potential des Gegenstands wurde also keineswegs ausgeschöpft. Schade, denn bei einem so renommierten Vf., der seine Fähigkeit zu beeindruckenden Synthesen oft genug unter Beweis gestellt hat, hätte man mehr erwartet.
Roman Deutinger